Das Wunderland, Teil 2
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Letztes Mal bei Nuri:
Das Wunderland, Teil 1

Die Geschichte der Beziehungen zwischen Menschen und Feen ist eine Geschichte zweier Völker, die nie auch nur daran gedacht hatten, sich gegenseitig zu verstehen. Die Menschen waren zu ignorant, um den Standpunkt der Feen zu verstehen und die wiederum waren zu arrogant, um sich dazu herabzulassen, die Geisteshaltung der Menschen zu begreifen. Die beiden Völker hatten mehrere Kriege gegeneinander geführt, der erste war von den Feen begonnen worden, aber die Feindschaft reichte wesentlich weiter zurück, als das. Elli war der Meinung, dass ein Haufen vergossenes Blut hätte vermieden werden können, hätten beide Seiten gemerkt, dass es sich an sich nur um einen Streit über Grundbesitz gehandelt hatte.

Feen erwarteten, dass andere Völker die Grenzen ihres Territoriums kannten, sie machten diese aber nicht in einer Form kenntlich, die andere Völker ohne Weiteres verstehen konnten. Und sie wurden sauer, wenn sich andere auf ihrem Gebiet ansiedelten. Sie verwünschten Bewohner, Vieh und Ernten, entführten Kinder und ließen Wechselbälger zurück und führten die, die sich verlaufen hatten in den Tod. Das und mehr sollte Menschen von ihrem Gebiet vertreiben und oft klappte es. Menschen entwickelten Techniken, um ein Gebiet zu untersuchen, ob es den Feen gehörte, bevor sie darauf bauten oder lernten, Gaben für sie zu hinterlassen oder Gebäude so zu errichten, dass sie Feen nicht behinderten. Doch oft schürten ihre Taten auch Zorn unter den Menschen. Sie bewaffneten sich, entwarfen Amulette und Schutzkreise und jagten Feen, was nur zu mehr Krieg und Verderben führte.

Aber mit dem Aufkommen massenhaft produzierten Eisens kamen diese Kämpfe zu einem Ende. Die meisten Feen vertrugen kein Eisen, es war giftig für sie, verbrannte ihr Fleisch bei Kontakt und auch nur in der Nähe des raffinierten oder legierten Metalls zu sein, sorgte für Unwohlsein bei ihnen. Die Feen konnten sich plötzlich menschlichen Siedlungen nicht mehr nähern und zogen sich bis auf die, die dem Fluch des Eisens widerstehen konnten, in ihre eigenen Welten zurück, die als Taschendimensionen überall auf der Welt existierten. Es war der einzige Fall in der Menschheitsgeschichte, wo eine ethnische Säuberung größtenteils aus Versehen stattgefunden hatte.

Die Feen hatten lange Zeit Hass auf die Menschen gehegt, aber der Zahn der Zeit erodierte alles. Feen heutzutage hatten beschlossen, die Menschen in Ruhe zu lassen, denn selbst wenn sie ihr Land zurückforderten, es war mit Eisen verseucht und für sie unbewohnbar.

Doch Feen lebten lange. Und auch wenn ihre Missgunst nicht mehr so stark loderte und sich viele mit den Menschen versöhnt hatten, so gab es immer noch diejenigen die "die alten Zeiten wieder aufleben lassen" wollten. Und genau denen wollte Elli auf den Zahn fühlen.

Feentore waren heute normalerweise fest verschlossen, aber solche Hindernisse sind nur ein minimales Ärgernis für jemanden, der den Nexus beherrschte. Das Land der Feen in der Pfalz hieß Luchiam und war nur von wenigen Feen bevölkert. Mit dem Wald, der einst ganz Mitteleuropa bedeckt hatte, waren auch die meisten Feen verschwunden, die sich an einladenderen Orten angesiedelt hatten. Die Feen des Kontinents hatten sich vor den Menschen schon der Zwerge erwehren müssen, daher gab es neben den Sagen um Wechselbälger kaum Geschichten über die alten Elfen in Deutschland. Anders als zu Zwergen, von denen die alten Heldensagen erzählten.

