Realitätsdichtefluktuationen

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"Lorenzo! Lukas! Ich hab' was!"

"Sicher, dass es nicht schon wieder ein Fehlalarm ist, Camille?", rief erstgenannter zurück.

Anstatt darauf zu antworten, erschien ihr Kopf mit dem streng zurückgebundenen Zopf in der Luke über Lukas.

"Jungs, jetzt hört auf mit den Karten und bewegt eure Ärsche!", meinte sie vorwurfsvoll.

Lorenzo und Lukas starrten sich kurz mit zusammengekniffenen Augen an. Der Italiener nahm eine der Karten aus seiner Hand und legte sie langsam, mit immer breiter werdendem Grinsen auf den Stapel.

"Kreuz Ass, ha! Ich hab' gewonnen!", rief er mit seinem unüberhörbaren Akzent aus.

"Nachher gibt es eine Revanche", meinte Lukas. Mit diesen Worten ließen sie die Karten schweben, lösten die Schnallen um ihre Füße und stießen sich vom "Boden" ab, wodurch sie auf die Luke zuflogen. Gekonnt passierten die beiden das kleine Rund und gesellten sich zu ihrer französischen Kollegin, die sich schon wieder gesichert hatte und Daten von einem Display an der Wand ablas.

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Blick aus dem Hauptfenster der Bella Rosa

Der Raum, den sie nun betreten hatten, diente ihnen drei als Observatorium, Labor und Kommunikationszentrale, während das kleinere Abteil hinter der Luke für Fitness, Mahlzeiten und Schlaf vorgesehen war. Ihre kleine Raumstation, die gute fünfhundert Kilometer über der Erde auf einem polaren Orbit kreiste, war nunmal — wie so ziemlich jede Station oder Rakete — extrem kompakt gehalten.

Was hingegen weit weniger kompakt erschien, als es in Wirklichkeit war, waren die vier Röhren, die in regelmäßigem Abstand zueinander neben der verglasten Decke aus der Hülle der Station ragten. Ein jedes war auf eine Vorrichtung montiert, die eine Rotation von etwa 60° in jede Richtung erlaubte. Damit waren die vier auf anomaler Technologie basierenden Hochleistungsteleskope in der Lage, den größten Teil des Sternenhimmels abzutasten und zu beobachten.

"Mit was haben wir es zu tun, Doc?", fragte Lukas.

Camille sah ihn kurz mit zusammengekniffenen Augen an, bevor sie begann zu erzählen: "Ein Objekt, vielleicht zehn bis zwanzig Meter im Durchmesser, auf der Höhe des Orbits des Mars. Die Trajektorie1 müsste die Bodenstation berechnen."

"Sicher, dass es nicht nur ein weiterer Asteroid auf Durchreise ist?", fragte Lorenzo.

"Das lasse ich euch beide mal beurteilen, Docs. Aber meines Wissens sind die wenigsten Asteroiden Gammastrahlungsquellen. Außerdem erfasst das Scranton-Teleskop regelmäßige Fluktuationen im Zentihume-Bereich. Visuell und Infrarot ist allerdings noch nichts reingekommen. Gilt das als falscher Alarm, oder darf ich jetzt die Bodenstation kontaktieren?"

Camille wandte sich den beiden mit aufgesetzt genervtem Blick zu. Lorenzos rechte Augenbraue war so hoch gehoben, dass sie fast unter seinem Haaransatz verschwand, und Lukas blinzelte sie bloß an. Verwirrt drehte sie sich wieder zurück und drückte auf einen blauen Knopf.

"An die Bodenstation-Delta, hier ist Doktor Camille Martin von der Bella Rosa. Können Sie mich hören?"

Eine weibliche Stimme hallte blechern aus den Lautsprechern: "Klar und deutlich, Doktor Martin. Was haben Sie zu melden?"

"Meine Kollegen Doktor Lorenzo d'Alberto und Doktor Lukas Schumann und ich haben ein Objekt entdeckt, das Gammastrahlung emmitiert und Fluktuationen in der Realitätsdichte hervorruft. Bisher konnten wir noch kein Gegenstück auf anderen Wellenlängen detektieren."

