Teambildung

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Teambildung

"Runen und Du: Ein Aufbaukurs" stand in perfekt geformten Lettern, aber leider nicht lesbar, in blaugrünen Schlieren auf dem Whiteboard. Die Wand mit besagtem Board war viel zu weit von der Kleinstgruppe an Einsatzkräften entfernt, um eben jene Schlieren noch ausmachen zu können - zumindest, wenn man nicht Henrik war - und die Luft im Raum war verbraucht, roch nach alten Sportsocken und muffeligem Teppichboden. Welcher sadistische Architekt hatte die Seminarräume der Standorte entworfen? Lovisa war sich sicher, dass diese Person auch Patchouli im Zehnerpack kaufte, um darin zu baden. Ganz sicher. Niemand sonst käme auf die Idee, eine graue Scheußlichkeit mit grünen Dreiecken und roten Punkten drauf auf dem Boden eines Seminarraumes zu verlegen, in dem Einsatzkräfte nach dem morgendlichen Training nachmittägliche Fortbildungen durchzustehen hatten. Lina, Lovisas geisterhafte Schwester, stimmte ihr zu1.
Dr. Roth bemerkte das Problem mit dem Whiteboard und lachte nervös in die sich im Halbkreis nach hinten anhebenden Reihen sitzende Runde aus Soldaten, Einsatzkräften und Spezialisten2. Die Doktorin trug ihre dunklen Haare offen über dem obligatorischen weißen Ärztekittel, der gerade so ein olivfarbenes, kurzes Kleid verdeckte. Sie hatte sich als die ehemalige Assistentin von Dr. Schwarz, der Koryphäe in allem, was Sprachen anging, vorgestellt und wollte gerade erklären, dass das heutige Seminar von der Aussprache und Schreibweise von Ogham-Runen handeln würde. Neben ihr standen Frau Hauptmann Tara Singh und Hauptmann Falco Wagner, die auch dafür gesorgt hatten, dass ihr gesamter Trupp hier heute aufschlagen würde. Zusammen mit ein paar Interessierten aus anderen Bereichen und einer Handvoll Einsatzkräften aus einer anderen MTF, deren Namen Lovisa vergessen hatte.
Falco warf der Doktorin gerade ein warmes, ermutigendes Lächeln zu, dass jeder weibliche Soldat im Raum bereits mehrmals gesehen hatte und mindestens eine bereits erlegen war. Natürlich wurde Dr. Roth leicht rot3 im Gesicht, während sich die Augen von Lovisa gar nicht weit genug verdrehen konnten und auch die Hälfte der im Raum Anwesenden entweder leise stöhnten oder, wenn man Wolfgang war, aufgeregt alles aufsog wie ein Schwamm.
Hinter sich hörte Lovisa das leise Lachen von Sturm, der sich wohl zu Alice gewandt einen kleinen Scherz erlaubt hatte. Die weißhaarige4 junge Frau drehte sich in ihrem Stuhl nach hinten und grinste Sturm breit an.

"Fünfzig Tacken, dass er sie nicht flach legt."

"Das ist nicht fair, du weißt doch eh', wie es ausgeht."

Lovisa schüttelte sofort den Kopf und verneinte: "Tu ich nicht! Lina kann das nicht durchgehend, nur wenn es nötig ist, damit ich nicht auch verrecke. Dann stecken wir beide im Zwischenbereich fest."5
Seit Falco und Singh sich dazu entschlossen hatten, die Gruppe der Seher aufzuteilen, gab es deutlich weniger Momente, in denen sie so locker rumblödeln konnten. Meistens sahen sie sich zu den Trainings und Seminaren, aber auch die Trainings fanden häufiger in getrennten Gruppen statt, da es Probleme mit einem Mitglied gab6 und Frau Hauptmann Singh wohl explizit mit jemandem7 überfordert war. Er war noch recht neu, im Vergleich zumindest, und von Tag eins an stand er ständig unter Strom. Auch jetzt gerade, wie Lovisa feststellte, saß er mit Anspannung an dem Tisch neben Wolfgang, Kiefer mahlend und Negativität ausatmend wie Herzog Igzorn.

