Tom Schatzschneider starb an einem verregneten, kalten Oktobermorgen.
Noch wenige Tage zuvor hatte er im Kreise seiner besten Freunde und liebsten Verwandten seinen dreiundvierzigsten Geburtstag begangen. Es war eine kleine, fröhliche Feier gewesen. Sie hatten ein schickes, altmodisches Restaurant in der Altstadt besucht, zu Ehren Toms eine Weinverkostung vorgenommen und zum Schluss Happy Birthday und Wie schön, dass du geboren bist… gesungen und geträllert, bis ihnen allen die Tränen kamen.
Hätten die Gäste geahnt, dass sie Tom, den sie aufgrund seiner Arbeit, über die er stetes Stillschweigen bewahrte, nur selten zu Gesicht bekamen, an diesem lustigen Tage zum letzten Mal treffen und sich mit ihm unterhalten würden, hätten sie sich vielleicht noch etwas länger von ihm verabschiedet. Als sie die grausige Nachricht über sein verfrühtes Ableben erfuhren, kamen sie jedoch darin überein, dass es auch schön war, auf diese unwissende Art und Weise Lebewohl zu sagen.
Das Wesen, das ihm ein Ende setzte, besaß weder einen Namen noch eine Nummer, und was genau es gewesen war, fand die Foundation nie heraus. Die spezialisierten Einsatzkräfte, kampferprobte Männer und Frauen, benötigten vier qualvolle Stunden, nachdem es Tom überfallen und verschlungen hatte, bis sie das menschenfressende Geschöpf schließlich erlegt hatten, und als sie ihn aus dem Bauch der Kreatur befreiten, war nicht mehr viel an ihm, was zu retten war.
"Das ist er", identifizierte ihn ein kleiner, etwas unförmiger Mann, mit spärlichem Haar und einem aufgedunsenen, fleckigen Gesicht, gekleidet in einen schmuddeligen, fransigen Mantel, löchrigen Schuhen und schlabbernden Hosen. Dieser Mann, eine qualmende Zigarette zwischen den rissigen Lippen, hörte auf den Namen Casimiero Yewdell. Seine schroffen Zähne und angekauten Nägel waren schweflig-gelb und braun vom Nikotin, und Tom hatte die letzten Jahre damit verschwendet, ihm das Rauchen und Qualmen und "Paffen" auszureden.
Jedes Mal, wenn Casimiero sich eine neue Zigarette anzündete, er konsumierte um die zwei bis vier Schachteln am Tag, flehte Tom: "Casimir, worum habe ich dich gestern noch gebeten?", und Yewdell erwiderte brav: "Morgen lass ich es sein."
Mit gerunzelter Stirn beugte sich Agent Yewdell vor, um die zähflüssige Leichenpampe näher zu betrachten. Vom Gesicht war nicht mehr viel menschliches zu erkennen, die Arme und Beine waren schleimige, verdaute Stümpfe und der Brustkorb ein klaffendes, schlammiges Loch, aus dem Gedärme und Eingeweide hervorgequollen waren.
Yewdell hatte schlimmere Dinge gesehen. Nach zweiunddreißig Jahren in dieser Organisation gewöhnte man sich den Würgereflex irgendwann ab. Mit einem ruhigen, gefassten Griff zündete er sich die zwölfte Zigarette des Tages an, unterdrückte ein krankes, röchelndes Husten, nahm einen Ast zur Hand und stocherte eine kleine Plastikkarte aus dem Klumpen Fleisch und Knochen hervor.
Ein Plastikausweis, auf dem klar die Worte Thomas Schatzschneider zu lesen waren.
"Zehn Jahre hat er durchgehalten. Als er damals angefangen hatte, dachte ich, es würde keine vier Monate dauern, bevor er ins Gras beißt."
Der Agent, der sich neben die verätzten Überreste gekniet hatte, wischte sich den Schweiß von der Stirn, warf einen nervösen Blick zu dem gewaltigen, unförmigen Kadaver, der in der Waldsenke lag und fachgerecht zerkleinert wurde, dann fragte er: "War Tom nicht ein Priester? Damals, bevor er … zu uns kam?"
"Kann sein. Sowas in der Art", seufzte Yewdell und blies eine dunstige Rauchwolke in die kalte Herbstluft. Mittlerweile war die Sonne über den Baumwipfeln aufgegangen und erhellte die gräulichen Regenwolken, die von Norden über das Land zogen. Verwirrt bemerkte Yewdell, wie sich der knieende Agent anscheinend dazu anschickte, ein kurzes Gebet zu rezitieren. Er nahm einen weiteren, tiefen Zug seiner Zigarette und warf sie dann achtlos hinfort in das trockene Laub.