"Verstanden. Wo hält es sich aktuell auf und welche Flugbahn verfolgt es?", fragte die Frau von der Bodenstation.

"Hier Doktor Schumann. Aktuell ist es auf Höhe des Marsorbits", schaltete sich Lukas ein, "für weitere Berechnungen benötigt der Bordcomputer mehr Daten. Es ginge schneller, wenn wir die Information zu Ihnen runter streamen und Sie es vor Ort berechnen."

"Verstanden. Ich leite die Anfrage weiter, einen Moment bitte."

Es wurde leise an Bord der Bella Rosa, als die Frau den Funkkontakt kurzzeitig abbrach. Lorenzo und Lukas bereiteten die Daten gerade für die Transmission vor, als die Stimme wieder ertönte:

"Der Anfrage wurde stattgegeben. Sie können die Daten nun übertragen, wir werten sie hier unten aus. Sie sind befugt, jederzeit zusätzliche Daten zur Bestätigung und Verfeinerung der Analyse zu senden."

"Vielen Dank", sprach Camille, "die Daten werden in Kürze ankommen. Bella Rosa out."

"Verstanden. Einen schönen Tag noch da oben! Bodenstation-Delta out."

Mit diesen Worten knackte es in den Lautsprechern, als die Verbindung aufgehoben wurde.

Offensichtlich aufgeregt drehte sich Camille schwebend um: "Wir sind da an etwas Großem dran, Jungs, ganz sicher."

"Hoffentlich ist es aber nicht zu groß", merkte Lukas an.

"Och komm, nicht so pessimistisch sein!", meinte Lorenzo, "Das sollten wir feiern! Wer will alles eine Tüte Zitronenwasser?"


Zwei Monate später


"Hieran haben unsere Freunde von Cyber Technologies seit über zwei Jahren geforscht. Maximaler Schub von fünfzig Meganewton. Läuft auf flüssigem Wasserstoff und LOX2 bei einem spezifischen Impuls von knapp über siebenhundert Sekunden3. Dafür haben die Forscher von Cyber gemeinsam mit meinem Team einen Treibstoffbeisatz entwickelt, den wir aktuell als Beisatz V-1 bezeichnen. Passgenau für unsere Zwecke, genau wie der ganze Rest der Rakete, der ging aber sehr viel schneller. Mit diesem Baby kommen wir garantiert zu unserer extraterrestrischen Realitätsdichtefluktuation", schloss Lukas seinen Vortrag.

Die Leitung der Abteilung für extraterrestrische Angelegenheiten saß, gemeinsam mit den drei Doktoren, die bis vor vierzig Tagen auf der Bella Rosa saßen und ins All geblickt hatten, an einem großen, runden Tisch mit insgesamt zwanzig Sitzplätzen.

Der Ratsvorsitzende Dr. Kamal nickte zufrieden: "Gute Arbeit, Doktor Schumann."

Lorenzo führte weiter aus: "Der Rest der Rakete ist, wie Luk-, äh, Doktor Schumann gerade erläuterte, ebenfalls fertig produziert. Die Kapsel ist so resistent gebaut, dass man darin einen Wiedereintritt bei interplanetaren Geschwindigkeiten überstehen kann. Dazu kommt eine hervorragende aerodynamische Effizienz. Gepaart mit den neuen Triebwerken wird die Rakete durch die Luft schneiden wie ein heißes Messer durch Butter."

"Hervorragend", meldete sich Kamal wieder, "danke, Doktor d'Alberto. Doktor Martin, wie steht es um unseren Flugplan?"

"Wir konnten die Flugbahn noch genauer berechnen, wir werden keine Schwierigkeiten haben, das Ding zu erreichen", begann Camille, "auf dem Rückweg werden wir einen GA4 am Mond durchführen. Die Landung würde im atlantischen Ozean erfolgen. Den Start müssen wir am Abend des dreißigsten Oktober durchführen, dann erreichen wir das Ding am einunddreißigsten Oktober gegen vierzehn Uhr MET5 auf einer Höhe von etwa vierhunderttausend Kilometern über Normal Null."

