Doppelt Gemoppelt, Teil 3

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Das letzte Mal bei Nexus:
Doppelt Gemoppelt, Teil 2

Chloe hasste es, wenn Dean sie unter dem Arm trug. Sicher, sie waren wesentlich schneller, aber erstens war es total entwürdigend und zweitens taten ihr von dem Geruckel hinterher ständig alle Knochen weh.

Der Nun-Di, der sich wahrscheinlich nur hatte packen lassen, weil er Chloes Vorbild gefolgt und keinen Widerstand geleistet hatte, schien an der Situation mehr Spaß zu haben.

"Nuuuuh!", machte er.

Sei du froh, dass du kein Skelett hast, dachte sich Chloe finster …

Sie hatte keine Ahnung, wie diese beiden Wächter sofort auf ihre Spur gekommen waren. Fakt war nur, dass sie verfolgt wurden. Dean, so wusste Chloe, hätte einen einfach umnieten können, aber die Gefahr bestand, dass derweil Chloe oder der Nun-Di zu Schaden kamen.

Vor ihnen kam das Meer in Sicht.

Chloe warf einen Blick hinter sich. Wo war der Kleine? Der Große verfolgte sie noch immer keuchend.

Irgendwas sprang von einem Hausdach auf Dean und versuchte mit mäßigem Erfolg, ihm den Kopf von den Schultern zu schrauben. Jedoch schaffte es das etwas, der kleine Soldat, Dean aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er rollte sich noch im Fall zusammen und schloss dabei Chloe und den Nun-Di in sich ein, damit sie beim Aufprall weniger Schaden nahmen, als Dean über die Straße kugelte. Die Rollpartie endete knapp vor den Waren eines Keramikhändlers, der daraufhin die angehaltene Luft erleichtert entweichen ließ.

Der kleine Wächter, der durch sein geringeres Trägheitsmoment bereits vorher zum Liegen gekommen war, stand mühsam auf, während der Große an ihm vorbei joggte.

Dean hatte wesentlich weniger Probleme beim Aufstehen und holte bereits mit der Faust aus.
Zu seinem Unglück konnte der Große Judo …

Dean flog im hohen Bogen durch die Luft und drückte bei seinem Aufprall den Boden ein.

Ohne einen Ton von sich zu geben, erhob sich Dean wieder, nur damit ihm der Kleine mit dem Schwert gegen das Knie schlug.

Es prallte mit einem lauten "Ping!" ab.

Dean kickte seinen verdutzten Angreifer genervt zur Seite, um wieder zu Chloe zu gelangen. Die war zusammen mit dem Nun-Di, der ihr folgte wie ein Schoßhündchen, unter den Tisch des Keramikverkäufers gekrochen, um den grapschenden Händen des großen Wächters zu entgehen.

"Hey, weg von meiner Ware!", erboste sich der Händler und versuchte, Chloe wieder hervorzuscheuchen.

Sie ignorierte seine Tritte und krabbelte bis zum Ende des Tisches, wo sie mit einem beherzten Griff den Nun-Di mit sich zog, um das Meer zu erreichen. Seine Haut fühlte sich zum Glück weder glitschig noch feucht, sondern wie ihre eigene an.

Der große Wächter setzte ihnen nach, doch Dean packte ihn von hinten an der Gurgel und zog ihn über sein gestelltes Bein nach hinten.

Bevor sich Dean allerdings in Bewegung setzen konnte, bekam der Wächter seinen Fuß zu fassen und verdrehte ihn.

Normale Menschen hätte das zu Fall gebracht, aber Dean hielt sich aufrecht. Erst als ihm der Kleine mit gehässigem Gelächter das andere Bein unter dem Körper wegzog, setzte Dean in einem unfreiwilligen Spagat auf dem Boden auf.

Mehr bekam Chloe nicht mehr mit, denn sie beeilte sich, den Ozean zu erreichen.

"Bleibt gefälligst stehen, ihr Rotzgören!", hörte sie den Kleinen hinter sich rufen.

Vor ihnen tat sich die Hafenanlage auf.

Chloe und ihr Doppelgänger polterten eine Treppe hinunter und erreichten den Teil des Hafens, der größtenteils aus Holz bestand.

Ihr Verfolger warf sich von hinten gegen den Nun-Di und stieß ihn zu Boden. Der aber biss ihm sofort in den Arm, was zu einigen schmerzerfüllten Schreien führte, bevor der Wächter auf die Idee kam loszulassen, woraufhin sein Ziel wieder Chloe folgte.

Chloe derweil kam an der Stegkante zu stehen und schaute kurz auf das grüne Hafenwasser bevor sie sich umdrehte. Der Nun-Di stürzte ihr entgegen.