Das Portal des Nexus öffnete sich in der Tür eines Hauses der Feen. Elli und Dean betraten nun eine Stadt aus weißem Stein, deren magische Flora die Gebäude in der Nacht mit ihrem Licht türkis färbten. Feen hielten viel von Bionik und verwendeten natürliche Formen für ihre Bauten, woher wahrscheinlich der Glaube rührte, sie würden in Bäumen und Pilzen wohnen. Die gemeine Fee war allerdings nicht winzig, sondern etwas größer als ein Mensch und filigraner. Ihre Gesichter besaßen kaum Unreinheiten und erfüllten sich mit Gram, als sich Dean ihnen näherte. Er bestand zu einem nicht unerheblichen Prozentsatz aus Stahl.

"Hey, Sie", fragte er eine weibliche Fee, die hastig vor ihm zurückwich. "Haben Sie zufällig-"

Elli verpasste ihm eine gegen den Hinterkopf.

"Dean, du redest bei Feen nicht über kleine Kinder", raunte sie ihm ins Ohr. "Die sind immer noch ziemlich empfindlich, was das angeht."

"Und wie sollen wir dann Nuri finden?", fragte Dean zurück.

"Pass auf."

Elli näherte sich der Fee mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht.

Die musterte sie nur verwirrt.

"Ein- Ein Mensch? Was machen Sie hier? Wie sind Sie hier reingekommen?"

Elli brach bereits Regel 1 der Feen-Etiquette, indem sie herumschnüffelte, denn Feen hielten viel auf Privatsphäre, daher versuchte sie, so unbedrohlich wie möglich zu wirken.

"Keine Sorge, wir versuchen, so schnell wie möglich zu verschwinden. Es ist nur, einer von euch hat eine kleine Freundin von uns entführt und wir hätten sie gern wieder. Hätten Sie also die Güte, uns einen Hinweis zu geben, wer in eurer schicken kleinen Gemeinde sowas tun würde?"

Regel 2: Sei bei Feen so höflich wie möglich, denn sie sind leicht beleidgt.

"Wah? Was fällt Ihnen ein! Hier hat es seit über fünfhundert Jahren keine Entführung mehr gegeben. Wir gehen ja kaum raus in die Pfalz. Wer sind Sie überhaupt?"

Regel 3: Entschuldige dich niemals bei Feen, denn sie interpretierten das als hättest du zugegeben, du seist ihnen was schuldig. Und Feen hatten aus menschlicher Sicht sehr merkwürdige Ansichten dazu, wie man Schulden zurückzahlte.

Regel 4: Sag einer Fee niemals deinen vollen Namen. Denn das gibt ihnen die Macht, das Konzept deiner Existenz zu stehlen.

Regel 5: Lüge eine Fee niemals an, oder lasse sie zumindest nicht rausfinden, dass du gelogen hast.

"Sie können mich "Blondi" nennen, den Namen höre ich öfter", antwortete Elli. "Kann ich auf Ihre Hilfe zählen? Ich habe Feenwein einstecken, es soll Ihr Schaden nicht sein."

Die Fee leckte sich unterdrückt die Lippen.

"Ehrlich?"

Elli zog wortlos eine Flasche Elphamer von 1765 aus der Tasche. Die Fee wollte danach greifen, aber Elli zog die Flasche zurück.

"Erst müssen Sie uns helfen, die Vermisste zu finden."

Mittlerweile schien Ellis und Deans Erscheinen zu den Ordnungskräften vorgedrungen zu sein, von denen vier mit ihren mit Silber geschmückten Uniformen anrückten. Keiner von ihnen traute sich weiter als zwei Meter an Dean heran.

"Was wird das denn, wenn's fertig ist?", blaffte einer von ihnen, dessen Uniform etwas prunkvoller aussah als die vom Rest. "Wer sind Sie und wie sind Sie hier reingekommen?"