"Sehr schöne Arbeit von Ihnen dreien", schloss Dr. Kamal, "Der Rest sind nur noch reine Formalitäten, die wir mit den europäischen Zweigen abklären müssen. Setzen Sie Ihr Astronautentraining wie bisher fort, dann wird der Mission nichts im Wege stehen."


Drei Wochen später


Die drei Astronauten schritten durch die letzten paar Gänge hin zum Aufzug, der sie auf die Höhe der Kapsel bringen würde. Durch Plexiglasscheiben getrennt konnten sie sich ein letztes Mal von ihren Familien und Freunden verabschieden, bevor die Triebwerke zünden und die Rakete abheben würde. Nachdem dieser emotionale Moment vorüber war, betraten sie die Kabine. Wie schon beim ersten Mal, als sie an dieser Station eine Rakete betraten — damals noch, um ihren Posten auf der Bella Rosa zu beziehen — weckten die schließenden Türen der Aufzugskabine ein Gefühl der Endlichkeit, der Finalität in ihnen. Halb in Trance schritten sie wieder aus dem Aufzug und begaben sich auf die teils verglaste Brücke, die zur Kapsel führt.

Blau.

Ein tiefes, lebendiges Blau.

Ein helles, freundliches Blau.

Das Meer, der Himmel, und beides traf am Horizont aufeinander.

Mehr war durch die kleinen Fenster nicht zu sehen. Nichts als Blau, das die untereinander verbundenen Ölplattformen umringte. Selbstverständlich handelte es sich nicht wirklich um Ölplattformen, zumindest nicht mehr. Mittlerweile waren die vier Monstrositäten aber vollkommen renoviert worden, sodass sie in der Lage waren, Raketenstarts vom nordwestlichen Atlantik aus zu ermöglichen.

Und dann wurde das Blau durch eine Mischung aus Weiß, Grau und Schwarz abgelöst, als die Astronauten in die Kapsel stiegen. In ihren Anzügen war es recht umständlich, in die geneigten, ergonomischen Sitze einzusteigen und der verhältnismäßig geringe Platz, der ihnen zur Verfügung stand, half dabei nicht. Doch diese kleine Herausforderung wurde recht schnell bewältigt. Sie zurrten ihre Gurte fest.

Die Rakete erwachte zum Leben. Automatisiert schloss sich zuerst die schwere Luke, die ihnen soeben den Zutritt erlaubt hatte. Dann leuchteten zahlreiche Monitore über ihren Köpfen auf, allesamt gefüllt mit allerlei Informationen über die Rakete und ihre Mission. Es knackte kurz in den Lautsprechern, die in ihren Helmen integriert waren.

"Hier Startrampe Europa-1, Funkcheck", ertönte es aus diesen.

Nacheinander bestätigten die drei.

"Ausgezeichnet. Systemcheck abgeschlossen, die Rakete ist startbereit. Wie steht es um Sie?"

"Doktor Camille Martin bereit", meinte die Französin.

"Doktor Lorenzo d'Alberto bereit", kam es vom Italiener.

"Doktor Lukas Schumann bereit", bestätigte der Deutsche.

"Hervorragend", antwortete die Startrampe, "T minus zwei Minuten zum Start."

Es gab keine zwei Minuten, die sich länger anfühlten als diejenigen vor dem Start einer Rakete, die man selbst bemannte. Darin waren sich die drei Doktoren einig. Diese zwei Minuten, in denen man erneut die Daten durchging, die man sich zuvor so tief eingeprägt hatte. Diese zwei Minuten, in denen das zugewiesene Personal ein letztes Mal die Systeme der Rakete durchcheckte. Diese zwei Minuten in vollkommener Stille, die niemand zu durchbrechen wagte. Diese zwei Minuten, die die Familien der Astronauten innerlich zerrissen vor Anspannung, vor der Unsicherheit, was gleich folgen würde. Diese zwei Minuten, bei denen sich ein leiser Gedanke in den Kopf jedes einzelnen Beteiligten schlich: Der Gedanke, dass dies die letzten zwei Minuten dreier Menschenleben sein könnten.

