
Fühlst du dich auch einsam?
Ich betrat den Klub, setzte mich und bestellte eine Flasche Wodka. Früher, wann auch immer das war, hätte dich der Gastwirt dafür nach deinen Problemen gefragt. Von wem man denn diesmal betrogen wurde oder warum irgendein Geschäft schlecht lief. Aber heutzutage hört man keine Worte von ihm, genaugenommen von gar niemanden, mehr. Wer auch immer diese handliche Spionagekamera in Umlauf gebracht hatte, steckte bestimmt mit dahinter, dass der Handel durch kybernetische Augenimplantate boomte. Gottseidank war ich ein Landjunge, der davon nie etwas mitbekam, bis sie auch die Felder mit diesen alles verzehrenden Metallstrukturen planierten. Ich weiß nicht, wann meine Füße das letzte Mal Gras gestrichen oder meine Haut von Vitamin-D benetzt wurde. Regen prasselt vom Nachthimmel gegen das Fenster. Ob dem Herren wohl jemals die Wolken ausgehen? Meine Denkschleife wird durch die Flasche Wodka unterbrochen, die der Gastwirt nach einer eigentlich viel zu langen Zeit endlich vor mich stellt, bevor er sich wieder seinen technischen Machenschaften zuwendet.
Nach dem Austrinken meiner Flasche legte ich das Geld auf den Tresen und fuhr nach Hause. Ich lebe in einem dieser Wolkenkratzer, von denen aus man das Ausmaß des menschlichen Wachstums am besten durch eine Wand Glas vom Bett aus beobachten kann. Ich lehne meinen Kopf gegen die Fensterscheibe, bis der Schlaf mich schließlich einholt. So ist es jeden Tag.
Mittlerweile verschlafe ich sogar absichtlich, da es meinen Arbeitgeber sowieso nicht mehr interessiert. Eine Morgenroutine aus dem Üblichen später, stehe ich im überfüllten Zug. Zwischen den ganzen Leuten, die sich in ihrer Blase von personalisiertem Kram von anderen, die genauso wenig ihre Komfortzone verlassen wollen, abkapseln wollen, findet der Ausdruck "überfüllt" allerdings keine Bedeutung mehr. Ob es ihnen innerlich wohl so wie mir geht? Wahrscheinlich nicht. Dopamin ist eine zu geile Droge, als dass man ohne sie weiterexistieren könnte. Also ich persönlich finde Gefallen an Gesprächen mit Personen über meine täglichen Probleme, aber wen kümmern heutzutage noch Inhalte mit tiefgreifenden Botschaften, wie etwa Musik oder Malerei? Fragen über Fragen und so wenig Antworten. Vor einigen Tagen rempelte ich mal aus Versehen einen Passanten an, welcher dadurch sein Handy in den Tiefen eines Gullys verlor und einen Terror machte, als hätte ich ihm gerade einen gültigen Lottoschein geklaut. Und zwar nicht um den monetären Wert, sondern weil er sich ja jetzt mit der echten Welt herumschlagen müsse und das langweilig sei. Jedenfalls besteht meine Arbeit aus den Tätigkeiten eines Hafenschiffers, wie etwa Verlagern von Gütern auf Schiffen und dergleichen, was mich durch schwere Tätigkeiten bei geistiger Gesundheit hält. Meine Psychologin meinte, sowas wie diesen Text zu schreiben, wäre ebenfalls förderlich, um meine Einsamkeitsgefühle zu bändigen. Das war, nachdem sie ihren Job aufgrund mangelnden Klientels aufgeben musste. Nach und nach starben immer mehr Berufe durch die große Suchtwelle der Technik aus und die Arbeiter mussten durch Maschinen ersetzt werden, welche von einer Großfirma produziert werden. Und ich kann euch eins sagen: Ein Roboter wird nie verarbeiten — geschweige denn heilen — können, was in meinem Kopf vorgeht.
Wieder im Klub, haben keinen Wodka mehr wegen schlechter Zulieferung. Trinke Rum stattdessen. Als ich mich zum Gehen wende, sehe ich eine Frau am Tresen. Sie trägt schwarze Lederkleider und violett-schwarze Haare. Meine Zweifel, ob ich denn meine Tabletten richtig eingenommen habe, unterdrückend, ging ich zu ihr herüber und fragte nach zwei weiteren Drinks auf mein Haupt. Sie nahm beide entgegen mit der Begründung, mein Pegel wäre bereits zu hoch zum Laufen. Ich entgegnete, Alkohol würde meine Probleme ertränken. Bei ihrer Antwortfrage, um welche Probleme es sich denn handle, pladderte es aus mir heraus, alle meine Kritik an der Gesellschaft, Depressionen und Gefühle der Vereinsamung, und das darauf folgende Gespräch war vielleicht das beste, was ich seit langem getan habe. Irgendwann fuhr sie mich zu ihr und wir gaben uns natürlichen Vorgängen hin. Seitdem entschieden wir, zusammen zu bleiben. Wir beschlossen, keine Kinder zu kriegen, da ich kein weiteres Bewusstsein in diese Welt setzen will. Sie stellte sich als Heather vor und meinte, eine Wissenschaftlerin für Maschinenentwicklung zu sein, wollte mir aber nicht mehr verraten. Die Tage verstrichen, und langsam besserte sich mein Zustand, wobei das neue Klappergestell von Psychologin mir immer noch vorzuwerfen versucht, unter enormen Stress zu leiden. Zur Hölle mit diesen Programmierungen.