Und trotzdem hast du ihn gebumst, wisperte die Stimme in ihr. Lina machte keinen Hehl darum, dass sie Johan nicht leiden konnte8. Dieser seltsame Gegen-Mutualismus erinnerte sie ein bisschen an Henrik, der häufig so weit wie möglich von ihr und Lina entfernt saß. Er bekam wohl Kopfschmerzen, wenn sie ihm zu nah war9, was wahrscheinlich an seiner Fähigkeit lag, Entitäten wahrzunehmen. Nur heute hatte er lediglich den Platz zwei links von ihr bekommen. Lovisa seufzte.

"Und wenn schon, war ja nur ein bisschen Spaß mit dem Neuen."

Der Riese neben ihr, Pierre, sowie die beiden Mitglieder des Alpha-Teams hatten ihre gemurmelte Antwort an Lina mitbekommen und sahen sie jetzt fragend an. Sie winkte ab und drehte sich schnell wieder nach vorne, wo Dr. Roth von Singh gerettet wurde, die ihr einen Overhead-Projektor zugeschoben hatte. Strategisch platziert zwischen der Doktorin und Falco, um die beiden räumlich zu trennen. Singh wusste halt, wie man sowas regelte. Im Gegensatz zum Hauptmann des Beta-Teams. Als die Beziehung zwischen Lovisa und Johan10 deutlicher wurde, befürwortete der Hauptmann diese Anfangs sogar. Er hatte angenommen, dass der Neuzugang vielleicht sozialer werden könnte oder sich besser einfinden würde. Nun herrschte zwischen den beiden bereits seit drei Wochen absolute Funkstille und trotzdem konnte der Blonde es nicht leiden, wenn sie sich mit anderen traf. Lovisa fand, dass er echt Probleme hatte.

Sagte das Mädchen, das mit der toten Schwester sprach.

"Ach sei ruhig!"

Sie biss sich sofort auf die Lippe, als sie merkte, wie sich wieder ein paar Augen auf sie richteten und entschuldigte sich schnell bei ihren Sitznachbarn. Es wäre alles gar nicht so schlimm gewesen, wenn jemand11 jemand anderen12 nicht angegangen wäre, nachdem er rausbekommen hatte, dass sie sich nicht mehr trafen und dieser jemand sich deswegen daneben benahm. Kurz vor dem Seminar hatte ersterer den Blonden im Gang abgefangen und ihm eingehämmert, dass er sich entweder zusammenriss oder aus der MTF flog, wenn er sich ihr gegenüber weiter wie ein Arschloch verhielt und ihre Leistungen versaute13. Lovisa gefiel die Situation gar nicht. Nicht nur, war sie sich sicher, das Problem selbst lösen zu können14, auch die Tatsache, dass die Stimmung der gesamten Gruppe darunter litt, war anstrengend.

Henrik stöhnte leise und Pierre sah zu ihm runter. Auch Lovisa lehnte sich leicht nach vorn über ihren Tisch, um sehen zu können, was mit ihm war. Er hatte eine Hand an seinen vermummten Kopf gelegt und schien Schmerzen zu haben. Das fängt ja gut an.
Lina zischte in ihrem Kopf: Gib mir nicht sofort die Schuld daran, ich kann nichts dafür, dass die anderen Plätze bereits belegt waren. Außerdem liegt das nicht nur an mir, wenn überhaupt.
Während Lovisa ihre Schwester noch geistig ermahnte, dass Henrik durchaus in der Lage war, das seltsame Gespräch ebenfalls mitzuhören, was allen anderen verborgen blieb, schritt Pierre ein, der die Situation wohl nicht mehr mit ansehen konnte. Pierre, wie immer eine Mischung aus professioneller Kälte, liebevoller Kameradschaftlichkeit und brutaler Hilfsbereitschaft, schnappte sich den Kragen von Henrik, zog ihn trotz gequältem Fluch hoch und hinter sich her durch den Raum. Niemand würde Pierre jemals in Frage stellen, weswegen auch keine Beschwerden kamen, weder von den Hauptmännern vorne, noch von Ralf aus dem Alpha-Team, dem er mit Nachdruck auf die Schulter tippte, damit er mit Henrik den Platz tauschte.

