Der Herold des Zerbrochenen, Teil 1

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Das letzte Mal bei Nexus:
Doppelt Gemoppelt, Teil 3

Olaf wischte sich den Schweiß von der Stirn. Der blondbärtige Wikinger saß jetzt seit dreißig Minuten hier drin und er merkte langsam, wie die Spannung von ihm abfiel. Der Jarl des Dorfes, Sven, ein riesiger Mann mit rotem, schütterem Haar, lehnte sich neben ihm zurück.

"Eine tolle Sache, äh, wie haben die das nochmal genannt?"

"Ich glaube sie nannten es Sau-na oder so, Jarl", gab Olaf zurück.

"Ich glaub, da haben wir einen guten Deal mit diesen Schotten gemacht. Wer hätte gedacht, dass die Blonde so gute Ideen hat. Da kann ich es auch verkraften, wenn wir mal nichts von unseren Raubzügen mitbringen. Helga wird dieses Ding lieben."

"Was machen wir jetzt mit ihnen?"

Sven überlegte.

"Naja, der Große hat Erik mit einem Schlag umgehauen, vielleicht können wir ihn auf unsere Raubzüge mitnehmen. Und die Blonde hat einen ziemlich hellen Kopf auf den Schultern. Mal sehen, was sie als nächstes erfindet. Sag mal, meinst du, dass ich sie mit Vilhelm vermählen könnte?"

"Ich glaube nicht, dass die irgendwer nimmt, Jarl", antwortete Olaf. "Sie ist doch dürr wie ein Ast, da hat man doch Angst, dass sie jeden Moment entzwei bricht.

"Hm …", machte Sven.

Die Tür zu dem kleinen Kabuff wurde aufgestoßen. Norbert kam in voller Montur in den Raum. Er schien bereits geschwitzt zu haben, bevor er die Sauna betreten hatte.

"Jarl, ich muss etwas berichten!"

"Werden wir angegriffen?", fragte Sven.

"Äh, nein, Jarl, die, äh, 'Beute' ist verschwunden."

Sven sprang auf.

"WAS!? Habt ihr nach ihnen gesucht?"

"Die Suche ist schon in vollem Gange, Dorfführer, aber wir haben keine Ahnung, wo sie hingegangen sind."

Sven runzelte die Stirn.

"Wie sind sie entkommen? Hat Karl sie rausgelassen?"

"Er schwört bei allen Göttern Asgards, dass er sich nicht von der Stelle gerührt hat, während er die Gefangenen bewachte und alle Riegel waren noch an der Stelle, an der wir sie eingelegt haben."

"Ich komme gleich und leite die Leute an. Olaf, du kommst auch mit."

Olaf seufzte.

"Äh, da ist noch was, Jarl", druckste Norbert herum.

"Was denn noch", blaffte Sven.

"Unser ganzes Bjórr1 ist verschwunden …"

"Das Bjórr ist weg!?", echote Sven völlig entgeistert.

Olaf seufzte erneut. Naja, wenigstens hatten sie jetzt die Sauna …

Ku langweilte sich.

Man konnte Chloes Leben in letzter Zeit definitiv nicht als eintönig beschreiben, aber wenn sie gerademal nicht den gesamten Kosmos bereiste und vor irgendwas weglief, ließ ihr Uhrwerkstagesablauf dem toten Gott die Haare zu Berge stehen.

Chloe kam so gut wie nie zu ihm. Sie verabscheute Ku. Er konnte es ihr nicht mal verübeln, wer verkumpelte sich schon mit dem Krebsgeschwür, das einen langsam aber sicher umbrachte.

Trotzdem fand er es schade. Er hätte sie vielleicht dazu anstacheln können, ihren Wunsch für was Gutes zu benutzen.

Ewiger Weltfrieden, die Vernichtung aller Krankheiten, die Erhebung der Menschheit zu einer intergalaktischen Zivilisation, die Unterwerfung selbst der mächtigsten Götter des Universums oder vielleicht sogar Multiversums, das alles war möglich. Immerhin, so wusste Ku aus Chloes Erinnerungen, war er einst ein Gott gewesen, der ein ganzes Universum entvölkert hatte.

