Ein Gutes Mädchen, Teil 2

scp-heritage-v3.png
Bewertung: +4+x
Bewertung: +4+x

Das letzte Mal bei Nexus:
Ein Gutes Mädchen, Teil 1

Chloe schaute ziemlich griesgrämig.

Ku hingegen grinste wie ein Honigkuchenpferd.

Nach ihrem ersten Plausch hatte der tote Gott Chloe endlich in Ruhe gelassen, sodass sie zum ersten Mal seit langem wieder geträumt hatte. Es war wesentlich angenehmer gewesen, als durch Kus Domäne zu wandern.

Entsprechend schlechte Laune hatte Chloe, während sie an sich herab sah. Sie war immer noch im Evaskostüm …

"Kann ich wenigstens was zum Anziehen kriegen?"

"Ja natürlich", griente Ku.

Chloe konnte sich nicht erinnern, dass der Gott zu Lebzeiten so gewesen war.

Plötzlich fand sie sich in einem nachtblauen, edelsteinbesetzten Abendkleid wieder, das teuer genug aussah, um dafür zu töten. Das Design ließ es wie etwas aussehen, das Elli liebend gerne getragen hätte …

Chloe hob genervt eine Augenbraue.

"Ist ja schon gut", lachte Ku entschuldigend.

Chloe fand sich sofort in ihren Hausklamotten wieder. Dass dieser Kerl wusste, wie ihre Garderobe aussah, ekelte sie irgendwie an …

Nachdem sie sich aber jetzt einigermaßen gekleidet fühlte, sah sie sich um. Sie befand sich nicht mehr in einer nebligen Einöde, sondern in einer vernebelten Bibliothek. Grau und Weiß dominierten die Innenausstattung, aber einige der Bücherregale schienen irgendwie nur halb da zu sein. Chloe konnte durch sie hindurch sehen, wenn sie nicht durch den Nebel gehindert wurde. Keines der kunterbunten Bücher trug einen Titel auf seinem Rücken.

"Was ist das hier?", fragte Chloe.

"Ich habe die letzten paar Wochen damit verbracht, in deinem Oberstübchen aufzuräumen", erklärte Ku. "Erstaunlich, was ich alles unter dem Teppich gefunden habe. Soll ich dir was vorlesen?"

"Du sollst meine Erinnerungen in Ruhe lassen!", erwiderte Chloe verärgert.

Der Ex-Gott wurde euphorisch. Er schlich grinsend um Chloe herum.

"Ja was denn? Ist das Multiversum untergegangen? Chloe Winter lehnt sich gegen jemanden auf? Ich bin zwar das leichteste aller Ziele, denn ich kann es niemandem erzählen, aber trotzdem, Heidewitzka!"

"Lass mich in Ruhe!", verlangte Chloe.

Ku kicherte belustigt.

"Es ist zwar im Moment nur in deinem Kopf, aber offenbar wirkt mein frischer Wind. Ich freu mich auf das Endergebnis."

Der Boden begann zu beben. Chloe hatte Probleme, das Gleichgewicht zu halten.

"Was ist hier los? Was geht hier vor?"

Ku, ähnlich unberührt von der rumpelnden Erde wie das Mobiliar und die Bücher, hörte auf zu lächeln.

"Hm, scheint, als zwingt dich jemand, aufzuwachen. Wie antiklimatisch. Ich hoffe, wir können unseren Plausch ein andermal fortsetzen, kleine, schwächliche Chloe."

Sein Lachen hallte in Chloes Kopf wieder, während sein Raum verschwand, als wäre er das Klo runtergespült worden.


Sie setzte sich kerzengerade auf und verpasste dabei der Kreatur, die mit einem nun leeren Eimer Eiswasser über ihr hockte, unfreiwillig eine Kopfnuss. Das Wesen, es war ungefähr einen Meter groß, grün und hatte ziemlich große Ohren, fiel hintenüber und von dem Bett, in dem sie lag. Am Besten hätte wohl die Bezeichnung Kobold oder Goblin auf es gepasst. Es trug eine rotschwarze Uniform und maß Elli aus seinen gelben Katzenaugen mit einem tadelnden Blick, während es sich wieder vom Boden aufsammelte.

Chloe sah sich ob dieses Anblicks gehetzt um und wurde einer ganzen Horde dieser Monster gewahr, die es offenbar in allen Größen, Farben und hauptsächlich hässlichen Formen gab. Das Uniformdesign war jedoch immer dasselbe.

