Rote ruhen reuevoll

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Die Beerdigung war ein stilles und mager besuchtes Event, dachte Drei, während er seinen Regenschirm seinem Assistenten reichte und das Gebäude betrat. Er hatte nicht mit vielen Menschen gerechnet, aber dass nicht mal ein Fünftel der Stühle belegt war, überraschte ihn. Er kannte Zwei, oder, um genau zu sein, O4-2 "Der Paranoide", zwar nur seit ein paar Monaten, in welchen er zwar verstand, wieso alle mehr geschockt, als traurig über seine Ermordung waren, aber ein solches Maß an Trauerlosigkeit überraschte ihn.

"Mich nicht, um welchen Verlust haben sie den schon groß zu trauern?"

Draußen regnete es in Strömen, wären die Anwesenden traurig, würde es exzellent die Stimmung untermalen. Aber die Wahrheit war, dass keiner der Anwesenden wirklich traurig war. Nicht Zweis Sekretär, nicht sein Assistent, nicht seine Leibwächter, nicht mal seine auserkorenen wenigen Lieblinge in der Belegschaft, deren Projekte er mit seiner Befürwortung unterstützt hatte. Zwei war eine unangenehme Person um es milde auszudrücken und seine Gesellschafft war niemandem eine Freude. Er hatte keine Freunde, den Großteil hatte er mit seiner eigenen Art verscheucht, der Rest hatte versucht, ihn umzubringen. Ob er mit seiner Paranoia richtig lag oder er diese mit seinem paranoiden Verhalten dazu trieb, wer weiß?

"Es war eine Mischung aus beidem. Viele konnte ich kurz vor ihrem geplanten Anschlag entlarven und beseitigen, aber ich bin nicht unfehlbar und bin für den Tod viel zu vieler Unschuldiger verantwortlich. Ein Unschuldiger wiegt mehr als tausend Schuldige in Justizias Waage und viele wollten das Gleichgewicht mit meinem Tod wiederherzustellen."

Die Abwesenheit des Großteils von Zweis Familie war ein unangenehmer Fakt, der von allen taktvoll ignoriert wurde. Seiner Familie und jeglichem non-Foundation Personal war der Verstorbene gemäß Foundation Deckprotokollen als Johann Krai, Mitglied der Abteilung für Staatsschutz in Deutschland bekannt. Eine Position dessen vermeintlicher Stress sich gut mit dem gereizten Wesen des, Verstorbenen deckte. Weder seine beiden Töchter noch seine Frau oder seine Schwester waren anwesend. Das einzige verbliebene Familienmitglied, das erschienen war, war der Jüngste, sein Sohn Henry. Doch selbst er schien sich zum Traurigaussehen zwingen zu müssen. Von seinen direkten Kollegen, den O4s, kamen nur die nettesten und die, welche keinen triftigen Grund finden konnten, um ihre Abwesenheit mit ihrem Gewissen zu vereinigen.

"Kann man es ihnen verübeln? Ihr Vater war nie da und wenn er da war, war er ein Albtraum, der ihnen das Leben zur Hölle gemacht hat."

O4-1, "Die Direktorin", stand relativ abseits der anderen Gäste neben ihrem Security-Detail und spielte mit ihrem Haar, während sie eine Zigarette, trotz des Rauchverbots, genoss. Drei schmunzelte bei dem Gedanken, dass jemand es wagen würde, sie deswegen zu rügen. Er war etwas überrascht sie und nicht "den Korrekten" zu sehen, normalerweise war er derjenige, der diese Dinge leitete, und sie die stille Kraft im Hintergrund. Eins drückte ihre Zigarette in einem von ihrem Assistenten bereitgestellten Aschebecher aus und begab sich zu Henry: "Mein Beileid, Henry, ich weiß, du und dein Vater standen euch nie nah, aber er hat oft von dir und deinen Schwestern gesprochen. Er hat euch geliebt, wirklich." Henry nickte und bedankte sich, doch Drei konnte sehen, wie der Junge die Augen rollte, nachdem seine Vorgesetzte sich umgedreht hatte.