Nichts desto trotz hatte Chloes Abwesenheit auch einen Vorteil, er konnte ungestört in ihren Erinnerungen schmökern, obwohl sie es ihm mehrfach verboten hatte. Was sollte denn passieren? Es war ja nicht so, dass er darüber twittern konnte.

Aber auch ein menschliches Gedächtnis hatte Grenzen. Chloes Leben las sich zu großen Teilen wie eine Tragödie und das so konstant, dass Ku es allmählich satt hatte.

Er wollte was anderes …

Die Gottesleiche schlenderte mit einem suchenden Blick durch die Bibliothek, die eine Metapher für Chloes Gedächtnis darstellte. Jedes Buch war ein anderer Teil ihres Lebens.

Er versuchte es heute in einem der unzugänglicheren, weil weiter vom Zentrum entfernten Flügel. Je weiter er vordrang, umso mehr würde er finden, das Chloe bewusst oder unbewusst unterdrückte, neben einem Haufen Informationen, die so selten gebraucht wurden, dass Chloes Geist sie ebenfalls so weit hinten einsortiert hatte.

Dort, im tiefsten Teil, fand Ku ein riesiges Buch, dass mit riesigen Ketten an ein Pult gekettet war. Es hatte keinerlei Titel und sein Einband war von solcher Schwärze, dass es alles Licht schluckte und beinahe zweidimensional wirkte.

Interessant.

Voller Experimentierfreude versuchte Ku die Ketten zu lösen, doch als er sie berührte, war es als erhielte er einen Fünfzigtausend-Volt-Stromschlag. Auf jeden Fall wurde er von weißen Blitzen ordentlich geröstet und fiel unkontrolliert zuckend zu Boden.

Es dauerte ein wenig, bis er sich verdutzt und immer noch qualmend wieder aufrichtete. Seine Haare standen in alle Richtungen ab.

Das hatte er noch nie erlebt. Er hatte zwar Mühe gehabt, Chloes künstlichen Filter zu entfernen2 aber das war nur schwer gewesen, nicht lebensgefährlich.

Mit noch mehr Neugier betrachtete er das Buch.

Chloe hatte dafür eine extradicke Schicht Verteidigungsmechanismen aufgetragen, genug um sogar etwas so mächtiges wie Ku aufzuhalten, unabhängig davon wie viel eigenen Willen und Kraft er ausüben konnte. Das war nichts, was eine normale Sterbliche einfach so tun konnte.

Tatsächlich hatte sich der Blitz irgendwie heilig angefühlt …

"Was ist es, das du sogar jetzt noch vor dir selbst versteckst, Chloe?", murmelte er.


"Deine Alkoholsucht ist eine Sache, Elli, aber du sollst das Bier gefälligst trinken und nicht darin baden!"

"Esch … esch ischt allesch in Ordnung, isch habsch auffehoben für schpäter."

"Och, wie eklig!"

Chloe hörte der Diskussion zwischen Dean und Elli mit einer hochgezogenen Augenbraue zu.

Sie hatte Elli auf ihr starkes Parfüm angesprochen, nur um herauszufinden, dass es nicht nur penetrant nach Bier roch, es war Bier.

Jetzt stand sie hier in Ellis Wohnstube, die groß genug war, um ein ganzes Haus darin unterzubringen und wartete darauf, dass die Herrin des Nexus reisefertig wurde.

"Warte kurz, Chloe …", bat Dean.

Er wollte nach Elli greifen doch sie torkelte nur kichernd zur Seite.

Dean gab einen genervten Ton von sich.

Und schlug Elli K.O.

Chloe kniff kurz die Augen zu, als Elli auf dem Boden aufschlug. Dean zerrte sie anschließend an den Füßen hinter sich her ins Badezimmer.