Elli drehte sich ihnen genervt zu.

"Für euch bin ich Blondi. Und ich habe euer Land durch den Türrahmen da betreten."

Unter den Feen brach Verwirrung aus, da Elli zwar die Wahrheit sagte, diese sich allerdings nach absolutem Käse anhörte.

Der vorstehende Polizist fing sich schließlich wieder.

"Was wollt ihr hier?", fragte er. "Und warum ist dieses … dieses Ding hier?"

Er zeigte mit dem ausgestreckten Finger auf Dean.

"Hey, das ist robophobisch!", blaffte der zurück.

"Oh nein, es denkt!", entfuhr es einem der Ordnungshüter.

Dean machte demonstrativ einen Schritt in die Richtung der Polizisten, die wie Magnetpole gleicher Polung vor ihm zurückwichen.

"Mach' die Eingeborenen nicht sauer", raunte ihm Elli zu. "Ihre Feuermagie kann sogar dich einschmelzen."

Dean grummelte etwas Unverständliches und zog sich zurück.

"Um zum Thema zurückzukommen, wir gehen einer Entführung nach", erklärte Elli sachlich den Polizisten. "Ihr habt nicht zufällig irgendjemanden hier, der, nennen wir es 'rückwärtsgewandt' ist?"

"Eine Entführung?", wiederholte der vorstehende Polizist, der nun offenbar merkte, dass Elli und Dean ihm und seiner Gemeinschaft nichts tun wollten. "Von einem Menschenkind? Unmöglich! Niemand hier würde-"

"Das ist eine Lüge", unterbrach ihn Elli trocken. "Ich habe überhaupt nichts von einem Kind gesagt. Wo ist sie?"

Der Polizist blinzelte verwirrt und schien das Gespräch in Gedanken nochmal durchzugehen.

"Ich habe nicht mit Absicht gelogen", versuchte er sich herauszureden. "Es gibt außerhalb unserer Stadt jemanden, der in Frage kommen könnte. Aber was erhalten wir im Gegenzug für unsere Hil-"

Elli legte ihm beide Hände auf die Schultern und lächelte ein freundliches Lächeln von solcher Kälte und Mordlust, dass die Frau, die sie vorher angesprochen hatte, zurückwich.

"Im Gegenzug werde ich meinen gerechten Zorn auf euch vergessen", erklärte sie. "Wissen Sie, wer neben euch Feen auch nicht gerne verschaukelt wird? Ich. Also, ich bitte euch Gentlemen daher mit meinem höchsten Maß an Respekt, eure Ärsche in Bewegung zu setzen und mich zu der oder dem Verdächtigen zu bringen. Wer ist das eigentlich?"

Der Polizist schluckte kurz.

"Äh, eine gute Fee, wenn Sie verstehen, was ich meine."

"Oh", machte Elli wissend. "Eine von denen."


Das Wunderland war toll.

Nuri war an einem Tag mit Mama und Papa Schlitten gefahren, hatte im Meer der Südsee gebadet und war in den Zoo gegangen.

Die gute Fee war ebenfalls dabei und beobachtete das Geschehen belustigt aus der Entfernung.

Nuri für ihren Teil amüsierte sich so prächtig, dass sie Elli und Dean völlig vergessen hatte. Jetzt saßen sie alle vier gerade zu Tisch und aßen Kuchen auf der Waldlichtung, erhellt vom türkisenen Licht der Pflanzen.

"Du Mama? Wie war es eigentlich, tot zu sein?", fragte Nuri.

Die zuckte mit den Schultern.

"Keine Ahnung. Es war, als hätte ich geschlafen."

Nuri war sichtlich unzufrieden mit der Antwort. Die gute Fee schien das zu bemerken.

"Na, Nuri, das ist eine sehr persönliche Angelegenheit. Das sollte man seine Nase nicht reinstecken, auch du nicht."