Sie umringten sie auf einem Altar, wie Chloe jetzt erkannte, in einer rot erleuchteten Höhle. Das Licht kam durch Risse im Boden, die ihm das Aussehen glühenden Vulkangesteins verliehen. Überall standen Statuen von bedrohlich aussehenden Monstern und Menschen in merkwürdigen Rüstungen.

Schwere Schritte wurden hinter ihr Laut. Chloe drehte sich um und sah die wohl merkwürdigste Person nach Elli, die sie jemals gesehen hatte.

Jemand hatte wohl gedacht, dass J. R. R. Tolkiens Sauron noch nicht bedrohlich genug aussah und daher seinen Umhang durch eine zerfetztere, rote Version ersetzt und seiner Rüstung noch mehr Stacheln und Dornen hinzugefügt, als eigentlich notwendig gewesen wäre. Zumal dieser Typ hier wesentlich breiter gebaut war als seine Vorlage. Aus dem kronenartigen Helm wurde Chloe von zwei rot glühenden Augen angeblitzt.

Die Horde um sie herum verfiel in lauten Jubel, als der Mann, Chloe konnte sich unmöglich vorstellen, dass da eine Frau drinsteckte, näher kam.

Der Gerüstete baute sich vor Chloes Liegestatt auf.

"Erzittere, elendiges Menschlein!" gebot er mit einer Stimme wie eine Kombination aus einer Lawine und einem Donnergrollen.

Gegeben der Tatsache, dass er mit seiner Rüstung bewaffnet war und Chloe nicht, kam sie der Aufforderung sofort nach.

"Wa-wa-wa-was ist denn hier los!", stammelte sie ob dieses Kollosses, der sogar Dean überragte.

"MUHAHAHAHA!", lachte der Mann in der Rüstung und hob die Arme wie zur Predigt. "Ich, Mädchen, bin der Böse Overlord! Herrscher allen Grauens! Zerschmetterer von allem, was gut und recht ist! Und du, du bist meine Gefangene! Muhaha!"

Die Kreaturen um ihn herum fielen in das Lachen ein. Chloe wurde Angst, richtig Angst. Nicht etwa, weil der Kerl bedrohlich gewesen wäre, wer sich so übertrieben aufführte, konnte gar nicht furchteinflößend sei. Es lag eher daran, dass er, wie außer ihr auch alle anderen Anwesenden im Raum, völlig wahnsinnig zu sein schien.

"Nuuuun", grollte der Meister allen Übels zufrieden. "Sicher fragst du dich, weshalb du entführt wurdest, nicht wahr? Antworte, Wicht!"

Chloe nickte abgehackt, ohne den Blickkontakt mit dem Overlord zu brechen.

"Muhahaha", lachte der Overlord. "KUNIBERT! GÜNTHER!"

Zwei der Goblinwesen eilten herbei und führten ein Whiteboard auf Rollen mit sich. Einer der beiden drückte der Geißel der Gerechten einen Zeigestock in die Hand.

"Also, dann erkläre ich dir mal meinen diabolischen Plan", frohlockte der Herold des Grauens und bezog neben dem Whiteboard Aufstellung.

Die Stabspitze wurde auf die krakelige Darstellung einer Frau geschmettert, unter der groß ELLI stand.

"Ich bin vor einer Weile auf deine Freundin hier gestoßen und habe gesehen, was sie kann."

Der Stab wanderte auf einen großen Kringel, an dem ZEITPORTAL stand.

"Nachdem ich mir lange Zeit darüber Gedanken gemacht hatte, kam ich auf die Idee, einfach in der Zeit zurückzureisen und in der Vergangenheit meine Schreckensherrschaft aufzubauen und sie bis in die Gegenwart zu erhalten."

Der Verfechter des Verderbens untermalte diese Worte mit einem wackeligen Bild seiner Selbst, auf dem er offenbar zwei mit Keulen bewaffnete Höhlenmenschen jagte.

"Natürlich weiß ich in meiner unermesslichen und extrem bösartigen Weisheit, dass ich diese Elli nicht einfach so würde schnappen können. Also musste ich einen Weg finden, wie sie freiwillig zu mir kommt."

Er zeigte auf die kindliche Darstellung eines Mädchens, unter dem groß CHLOE WINTER geschrieben stand.