Ungefähr zwei Minuten später schien Elli wieder aufzuwachen.

"GYAAAAAH! Nich die Bürsche! Nich die Bürsche! NICH DIE BÜRSCHE! AAAH!"

"Jetzt halt still oder ich hole den Schwamm!"

Chloe schaute sich im Wohnzimmer um, während im Bad offenbar ein epischer Kampf auf Leben und Tod entbrannte.

Es war voll mit Möbelstücken und Dekorationsgegenständen aus allen Epochen der Welt und vermutlich denen einiger anderer Planeten. Ölgemälde und wertvoll aussehende antike Uhren befanden sich neben modernen Liegesesseln und einem Tisch, der im Prinzip nur eine Platte war, die in der Luft schwebte.

Überraschenderweise gab es nicht viele Fotos. Einige waren aufgestellt, die meisten davon Selfies oder Aufnahmen von einem wenig begeisterten Dean.

Und dann war da ein Bild, das in einem dezent verzierten Goldrahmen auf einem glänzenden Unterlegdeckchen auf einer Kommode stand, der wohl als eine Art Schrein für das Bild herhielt. Es zeigte Chloe, Elli und Dean von dem Shin-dan-su3.

Chloe begann sich zu fragen, wie Elli reagieren würde, wenn sie irgendwann starb. Mittlerweile war ein halbes Jahr vergangen, in sechs Monaten würde ihr Leben dank Ku enden. Sie spürte mittlerweile die Last auf ihrem Körper. Sie erschöpfte schneller und sie schlief länger. Und es wurde mit jedem Tag ein kleines bisschen schlimmer …

"Du bisch scho gemein, Dean!", jammerte Elli und riss Chloe damit jäh aus ihren Gedanken. "Gloe, schag ihm … schag Dean dascher ein … ein gansch miescher Freund isch, schag ihm dasch!"

Elli wimmerte todunglücklich und hielt nur mit Mühe die Tränen zurück, roch jetzt wieder anständig und Dean hatte es in der kurzen Zeit sogar hinbekommen, ihre Haare mit einer Spange hochzustecken.

Sie alle drei trugen antik anmutende Tuchkleidung, bis zum Boden reichende Gewänder, hier und da verziert mit Metallarbeiten wie Zahnrädern oder Nieten.

"Wo gehen wir jetzt eigentlich hin?", fragte Chloe.

"Heute getsch insch nisch mehr scho andike Grieschenland", erklärte Elli und öffnete vor ihnen den Nexus. "Wir bleiben schwar nur eine Schdune, abor da isch wasch gansch Coolesch, waschu schehen solscht."

Elli trat vor das Portal, Chloe tat es ihr gleich.

Während hinter ihnen Dean aus dem sich schließenden Nexus trat, gingen Chloe die Augen über.

"Isch scholte wohl präschieren", lallte Elli und wankte ein wenig. "Wir schind hier in Jarre fünschisch nach Chrischusch und nisch diregt in Grieschenland. Diss hier ischer Schdaststaat Amoni."

Chloe verstand, warum Elli ihr diese Stadt hatte zeigen wollen.

Sie strahlte regelrecht im Glanz der untergehenden Sonne. Sie war im für die Region und Zeit typischen Baustil gehalten, aber in ihr zeigte sich eine Vielzahl von Maschinen, Zahnrädern und Schloten, die angeordnet zu sein schienen um einen möglichst schönen Anblick zu bieten. Überall in der Stadt hämmerte und tickte es, zu einer Seite hin öffnete sich die Stadt in einen wunderschönen Hafen mit zahlreichen Schiffen und jenseits der Stadtmauer …

Chloe dachte erst, es wäre ein Turm, bis sie merkte, dass sich das Konstrukt bewegte. Im Prinzip war es ein neunzig Meter hoher, bronzener Turm, aber er hatte Arme, Beine und einen Kopf und wirkte damit wie ein etwas deformierter Mensch. Dampf quoll aus Schloten an seinem Rücken, während er gemächlich an der Stadtmauer entlangstampfte. Während Chloe sich umsah, entdeckte sie zwei weitere dieser Maschinen, die mit rhythmischem Stampfen und Zischen die Grenzen der Stadt abliefen.