"Sabine, meine beste Freundin, die einzige, die mich je verstand oder verteidigte, und wie hab' ich es ihr gedankt? Ich habe sie so oft, so schlecht behandelt, ich dachte, sie würde versuchen, mich aus dem Weg zu räumen. Sie wusste alles über mich, ich dachte, es wäre nur eine Frage der Zeit. Ich hätte es getan, wenn ich in ihrer Situation gewesen wäre. Sie war schon immer der bessere Mensch von uns beiden. Kein Wunder, O5 machte sie statt mir zu einer O4-1."

O4-10, "Das Gewissen", wie zu jedem Anlass, verhielt er sich leise und gezwungen, als wäre es nicht die letzte Beerdigung, welche er besuchen müsste. Er sprach mit kaum jemandem auf der Beerdigung, ein kurzes Nicken hier, eine Wertschätzung von Zweis Dedikation da. Nur gegenüber Henry verlor er mehr als nur einen Satz: "Mein Beileid, mein Junge, ich weiß, dein Vater war kein angenehmer Mann, aber viele Menschen haben seiner Taten ihr Leben zu verdanken." Henry dankte Zehn und nickte, als würde er wissen, über welche Menschen er redete.

"Jens war immer der einzige, der versuchte, mir Vernunft einzureden: 'Nicht jeder ist ein Feind, der es auf einen abgesehen hat. Wenn du immer das schlimmste von allen annimmst, wirst du auch nur das Schlimmste sehen.' Wie Richtig er doch lag, hätte ich nur auf ihn gehört."

O4-5, "Der Edelmann", war ein Mann, der mit seiner mächtigen Statur kaum zu übersehen war. Sein maßgeschneiderter Anzug saß makellos und seine goldene Armbanduhr und Haarnadel erlaubten jedem direkt zu erahnen, welcher O4 er war. Er trieb Smalltalk mit den anderen Gästen und tat nicht mal so, als würde er Zwei in Zukunft vermissen oder je gemocht haben. Als er Henry sein Beileid aussprach, hatte Drei gedacht, den Anwesenden würden die Augen aus dem Kopf fallen: "Dein Vater war ein Mistkerl und ich habe ihn nie leiden können, aber er wusste, wie er seinen Job zu machen hatte. Das konnte ich respektieren, ich mag den Gedanken, dass er mich und meine Art vielleicht auch respektiert hatte. Er bat mich einmal im Falle seines frühzeitigen Ablebens dafür zu sorgen, dass du und deine Schwestern nicht ohne Mittel dastehen. Es war einer der wenigen Momente, in dehnen wir uns unterhielten, ohne uns anzuschreien. Es war ein kurzer Moment. Ruf diese Nummer an, falls du oder deine Schwestern mal Hilfe bei einem Problem braucht." Mit diesen Worten wendete sich Fünf von Henry ab und seine Assistentin gab Henry einen reich gefüllten Umschlag und eine Karte, welche dieser dankend annahm.

"Er war einer der wenigen, die ich respektierte. Er wusste, wie er mich in meine Schranken zu weisen hatte, wenn ich mal wieder alle des Verrats beschuldigte. Er war ein Mann seines Wortes und er war der Einzige dem ich genug vertraute, um ihn zu bitten, meinen Kindern in dem Fall meines Ableben zu helfen."

O4-14, "Der Engel", die inoffizielle Schlichterin des Rates, war ohne Zweifel die wohl beliebteste O4. Selbst Zwei schien sich zu einem Zeitpunkt mit ihr verstanden zu haben. Drei war ein Mensch, der Gerüchte liebte und ihnen immer ein Ohr schenkte. Doch selbst er hatte Zweifel an den Gerüchten, dass sich "der Engel" und "der Paranoide" mal mehr als "nur gut verstanden" hatten. Umso überraschter war er, als Vierzehn Henry ihr Beileid aussprach und dieser sie nur anstarrte. Man konnte das Fallen einer Nadel in der unangenehmen Stille hören.