Und wurde vom geworfenen Schwert des offensichtlich wutentbrannten Wächters überholt …

Chloe konnte nur stocksteif auf die sich ihr nähernde Waffe starren, während die Welt um sie herum nur noch in Zeitlupe zu laufen schien.

Die Waffe traf Chloe an der Nasenwurzel.

Mit dem Griff zuerst.

Chloes Kopf wurde nach hinten gerissen und sie versuchte halb bewusstlos, ihr Gleichgewicht wiederzufinden.

Dann prallte der Nun-Di gegen sie und rammte sie beide vom Steg.

Das Wasser war angenehm warm und holte Chloe wieder zurück aus der Bewusstlosigkeit. Vom Nun-Di fehlte jede Spur.

Chloe wollte schwimmen, aber irgendwas verhakte sich in ihrem Gewand.

Und zog sie nach oben.

Als sie die Wasseroberfläche durchbrach, sah sie auch, was sie erwischt hatte. Der Wächter hatte sich eine herumliegende Stange mit einem Haken dran besorgt, die eigentlich dazu benutzt wurde um Boote an den Steg zu ziehen und damit eine Angel improvisiert. Der Zorn verlieh ihm offenbar Bärenkräfte, denn Chloe flog im hohen Bogen aus dem Wasser und landete hart auf dem Holz des Stegs.

Sie keuchte. Wie überstand Dean sowas nur …

Schwer schnaufend trat der Wächter auf sie zu. Chloe entschied sich für die einzige Aktion, die nicht dazu führen würde, dass man sie sofort erwürgte.

"Rrrrrrrrr!"


"Li, jetzt hör mir doch mal zu, es ist absolut dämlich!", ereiferte sich Elli, bevor dieses seltsame Ruhefeld sie wieder in einen ausgeglichenen Gemütszustand zwang.

Vermutlich war es das, was ihren Nexus blockierte. Es betraf nicht nur Emotionen.

Zwei Wächter schleiften sie hinter Hè und Mang her, während sie durch das Haus wanderten.

"Unsere Vorfahren haben Berichte zu diesen Wesen verfasst, wollen Sie etwa sagen, unsere Ahnen lügen?", antwortete Hé mit der Gelassenheit eines Marihuanakonsumenten.

"Ich will sagen, dass Sie da vielleicht was missverstanden haben", korrigierte ihn Elli. "Sie sind doch ein Mann der Wissenschaft, hinterfragen Sie solche Dinge!"

"Um es zu hinterfragen, muss ich den Nun-Di hinterfragen", kam es zurück. "Den, dem Sie zur Flucht verholfen haben."

"Ich glaube als Unsterbliche hängt sie zu weit in der Vergangenheit", argwöhnte die Konkubine.

Red dir das nur ein, du falsche Schlange, dachte sich Elli. Dabei war es dieses "unzeitgenössische" Denken, dass es ihr erst ermöglicht hatte, Li Mang den Status zu erlangen zu lassen, den sie heute bekleidete. Wie hatte sich Elli nur so in ihr täuschen können?

Weil du schlampig gewesen bist, meinte der Teil ihrer Selbst, den Elli sofort wieder in den Alkohol zurückdrückte, wo sie ihn haben wollte.

"Sollten wir vielleicht lieber schauen, ob ihre Unsterblichkeit weitergegeben werden kann?", fragte Li den Gelehrten gerade.

"Das wird nicht nötig sein", entgegnete der, während sie endlich eine Kammer betraten, in der wohl Hés Gepäck verwahrt wurde.

Er trat zu einer großen Truhe und holte ein langes Etui hervor.

"Wir können einen Neuen fangen, immerhin haben wir noch das hier."

Er öffnete das Behältnis. Zum Vorschein kam eine Flöte. Sie schien aus tiefblauem Kristall zu bestehen. Das Licht brach sich daran wie an Meereswellen. Elli kannte diesen Gegenstand.

"Moment mal, die sollte eigentlich auf einer Insel im Pazifik versteckt sein!"

"War sie auch", bestätigte Mang erstaunt. "Nachdem wir in alten Aufzeichnungen unserer Seefahrer von diesem Schatz erfahren haben, mussten wir einiges an menschlichen Ressourcen aufwenden, denn unsere Schiffe gingen ständig verschollen, wenn sie zu der Insel aufgebrochen sind. Fast hätte uns der Kaiser die Mittel gestrichen. Zum Glück kam Käpt'n Ping noch rechtzeitig mit diesem Instrument zurück."

"Sie wissen, was das ist?", fragte Hé.

"Ja, die Meeresflöte, geschaffen von der vergessenen Inselgöttin Malulilu, um ihre Schöpfungen zu erheitern."

Hé runzelte die Stirn.