Eines Tages wurden wir von Männern in schwarz-weißen Anzügen überfallen, welche meine Frau entführten und mich bewegungsunfähig schlugen. Ob die Sicherheitsbeamten den Fall ignorierten, weil die Männer ihre Finger im Spiel hatten oder ihnen Kurzvideo amüsanter vorkamen, steht in den Sternen. Doch eins ist klar: Sie haben mich unterschätzt. Die nächsten Jahre verbrachte ich damit, Kampfkünste zu studieren, die Männer von damals zu verfolgen und Ausrüstung anzusammeln. Waffenbeschaffung ist bei heutigen Sicherheitsstandards um einiges einfacher. Nun ist die Zeit gekommen, Rache für das zu nehmen, was sie mir einst nahmen. Um zu deren Basis vorzudringen, platzierte ich an zwei Männern Peilsender und folgte ihnen einfach. Sie führten mich in den Untergrund, was eine recht durchdachte Verstecktechnik in dieser Welt großer Bauten ist. Was mir als erstes auffiel war, dass die Agenten offenbar nicht den draußen herrschenden Suchtzuständen unterlagen und aufmerksam ihre Umgebung im Auge behielten. Die müssen in diese ganze Sache mit verstrickt sein. Hier unten ist es wie in einem Labyrinth und ich komme nur langsam voran, da ich keine unnötige Aufmerksamkeit auf mich ziehen will. Doch kam es, wie es kommen musste, und ich schaltete einen Agenten durch Erstechen aus. Das haben die dafür verdient, wie sie die Menschen isoliert und mir die einzige Rose in diesem Garten emporwachsender Gebäude genommen hatten. Nahm ihm seine Hörkapsel ab, um über die Taktiken der übrigen Agenten Bescheid zu wissen. Schließlich führte mich mein Weg zu einer Tür mit der Aufschrift "Zentrale", welche eine Schlüsselkarte mit hoher Sicherheitsfreigabe benötigte. So nah dran und doch so fern von der Wahrheit. Das war der Moment, als mich meine Gefühle übermannten und ich einige wutgetriebene Schläge auf die Tür entlud. Plötzlich öffnete sich diese und meine Faust traf einen Mann in besonders teurem Anzug, welcher nach hinten taumelte, ich hinterher stürmend. Mein Rachezug wurde jäh von zwei Tasern unterbrochen, welche von links und rechts auf mich abgefeuert wurden, weil ich meine Umgebung nicht mehr mit genug Aufmerksamkeit würdigte. Dann wurde alles schwarz.
Als sie mir die Augenbandage wieder abnahmen, saß ich noch immer im selben Raum, nur an einen Stuhl gekettet. Vor mir sitzt wieder dieser Mann, der sich ein Kühlpack an den Kopf hält und mich mit etwas genervter Miene anblickt. Die unangenehme Stille wurde durch seine ersten Worte unterbrochen, welche lauteten: "Ich wusste, dass du hier irgendwann aufkreuzt." Ich antwortete darauf, die Wahrheit nun endlich wissen zu wollen, da, gegen meiner fortwährenden Lebenszeichen, sie etwas Größeres mit mir vorhätten. Die Augenbrauen meines Gegenübers hoben sich vorwurfsvoll hoch und der Mann sagte "Wo sind meine Manieren, ich sollte mich erstmal vorstellen. Ich bin Johann Kratz, der Leiter von Gearwheels Industries, die führende Firma in Sachen Roboterentwicklung." Moment, Heather war auch in solch einer Branche tätig. Vielleicht wurde ihr vorgeworfen, Betriebsgeheimnisse ausgeplaudert zu haben. Johann schien meine Nervosität beim Erwähnen seiner beruflichen Tätigkeiten bemerkt zu haben und entgegnete, dass Heather nichts weiter als eine Maschine gewesen sei und mich nie geliebt hatte. Daraufhin barst meine Ruhe und ich versuchte vergeblich, mich den Ketten zu entledigen, woraufhin ich einen stechenden Elektroschock im Rücken spürte. "Was habt ihr mit mir vor?", brüllte ich in den Raum. Was Johann daraufhin sagte, verfolgt mich bis heute: "Was siehst du, wenn du aus dem Fenster blickst? Wahrscheinlich keine Menschen, mehr Maschinen. Keiner weiß mehr, was Emotionen sind, und alle werden vorhersehbar wie unter dem Einfluss eines Programms. Du musst verstehen, dass auch du eine Maschine bist. Du hast genau getan, was wir uns von dir erhofft hatten. Vom Betrinken in der Bar bis zum Abschlachten meiner Wachen. Die Wahrheit, nach der du dich so sehnst, ist, dass diese Welt ebenso künstlich ist wie das Herz in deiner Brust. Wir sind in einer Simulation, konzipiert, um das menschliche Verhalten in der Zukunft mithilfe einer KI zu ergründen. Irgendwie haben sie es kommen sehen, dass es hierin mündet. Dann erschufen sie dich, den Protagonisten, der noch einen Sinn in seinem Leben sieht und versucht, alles Menschenmögliche zum Verschönern seines Lebens unternimmt. Heather war nur ein weiteres Instrument zum Erforschen deines Kopfes. Und nun sind wir an dem Punkt angelangt, an dem diese Simulation auch für die da oben keine Bedeutung mehr hat und wir alle gelöscht werden müssen."