"Natürlich wusste er Bescheid … Es tut mir so Leid Henry …"

O4-9, "Der Inquisitor", der wohl, seinem Namen widersprechend, charismatischste O4 und der O4, der mit dem Verstorbenen am engsten zusammengearbeitet hatte. Drei etwas überrascht, ihn, als Leiter der Untersuchung von O4-2's Ermordung, im Offenen zu sehen und nicht verdeckt im Hintergrund versteckt. Neun war in ein intensives Gespräch mit Eins verwickelt, als Drei ihn bemerkte und schien "der Direktorin" gegenüber etwas verlegen. Drei versuchte, das Gespräch unauffällig zu belauschen, konnte aber, bis auf Henrys Namen, nichts Konkretes heraushören, ohne sich zu verraten. Als Neun und Eins ihr Gespräch beendeten, begab sich "der Inquisitor" zu Henry. "Henry, ich möchte dir mein aufrichtigstes Beileid aussprechen. Ich und dein Vater haben sehr eng miteinander gearbeitet und ich kann nachvollziehen, wie du dich fühlst. Dein Vater war … äußerst unangenehm und unsere Zusammenarbeit gestallt sich oft als schwierig, aber er hatte auch seine guten Tage und wird sehr vermisst werden. Ich verspreche dir, dass wir alle unser Bestes geben werden, um seinen Ermordung aufzuklären." Henry bedankte sich, etwas gereizt, bevor er sich von O4-9 entfernte.

"…"

O4-11, "Unbekannt", war von allen Anwesenden wohl am passendsten gekleidet, ein stylisches langes schwarzes Kleid gepaart mit einem weiten schwarzen Hut mit einem schweren Schleier, der ihr Gesicht bedeckte. Elf tat nichts ohne einen Plan und mit einer solchen Fassung betrat er auch den Raum, seine grell schwarze Krawatte und sein violett pulsierendes Einstecktuch lenkten von seinem Gesicht ab, nicht, dass die dicke Sonnenbrille, die er trug, viel von seinem Gesicht kenntlich ließ. Man bemerkte es nicht, wenn man nicht darauf achtet, aber es war schwer sie direkt anzuschauen, man konnte es nicht. Er begab sich direkt zum Sarg und schien sich selbst zurückhalten zu müssen, den Sarg nicht zu öffnen und Zweis Leichnam anzuspucken. Zu Dreis Überraschung jedoch siegte die Zurückhaltung und sie nahm eine einzelne grüne Rose aus einer Tasche und legte sie auf den Sarg. Elf verblieb nicht lange und verließ den Raum so schnell, wie er ihn betreten hatte. Drei hätte schwören können, ein unterdrücktes Lachen gehört zu haben.

"Der Paranoide, der niemandem vertraute und alles über jeden wissen musste, und der Unbekannte, der alles über jeden weiß und von niemanden vertraut wurde … Ha … Wir waren wirklich die perfekten Rivalen."

O4-2, "Der Bibliothekar", war ein dürrer und mürrischer Herr, der so schien, als wäre er nur aufgrund von Gewaltandrohungen gekommen. Keiner kam gut mit Zwei aus, am wenigsten seine numerischen Kollegen. Von all den O4-Nummern, die sich geteilt wurden, war Zwei die, die am meisten geteilt wurde. Die Streitereien aus dem Konferenzraum des O4-2 Flügels konnten beizeiten durch den ganzen Standort gehört werden. Drei war wie der Rest des O4-Rates positiv überrascht, als die Inquisition alle O4-2 von jeglichem Verdacht entlasteten. Der Bibliothekar schien sich die Weisheit "Wenn du nichts Nettes zu sagen hast, dann sag einfach nichts." zu Herz zu nehmen und sprach nicht ein Wort mit den anderen Gästen, selbst Zehn sah im Vergleich wie eine Plaudertasche aus. Selbst Henry war keine Ausnahme, die einzige Interaktion kam, als er ihm einen Umschlag reichte. Henry schien den Inhalt wohl bereits erahnt zu haben, als er ihn öffnete und nach bloß einem Blick wieder schloss. Drei rätselte über den Inhalt des Umschlags eine ganze Weile, bevor er beschloss, dem Jungen selbst sein Beileid auszusprechen.