"Wieder was gelernt. Woher wissen Sie das?"

"Ich komm viel rum. Mit dieser Flöte lässt sich jede Kreatur des Meers herbeirufen, wenn man die richtige Melodie spielt. Woher kannten Sie die für die Nun-Dis?"

"Ausprobieren", war die kurze Antwort. "Wir haben einige mutige Männer an die Dinge verloren, die in den Tiefen lauern. Aber wir haben nun eine Geheimwaffe für die Portugiesen und die Holländer, also ist es die paar dutzend Männer wert."

"Sie widern mich an", spie Elli voller Ekel.

"Gleichfalls", kam es unbekümmert zurück.

"Die Nacht bricht bald herein und wir haben einen guten Mond. Das ist die perfekte Gelegenheit", meinte Mang.

"Allerdings"; bestätigte Hé. "Männer, sperrt dieses verlogene-"

"NEIN!", donnerte die Konkubine.

Hé maß sie mit mildem Erstaunen.

"Es tut mir leid, hochverehrter Hé, aber Ihr kennt diese Frau nicht. Ich will, dass sie immer da ist wo ich sie sehen kann."

Der Gelehrte zuckte mit den Schultern.

"Meinetwegen, Männer, auf zur Bucht."


Zhèng, mit dem gefesselten Nun-Di auf der Schulter, war fast an der Mang-Residenz angekommen, als Wu ihn einholte.

"Wu!", rief Zhèng. "Alles in Ordnung mit dir? Wo ist der Ausländer?"

"Alles okay, nur blaue Flecken", beschwichtigte der große Wächter. "Nach einer Weile hatte sich die Stadtwache eingeschaltet. Nachdem ich ihnen gesagt habe, dass er ein Dieb sei, haben sie mich gehen lassen."

"Gar nicht mal so schlecht", lobte Zhèng. "Haben sie ihn eingesperrt?"

"Vermutlich, aber sie haben Verstärkung geholt als ich weg bin. Der Mann hat drei Männer umgeboxt."

Zhèng erinnerte sich mit Unbehagen an den Moment, als er versucht hatte, diesem Riesen das Bein abzuhacken …

"Ist er das?", fragte Wu ehrfurchtsvoll mit Blick auf den Nun-Di.

Zhèng presste den Fang etwas fester an seiner Schulter, was dieser mit einem lauten "Riiih!" quittierte.

"Boah", machte Wu.

Sie erreichten das Mang-Anwesen genau in dem Moment, als eine Prozession aus zehn Wächtern, Min, Hé, einer Ausländerin die der Wächter nicht kannte und der kaiserlichen Konkubine selbst gerade aus dem Tor herausschritten. Hé gebot ihnen allen, anzuhalten.

Zhèng bemerkte mit Unbehagen, wie ihn die Ruhe überkam …

"Zhèng, Wu", begrüßte sie der Gelehrte mit einem aufgesetzten Lächeln.

"Ehrenwerter Hé, ich grüße euch!", erwiderte Zhèng.

"Ich auch", setzte Wu nach.

"Was wollt ihr?", fragte Hé. "Wir sind gerade ein wenig beschäftigt.

"Äh, Herr?", fragte Zhèng vorsichtig. "Ihr habt uns auf die Suche nach dem Nun-Di geschickt. Erinnert Ihr euch nicht?"

"Oh doch", sagte der Gelehrte unbeeindruckt. "Und ihr wollt mir erzählen, ihr zwei Schwachköpfe habt es geschafft, einen Gestaltwandler einzufangen?"

"Herr?"

"Mädchen, sprich oder ich werde dich auf der Stelle enthaupten lassen."

Die Ausländerin meldete sich mit jenem Zorn zu Wort, der sich nur deshalb nicht Bahn bricht, weil er mit aller Macht niedergehalten wird.

"Töte sie, und ich werde dafür sorgen, dass Ihr euch wünscht Ihr könntet sterben."

"Ihnen ist bewusst, dass Sie im Moment keine wirksamen Drohungen aussprechen können, oder?", fragte Hé.

Dann rutschte Zhèng das Herz in die Hose, als der Nun-Di plötzlich sagte: "Lass gut sein, Elli."

Er machte ein paar Mal den Mund auf und zu wie ein Fisch, der nach Luft schnappte.

Hé maß ihn mit seiner üblichen mordlustigen Gelassenheit.

"Nachdem ihr zwei so phänomenal versagt habt, werde ich wohl-"

"Warte", mischte sich Mang ein. "Das ist eigentlich genau das, was ich brauche …"

"Wofür?", fragte die Ausländerin.

"Als Sicherheit gegen dich, Elli."