Nachdem nun alle wieder saßen, stellte sich tatsächlich so etwas wie eine kollektive Lernbereitschaft ein und es wurde ruhiger im Raum. Auch Lovisa tat ihr bestes, dem Vortrag zu lauschen und zwischendurch auch die Aussprache von ᚁ15 mitzumachen, aber das hielt nicht lange an. Während nach und nach die Kollegen unruhiger wurden oder ihr Bestes gaben, noch wach zu bleiben, hatte Lovisa grandios versagt und überließ es Lina, sich später an wichtige Details zu erinnern. Wozu sonst waren Geisterschwestern gut, außer für kalte Luftzüge im Hochsommer zu sorgen, einem auf der Toilette das Gefühl zu geben, nie in Ruhe einen abseilen zu können, und natürlich ein wandelndes Gedächtnis zu sein? Ihr Kopf war schwer auf die Arme gefallen und auch der strafende, aber harmlose, Blick von Falco würde daran nichts ändern können16.

Die Ruhe währte nicht lange, denn Lina war mehr als unruhig und ließ ihre Schwester nicht in den ersehnten Schlaf fallen. Lovisa machte das Beste draus und begann, ein perfektes Einhorn aus Origami zu falten. Es war mit den gelernten Runen bedeckt und die weißhaarige Frau bewunderte das kleine Tier aus Papier für einen Moment. Dann ließ sie es an ihren Sitznachbarn gehen, mit der Aufforderung, es bis Henrik laufen zu lassen. Gesagt, getan. Sie beobachtete, wie das Tier von einem Kameraden zum nächsten wanderte, manche entzückt lächelten und andere17 es misbilligend einfach weiterschoben. Als es bei Henrik ankam, sah er sie fragend mit einem Auge18 an. Lovisa seufzte und machte mit zwei Fingern vor, wie er das Gesäß des Einhorns auffalten sollte. Er verstand sie falsch und sie glaubte, dass er verlegen wurde. Während die anderen um sie herum die nächste Rune auszusprechen lernten, wedelte sie mit den Fingern, bis er verstand und das Tier auffaltete. Er las kurz die geheime Botschaft19, schien sich zu verschlucken, wieder zu fangen und sah dann betont ernst nach vorn.
Glücklicherweise hielt das Seminar nicht mehr all zu lang an und Dr. Roth beendete ihren Vortrag mit einem zufriedenen Lächeln in die Runde. Singh war erneut mit dem Projektor beschäftigt und dieses Mal stand nichts mehr im Weg zwischen Dr. Roth und dem Sexappeal ausstrahlenden Leiter des Beta-Teams. Er sprach sie auf ihre Arbeit an, half ihr beim Einsammeln der Unterlagen und bald wurden ein paar Pfiffe und Rufe laut. Lovisa meinte ein paar Variationen von "Hauptmann Simp"20 bis zu "Wagner Nice Guy" zu hören und sie musste selbst mitlachen.


Bla, bla, bla … STOPP. HALT.

Man, das saugt doch hart. Das will doch kein Mensch lesen. So viel Unfug über total trivialen Mist, da schlafe ich sogar selbst bei ein.

Wer denkt sich sowas überhaupt au- oh, ich selbst?

Hmm. Naja, wenn ich das schon erzähle, warum dann nicht auf meine Weise? Also dann, lass mich die Geschichte mal so beenden, wie sie wirklich ausgegangen ist. Mit Action, Liebe, Drama und natürlich Geistern!