Elendiger Trottel, dachte Yewdell, Tom hätte sich an die Befehle halten sollen. Aber nein, er musste das kinderfressende Scheusal ja auf eigene Faust erlegen! Und nun …
Sein trüber, müder Blick blieb an dem zerstörten Gesicht von dem hängen, was einmal sein Partner gewesen war. Eine blubbernde Kuhle für Augen, Nase und Mund. Aus der fleischigen Matsche ragten eine Handvoll aufgelöster Zähne. Die Zunge hing wie ein toter Fisch aus dem geteilten Kieferknochen, und der Schädel hatte sich in der ätzenden Magensäure des Scheusals wie eine Birne verformt.
Bestürzt wurde Yewdell bewusst, dass er nun einen neuen Partner brauchte.
Und dabei habe ich mich gerade erst an dich gewöhnt, Tom.
Die folgenden Wochen verbrachte Casimiero Yewdell einsam in seinem Büro, einer ungemütlichen, stickigen Aktenzelle in den Untiefen des unterirdischen Komplexes, in dem die Foundation jene Dinge tat, die unter Bürokratie und Management zu verstehen waren. Sie stellten einen großen Stapel Papier auf seinem Tisch, klebten einen gelben Zettel mit der Aufschrift Abarbeiten! oben drauf und ließen ihn damit alleine. Er beklagte sich nicht, war sogar froh, seinem schlimmen Knie und dem schmerzenden Rücken etwas wohlverdiente Ruhe zu gönnen und sich von Tom Schatzschneiders Verlust abzulenken.
Es war kein besonders schönes Büro. Die Wände waren mit Schränken verstellt, die sich unter der Last der Dokumente und Ordner krümmten, eine flimmernde Glühbirne baumelte von der Decke, Spinnen und Kakerlaken huschten über den staubigen Boden und eine funkelnde Medaille blinzelte Yewdell von einem der Regale aus an. Für welche Heldentat er diesen Orden bekommen hatte, wusste er nicht mehr, sie hatten seine Erinnerungen an jenen Vorfall gelöscht, ihm freundlich die Hände geschüttelt, das Ding an die Brust geheftet und gesagt: "Sie haben da wirklich ganze Arbeit geleistet, Casimiero."
Yewdell dachte nicht gerne über diese Auszeichnung nach. Des öfteren war er schon in Versuchung geraten, sie in der nächsten Toilette herunterzuspülen. Gesagt hatte er es noch nie jemanden, doch er vermutete, in der Medaille sei eine winzige Kamera versteckt, mit der sie ihn beobachteten. Nicht, um seine schludrige Entschuldigung von Arbeit zu kontrollieren, sondern einfach nur, um ihn aus reiner Bosheit und Langeweile zu überwachen.
Objekt: SCP-X-DE [Bitte Nummer festlegen.]
Klassifizierung: Neutralisiert.
Neutralisiert wird wohl stimmen, dachte er sich, immerhin hatten sie das beschissene Viech erst durch den Hochofen und anschließend noch durch ihre radioaktive Bestrahlungsmaschine gejagt, damit auch ja keine einzige lebende Zelle übrigblieb.
Sicherheitsmaßnahmen: Aufgrund der Neutralisierung der Anomalie sind etwaige proaktive Maßnahmen nicht notwendig. Die Überreste der Anomalie wurden sachgerecht vernichtet und autoklaviert.
Ihm schien, als hätte er die letzten dreißig Jahre nichts anderes getan, als solche dummen, hirnlosen Akten zu verfassen.
Beschreibung: Großes Säugetier. Gehörnt, achtbeinig. Langer Schwanz. Bärenartiges Äußeres. Rot-bräunliche Fellfarbe. Ursprung unbekannt.
Und dabei beließ er es, warf die Akte auf den kleinen Stapel abgefertigter Schreibarbeit und zündete sich die vierte Zigarette des Tages an.
Vor seinem inneren Auge manifestierte sich Tom Schatzschneider aus dem Nikotindunst heraus, ihm gegenüber und ungeduldig auf seinem Bleistift kauend.
"Casimir, was habe ich dir gestern noch gesagt?"
Genüßlich zog er an dem Glimmstängel, blies einen eleganten Rauchkringel zur Glühbirne hoch und seufzte: "Morgen lass ich es sein, Tom. Versprochen."