Zhèng fühlte förmlich, wie sich die Luft unmerklich abkühlte, als in der Blondine für einen Moment purer, eiskalter Hass aufflammte, den nichtmal Hés verfluchte Balanceaura ersticken konnte.

"Krümme ihr auch nur ein Haar … Schau was passiert …"

Mang lächelte nur.

"Elli, das Spiel kann ich auch. Du wirst nicht aus der Reihe tanzen, denn egal ob du frei kommst oder nicht, sie ist trotzdem tot wenn du es tust. Gute Arbeit, ihr beiden."

Zhèng ließ die angestaute Luft entweichen. Der Gelehrte hob mahnend einen Finger.

"Äh, hochgeehrte Lady Mang?", begann er, wurde aber unterbrochen.

"Ruhe, Hé, die Umstände mögen anders sein, aber die beiden haben mir einen guten Dienst erwiesen. Selbst wenn du sie rauswirfst, ich werde ihnen Arbeit geben."

Zhèng und Wu sagten nichts, verbeugten sich aber, um Dankbarkeit auszudrücken. Das Mädchen klatschte dabei mit dem Rücken zuerst auf den Boden.

"Gut, und jetzt setz ihr das Messer an die Kehle und zögere nicht, sie durchzuschneiden wenn unsere Freundin hier zu entkommen versucht."

Besagte "Freundin" hatte einen nachdenklichen Gesichtsausdruck aufgesetzt.

"Wo ist eigentlich der Große?", fragte sie.

"Den hat die Wache in Gewahrsam", erklärte Wu.

"Ihr habt ihm Chloe weggenommen und ihn allein zurückgelassen?", schloss die Ausländerin und biss sich auf die Lippen. "Ich nehme an, keiner von euch hat je Terminator gesehen, oder?"

"Ich nicht", meldete sich Chloe.

"Was? Nicht mal du? Das ist ein Klassiker!"

"Der Film ist ab 16, Elli!"

"Das ist keine Entschuldigung!"


Cai und Aang standen still und relativ verdutzt in der Wache. Die beiden Wächter hatten gerade Dienst, als sie ein wiederholtes lautes Krachen gehört hatten.

Jetzt standen sie vor einer der Gefangenenzellen.

Sie enthielt keinen Gefangenen mehr. Der hatte nämlich die Tür mitsamt Schloss aus der Wand gebrochen.

Und sie anschließend benutzt, um die anwesenden Wächter K.O. zu schlagen …

Die Reste langen verbogen in einer Ecke, von überall kam lautes Gestöhne, als die Männer langsam wieder zur Besinnung kamen. Einige bluteten und definitiv alle hatten blaue Flecken.

Von dem Gefangenen aber fehlte jede Spur. Ebenso fehlte auch das Gitter eines Fensters im hinteren Teil des Gangs.

Aang leckte sich vorsichtig die Lippen.

"Sollten wir nicht die Verfolgung aufnehmen?"

Er sah Cai an. Der sah mit ausdrucksloser Miene zuerst ihn, dann die am Boden liegenden Wachen und dann wieder Aang an. Er schüttelte langsam, aber bestimmt den Kopf.


Die Wellen schwappten leise gegen die Felsen. Um Elli herum erstreckten sich mannshohe Klippen. Doch trotz der kargen Felsen hatten Gras und sogar robust wirkende Bäume darauf Fuß gefasst.

"Mir kommt da eine gute Idee", meldete Mang an und deute auf eine der Wachen. "Du da, nimm das kleine Mädchen und hänge es an einen Ast über dem Wasser, sodass sie über der Oberfläche baumelt. Dann stelle dich mit gezogenem Schwert daneben."

Besagter Wachmann kam dem Befehl sofort nach, Chloe versuchte sich mit einem erstickten Quieken dagegen zu wehren, aber es war sinnlos.

"Hé?", fragte die Konkubine weiter. "Was hältst du davon, wenn wir ein paar … du weißt schon …"

Der Gelehrte schaute kurz auf die in der Aufhängung befindliche Chloe, bevor bei ihm der Groschen fiel.

"Ah, das meint ihr. Mir ist das egal. Min, die Flöte."

Die Dienerin reichte ihrem Herrn die Meeresflöte. Er spielte eine kleine Melodie darauf.

Dann passierte eine Weile lang nichts.

Dann schliefen Chloe, mittlerweile so verschnürt, dass sie nur noch mit den Beinen strampeln konnte, und auch Elli die Gesichtszüge ein. Unter Chloe zog nun eine dreieckige Rückenflosse ihre Kreise …

Mang antizipierte Ellis Frage.

"Ein Tigerhai, Elli. Erwachsene greifen sie normalerweise nicht an, aber Chloe ist ziemlich klein für ihr Alter und der hier scheinen Hunger zu haben … Wächter, wenn die Blondine auch nur eine falsche Bewegung macht, schneide das Seil durch!"