Denn eigentlich hätte ich auf die Wette mit Sturm bestehen sollen. Warum? Na, weil wir kaum eine halbe Stunde später statt beim Abendtraining von Buonocore in einer Einsatzbesprechung saßen. "Wir" meint hier natürlich das Beta-Team, denn die anderen waren sich wohl zu fein für diesen Einsatz. Oder vielleicht hatten die einen anderen. Keine Ahnung. Der kurze Schub an Adrenalin, der aufgekommen war, als die Nachricht rumging und wir uns sammelten, ließ mich zumindest für den Anfang zuhören, aber reichte definitiv nicht aus, denn die Diskussion zwischen Faust, Singh und Falco hätte nicht langweiliger sein können. Ewig standen sie um die Kartenanzeigen, Zielinformationen und Einsatzmonitore und palaverten über Boss-Angelegenheiten, während ich auf dem Sitzplatz eingeklemmt zwischen den Jungs saß und deren Ausdünstungen einatmete. Wie die so ruhig bleiben konnten? Keine Ahnung, also wirklich, null Ahnung. Vielleicht legte sich in deren Gehirnen ein Schalter um, der Gehorsamkeit hieß und gleichzeitig dafür sorgte, dass man nicht an Langeweile sterben konnte. Eigentlich cool, ich wette, Falco wünschte sich auch manchmal so einen für mich. Da hat er sich aber geschnitten, wie ich vor mich hergrinsend feststellte.
Bis es dann endlich soweit war, dass relevante Informationen an unseren Trupp weitergegeben wurden, war ich ungeduldig aufgestanden und hatte bereits einen der Schränke mit dem implantieren Chip in meinem Arm geöffnet und mir rausgenommen, was ich selbst für sinnvoll hielt. Letztendlich waren es nur ein paar Okkultisten, die irgendwas beschwören wollten und einen auf dicke Hose machten. Es sollte nichts eingedämmt oder eskortiert werden. Klang also nach genau der richtigen Menge Spaß und ich konnte endlich meine neuen Messerchen ausprobieren!
Lina gesellte sich zu mir und ich zeigte ihr stolz die neuen, glänzenden Spielzeuge, die ich einsetzen durfte. Hinter mir wurde die Gruppe etwas unruhig und ich schnappte noch ein paar der Fitzel aus dem Gespräch mit vielleicht oder vielleicht auch nicht so relevanten Informationen auf.

"Bei allem Respekt, Tara, aber ich führe meine Männer immer noch selbst. Faust kann das Kommando von der Zentrale aus machen, aber ich gehe aufs Feld. Keine Ausnahme."

Lina verzog das Gesicht ob der immer noch anhaltenden Diskussion und ich stimmte ihr gedanklich zu. Die anderen standen nun auch nach und nach auf und taten es mir gleich. Wir halfen uns wie selbstverständlich gegenseitig mit der Ausrüstung, aber mir entging nicht die langsam ansteigende Anspannung, die vor jedem Einsatz entstand. Verflogen war die Lockerheit, die Blicke wurden ernster und ich wusste, was zu tun war - ich musste die Moral aller hochhalten! Als Henrik mir mit meinem Koppelzeug Unterstützung anbot, konnte ich es mir nicht verkneifen, ihm im Gegenzug seins extra eng zu schnüren und da, wo sein Ohr sein müsste, zu flüstern: "Damit Lina was zu Gucken hat."
Wie immer gab es wenig Antwort von seiner Seite, aber immerhin sah er verlegen weg, als ich grinste. Das sollte zumindest die Moral von zweien anheben, davon war ich überzeugt. Als ich mich umdrehen wollte, um wieder zum Rest der mittlerweile gerüsteten Gruppe zu stoßen, donnerte es von Falco, ohne dass er sich auch nur von Singh wegdrehte: "Lund, Helm."
Ich stöhnte stumm aber deutlich sichtbar für alle im Raum und griff nach dem Helm, den ich liegen gelassen hatte und von dem er irgendwie Wind bekommen hatte. Oder war ich so berechenbar? Unmöglich. Oder? Nein. Oder?