"Morgen, morgen! Wann ist morgen, Casimir? Morgen ist niemals, du wirst rauchen, bis du dran zugrunde gehst."
Die Szene wandelte sich, und Casimir sah, wie sich Tom und dieser Spanier, dessen Name er sich einfach nicht hatte merken können, die Ausrüstung überwarfen und hinaus in die Nacht rannten. Sie hatten nicht mehr warten wollen, auf Befehle und Einsatzbesprechungen, wagemutig und töricht waren sie in der Dunkelheit verschwunden, das letzte Lebenszeichen, das je von ihnen bezeugt wurde.
Den Spanier fanden sie zuerst. Das Ungeheuer hatte ihn mit seinen zangenförmigen Klauen in zwei Teile gerissen und hinauf in die Bäume geworfen. Einem der Neulinge war die untere Spanierhälfte auf den Kopf gefallen und sie hatten den verstörten Tropf mit einer Gehirnerschütterung zurücklassen müssen.
Mit jeder fortschreitenden Minute war die Chance, Tom noch lebend zu finden, kleiner und kleiner geworden. Schließlich hatten sie das Biest umzingelt, mit Drohnen und Panzern eingekreist und durchlöcherten es mit ihren Gewehren. Wie ein herabrollender Findling fiel es die Senke hinab, und aus seinem geifernden Maul schwappte schwarzes Blut und stinkende Kotze, zusammen mit einem zerfetzten Lederschuh …
Das Sirren der Faxmaschine riss Yewdell aus seinen Träumereien.
Es war eine kurze, unhöfliche Nachricht, die ihn bat, sich in einen großen Versammlungsraum zu begeben, zwecks einer spontan angekündigten Demonstration der Abteilung für Erweitere Eindämmunsoperationen.
"Ein Haufen Schwachköpfe", naserümpfte der Geist von Tom Schatzschneider, "Twentyman wird uns eines Tages alle in die Luft jagen, und halb Deutschland gleich noch mit dazu!"
Yewdell musste schmunzeln, fuhr sich durch das lichte, strähnige Haar, das auf seinem fleckigen, pusteligen Kopf vor sich hin wucherte und zündete sich die fünfte Zigarette an. Kurz überlegte er, den Termin sausen zu lassen. Ich erzähle ihnen einfach, die Faxmaschine sei kaputt, dachte er und erinnerte sich an den denkwürdigen Moment, in dem Tom erfahren hatte, dass die Foundation mit all ihren Ressourcen und Mitteln tatsächlich noch Faxmaschinen einsetzte.
Casimir, willst du mich vereimern? Faxmaschinen?!
Mit einem erschöpften Seufzen richtete er sich auf, streckte sich, warf sich seinen schmutzigen Mantel über und humpelte die Flure entlang, dem Strom schweigender Gestalten folgend. Es schienen eine Menge Leute die Nachricht bekommen zu haben, was Yewdell etwas aufheiterte, denn dann könnte er sich ja unbemerkt davonschleichen, wenn es zu langweilig wurde.
Einige der Agenten grüßten ihn, nickten ihm kurz zu und einer sagte sogar: "Hey, Yewdell", doch der Großteil des Personals ignorierte ihn oder wich vor seinem penetranten Zigarettengestank zurück, der aus jeder Pore seines ungesunden Körpers strömte. Dass man Casimiero Yewdell allgemeinen Respekt entgegenbrachte, war lange her, kaum einer erinnerte sich heute noch an den wagemutigen, treffsicheren Haudegen, der, nur mit seiner Pistole bewaffnet, eine ganze Zelle der Insurgency eigenhändig ausgeschaltet hatte.
Heutzutage war er nur noch das röchelnde Alterchen aus Büro 14.32, das aus unerfindlichen Gründen bei wichtigen Besprechungen und Projektplanungen zugegen war, vor sich hin rauchte und mit den Schultern zuckte, wenn die Direktoren ihn etwas fragten.
Die Versammlung fand in einer tiefen, dunklen Aula statt. Yewdell setzte sich in eine der hinteren Reihen, gab ein paar übertriebene Hustenanfälle von sich, um etwaige Sitznachbarn zu vertreiben, entzündete seine sechste Zigarette und sah auf die Bühne hinab. Dort erkannte er zwei Figuren, und beide waren ihm aus tiefstem Herzen zuwider.