Der Wächter nickte, wenn auch erst nach einigem Zögern und nur widerstrebend.

"Du willst Chloe den Haien zum Fraß vorwerfen?", fuhr Elli auf. "Li, das ist krank!"

"Es ist absolut grausam, ich weiß", bestätigte die Konkubine unbekümmert. "Aber genau das sorgt dafür, dass du die Füße stillhältst. Und es hält mir deinen Gorilla vom Leib, sollte der hier aufkreuzen. Tu nichts was uns beiden schlaflose Nächte bereiten würde …"

Elli überlegte angestrengt, während der Gelehrte eine weitere Melodie spielte und einige Männer Netze vorbereiteten. Es war nicht einfach, denn dieses Ruhefeld entschleunigte ihre Gedanken erheblich. Vermutlich war es auf die Denkgeschwindigkeit normaler Menschen geeicht …

Dean hatte sich bestimmt bereits befreit, aber woher sollte er wissen, wo sie waren? Li war sicher umsichtig genug, ihre Wachen nicht zu informieren.

Konnte der Nun-Di helfen? Chloe und Dean schienen ihre Mission abgeschlossen zu haben. Aber sie wusste nicht viel über diese Wesen, weil sie nie jemand hatte hautnah studieren können. Aber vielleicht lockte er die Haie zu sich oder attackierte sie umgekehrt …

Moment … Hai-Angriffe … Sie erinnerte sich das, was ihr ihr Ausbilder damals beim SPC-Seminar beigebracht hatte …

Elli rammte ihrem Bewacher den Hinterkopf ins Gesicht und trat ihm mit aller Macht auf die Füße. Er war tatsächlich verdutzt genug, um sie loszulassen.

"BONSAAAAAIIIIII!", brüllte sie und rannte zu Chloe.

Der Wächter neben Chloe schien tatsächlich mit sich zu ringen, aber seine Angst vor Mangs Zorn schien schließlich über seine Moral zu obsiegen. Er schnitt das Seil durch …

Chloe fiel wie ein Stein ins Wasser.

Sie kam sofort wieder nach oben und hielt sich mit Leibeskräften über Wasser. Daher bemerkte sie den Hai hinter ihr gar nicht, der gemächlich heranschwamm und sein Maul öffnete.

Nur damit Elli, Ehrenpugilistin des Shark Punching Centers, ihre Faust in seiner Schnauze versenkte.
Sie hatte leider bei Weitem nicht die Armmuskeln einen professionellen Haiprüglers, machte das allerdings wett, indem sich mit einem Hechtsprung in die Fluten sprang und ihrer Faust die Wucht ihres Aufpralls hinzufügte.

Die Schnauze eines Hais ist neben seinen Kiemen einer seiner Schwachpunkte, da dort viele Sensororgane zusammenlaufen.

Leider gilt Ähnliches für die Finger von Menschen …

Elli war sich zwar sicher, dass sie sich nichts gebrochen hatte, aber sie fühlte sich, als hätte sie auf eine Betonwand eingeschlagen. Noch dazu hatte die Haut des Hais ihre Fingerrücken aufgeschürft, die Wunden brannten im Salzwasser. Ihr ganzer Arm war taub und bewegte sich nur mit großer Anstrengung. Sie würde einen solchen Stunt nicht noch einmal hinbekommen.

Der Hai schien glücklicherweise ausreichend in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein, denn er war abgetaucht und kam nicht wieder hoch.

Elli klatschte neben Chloe ins Wasser und kam prustend und vor Schmerz stöhnend wieder hoch.
"Schwimm, Chloe!"

Die Idee war, vor Mang auf dem Seeweg zu fliehen, denn die Klippen waren zu unwegsam, um sie direkt zu verfolgen.

Daraus wurde allerdings nichts. Chloe kam mit ihren Füßen allein gerade mal fünf Meter weit bevor sie am Kragen gepackt und aus dem Wasser gezogen wurde.

"Lass mich los!", rief sie.

Elli brauchte einen Moment um den Anblick zu verarbeiten.

Sie waren weit genug herausgeschwommen, sodass kein menschlicher Arm sie vom Land aus erreichen konnte. Hé störte das allerdings nicht.

Mit flinker Beinarbeit balancierte er auf den Wellen. Der Mann lief quasi auf dem Wasser. Richtig angewendet schien sein Balancefeld sogar Gleichgewichte zwischen wirkenden Kräften herzustellen.

Elli schwamm ihm hinterher so schnell sie konnte aber ihr Arm bremste sie so stark ab, dass sie am Ufer nur auf eine Reihe Schwertklingen starrte.