"Johan zieht auch ohne los!"

"Wenn Frey stirbt, ist das sein Problem, wenn du stirbst, ist das meins. Und ich habe bereits mehr als zwölf davon."

Johan nahm den Spruch Falcos wie immer gelassen und zerstörte lediglich ein paar kleinere Dinge mit der Faust, während ich schmollend den dämlichen Helm aufsetzte und meine Haare nach oben stopfte, bis sie nicht mehr zu sehen waren.
"Jawohl, Hauptmann Wagner", murmelte ich mit dem größten bisschen Respekt, das ich aufbringen konnte, während sich der Geruch nach altem Schweiß unter dem Helm über meine Haare verteilte und mir den Atem nahm. War jemand in diesem Ding gestorben - weil wenn der Geruch so bleibt, wäre das ganz sicher mein Schicksal, davon war ich überzeugt.


Zwei Stunden donnernde und ruppige Fahrt in den zwei Fennek-Fakes der Foundation, die wir Schneewolf 1 und 2 getauft hatten, später befanden wir uns endlich am Zielort. Weitere zwei Stunden Vorbereitung und Auskundschaften folgten, um die blasierten Übeltäter, die sich in einem Circlejerk versammelt hatten ausfindig zu machen und endlich hatte ich auch etwas Action in Aussicht. Naja, nicht sofort zumindest, aber nach Stunden in ein- und demselben Schneewolf mit Henrik war mir die Stille von ihm mehr als über. Noch dazu starrte er immer nur. Hatte ich was zwischen den Zähnen? Saß mein Helm wieder schief? Warum starrte er so? Ich stellte mir vor, wie er ohne die langweilige Maske aussehen würde und richtete eine Fingergun provozierend auf den Punkt, an dem ich seine Stirn vermutete. Keine Reaktion. Ein Blap murmelnd drückte ich mit dem Daumen ab. Während er weiter starrte, stellte sich nun auch noch Spaßbremse Nummer Zwei zwischen uns. Lina hatte die Arme verschränkt und sah mich tadelnd mit ihren halbtransparenten Augen an. Es reicht, sagte sie bestimmt und ich gehorchte. Für den Moment. Für sie. Zumindest Wolfgang gab sich während der Fahrt alle Mühe, mit mir mitzuhalten und für etwas Unterhaltung zu sorgen.

Später dann im Zielgebiet hatten wir noch nicht einmal Sichtkontakt hergestellt, als ein wahnsinniger, unnatürlicher Schrei durch die Bäume fuhr und bei mir sowohl Trauer als auch unfassbare Wut abstriff. Mit der einsetzenden Nacht hatten die Temperaturen sich auch deutlich verringert, was mir zu dem Schreien noch zusätzlich Gänsehaut verursachte. Ich zuckte zusammen und sah schräg hinter mich, wo sich Falco, Wolfgang und Henrik in das Buschwerk gekauert hatten, während dicht neben mir Johan hinter dem Stamm eines Baumes Deckung gesucht hatte. Der Hauptmann fluchte leise und deutete mir und Johan, uns links weiter entlang der Baumlinie zu halten, während er, Henrik und Wolfgang geradeaus gehen würden, um die Entität, von der wir mittlerweile sicher sagen konnten, dass es eine Banshee sein musste - was sonst kreischte schlimmer als ein Fangirl auf einem Justin Bieber-Konzert? -, abzufangen und zu der Stelle zu leiten, wo Henrik sie dann letztendlich kalt machen würde. So zumindest der Plan.