Die größte von ihnen hieß Sylvester Poindexter, eine mechanische Kreatur in Gestalt einer vielarmigen Gottesanbeterin, der auf seinen dünnen Beinchen über das Holz stakste und aufgeregt mit einer Fernbedienung herumhantierte. Poindexter hatte die erste Hälfte seines Lebens damit verbracht, Löcher in die Köpfe Wahnsinniger zu bohren, bevor die Foundation ihn gebeten hatte, das gleiche doch bitte mit an memetischen Infektionen erkrankten Häftlingen zu machen. Vom Wunsch besessen, ein zwei Meter großes Stahlungeheuer zu werden, hatte er schließlich sein eigenes Nervensystem in diesen blechernen Anzug verpflanzt und dabei den letzten Rest an Empathie und Gefühl verloren.
"Am Ende wird es sich gelohnt haben", war Poindexters Motto, wenn einen seiner Patienten die Meningitis niedergestreckt und er das verdorbene Gehirn aus dem Schädel hervorgeholt hatte. Mit neugierigen, funkelnden Lampenaugen betrachtete er dann das Denkorgan, drückte auf den Falten und Hirnhäuten herum und befahl einem seiner Assistenten, es mit dem Mikrotom in handliche Stücke zu schneiden.
Schlimmer als Poindexter, der allgemein verhasst war und von jedem anständigen Agenten der Foundation verachtet wurde für all die schrecklichen Dinge, die er getan und befohlen hatte und für die er anscheinend keinen einzigen Funken aufrichtiger Schuld verspürte, war wohl nur die Person neben ihm.
Aadrian Twentyman, Direktor der Abteilung für Erweiterte Eindämmungsoperationen, sah aus wie Aadrian Twentyman, und viel mehr gab es über ihn nicht zu sagen. Vielleicht hatte Twentyman irgendwann, als kleines, unschuldiges Kind, so etwas wie eine Persönlichkeit besessen, einen Charakter und ein sich selbst erfahrendes, bewusstes Ego. Ob er einfach vergessen hatte, ein Mensch zu sein, oder ihm etwas abgrundtief Entsetzliches zugestoßen war, man wusste es nicht.
Mit seinen toten, kalten Augen fuhr Twentyman über die schweigende Menge, über die Direktoren und Agenten, die Wissenschaftler und Bürohengste, über Yewdell und seine siebte Zigarette und die achtungsheischenden Gestalten in der vordersten Reihe, O4s oder O5s oder irgendwelche hohen Tiere, die Exekutionen unterschrieben und mit Politikern und Diktatoren dinierten.
Dann räusperte er sich und begann mit seiner Rede:
"Meine sehr verehrten Damen und Herren …"
Yewdell kramte seine achte Zigarette aus der Schachtel und konnte nicht umhin, sich vorzustellen, wie Tom neben ihm döste und murmelte, was für ein langweiliger Unfug das nur wieder war, der ihnen hier aufgetischt wurde.
"… sind Automatisierung und Optimierung der Arbeitsprozesse durch den technologischen Fortschritt Zweckursachen eines grundlegenden Strukturwandels in der industriellen …"
Scheiße. Jetzt fing er tatsächlich an zu weinen!
"… und sind nicht Daten und Informationen die Rohstoffe unseres neuen Zeitalters? Ist die Welt nicht zur Hälfte virtuell geworden, meine Damen und Herren? Sind die Menschen heutzutage nicht mehr als die Nullen und Einsen, die sie in Datenbanken und auf den Servern der plattformkapitalistischen Akteure der Neuzeit hinterlassen? Ja, die Zukunft hat die Vergangenheit der Menschen bereits dokumentiert und abgeheftet, der Lauf der Zeit ist zirkulär und rekursiv geworden …"
Casimiero Yewdell, 57 Jahre alt, kranker Kettenraucher und allseits anerkanntes Ekelpaket, saß in der hintersten Reihe und heulte stumm und leise vor sich hin, aus Trauer darüber, dass er seinen Schatzschneider nie wieder sehen würde.
"… und auch wir müssen automatisch werden! Eindämmung und Neutralisierung müssen nicht mehr werden als der initiale Druck eines einzigen Knopfes, die sich selbst verwaltende Ingangsetzung einer prozeduralen Operationsmaschine, die …"
Nie zuvor hatte sich Yewdell derart geschämt. Die Tränen kullerten sein zerfurchtes, aufgequollenes Gesicht, seine hängenden Wangen und Mundwinkeln herunter, fielen auf den schiefen, fusseligen Kragen seines abgetragenen Sakkos und löschten die Glut seiner neunten Zigarette, die ihm aus dem Maul fiel.
"… und jede hinreichend notwendige Automatisierung erfordert zwangsläufig Automaten."