"Da ich dich nun habe, wird es nicht mehr lange dauern, bis ich Elli in meine Gewalt kriege, und dann sind alle Zeiten der Welt MEIN!"

Er schloss seinen Vortrag mit einer Kritzelei von sich, wie er Elli an einer Kette am Hals neben sich stehen sah. Ellis Abbild hatte ein Frowny-Face.

Die Monster um ihn herum spendeten höflichen Applaus.

Chloe hob die Hand. Das Ultimative Unheil merkte das sofort und zeigte ermutigend mit dem Stock auf sie.

"Ja? eine Frage?"

"Äh …", begann Chloe, wohl darauf bedacht, Worte zu wählen, die nicht dafür sorgen würden, dass man sie sofort zerfleischte. "Also, wollt ihr mich als Geisel benutzen?"

"HAHAHA!", johlte der Böse Overlord. "Wo denkst du hin? Ich habe mir natürlich einen noch viel teuflischeren Plan ausgedacht."

Chloe schluckte.

"Ich werde dich auf die Seite des Bösen ziehen, damit du Elli dazu verleitest hierher zu kommen! Ist das nicht was, Leute? IST DAS WAS?!"

Erneut wurde Jubel laut.

"Ein weiterer Sieg für die Mächte des Bösen", freute sich der Baron der Bosheit. "Zuerst werden wir-"

Er wurde vom Knurren von Chloes Magen unterbrochen. Wenn sie nicht so viel Schiss gehabt hätte, wäre es ihr peinlich gewesen. Angstvoll hob sie den Kopf, als der Overlord sie stumm ansah. Schließlich erhob er wieder das Wort.

"FRÜHSTÜCK MACHEN! Auf zur Küche, meine Schergen, für eine teuflische Mahlzeit mit Omelett, Milch und einem Erdbeermarmeladenbrötchen!"

Das Gejohle der Untergebenen hätte Tote aufwecken können.


Der Schrank in Chloes Zimmer öffnete sich mit einem ominösen Knarzen und legte das Nexus-Portal darin frei. Elli, heute in einem Comboy-Outfit, hüpfte heraus und schaute sich aufmerksamkeitsheischend um.

Das Zimmer war leer.

Wahrscheinlich hatte sie gerade dem Moment abgepasst, in dem Chloe im Bad war, heute war ja schließlich ausgemacht gewesen …

Elli pflanzte sich in Chloes Drehstuhl und schaute sich zum Zeitvertreib um.

Ganz nett hatte sie es hier.

Elli nahm einen Schluck aus ihrem Flachmann, als Chloe auch nach fünf Minuten nicht erschien. Dabei fiel ihr etwas auf, das unter Chloes Regal lag. Es war ein Blatt Papier.

Vom Rest von Chloes Zimmer gewann Elli den Eindruck, dass sie eigentlich sehr reinlich war, auch wenn sie natürlich nicht an den Putzwahn von Dean heranreichte. Mit einer gewissen Neugier fischte sie das Blatt unter dem Möbel hervor.

Es handelte sich um ein Bleistiftportrait. Von Susanne Graf, wie Elli erkannte, jedoch gab es einige Dinge darauf, die Elli darin bestärkten, mit Chloe auf Konfrontationskurs zu gehen. Die Art, auf welche Chloe auf ihre Anfrage reagiert hatte, steckte Elli noch immer in der Kehle. Sie würde darauf zu sprechen kommen, sobald Chloe eintraf.

Nur, sie kam nicht …

"Elli?", fragte Dean und steckte den Kopf durch das Portal. "Wenn Chloe nicht will, solltest du-"

"Sie ist nicht da, Dean", erwiderte Elli.

Es klang beinahe panisch.

"Naja, wenn das stimmt, was du mir erzählt hast, dann-"

Er sprach nicht weiter, weil Elli neben ihm wieder in den Schrank stieg und zum Kosmoskop eilte.

"Nicht hier, nicht hier, nicht hier, nicht hier …", murmelte Elli, während sie das Gerät in schneller Folge auf verschiedene Orte in Chloes Universum ausrichtete.

"Vielleicht ist sie einfach nur aus", mutmaßte Dean hinter ihr.

"Dann wäre doch eine Nachricht da, oder irgendwas", entgegnete Elli unwirsch.