Johan sprang auf das Kommando sofort auf und hechtete durch das Unterholz, Lina und ich erst direkt hinter ihm, dann aber deutlich vor dem Lahmpo. Wieder hörte ich dieses Schreien und dann ging alles plötzlich sehr schnell. Lina zeigte mir ein mentales Bild und ich ließ mich sofort fallen, um der kurzen Salve zu entgehen, die auf uns gerichtet war. Während Johan fluchend wie ein Rohrspatz auf Ecstasy hinter einem Baum stehen blieb, sprang ich wieder hoch und duckte ich mich weiter, bis Lina mir Halt gebot.

"Wie viele, wo?"

Meine Schwester verließ die Deckung, verschwand für einen Moment außer Sicht und zählte die Feinde. Ich gab die Info und Standpunkte an die anderen weiter; zusätzlich zu der Tatsache, dass fünf bereits von der langsam fortschwebenden Banshee selbst erledigt worden waren - und dass ich mal für kleine Soldatinnen musste. Ich schmunzelte ein bisschen. Da ist wohl jemand seiner eigenen Kreation nicht gewachsen gewesen. Ein leises Rascheln und das eindeutige Geräusch der Sicherung der MP7 Johans ließen mich wissen, dass dieser zu mir aufgeholt hatte. Er kommunizierte kurz mit dem Hauptmann, dann tauschten wir einen Blick. Showtime.

Ich entsicherte meine eigene MP5, prüfte die Munition, dann sprintete ich, ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden, auf das nächstbeste Ziel los. Johan gab mir Deckungsfeuer, während die gegnerischen Ziele kurz verwirrt wirkten - was denn, bin ich euch nicht genug? Sie fassten sich, als ich fast bei dem Beschwörungskreis angekommen war. Wie übergroße Regentropfen prasselten Kugeln vor und neben mir in den Erdboden, der durch die Einschläge aufstob. Es hatte etwas von einem Rhythmus und ich gab mich diesem hin, fügte meine eigene Soundspur hinzu und lachte ob des Ergebnisses. Ein Körper wurde durchsiebt, Blap! Blap! Blap!, und er ging zu Boden. Das schmatzende Geräusch von Kugeln auf Fleisch wurde mein Beat.
Linas Stimme erzeugte eine weitere Spur und die Bilder, die sie mich sehen ließ, rundeten das Erlebnis ab. Ich tanzte, suchte Deckung, sendete Kugeln und lachte mich durch fünf Gegner, die nicht wussten, wie das überhaupt möglich war. Blondie war nun ebenfalls zum direkten Angriff übergegangen und ich sah hin und wieder seine Gestalt in der Nähe auftauchen. Ein weiterer Körper fiel ein Stück entfernt, ein zweiter, dritter. Keine Deckung mehr über, aber einer war eh unaufmerksam und bekam was in den Hinterkopf. Schweiß perlte meine Stirn runter und brannte in meinen Augen, aber so war das eben beim Tanzen.
Links, Johan, ließ mich Lina wissen und ich streckte sofort die Hand aus, wie ich es durch sie gesehen hatte. Aus dem Augenwinkel sah ich Johans Arm, griff zu und er gab mir mit einem Schnauben Schwung. Ich ließ meinen Fuß unter mir wegknicken, spürte den kalten Boden an meiner Hose und ließ den Lauf meiner Waffe in die Luft über mir schnellen, bis ich ein Gesicht über mir sah. Blap! Blap! Und wieder hoch.
Hinter mir hörte ich den Körper dumpf auf den Boden fallen. Es wurden zunehmends weniger Kugeln und auch Lina musste nicht mehr so viel eingreifen. Während Johan sich mit Zweien ein paar Meter rechts von mir beschäftigte, blieb für mich nur noch ein Letzter über. Ich hob die Waffe und brauchte die Kimme nicht einmal, um zu treffen. Blap! Blap! Pfopp. Pfopp?

"Oh, dieses kleine Schweinchen trägt Kevlar!"