Nuri plusterte ärgerlich die Wangen auf.

"Junge Dame, guck mich nicht so an! Das ist-"

"Oh nein, ist schon richtig, man soll fragen, wenn man etwas wissen will", sagte Elli hinter ihr.

Sie hatte die Arme verschränkt und sich auf die Lehne des Stuhls der guten Fee gelehnt.

"Was!?", entfuhr es der Fee. "Sie waren mit- Wie sind Sie hier reingekommen?"

"Elli!", rief Nuri glücklich. "Du hast mich gefunden."

Dann überkam sie ein schlechtes Gewissen, weil sie einfach so verschwunden war. Das bedurfte Ablenkung.

"Guck mal, Mama und Papa leben wieder! Die gute Fee hat sie zurückgeholt."

Ihre Eltern winkten.

Elli warf den beiden einen prüfenden Blick zu.

"Die Magie der Feen kann vieles, aber die Toten zurückzuholen gehört nicht dazu", sagte sie sachlich.

"Hey, was erlauben Sie sich!", entfuhr es der Fee, die ärgerlich aufstand.

"Genau!", stimmte Nuri zu. "Sie sind doch hier."

"Wirklich?", fragte Elli merkwürdig melancholisch. "Beschreibe sie mir, Nuri."

Nuri runzelte die Stirn.

"Was meinst du damit?"

Die Fee lockerte sich sichtlich beunruhigt den Kragen.

"Also, ich würde es vorziehen, wenn Sie-"

Elli beachtete sie nicht.

"Beschreibe mir deine Eltern, die hier sitzen. Wie sehen sie aus?"

Nuri holte Luft, um der Aufforderung nachzukommen, aber dann merkte sie, dass es nicht ging. Sie wusste, dass ihre Eltern genau hier waren, aber sie konnte beim besten Willen nicht erkennen, wie sie aussahen.

"M-Mama?", fragte sie stirnrunzelnd.

Je länger sie ihre Mutter zu erkennen versuchte, umso fremder wurde sie ihr. Bis die Illusion ihrer Eltern schließlich Risse bekam und mit einem lauten Klirren zerbrach.

Nuri schaute fassungslos auf die Scherben, die sich am Boden zu leuchtendem Staub auflösten.

"WAS HABEN SIE GETAN!?", fuhr die Fee Elli an. "ICH HÄTTE IHR ALLES GEBEN KÖNNEN! SIE WÄRE HIER GLÜCKLICH GEWESEN!"

Sie drehte sich zu Nuri um, die zu weinen anfing und kniete hastig vor ihr nieder.

"Ach du liebe Zeit! Nuri, keine Sorge, wir kriegen das wieder hin."

"Wo sind Mama und Papa?", fragte Nuri durch die Tränen hindurch.

"Nur ein kleiner Fehler", wiegelte die Fee gehetzt ab. "Ich kann sie wieder zurückbringen, wenn du nur daran glaubst. Glaub' an mich, Nuri, dann kann ich dir jeden Wunsch erfüllen. Immerhin bin ich eine gute Fee. Ich existiere, um Kindern wie dir zu helfen."

"Gute Feen existierten, um den Ruf der alten Feen aufzubessern", korrigierte Elli hinter ihr trocken. "Feen, die Mitleid mit den Menschen hatten und ihre Volksangehörigen nicht dabei unterstützten, die Menschen zu vertreiben. Ihr habt versucht, ein Band zwischen euren beiden Völkern zu knüpfen, indem ihr das Image der Feen aufgebessert habt, bis das Eisen kam."

Elli trat auf die Fee zu.

"Und seitdem gibt es solche wie dich. Feen die immer noch Gutes tun wollen, ohne Rücksicht auf Verluste. Die nicht einsehen können, dass sie in einer Welt, die der Mensch so geformt hat, dass Feen dort nicht leben können, obsolet geworden sind."

"HALT' DIE KLAPPE!", fuhr die Fee sie an.