"Wenigstens einer von meinen numerischen Kollegen, der auftauchen konnte, nicht das ich ihre Anwesenheit vermissen würde."

O4-3, "Der Erbe", das neueste Mitglied des Direktorenrates, hatte Henry nicht viel zu sagen. Er kannte den Verstorbenen erst seit ein paar Monaten und auch nur flüchtig und das war eine großzügige Einschätzung. "Mein Beileid für deinen Verlust." Henry bedankte sich, aber schaute Drei perplext an.

"Er hat es also auch gemerkt, ich wusste, dass ich es mir nicht eingebildet hatte."

O4-13, "Der Seebär", ging zum Pult neben dem Sarg und schaltete das Mikrofon an. Die wenigen Gäste setzten sich und der Seebär begann, seinem verstorbenem Kollegen seine letzte Rede zu halten.

"Ich möchte mich bei euch allen für eure Anwesenheit bedanken. Ich weiß, wir alle hatten keine leichte Beziehung mit dem Verstorbenen und ich werde euch nicht unnötig mit verblümten Geschichten über Johan hier halten. Johan war ein sehr eigener und verschrobener Mensch, um es delikat auszudrücken, aber er war ein pflichtbewusster Mensch. Er war der eine, bei dem man immer darauf vertrauen konnte, dass seine Arbeit makellos, fehlerlos und zuverlässig war. Seine pingelige Art, wenn auch unangenehm, hat vielen Menschen das Leben gerettet und keiner kann bestreiten, dass er nicht immer sein Ganzes gegeben hatte."

"Was meine Arbeit anging, ja. Aber alles andere …"

"Was ich sagen möchte, trotz seiner … Art, hat Johan stets versucht sei-"

Ein lautes markantes Lachen schallte durch den Raum. Es war Henrys Lachen, es war höher als man erwarten würde und klang nach dem Lachen, das jemand hat, der einen Witz vor Lachen nicht über die Lippen bringt. Dreizehn unerschüttert, unverwüstlich und wie ein Fels in der Brandung, wartete unbeeindruckt, bis Henry sich wieder fing.

"Gibt es etwas, was du sagen möchtest, junger Mann?"

"Tut mir Leid, ich weiß, Sie versuchen Ihr Bestes, meinen Vater respektvoll zu verabschieden, aber wir alle wissen, er war ein Mistkerl, nicht nötig, es zu umschreiben."

"Möchtest du vielleicht statt mir seine Grabrede halten?"

"Nein, danke. Mein Vater wusste, was ich von ihm halte und das Bild, das andere von ihm hatten, hat er durch seine Taten selbst gezeichnet. Er war ein schlechter Ehemann, Vater, Mensch, Freund und was sonst noch. Er ist tot und daran lässt sich nichts ändern und wir sind seines Verlusts keiner guten Gesellschaft ärmer."

Henry stand von seinem Platz auf und schien sich zwingen zu müssen, einen ruhigen Ton zu bewahren.

"Ich jedenfalls werde ihn nicht vermissen und bin seinem Mörder dankbar für das, was er getan hat"

Henry drehte sich um und verließ den Raum, ohne auch nur auf eine Antwort zu warten.

"Henry …"

Dreizehn wartete bis Henry das Gebäude verlassen hatte und setzte nach einem enttäuschten Kopfschütteln seine Rede fort, wo sie unterbrochen wurde. Aber die meisten hörten nur aus Höflichkeit zu und verließen den Raum nach nur wenigen Minuten, nachdem er seine Rede beendete.

"Es tut mir so leid, Henry. Du und deine Schwestern habt etwas besseres verdient. Ich wünschte, ich könnte es ändern und wäre euch ein besserer Vater gewesen. Es tut mir so Leid."

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