Starke Arme zogen sie aus dem Wasser und warfen sie vor Mang auf den Boden.

"Ich hätte nie gedacht, dass ich mal sehe, wie ein Mensch einen Hai verprügelt", sagte Mang und riss dem Gelehrten unsanft die Geisel aus den Händen.

Elli sah erschrocken zu ihr hoch. Und dann noch etwas weiter nach oben …

Mang zog ihr Messer.

"Ich werde sie nicht töten, Elli", versprach sie ruhig. "Aber für diesen Schrecken werde ich mir eines ihrer Beine nehm-"

Sie bemerkte wohl, dass Elli die Kinnlade runtergeklappt war. Und das nicht wegen Mang, sondern wegen dem, was sich hinter ihr befand.

Salzwasser begann auf die Konkubine zu tropfen, während die Wächter anfingen laut durcheinanderzurufen und sich vom Wasser zurückzogen. Hé stand direkt hinter ihnen und hielt den Wächter Zhèng vor sich wie einen Schild. Min stand etwas abseits, nicht minder verblüfft.

Die Konkubine kam endlich auf die Idee sich umzudrehen und nach oben zu schauen.

Sie schaute auf den Kopf eines Nun-Dis.

Er war ungefähr so groß wie ein Ochsenkarren …

Elli begann unsicher zu lächeln, als sie sagte:"Heeeeeere's MOMMY!"

Der gigantische Nun-Di fauchte bedrohlich.

"Rriiiiih!", kam es wesentlich weniger furchteinflößend von dem Punkt, an dem sein langer Hals im Wasser verschwand. Eine zweite Chloe stemmte sich dort aus dem Wasser.

Mang war offenbar zur Salzsäule erstarrt.

Die Nun-Di-Mutter holte tief Luft …

"GROOOOOUUUUH!"

Es war ein so markerschütterndes Brüllen, dass Elli zu vibrieren begann.

Mang begann zu schreien, stieß Chloe von sich und versuchte wegzulaufen.

Sie kam nicht weit.

Der Kopf des Nun-Di schnellte vor, sein Maul öffnete sich, packte die kaiserliche Konkubine und warf sie hoch in die Luft.

Immer noch schreiend fiel Li Mang in den geöffneten Schlund der Meereskreatur. Ihr Kreischen brach abrupt ab, als sich die Kiefer mit Urgewalt schlossen.

Der Nun-Di wandte sich Elli zu und knurrte.

Sein Sprössling derweil zernagte Chloes Fesseln mit durchwachsenem Erfolg. Ohne die Mutter aus den Augen zu lassen, näherte sich Elli dem Mädchen und tastete nach dem Knoten.

Mit nur einem richtig funktionierenden Arm war es schwierig, das Seil zu entknoten, aber die Mutter schien sie gewähren zu lassen, sodass Elli es riskierte, den Blick von ihr abzuwenden.

Schließlich kam Chloe frei.

Sie richtete sich schwankend auf, die Augen starr auf den riesigen Nun-Di gerichtet, der sie prüfend beäugte. Elli befürchtete halb, dass auch er sie als Artgenossen ansehen und unabsichtlich ertränken würde.

Doch die Mutter war wie gehofft schlauer als das Kind, sie machte ein tiefes, wummerndes Geräusch und schubste ihren verwirrt dreinblickenden Nachkommen zurück ins Wasser.

"Rururara!" kam es von dort.

Der Nun-Di stoppte mitten in der Bewegung, nahm die Männer ins Visier, die sich ob dieses unglaublichen Schauspiels nicht von der Stelle gerührt hatten und fauchte wieder.

Großes Geschrei kam von den Männern als der Kopf plötzlich vorschnellte.

Doch so gigantisch der Nun-Di auch war, er erreichte seine Opfer nicht.

"Keine Angst, Männer!", sagte Hé mit neuem Mut. "Ich werde diese Bestie beruhigen."

Elli sah, wie er eine Jadekugel aus dem Ärmel holte und sie zwischen seinen Händen zusammenpresste. Das war also der Generator!

Elli fühlte, wie sich die Ruhe in ihr ausbreitete und sogar der Zorn des Nun-Di schien kein Gegner zu sein. Er warf seinen Kopf hin und her und gab wieder diese tiefen, wummernden Laute von sich.

"Ha! Seht ihr, keine Bange. Ich-"

Jemand schubste ihn von hinten. Die Kugel fiel dem Gelehrten aus der Hand und rollte auf das Wasser zu.

In Hé's Gesicht machte sich jeher Schrecken breit und er hechtete dem Kleinod sofort nach. Er ließ die Soldaten hinter sich und warf sich auf die Kugel, bevor diese noch weiter rollen konnte.

Er atmete beruhigt aus.