Nuri brach hinter ihr in Tränen aus, aber das schien die alte Frau nicht mehr zu kümmern.

Ein großer Baum in der Nähe geriet plötzlich in Bewegung und schob seine gewaltigen Wurzeln aus der Erde, um Elli zu ergreifen. Die griff nur nach ihrem Flachmann, nahm einen Schluck und prustete der Pflanze das Gesöff entgegen. Der Nebel fing sofort Feuer und die Wurzeln zuckten erschrocken zurück.

"Was macht ihr da!?", zischte die Fee. "Ihr seid zu feucht, um von sowas angezündet zu werden."

Die Wurzeln schienen denselben Gedanken zu haben, denn sie schossen erneut auf eine verdutzte Elli zu und nahmen sie in den Würgegriff.

"Wirklich?", fragte sie aus dem Gewirr heraus. "Du willst ein unschuldiges Kind in deiner Illusion einsperren?"

"Ich glaube, du kannst da mal überhaupt nicht aufregen", warf Dean ein. "Immerhin hast du einen Typen in eine Computersimulation gesteckt."

Er war an dem Knoten aus Wurzeln vorbeigetreten, in dem Elli nur noch schwer zu erkennen war. Die gute Fee wich erschrocken vor ihm zurück.

"Wa- Der ist ja komplett aus Eisen!"

"Wie unhöflich", mokierte sich Dean.

"Ich habe den Mann in dem Tank gelassen, weil er in der Realität nicht glücklich geworden wäre", entgegnete Elli derweil. "Die alte Schachtel hier will Nuri hier behalten, weil sie selbst in der Realität nicht glücklich wird."

"Ihr zwei seid so in euren Bitch-Fight vertieft, dass ihr völlig vergessen habt, worum es eigentlich geht", rief Dean die beiden zur Raison, kniete sich neben Nuri nieder und legte ihr die Hand auf den Rücken, um sie zu trösten.

Es half, merkwürdigerweise.

"Ich weiß ja nicht allzu viel über menschliche Emotionen, aber selbst wenn sie durch Trugbilder ausgelöst werden, sind sie echt, oder?", fragte er weiter. "Sollten wir nicht Nuri selbst entscheiden lassen, wo sie sein will?"

Die alte Fee zog eine Grimasse, schnippte dann aber mit den Fingern. Der Baum ließ von Elli ab.

"Urgh! Ich habe überall Dreck an den Klamotten!"

Nuri bekam sich allmählich wieder unter Kontrolle und sah sich verwirrt um.

"Was- Was ist los?"

"Die beiden Frauen da können sich nicht einigen, wer dich mitnehmen soll", erklärte Dean. "Die Fee meint, du sollst im Wunderland bleiben, Elli will dich von hier fortholen. Aber was willst du eigentlich?"

"Sie will dich in einer Illusion gefangen halten, um sich selbst einer Illusion hinzugeben", merkte Elli an.

"Vielleicht", gab die Fee zu. "Aber was ist schlimmer? Hier zu bleiben oder zurückzugehen, wo du die Dinge so nehmen musst, wie sie kommen? Vor allem den Tod? Hier kann alles das sein, was du willst."

Nuri hatte genug von der Welt. Sie wollte einfach nur zu Hause sein, bei ihren Eltern. Doch sie erinnerte sich, welches Unbehagen es in ihr ausgelöst hatte, zu merken, dass sie in einer Illusion steckte. Einfach nicht dran denken. Denke nicht daran, denn das macht nur traurig. Lass die Dinge einfach so sein wie sie waren. Nein, besser noch, lass die Dinge so sein, wie sie sein sollen!


Elli sah erschrocken, wie sich Nuri zu der Fee gesellte.

"Nuri, willst du wirklich dein Leben in einem Trugbild verbringen?", rief sie ihr zu.

Die gute Fee griente nur.

"Ich schätze, die Würfel sind gefallen, Blondi. Ich lasse euch gehen, denn ihr habt nur aus Sorge um das Kind gehandelt, aber kommt gefälligst nie mehr zurück."