Hätte er ihn doch nur aufgehalten! Wäre ihm hinterher gerannt! Mit seinen schwieligen Händen hätte er ihn zurückschleifen können, um ihn dem Kopf zu waschen und vor versammelter Mannschaft zur Schnecke zu machen.
"Automaten, die verwerten, evaluieren und analysieren! Die sich der Flut redundanter Information der augmentierten Realität entgegenstellen und …"
Während Twentyman von neuroinformativer Wetware, sich selbst ent- und verschlüsselnden Antimemes, heuristischen Algorithmen, biometrischen Profilen und digitaler Gesichtserkennung schwafelte, tupfte sich Yewdell die Tränen von den Wangen, schniefte und fummelte fahrig nach seiner zehnten Zigarette.
"- und dies sind sie: Skiptroiden."
Die Lichtkegel der Scheinwerfer beschienen vier gleißende Gestalten - nein, es waren Roboter, ein jeder zwei Meter groß und von humanoider Form. Paradierenden Zinnsoldaten gleich standen sie da, mit runden, glatten Köpfen, langen Gliedern und einem Rumpf wie der einer Ameise.
"Ausgestattet mit einem menschlichen, reprogrammierten und neurokybernetisch ausgerüsteten Gehirn zur interaktiven Sinnesverabeitung -"
Ein tiefer, genußvoller Zug, Yewdell atmete das beruhigende Suchtmittel ein, das durch sein Blut, seine Lungenbläschen und Nerven fuhr und die trüben, trauernden Gedanken betäubte. Hastig nahm er eine elfte Zigarette dazu und verbrannte sich beinahe die Finger an seinem Feuerzug, so eilig war es ihm.
Unten auf der Bühne sprangen die Roboter umher, schlugen Räder, führten den Walzer auf und jonglierten mit scharfen Gegenständen. Begleitet vom Lachen und Applaus des begeisterten Publikums präsentierten sie ihre Kunststücke, steppten und hopsten und drehten sich im Kreise. Schulter an Schulter gaben sie den Cancan und den Tanz der kleinen Schwäne zum Besten, als hätten sie ihr kurzes mechanisches Leben lang nichts anderes getan. Elegant verbeugten sie sich vor der Foundation und lupften ihre imaginären Hüte.
Yewdell hielt es nicht mehr aus, erhob sich, die Zigarette im Mundwinkel, und schickte sich an, zurück in sein Büro zu wanken, um allein und ungestört mit seiner Trauer und Einsamkeit zu sein.
Er kam nicht einmal bis zur Tür. Mit einem gewaltigen Satz sprang einer der Skiptroiden durch die Luft, fiel vor Yewdell hernieder und versperrte dem erschrockenen Agenten den Weg. Jemand schrie, Stühle wurden gerückt und bevor Yewdell, der vor plötzlicher Überraschung das Gleichgewicht verloren hatte, sich erheben konnte, war der Skiptroide von zwanzig kampfbereiten Agenten umzingelt worden.
"Keine Sorge - keine Sorge! Nur eine kleine Fehlfunktion!", hallte Poindexters panische Stimme über das aufgeregte Gemurmel, "nicht ungewöhnlich für die Prototypen - nein, nicht schießen! Auf keinen Fall schießen!"
Dazu kam es nicht, denn die Maschine bewegte sich mit einer derartigen Geschwindigkeit, dass die Agenten, die sie umstellten, kaum bemerkten, wie sie an ihnen vorbeihuschte. Der Skiptroide baute sich vor Yewdell auf, nahm eine seiner feinen, vielfingrigen Hände - und klaubte ihm flucks die zwölfte Zigarette von den Lippen.
"CASIMIR, DIESES STÄNDIGE RAUCHEN TUT DIR NICHT GUT!", surrte der Roboter und schnippte die glimmende Fluppe hinfort.
Yewdell wollte antworten, etwas erwidern, da klappte der Skiptroide leblos zusammen. Poindexters kupferne Mantisgestalt, die Fernbedienung in Händen, schob die tuschelnde und nervöse Menge beiseite und hob den Roboter mit ihren starken Armen auf. "Sehen sie, kein Grund zur Sorge. Sie sind alle mit einem Notfall-Terminationsprogramm ausgerüstet, ein Knopfdruck und sie deaktivieren …"
Ihre Blicke begegneten sich, Yewdell und Poindexter, und der Neurologe sah vom regungslosen Skiptroiden zum fassungslosen Agenten, dann auf die qualmende Zigarette zu seinen Füßen.
"Aah … vielleicht müssen wir an der neuronalen Rekalibrierung noch etwas feilen."