"Dasch schind die Collosch- Uwah, die Colossi", bemühte sich Elli zu erklären, als sie Chloes Blick bemerkte. "Die mäschigsden Griegschmaschinen der Andige."

"Nüchter endlich aus, das ist doch fürchterlich, Mensch!", ereiferte sich Dean, während er die Straßen musterte. "Überraschend sauber hier. Offenbar haben die Mekhaniten hier die Putzmaschine erfunden."

"Was sind Mekhaniten?", fragte Chloe, die sich darunter erst einmal Roboteraliens vorstellte.

"Auschgeseischnede Fragge, Gloe", lallte Elli. "Die Megganitten-"

"Elli, das kann sich kein Mann anhören", unterbrach sie Dean genervt. "Pass auf, wir laufen los, ich erkläre und du hältst die Klappe, bis du deine Zunge wieder im Griff hast."

"Na gut …", schmollte Elli und setzte sich torkelnd in Bewegung.

Chloe und Dean folgten ihr.

"Die Mekhaniten", begann Dean sachlich, "Sind die Anhänger des Gottes Mekhane. Auch gern als Göttin bezeichnet, aber das hängt von der Zeit und dem Ort ab, an dem der Glauben existierte. Unabhängig davon wurde er oder sie aber immer 'der Zerbrochene', beziehungsweise 'die Zerbrochene' genannt."

Sie kamen in etwas, das wie eine Handwerkerstraße aussah. Überall wurde gehämmert und gebohrt und gebogen. Chloe fiel auf, dass vielen Menschen hier Körperteile fehlten. Sie waren mit bronzefarbenen Prothesen ersetzt worden. Elli neben ihr betrachtete die Prothesen mit einiger Verwirrung und blinzelte mehrfach, bis sie schließlich mit den Schultern zuckte und weiterlief.

"Mekhane war ein Maschinengott", erklärte Dean weiter. "Er hatte sich zerbrechen müssen, um seinen Gegenspieler und Geißel allen Lebens auf dieser Welt, Yaldabaoth, auf ewig in sich zu versiegeln. Die Mekhaniten verehren Mekhane aufgrund seines Opfers und versuchen infolgedessen, an seiner Statt einen neuen Gott zu bauen. Wie du siehst, haben sie es bis heute nicht gepackt, stattdessen wollen viele einfach so sein wie ihr Gott oder sie lassen ihn durch ihre Erfindungen weiterleben."

Einige Kinder rannten über die Straße, sie verfolgten etwas, das wie ein bronzener Metallhund aussah, allerdings besaß er keine Beine, sondern eine große Sprungfeder, mit der er über das Pflaster hüpfte. Auf seinem Rücken drehte sich ein Aufziehschlüssel.

Dean sprach unbeirrt weiter.

"Die Mekhaniten besaßen vor Jahrhunderten ein gewaltiges Reich. Allerdings waren sie im Streit mit ihrem Nachbarn im Osten, dem Staat Adí-üm, der dem Hohepriester Yaldabaoths, dem Großen Karzist Ion, unterstand. Letzten Endes kam es zu einem gewaltigen Krieg zwischen den beiden. Adí-üm fiel und das Mekhanitische Imperium, geschwächt von diesem Kampf, zerbrach. Viele Mekhaniten haben danach versucht, anderswo eine neue Heimat aufzubauen, aber alles, was vom Imperium noch übrig ist, ist hier in Amoni."

"Warum habe ich davon noch nie gehört?", fragte Chloe, während sie eine Reihe an Schwertern betrachtete, die vor einem Laden feilgeboten wurden.