Und kaum war dieser Gedanke laut genug geworden um Angst zu erregen, kaum waren diese so endlosen, und doch so unendlich kurzen zwei Minuten nahezu vorbei, da begann der Countdown.

"Zehn."

Ein vorletztes Mal ein tiefes Durchatmen der Astronauten …

"Neun."

… die Familien starren gebannt auf Monitore oder aus dem Fenster …

"Acht."

… bis zum Zerreißen angespannt …

"Sieben."

… die letzten Gespräche im Missionszentrum verstummen …

"Sechs."

… auch der Führungsrat der Abteilung schweigt angespannt …

"Fünf."

… ein letztes Mal ein tiefes Durchatmen der Astronauten …

"Vier."

… wohlwissend, was als nächstes gesagt werden wird …

"Zündung."

… ein Beben, das die Umgebung erschüttert …

"Zwei."

… die Triebwerke, die zum Leben erwachen …

"Eins."

… und dann absolute Ruhe, absolute Gedankenlosigkeit.

"Lift-off."

Die drei Doktoren, Astronauten, Freunde werden in ihre Sitze gepresst. Angst, Anspannung, Freude kämpfen um die Vorherrschaft in ihren Köpfen. Ihre Familien sind nach wie vor angespannt, nervös, besorgt.

Und viel schneller, als man erwartet, reißt der Schub kurz ab, als sich die erste Stufe der Rakete abtrennt, um wieder zurück in Richtung Erde zu fallen.

Dann erneut die Kraft, die sie in ihre Sitze presst. Diesmal länger, aber weniger stark. Und dann …

Schwerelosigkeit.

Das Missionszentrum wird nun von zahlreichen Ausrufen der Freude getränkt. Die erste Etappe ist geschafft.

Die drei Astronauten lächelten einander an, bevor sie ihre Gurte lösten und nach nur zwei Monaten wieder schwerelos umherschweben konnten. Sie genossen die dreißigminütige Pause, die sie nun bekamen, bis die Rakete richtig am Himmel stand, sodass Teil zwei der Mission eingeleitet werden konnte. Die mit Zitronenwasser gefüllten Plastikbeutel waren viel zu schnell geleert, die Zeit verstrich viel zu schnell, viel zu schnell schnallten sie sich wieder an und wurden in die Sitze gepresst.

Das Triebwerk zündete, als sie sich über dem Pazifik befanden. Schematische Darstellungen auf den Monitoren zeigten, wie sich die Flugbahn durch die prograde Beschleunigung6 auf der anderen Seite des Planeten verformte, wie sie sich immer weiter von der Oberfläche entfernte. Und dann nahm sie eine hyperbolische Form an, als sie auf Fluchtgeschwindigkeit beschleunigt hatten.

Dann setzte der Schub erneut aus, diesmal jedoch weniger lang, bevor sie wieder in die Sitze gepresst wurden. Die Flugbahn auf den Monitoren nahm den gewünschten Verlauf an: Eine Bahn, die mit der des Was-Auch-Immers nahezu übereinstimmte. Und dann hatten sie etwa zwanzig Minuten Zeit, um sich auf einen Spacewalk vorzubereiten. Lukas und Camille zogen in der Schwerelosigkeit einen hochmodernen Raumanzug an, der mit zahlreichen Spielereien ausgestattet war und es ihnen auch ohne Verbindung zu einer größeren Sauerstoffquelle erlaubte, gute dreißig Minuten atmen zu können.

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Der Asteroid durch das Fenster der Kapsel

Schon nach wenigen Minuten konnte Lorenzo durch eines der runden Fenster der Kapsel ein Objekt ausmachen. Es war so uneben wie ein Asteroid und hatte ähnliche Ausmaße, mit einer Länge von gut zwanzig Metern und einer Dicke von bis zu fünfzehn Metern.