Elli blickte auf die Dämonenfüchsin.

"Bist du dir sicher, Nuri?"

Nuri vermied es, sie anzusehen, aber nickte nur.

Das durfte doch nicht wahr sein! Nuri war nur ein kleines Kind! Elli verfluchte die Fee innerlich dafür, sie mit Lug und Trug in ihre Falle zu locken. Und das nur, damit sie sich selbst besser fühlte!

"Nuri …"

"Komm, Elli. Nuri hat ihre Wahl getroffen …", raunte ihr Dean zu.

Elli kämpfte gegen den Impuls, ihm eine runter zu hauen und ballte ohnmächtig mehrfach die Fäuste, während sie auf Nuri starrte, die sich um Rockzipfel der Fee festhielt. Aber schließlich gab sie auf. Nuri hatte gewählt und die Fee war zu mächtig, um sich ihr entgegen zu stellen. Elli wollte sich umdrehen, um zu gehen, aber kam nicht von der Stelle. Irgendwas hielt sie zurück.

Stirnrunzelnd blickte sie an sich herunter. Es war, als hätte sich ihr Trauerkleid irgendwo verfangen, aber um sie herum war nur Gras. Dann begriff sie.

"Hey, nicht schummeln, du Taubenwachtel!"

Die Feenillusion zerbrach und offenbarte Nur, die sich mit beiden Händen und immer noch Tränen in den Augen an Ellis Kleid festhielt. Sie schniefte.

"Ischwillmitkomm!", nuschelte sie.

Elli beugte sich lächelnd zu ihr runter und nahm sie in den Arm.

"Es tut mir leid, dass ich dich allein gelassen habe".

Die gute Fee, die seit der Entlarvung des Trugbilds kurz vor der Explosion zu stehen schien, platzte endlich.

"WWWAAAAAAAS! Oh nein, Nuri, so haben wir nicht gewettet. Du bist mir was schuldig, du bleibst hier!"

"Du hast 'Danke' zu ihr gesagt, oder?", fragte Elli Nuri sachlich.

Die nickte nur verwirrt.

Die Bäume um sie herum setzten sich inzwischen in Bewegung. Wurzeln griffen nach Eli und Nuri.

"Ich habe so lange darauf gewartet, endlich wieder Gutes für die Menschen tun zu können. Ich werde mir diese Chance nicht nehmen lassen, schon gar nicht von einer Tusse wie der da."

Die Fee fuhr plötzlich herum, als sich Dean von hinten an sie heranschlich.

"WAG' ES NICHT!"

Ein hellblauer Flammenstrahl mit dem Durchmesser eines handelsüblichen Gullideckels schoss aus ihrer Rechten, was Dean sofort zur Seite springen ließ. Er wurde zwar nicht getroffen, aber die Hitze allein reichte aus, um seinen Anzug spontan in Brand zu setzen. Und die Fee setzte weitere Feuerstöße nach, um Dean zu schmelzen, welcher nur hastig ausweichen konnte, ohne Möglichkeit, sich der Fee zu nähern.

Nuri und Elli derweil wurden von den Wurzeln eingekreist.

"Elli?", fragte Nuri voller Angst, während sie sich immer noch an ihr fest hielt. "Was passiert jetzt?"

"Jetzt hole ich zum finalen Schlag aus", gab Elli grimmig zurück.

Zur guten Fee brüllte sie: "Was tun Sie gerade?"

"Euch zerquetschen wie Erbsen unter meinen Sohlen!", keifte sie zurück.

"Ist es das, was eine gute Fee tut?", fragte Elli weiter. "Noch dazu vor einem Kind?"

Die Bäume erstarrten nur Zentimeter von ihnen entfernt. Elli sah, wie die gute Fee in die Knie ging.

Erwischt …

"Du hast sie doch gar nicht angefasst", hielt Nuri verdutzt fest.