"In deiner Zeit und bereits davor gab es viele, die der Meinung sind, dass die von den Mekhaniten gewonnenen Erkenntnisse über Metallurgie und die Ingenieurskunst zu gefährlich sind, um die Welt davon wissen zu lassen. Du hast die Collossi gesehen, die sind ein gutes Beispiel. Stell dir vor, was diese Dinger anrichten könnten, wenn die moderne Kriegsführung und Technologie deiner Zeit ins Spiel kommt. Der Collossus wäre wesentlich kleiner, aber auch viel verheerender. Bereits jetzt reicht ein Collossus, um ein ganzes Heer niederzumähen."

Sie waren nun einige Höhenmeter tiefer, doch der Oberkörper eines Collossus war über die Häuser hinweg noch immer zu erkennen. Chloe betrachtete ihn erneut.

"Wie funktionieren diese Dinger?", fragte sie dann. "Dieser Körper muss doch extrem schwer sein."

"Ich habe mich dazu etwas belesen", erklärte Dean. "Offenbar laufen diese Maschinen durch einen Naturreaktor, einem großen Klumpen Uran, in dem von sich aus eine Kernspaltung eingesetzt hat und durch seine Hitze die Hydraulik antreibt. Im Inneren der Collossi sitzen zudem sechs Piloten, um ihn zu steuern. Sie sind bereits zeitlebens Helden, weil sie durch die Strahlung des Reaktors einen Teil ihrer Lebenszeit opfern, um den Collossus zu steuern. Ich nehme an, mit denen die da draußen gerade rumlaufen werden neue Piloten ausgebildet."

"Heudde gibz übrigenz was ganz bessonderez", meldete sich Elli zu Wort.

Sie klang schon etwas weniger abgeschossen.

"Heudde findet nämmlich der Siegeztagg statt, einen nazionaler Feirtagg."

"Feiertag?", fragte Chloe "Aber die Leute hier arbeiten doch alle."

Sie deutete auf all die Menschen, die sich mit voller Konzentration ihren Metallarbeiten widmeten.

"Für dich ist es arbeiten", sagte Dean. "Für sie ist es Ehrerbietung gegenüber Mekhane. Nicht alle machen das, aber viele. Heute findet zu Ehren des Sieges über Adí-üm eine Feier statt, darum sind die Leute an diesem Tag extra-religiös."

"Un ezz geht bald lozz", merkte Elli an.


Der Meisterbauer Eunasses stieg unruhig von seinem Bein auf seine bronzene Prothese und zurück. Er trug ein mit Metall verziertes, braunes Zerimoniegewand und war schon den ganzen Tag damit beschäftigt, Bedienstete und Arbeiter zur Vorbereitung des Siegesfestes herumzuscheuchen. Sein fortgeschrittenes Alter hatte ihm bereits eine Halbglatze und einen grauen Rauschebart beschert, aber der Stress vertiefte seine Falten nur noch und raubte ihm mehr und mehr seinen Haarschopf.

Im Moment stand er vor Amonis Hauptfertigungshalle, gleichzeitig der zentrale Tempel für Mekhane. Es war eine gewaltige Halle aus grauem Stein, verziert mit Metallarbeiten, die die heiligen Texte wiedergaben. Der Tempel war groß genug, um sogar Collossi darin zu fertigen.

Amoni hatte es nicht leicht, dieser Tage. Aus dem Südosten drängte der verruchte Glaube der Hebräer herauf und die Mekhane-Gläubigen außerhalb der Stadt wurden immer weniger. Das Fest musste ein Erfolg werden, sonst drohte auch in Amoni das Geschwür des Unglaubens und der Ketzerei zu erblühen. Als Folge würde Amonis hochgepriesene Ingenieurskunst verkommen und die letzten Reste des Mekhanitischen Imperiums von der Landkarte gefegt, wie einst Adytum.

Das tiefe Schaben von Metall auf Metall wurde hinter ihm hörbar. Einer der drei Apparati stand hinter ihm, Orthos, wie Eunasses erkannte.