Dann schlossen sich die Kiefer des Nun-Di um ihn mit einem fürchterlichen Knirschen …

"Ups …", sagte Dean, der Hé den Schubs gegeben hatte.

Die Wächter, nun führerlos, sahen sich gegenseitig an.

Zhèng war der Erste, der wortlos die Beine in die Hand nahm und verschwand.

Wu folgte ihm langsam.

"He, Zhèng, warte auf mich!"

Unter den restlichen Männern herrschte betretenes Schweigen, bis der Nun-Di erneut knurrte und Anstalten machte, aus dem Wasser zu steigen.

Daraufhin brach eine mittelgroße Panik aus und die Wachmänner rannten um ihr Leben.

Die Dienerin Min trippelte hintendrein, so schnell sie konnte.

Chloe hatte das Ganze bisher stumm verfolgt, aber lief nun langsam zu Elli, wobei sie den Nun-Di im Blick behielt. Für Elli sah es allerdings so aus, als hätte er sich beruhigt.

Er betrachtete Dean, Chloe und sie nacheinander. Über die Uferkante hinweg tat es das Jungtier ihm gleich. Schließlich gab er ein letztes tiefes Grollen von sich und ließ sich in die Fluten zurücksinken. Der kleine Nun-Di betrachtete Chloe noch eine Weile, bevor auch er abtauchte.

"Das war keine Absicht, wirklich!", beteuerte Dean, während er näherkam. "Woher hätte ich wissen sollen, dass er dem Ding hinterherspringt?"

Elli winkte ab.

"In dem Fall würde ich es auf Karma schieben, Dean. Wie hast du uns eigentlich gefunden?"

"Dein Schlachtruf", erklärte Dean nur. "Danach musste ich nur dem Brüllen von diesem Riesen-Nun-Di folgen. Habt ihr eine Ahnung was das hier ist? Die Chinesen haben es liegen gelassen. Sieht wertvoll aus."

Er zeigte die Meeresflöte vor.

Elli schaute verschwörerisch nach links und rechts, bevor sie sich die Flöte nahm und bedächtig in ihrem Gewand verschwinden ließ.

"In denen ihren Händen ist es eine Kriegswaffe."

"Was machen wir?", fragte Dean. "Verschwinden wir von hier?"

"Natürlich", entgegnete Elli. "Ich kann endlich den Nexus wieder öffnen. Aber vorher muss ich noch was erledigen …"


Min erreichte mit der aufgehenden Sonne keuchend die Mang-Residenz. Diese blöde Dienerkleidung erlaubte es ihr leider nicht zu rennen, aber jetzt konnte sie endlich etwas anderes anziehen. Es gab keine Wachen mehr, die waren alle geflohen, da sie bei ihrer obersten Pflicht versagt hatten. Mochten die Ahnen wissen, wo sie gerade steckten …

Ohne Hé war aber auch sie ihren Job los und vermutlich würde man sie vom Hof jagen, sobald rauskam was ihr Meister angestellt hatte. Vielleicht konnte sie auf einem Schiff der Portugiesen das Land verlassen. Hier in diesem Haus gab es bestimmt etwas, mit dem sie sich bestechen ließen.

In einem der Lagerräume fiel ihr die Tasche der Unsterblichen ins Auge. Sie hatte versuchsweise hineingegriffen aber die Tasche schien bodenlos zu sein. Vielleicht konnte sie die Portugiesen neben dem Gold auch damit begeistern.

Sie griff nach der Handtasche.

Plötzlich verschwand das Licht, das durch Fenster und Tür in den Raum flutete. Es wurde stockduster.

Erschrocken zog Min die Hand zurück.

"Min? Wärst du so freundlich, mir meine Handtasche zurückzugeben?"

Min quiekte vor Schreck und erstarrte für einen Moment, als die Stimme der Unsterblichen hinter ihr erklang. Der Geruch starken Alkohols stieg ihr in die Nase.

Sie klang nicht wütend oder hasserfüllt. Sie klang einfach nur maßlos enttäuscht und angeekelt. Und das machte es noch schlimmer! Was würde sie mit der Dienerin anstellen!?

Mit mechanisch wirkenden Bewegungen tastete Min in der Dunkelheit nach der Tasche und reichte sie hinter sich ohne sich umzudrehen.

Die Dienerin spürte, wie ihr die Tasche aus der Hand genommen wurde.

"Danke."

W-Was habt Ihr jetzt mit mir vor?", fragte Min mit erstickter Stimme.

"Jetzt noch gar nichts", erwiderte die Unsterbliche ruhig. "Ich habe mir noch nichts für dich überlegt und dein Strafmaß will ordentlich abgewogen sein. Aber irgendwann, Min, werde ich zu dir zurückkehren. Fürchte ihn, versuch vor ihm zu fliehen, aber der Tag wird kommen, an dem ich dich für deinen Verrat an mir zur Rechenschaft ziehe. Selbst dein Tod wird mich nicht aufhalten. Alles klar?"