"Ich kann Leute mit Worten verprügeln, Nuri", gab Elli zurück. "Eine nützliche Fähigkeit für jede Frau auf der Welt."

Die Fee hyperventilierte derweil. Dean wusste offenbar nicht so recht, ob er ihr helfen oder Abstand halten sollte, gegeben wie seine Präsenz auf Feen wirkte.

"Lass sie, Dean", befahl Elli. "Sie führt gerade eine Selbst-Evaluation durch."

"Was ist eine Evlation?", fragte Nuri.

"Sie denkt gerade hart darüber nach, was sie getan hat", erklärte Elli, während sich Dean durch das starre Gestrüpp zu ihnen kämpfte. "Keine Sorge, ich glaube, sie wird als bessere Person aus dieser Grübelei hervorgehen."

"Sollten wir den anderen Feen Bescheid geben?", fragte Dean, der inzwischen angekommen war.

"Eh, die werden schon selber gemerkt haben, was hier los ist, immerhin was die blöde Kuh nicht gerade leise."

"Und jetzt?", fragte Nuri.

"Naja. Deine Eltern sind fort. Daran kann keine Macht im Kosmos was ändern. Aber ich will verdammt sein, wenn ich für dich nicht ein neues Zuhause finde."

Der Nexus öffnete sich in einem Bogen, den eine Wurzel geschlagen hatte, um sich wieder in die Erde zu bohren.


Sato war auf Knien zur Tür gerutscht und versuchte verzweifelt, sie zu öffnen. Aber sie war verschlossen. Irgendwer musste sie von außen abgesperrt haben.

"Paragraph 7 Zweiter Absatz", ertönte es seelenruhig hinter ihr. "Das Institut für Menschliche Weiterbildung und Entwicklung kann nicht haftbar gemacht werden, wenn es zum Verlust des Subjekts durch den Einfluss dritter Parteien kommt. Dieser Fall liegt nachweißlich vor. Wir haben alles auf Band."

Sato quiekte, als das Geschöpf, das sie mitgebracht hatte, um Voss dingfest zu machen, neben ihr gegen die Wand klatschte. Oder zumindest das, was nach der "Überaschungs-Vivisektion", die der Professor daran durchgeführt hatte, noch übrig war. Für Sato war es nur ein Haufen blutbesudeltes Fell, das da auf dem Boden aufschlug.

"Sehr schlampige Arbeit", kommentierte Voss trocken, während er auf Sato zutrat. "Hätten Sie uns mit der Entwicklung dieses Phänotyps betraut, ich hätte Ihnen ein besseres Ergebnis liefern können. Aber Sie wollen etwas, das nicht selbst denken kann, nicht wahr? Leichter zu kontrollieren mit Ihrem … Instrument … Sie versuchen, den Mensch zum Tier zu machen, um ihn zu zähmen."

Sein Mantel wies einige Kratzer auf, aber er selbst war unversehrt. Sato hatte versucht, die Flucht zu ergreifen, als der Professor nicht aus Zorn, sondern aus reiner Neugierde angefangen hatte, seinen Gegner zu sezieren, noch während dieser ihn angriff.

"So arbeiten wir hier beim IMBW nicht", fuhr er fort und hockte sich so vor Sato hin, dass er bedrohlich vor ihr aufragte. "Sie brauchen sich keine Sorgen machen, ich werde Sie nicht dabehalten. Sie haben kein Potential, das zu erforschen mir erstrebenswert erscheint. Im Gegenteil. Ich möchte, dass Sie eine Nachricht überbringen. Wir, das heißt, das IMBW, werden weiterhin Aufträge von Ihrer Organisation annehmen, aber Sie, Frau Sato, werden geblacklisted. Wir werden jedes Projekt ablehnen, unter dem ihr Name steht. Würden Sie das Marshall, Carter & Dark Ltd. bitte mitteilen?"

Das nächste Mal bei Nuri:
Die Fuchsjagd, Teil 1

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