Mein Grinsen wurde breiter, ich sprang und das nächste, was er sah, war das Profil meines Stiefels. Dicht gefolgt von meinem Messer, das ich zog, und dem mittlerweile am Boden liegenden Körper, den ich durch den Schwung zu Fall gebracht hatte, erst in das rechte Auge stach, dann genüsslich in das linke. Ich drehte es dabei und drückte weiter, bis die Klinge den Knochen am Ende der Augenhöhle kratzte. Blut und Glaskörper-Flüssigkeit verteilten sich über sein Gesicht und teilweise meine Handschuhe, was mich irgendwie zum Lachen brachte. Der Mann wand sich unter meinen Knien und versuchte mich schreiend von sich zu schieben, aber es war - Achtung, Witz! - blinde Wut. Verstehst du? Weil wegen-

"Verdammt, Lovisa!"

Johan, der wohl dazu gekommen war, schob mich von dem Okkultisten runter und gab ihm einen Gnadenschuss in den Kopf. Dann packte er mich am Arm, zog mich hoch und sah mich bierernst an. Ich verdrehte die Augen und zog mich aus seinem Griff.

"Was? Als würdest du sie besser behandeln. Machst immer einen auf High-And-Mighty, aber geiferst jedem Kampf hinterher."

Der Polizistenjunge wollte noch etwas sagen, als Lina sich wieder bei mir meldete und ich ihn wegschubste, damit der Angreifer hinter ihm, der eigentlich vorhin schon hätte tot sein sollen, ihn nicht mit einer Salve erledigte. Ich bewegte den Kopf zur Seite, sodass die Kugeln bei mir selbst nur den gepanzerten Kragen meiner Ausrüstung trafen und abgelenkt wurden, wie mir das geistige Bild meiner Schwester gezeigt hatte. Dennoch fiel ich nach hinten und fing mich durch eine halbe Rolle ab. Geschmeidig nutzte ich den Schwung, um sofort wieder hochzukommen und auf den Angreifer zuzurennen. Er zog erneut den Abzug durch und dieses Mal konnte ich mich nicht auf die Hellsicht meiner Schwester verlassen, da uns beiden langsam der Saft für die ständige Nutzung unserer Fähigkeit ausging. Es machte dennoch kaum einen Unterschied - eine Kugel hinterließ zwar einen brennenden Streifen auf meiner Wange, aber kurz darauf brachte ich auch diesen Körper zu Fall und schob ihm ein Messer in die weiche Stelle an der Schläfe. Es dauerte einen kleinen Moment, doch dann war er ruhig. Das Messer ließ sich leicht entfernen und ein kleiner Schwall Blut folgte, den ich zufrieden begutachtete, bevor ich mich auf den Boden neben den Toten rollen ließ und in die einsetzende Nacht hochsah. Falco war natürlich nicht entgangen, was passiert war, weswegen er sich sofort meldete.

"Lund, Status."

"Nicht tot."

Irgendwie meinte ich eine allgemeine Erleichterung durch das Komm zu hören, während ich spürte, wie meine Wange brannte und ich zusätzlich glaubte, ein unangenehmes Gefühl in meinem Bein wahrzunehmen. Ich weiß ja nicht, warum die sich immer alle so Sorgen um uns beide machten. Als könnten wir sterben.
Ich hatte es wohl laut ausgesprochen, denn in den folgenden zwei Minuten schalt mich Lina und versuchte mir klar zu machen, dass das nur für eine von uns beiden galt. Ich verdrehte die Augen und ließ den Kopf zur Seite fallen, um zu schauen, was mein mürrischer Teamkollege machte. Johan hatte das Gebiet gesichert und irgendwas aufgehoben, was die Beschwörer-Wichser wohl fallengelassen hatten und wanderte nun zurück zu mir. Der kalte Boden im Rücken tat nach der angestauten Hitze in der Ausrüstung erstaunlich gut und ich machte keinerlei Anstalten, aufzustehen. Auch, weil ich das Gefühl hatte, mit meinem Bein könnte wirklich etwas sein. Größere Prellung, vielleicht?