Min nickte panisch.

"Dann, auf Wiedersehen …"

Das Zimmer wurde wieder hell. Die Handtasche und die Unsterbliche waren verschwunden. In voller Panik versuchte Min so viel zusammenzuraffen wie sie tragen konnte und versuchte dann mit Höchstgeschwindigkeit die Portugiesische Diözese zu erreichen.


"Hehe …"

Mit einem selbstzufriedenen Grinsen nahm Elli die Augen vom Kosmoskop.

"Was hast du mit ihr vor?", fragte Chloe hinter ihr.

Sie beide trugen wieder für Chloes Zeit angemessene Kleidung.

"Keine Ahnung. Vielleicht hänge ich ihr irgendwann ein Tritt-mich-Schild an den Rücken, ohne dass sie es merkt, was weiß ich."

In ihrer Hand materialisierte sich eine Flasche guter russischer Wodka aus ihrer Bar. Elli leckte sich die Lippen, während sie den Deckel abnahm.

"Etwas würde ich gerne noch wissen", fragte Dean, der in einer Ecke stand und ihre Gewänder bügelte. "Wenn Min den Nun-Di nicht freigelassen hat, wer dann?"

"Ganz einfach", erwiderte Elli "Das war …"

Ihr Grinsen wich einer nachdenklichen Miene. Immer noch grübelnd setzte sie die Flasche an die Lippen und trank.


Phuong Jiang nippte glücklich an seinem Tee. Der prunkvoll gekleidete Eunuch saß auf einem der Balkone des kaiserlichen Palastes und genoss seine Pause.

Zumindest dachten das seine Untergebenen.

Jiang war schon alt, grauhaarig und entsprechend lange im Geschäft, daher hatte er gelernt: Willst du deinen Feind hinters Licht führen, musst du dasselbe erst mit deinen eigenen Leuten tun.

Er horchte auf den Bericht, der ihn nach einer Woche endlich aus Macau erreicht hatte. Es war wesentlich besser gelaufen als erwartet.

"Also hatte ich Recht mit Mangs Machenschaften. Ich sage immer wieder, gebt den Ehrgeizigen nicht zu viel Macht, sonst werden sie irgendwann versuchen, sogar den Göttern ihre Posten streitig zu machen. Ich muss dich loben. Dein Plan, den Nun-Di laufen zu lassen, um diese Verräter aufzuscheuchen, war ziemlich gut."

"Danke, mein Herr", lautete die untertänige Antwort von dem niederknienden Mann.

"Jetzt muss ich aber fragen, was hättest du getan, wenn diese Elli nicht aufgetaucht wäre?"

"Der ursprüngliche Plan war gewesen, vermummt die Meeresflöte zu stehlen, um Mang daran zu hindern, einen neuen Nun-Di zu rufen. Da sich der Gegenstand nicht wie eigentlich mitgeteilt in einem der Lager des Abnormalitäten-Instituts befunden hatte, wäre das der Beweis gewesen, dass einige Mitglieder, oder zumindest Meister Hé, anfällig für Korruption durch einflussreiche Mitglieder des kaiserlichen Hofes geworden waren."

"Tja, jetzt haben wir aber die Meeresflöte verloren …"

"Ich hielt es für wichtiger, euch darüber in Kenntnis zu setzen was geschehen ist, bevor der Rest des kaiserlichen Hofes von Mangs und Hés Ableben erfährt. Sollte ich euch enttäuscht haben, akzeptiere ich jede Strafe, die ihr mir auferlegt."

"Ganz im Gegenteil, ich bin mit deiner Arbeit mehr als zufrieden. Diese Flöte hätte uns auf lange Sicht nur Probleme beschert. Die Kontrolle über das Meer gehört den Göttern, wie auch die Entscheidungsgewalt über die Unsterblichkeit. Ich werde deiner Familie genug Gold schicken, um damit dreizehn Reisschüsseln zu füllen."

"Eure Dankbarkeit ehrt mich zutiefst, mein Herr."

"Und es erfreut mich, jemand so kompetentes wie dich an meiner Seite zu wissen. Nun, dein nächster Auftrag wird dich nach Nanchong führen. Du hast eine Woche Zeit, um dich zu erholen, während ich alles in die Wege leite. Hm, du wirst ein neues Alias brauchen. Besser nicht dein altes … Äh, wie hieß das doch gleich?"

"Wu, der Wächter, mein Herr."

Das nächste Mal bei Nexus:
Der Herold der Zebrochenen, Teil 1

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