Dann ging ihr ein Licht auf …

"Moment, was wenn …"

Sie ballte die Hände zu Fäusten …

"Diese elenden, unterbelichteten, abnormal arroganten Dreckskerle! Nah warte, mit denen wisch ich den Boden!"

Dean, der bisher zweimal erlebt hatte, wie Elli die Fassung verlor, machte einen Schritt rückwärts, als er die angeschwollene Ader auf ihrer Stirn bemerkte.


Der Böse Overlord stellte sich als guter Koch heraus, nachdem Chloe von ihm mit zwei Kochhandschuhen und einer dunkelblauen Schürze mit der Aufschrift "Unterwerfe dich dem Koch" das beste Omelett vorgesetzt bekam, das sie je gegessen hatte. Es sollte erwähnt werden, dass er die Küchenkleidung einfach über seine Rüstung gezogen hatte.

Die Höhle in der Chloe aufgewacht war, hatte sich nur als winziger Teil eines gewaltigen Höhlensystems erwiesen, das vom Graf der Garstigkeit das "Versteck des Bösen" genannt wurde.

Die riesige Küche war so gut in Schuss, dass vermutlich sogar Dean zufrieden genickt hätte, dasselbe galt für den sogenannten "Trainingsraum", auch wenn es sich dabei lediglich um einen großen, leeren Raum handelte, der sich im Inneren eines Vulkans zu befinden schien.

Zusammen mit ihr und dem Overlord waren noch drei seiner Untergebenen mit ihr gekommen. Einer von ihnen schien so eine Art blauer Troll zu sein, fast anderthalbmal so groß wie sein Meister, der zweite war sowas wie ein grauer Ork und der dritte war der Kobold, der Chloe mit Eiswasser geweckt hatte.

"Nun", dröhnte der Titan des Terrors. "Wir werden gleich in die Vollen gehen und das Böse in dir mit aller Macht an die Oberfläche ziehen. Olaf?"

Der Goblin salutierte und baute sich vor Chloe auf. Er grinste sie mit einem Gebiss voller schiefer Zähne herausfordernd an.

"So, und jetzt beleidige ihn!", befahl sein Chef Chloe.

Sie drehte sich perplex zu ihm um.

"Äh, wie bitte?"

"Beleidige ihn!", wiederholte der weltgrößte Widersacher. "Mach ihn nieder, kaue ihn durch, quetsch ihm seine Seele aus dem Leib!"

Mit hochgezogenen Augenbrauen drehte sich Chloe wieder zu ihrem Sandsack um. Besser, sie kam der Aufforderung nach …

Dann fiel ihr auf, dass sie noch nie jemanden in voller Absicht richtig beleidigt hatte …

"Äh, du … Du … Du Pupsgesicht!"

Der Goblin gab mit einer Handgeste zu verstehen, dass er sich nur mittelmäßig angegriffen fühlte.

"Uff", machte der Schöpfer der Schrecken und ließ die Schultern hängen. "Das könnte etwas dauern. Hier, lies das!"

Er holte hinter seinem Rücken ein gelbschwarzes Heft hervor, auf dem "Beleidigen für Dummis" geschrieben stand. Seine eigene Wenigkeit war auch darauf abgebildet und versprach in einer Sprechblase "Jetzt mit noch mehr Schimpfwörtern."

Hinter Chloe wuchs ein schwarzer Lesesessel aus dem Boden, während der Overlord sie erwartungsvoll ansah. Chloe setzte sich mit gerunzelter Stirn hin und begann zu lesen.


O4-1, der Vorsitzende des O4-Rates der deutschsprachigen Foundation, machte sich gerade einen Kaffee, als sein Telefon klingelte. Die Nummer darauf kannte er nicht, schon allein deshalb, weil sie doppelt so lang war wie normale Telefonnummern.

Mit ungutem Gefühl ging er ran.

"Hallo?"

"O4-1, altes Arschloch, wie geht es Ihnen?", begrüßte ihn eine weibliche Stimme quietschfidel.
Nicht gut …

"O4 was?", spielte er den Ahnungslosen.

Das Handbuch sah für so einen Fall nämlich vor, Unwissenheit vorzutäuschen

"Sicher, dass Sie die richtige Nummer haben?"

"Ja aber selbstverständlich", kam es fröhlich durch das Telefon.

Fröhlich ist ein relativer Begriff, denn der Ton dieser Stimme versprach Gemetzel und Blutbäder.