"Bodenstation-Delta, habe Sichtkontakt. Kameras werden für den Live-Feed ausgerichtet."

"Hervorragend, Doktor d'Alberto. Irgendwelche Auffälligkeiten?"

"Negativ. Sieht aus wie ein typischer Asteroid. Vielleicht ein bisschen mehr Lichtreflexion als normal, das könnte aber auf einen erhöhten Eisgehalt hindeuten."

"Verstanden. Wie steht es um die Realitätsdichtefluktuationen?"

"In etwa so wie erwartet. Vielleicht ein bisschen stärker, aber noch immer regelmäßig."

"Verstanden, Doktor. Drei Minuten bis zum Spacewalk. Sind Doktor Schumann und Doktor Martin bereit?"

Die beiden nickten Lorenzo zu, der sich kurz zu ihnen umgedreht hatte.

"Bodenstation, die beiden sind bereit und betreten jetzt die Schleuse."

"Verstanden. Der Funkkontakt wird aufrechterhalten. Melden Sie jede Unplanmäßigkeit umgehend, Doktor d'Alberto."

"Natürlich, Bodenstation."

Lorenzo nahm die beiden Steuerknüppel in die Hand und navigierte die Kapsel vorsichtig näher an den Asteroiden heran. Das gedämpfte Zischen der RCS7-Triebwerke erfüllte die Kapsel. Der Asteroid wurde immer größer, bis er nahezu das ganze Fenster ausfüllte.

"Bodenstation-Delta, der Asteroid sieht aus, als bestünde er aus einem Metall, ist aber von Staub überzogen. Gibt es neue Anweisungen?"

"Negativ, Doktor d'Alberto."

Lorenzo meldete sich über die Helmlautsprecher seiner Kollegen: "Wir sind in Position, gleich öffnet sich die Schleuse. Viel Glück."

Ein lautes Zischen ertönte, als die Luft aus der Schleuse gesaugt wurde. Und dann surrte es leise, als sich die Tür öffnete.

Lukas beobachtete, wie der Streifen an Sternen breiter wurde, als die Luke aufglitt. Und dann geriet der Asteroid in sein Blickfeld. Er wirkte unglaublich gewaltig, war aber gerade einmal von durchschnittlicher Größe für einen Asteroiden.

Ein Knacken ertönte im Lautsprecher, als sich Lorenzo nochmal meldete: "Ihr könnt jetzt die Kapsel verlassen. Bei Komplikationen zieht euch die Seilwinde direkt wieder rein. Seid ihr bereit?"

Die Französin und der Deutsche bejahten. Und dann ließen sie sich aus der Schleuse hinaustreiben. Direkt auf den Asteroiden zu. Mit den kleinen Düsen, die in den Rucksack der Raumanzüge integriert waren, manövrierten sie gezielt auf die Oberfläche zu.

"Stellen Kontakt her", meldete sich Camille.

Als ihre Hände auf der Oberfläche auftrafen, spürten die beiden die Vibration, die sie durchdrang. Mit einem Metallring klopfte Lukas leicht dagegen.

"Das Ding besteht eindeutig aus Metall. Wahrscheinlich ist es auch hohl. Sollen wir nach einem Eingang suchen?"

"Tun Sie das. Passen Sie aber auf", meldete sich die Bodenstation.

Die beiden stießen sich wieder von der Oberfläche ab und untersuchten den Asteroiden nach irgendeiner Öffnung. Nach zwei Minuten meldete sich Camille über Funk:

"Ich hab hier was. Diese Stelle ist kreisrund und nicht ansatzweise verstaubt. Wie sollen wir fortfahren, Bodenstation?"

"Untersuchen Sie diese Stelle auf irgendeine Art von Mechanismus."

"Verstanden."

Die beiden Astronauten aktivierten ihre Helmscheinwerfer und betrachteten die Fläche. Als sie nichts entdecken konnten, legte Lukas seine Hand dagegen.