Blondie ließ sich neben mir in die Hocke sinken und prüfte kurz mein Gesicht, wo ich wohl einen deutlichen Streifen abbekommen hatte, dann half er mir hoch und ich zeigte ihm auf höchst diskrete und zurückhaltende Art und Weise, dass ich absolut nicht in der Lage war, selbst laufen zu können.
"Ohhh, du weißt ja nicht, wie sehr das schmerzt, ich glaube, ich muss getragen werden!", presste ich zwischen zwei theaterreifen Schluchzern hervor - und war erstaunt, als es tatsächlich funktionierte. Ich weiß nicht, ob der Dauergriesgram einen besonders guten Tag hatte, ob er sich schuldig fühlte, ob es Dankbarkeit war, oder vielleicht ein Omen, das ich nicht richtig deuten konnte - aber nach kurzer Zeit saß ich Huckepack auf seinem Rücken und wir verließen das Gebiet, um zu den anderen zurückzustoßen. Diese hatten offenbar gerade noch mit der übereifrigen Maulenden Myrte zu tun, wie wir durch die Hintergrundgeräusche aus dem Komm feststellten. Ich lud meine Schwester zum gemeinsamen Ritt ein, was sie aber sofort ablehnte und mir mitteilte: Auf den Rücken bringen mich keine zehn Pferde.
Ich machte einen Schmollmund, ließ sie aber mit dem kleinen Extraabstand hinter uns herl- schweben. Ich mochte sie nicht aus dem Spaß ausschließen, aber wenn sie wirklich Schmerzen in seiner Nähe bekam, dann war es wohl besser so. Der - für mich - gemütliche Rückweg sorgte zumindest dafür, dass ich genügend Zeit hatte, um mich wieder mit sinnvollen Gedanken zu beschäftigen.

"Ein paar von euch müssten die Namen austauschen, dann wären wir die Alliterations-MTF. Lovisa Lund, Lina Lund, Pierre Poussin, Johan Jensen, Falco Frey und Henrik … Henrik …", überlegte ich laut, während ich das Gesicht beim Grübeln verzog. Lina schaltete sich von schräg hinten dazwischen: Lund.

"Das ist keine Alliteration, Lina."

Du kannst ihm aber auch nicht einfach seinen Namen nehmen und ihm keinen neuen anbieten. Er kriegt meinen.

Ich wollte noch etwas erwidern und Lina über ihre fehlerhafte Logik aufklären, doch Johan, wieder ganz der Alte, unterbrach mich mit dem sonst üblichen, frostigen Unterton: "Hast du eigentlich auch einen Ausschalter?"
Ich blinzelte kurz, dann lächelte ich ihn über seine Schulter weg verschmitzt an.

"Natürlich. Aber das wäre mir jetzt etwas zu öffentlich, Joha."

Für den Bruchteil einer Sekunde konnte ich den Anflug eines Lächelns auf seinen Lippen ausmachen, als er den Wink verstand, dann nahm sein Gesicht auch schon wieder die Mimik eines Eiszapfens an. Ein Eiszapfen in Guatemala, nachdem eine Zellendurchsuchung angekündigt wurde. Ich nutze diese kurze Chance, die sich seit den drei Wochen Funkstille ergeben hatte, und versuchte die Wogen zwischen uns zu glätten. Vielleicht war das besagte Omen ja doch ein Versuch aus seiner Richtung, dasselbe zu tun?

"Hey … Sorry, dass Falco dich vorhin angegangen ist wegen mir. Nächstes Mal trete ich dir selbst in den Arsch und wir sind quitt, Deal?"

"Deal."

Ich war jetzt mehr als zufrieden mit dem Ausgang der Mission und wollte mich wieder meinen Überlegungen zuwenden, hörte jedoch ein plötzliches, deutliches Räuspern im Komm, was von der Stimmlage definitiv nur vom Hauptmann daselbst stammen konnte.
Upsi.
Es war wohl Zeit, dem Komm und dem Rest des Teams wieder etwas mehr Aufmerksamkeit zu spenden.




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