Orthos war, wie alle drei Apparati, kein Mensch. Er war eine göttliche Maschine, erbaut von ihm. Er bestand aus Bronze und wirkte wie ein vollständig gepanzerter Krieger. Sein Gesicht war eine Maske, den idealen Zügen eines Menschen nachempfunden. In den Augen befanden sich zwei schwarze Löcher.

"Meisterbauer Eunasses, seine Heiligkeit verlangt nach Euch", meldete er mit einer metallisch sirrenden Stimme.

Eunasses folgte ihm seufzend.

Im Inneren des Tempels herrschte rege Betriebsamkeit. Metall wurde wärmebehandelt, in Form gebracht und zu einem Ganzen zusammengefügt. Vor einer der neuesten Errungenschaften Amonis stand er.

Keiner wusste, wie er wirklich hieß und ob er überhaupt einen richtigen Namen hatte. Alles, was die Mekhaniten über ihn mit Sicherheit sagen konnten war: Er war der Herold der Zerbrochenen.

Der Mann trug ein schlichtes schwarzes Gewand, das seine Füße verbarg. Sein Gesicht war hinter einer Maske aus Bronze verborgen, die ebenfalls das Antlitz eines perfekten Menschen zeigte. Zahnräder drehten sich daran ohne sichtbare Antriebsquelle.

Er war vor ungefähr zehn Jahren nach Amoni gekommen. Er hatte als einfacher Ingenieur begonnen, doch erschuf fast im Wochentakt neue Wunder. Er sagte, dass Mekhane selbst ihm die Schemata seiner Erfindungen vorlegte, auf dass er sie in die Wirklichkeit umsetze, wie es Ingenieure nun mal tun.

Als er schließlich den ersten Apparatus baute, war den Herren Amonis klar: Dieser Mann war von ihrem Gott gesandt worden.

Doch selbst seine Schöpfungen waren nicht unfehlbar …

"Ihr habt nach mir rufen lassen, Eure Heiligkeit?", fragte der Meisterbauer dienstbeflissen.
"Allerdings, Eunasses", sagte der Heilige.

Seine Stimme war kalt und effizient wie eine Maschine.

"Wie kommen unsere Vorbereitungen voran?"

Eunasses zuckte mit den Schultern.

"Wir machen gerade noch den letzten Feinschliff, ich schätze mal in einigen Minuten ist alles fertig."

"Ausgezeichnet", kommentierte der Herold. "Sag mir, Meisterbauer, glaubst du an die Macht der Maschinen, die ich mit Seinen Schemata erschaffe?"

Eunasses verzog das Gesicht.

"Wenn ich ehrlich bin, Eure Heiligkeit, ich habe begonnen zu zweifeln", sagte er dann. "Nach dem Fiasko mit Sophia muss ich mich fragen, ob es wahrhaft Sein Wille ist, den wir durch die Apparati empfangen. Und zumindest Meisterbauer Demetrius von Ephesos stimmt mir da zu, er hat einen Boten geschickt."

"Sophia war, soweit ich weiß, nach Ephesos unterwegs. Hat Demetrius mit ihr gesprochen?", fragte der Heilige ruhig.

"Das hat er", bestätigte Eunasses. "Danach hat er sie einschmelzen und Mekhane opfern lassen."

"Ich verstehe. Du glaubst also, dass meine Schöpfungen nicht dem göttlichen Anspruch genügen, da sie von der Hexerei der Hebräer in die Irre geführt werden können. Ist das korrekt?"

Eunasses suchte nach den passenden Worten und beschloss schließlich, stumm zu nicken.

"Dann werde ich deinen Glauben erneuern. Denn heute wird Ultra enthüllt. Und mit ihm werden wir unseren heiligen Krieg gegen die Hebräer führen, wie wir es einst gegen Adytum und den Verräter Ion taten …"

Eunasses blickte teilweise skeptisch und teilweise hoffend zu dem Konstrukt hinter dem Herold empor.

Das nächste Mal bei Nexus:
Der Herold des Zerbrochenen, Teil 2

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