Lorenzo verfolgte die ganze Zeit, wie sich die Messwerte verhielten. Plötzlich wurden die Realitätsdichtefluktuationen sehr viel stärker.

"Sofort abbrechen, sofort abbrechen! Die Messwerte flippen aus! Kommt sofort zurück an Bord!", meldete er seinen Kollegen.

"Wi … rho … n, Lo … nzo!"

Der Funkkontakt brach immer wieder ab.

"Was hat er gesagt, Camille?", fragte Lukas seine Kollegin. Sie zuckte nur mit den Schultern.

"Ich kann ihn nicht verstehen. Wir sollten die Mission abbrechen, das ist zu gefährlich ohne Kommunikationsmöglichkeiten."

"Okay."

Lukas versuchte, Lorenzo zu erreichen: "Wir kommen zurück. Du musst die Schleuse öffnen. Kannst du uns hören?"

Es kam keine Antwort.

"Okay, wir müssen zurück", stellte Camille erneut fest.

Mit einem Nicken wollte sich Lukas von dem Ding abstoßen, als er plötzlich bemerkte, dass seine Hand daran festzukleben schien.

"Camille? Ich komme hier nicht weg. Mein Handschuh klebt fest!"

Die Französin, die ihre Schubdüsen verwendet hatte, kehrte zu ihm zurück.

"Verdammt."

Sie versuchte, ihm bei seinen Befreiungsversuchen zu helfen, doch es half nicht. Im Gegenteil: Als sie selbst versehentlich die Fläche berührte, kam auch sie nicht mehr davon weg.

"Scheiße!", stellte sie fest, "Lorenzo, kannst du uns hören? Lorenzo?"

Lorenzo saß weiterhin in der Kapsel und versuchte, Blickkontakt mit den beiden herzustellen, was sich jedoch durch das kleine Fenster als ein Ding der Unmöglichkeit herausstellte. Also tat er das Einzige, was ihm im Moment noch einfiel: Er aktivierte die Winden, an denen die Sicherheitsleinen der beiden befestigt waren.

Camille und Lukas bemerkten plötzlich, wie die Seile, die sie noch mit der Kapsel verbanden, gespannt wurden und an ihnen zogen. Doch auch das war nicht genug. Sie klebten weiterhin an der Oberfläche fest, als die Leinen plötzlich rissen.

"Fuck!", rief Lukas aus.

Und dann bemerkten die Beiden, wie sie langsam im Asteroiden versanken. Es fühlte sich an, als würde man eine Hand in einer Plastiktüte in stehendes Wasser tunken. Klebrig und feucht, obwohl gar kein Kontakt zum Wasser bestand.

Und so wurden sie langsam vom metallenen Objekt verschluckt. Panisch versuchten sie, sich davon zu lösen, doch wie im Moor versanken sie dadurch nur noch schneller. Und just in dem Moment, in dem sie komplett verschluckt wurden, wurden sie wieder ausgespuckt. Jedoch in das Innere des Asteroiden. Als sie sich umsahen, verschlug es ihnen die Sprache.

Der Hohlraum ihres vermeintlichen Asteroiden war komplett mit einer klebrigen, gelblich-roten Masse überzogen. Diese Masse formte auch teils mehrere dutzend Zentimeter dicke Stränge, die kreuz und quer durch den Raum verliefen und dadurch ein mehr oder minder dichtes Netz formten.

Überall dort, wo sich zwei dieser Stränge berührten oder kreuzten, wurde die gelb-rote Masse durch ein kreisrundes, schwarzes Etwas abgelöst, das teilweise mehr als einen Meter im Durchmesser maß.

Und dann fühlten die beiden Doktoren die Hitze, die von der Masse ausging.

"Das Zeug lebt", stellte Camille fest.

Und als Lukas probeweise die gelblich-rote Masse anstupste, begann das ganze Etwas — das ganze Gewebe — zu vibrieren.

Gleichzeitig entfuhr es den Beiden:

"Was zum…"

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