"Passen Sie auf, gute Frau, ich weiß nicht, wovon Sie reden-", beharrte O4-1, wurde aber sofort unterbrochen.

"Nein, Sie passen auf, Sie Komiker. Sie wollten meine Aufmerksamkeit, Sie haben sie. Cleveres Manöver ihrer Agenten, mich zu ködern, während andere derweil eine Geisel nehmen, das gebe ich zu. Aber das Vorgehen als Ganzes, schlechter Zug …"

"Was wollen Sie denn? Ich habe keine Ahnung, was Sie-"

"Ich will, dass Sie mir Chloe Winter wieder aushändigen, andernfalls werden Sie und Ihre Foundation merken, was es heißt, mich sauer zu machen."

Auf Ahnungslosigkeit zu beharren brachte wohl nichts …

"Schauen Sie", begann O4-1. "Ich habe keine Ahnung, was in der Foundation im Einzelnen vorgeht und selbst wenn, ich werde mit einer Unbekannten nicht verhandeln."

"Oh, dann werden Sie mich jetzt kennen lernen", sagte die Frau. "Klingeln Sie in ein paar Minuten mal bei Ihrem 098 durch."


Wachmann Peter Gensch dachte über eine Versetzung nach. Er war in seinem Standort dazu abgestellt, SCP-098-DE zu bewachen. Das Problem war, das Teil hielt in seiner Zelle nie die Klappe.

"Deine Mutter ist so alt, die kriegt noch Bugs wegen ner Insektenplage!"

"Korrektur. Diese Einheit besitzt keine Elterneinheit in irgendeiner Form."

"KAPIER EINE BELEIDIGUNG, VERDAMMT!"

"Anmerkung. Die Entität mit der Designation SCP-098-DE-B hat noch nie-"

"Wat? Wer bist du denn?"

Gensch schlief das Gesicht ein und er entriegelte hastig die Zelle, während er von drinnen hörte, wie sich jemand an der Sicherheitsklammer der Drohne zu schaffen machte. Als er die Tür öffnete, sah er allerdings nur bodenlose Schwärze.

"Was zum Henker …"

Dann hörte er von drinnen das unheilvolle Klacken.

Nur Sekunden später wurde die Zellentür hinter ihm ebenfalls schwarz …


Die Literatur des Bösen Overlords war erstaunlich ins Detail gegangen. Zum ordentlichen Beleidigen gehörten nicht nur die passenden Worte, sondern auch die richtige emotionale Vorbereitung und eine gute Atemtechnik.

Der König des Verbrechens schaute sie nun auffordernd an. Der Goblin ebenfalls.

Chloe, inzwischen ob der weniger grausigen Behandlung als erwartet bereits extrem ernüchtert, holte Luft …

"Du dummes Sackgesicht!"

Der Goblin bedeutete ihr mit einem müden Nicken, fortzufahren.

"Du elender Schlappschwanz! Du asoziales, arrogantes Stück Pferdekacke!"

Das fühlte sich unerwartet befreiend an. Chloe war so positiv überrascht, dass sie sich immer weiter reinsteigerte.

"Du unterbelichteter Vollidiot! Du bekiffter Vollhorst mit einem IQ von Minus zehn! Du dreckfressendes, ungewaschenes, blödes, stinkendes Muttersöhnchen von einem Scheißkerl!"

"Äh …", machte der Overlord und deutete auf den Goblin, dem allmählich die Tränen in die Augen stiegen, während er unterdrückt schniefte …

In Chloe schnürte sich bei dem Anblick etwas zusammen. Richtig fest, sodass sie Schwierigkeiten bekam zu atmen. Ihre Knie gaben nach und sie fiel auf alle Viere.

"Du darfst das nicht!", spukte in einer schieren Endlosschleife durch ihren Schädel, während vor ihrem geistigen Auge in schneller Folge Erinnerungen liefen, die so nicht passiert sein konnten! Nein! Das war unmöglich! Sie konnte nicht-

Chloe hörte den Bösen Overlord brüllen, während sie der Sauerstoffmangel nach und nach ohnmächtig machte …

—-

Eigentlich war Samstag und das hieß für fast alle O4s Wochenende. Leider nicht heute, denn ein extremer Notfall war eingetreten. In sämtlichen Standorten war es den Tag über zu Eindämmungsbrüchen gekommen. SCP-077-DE, das Jagd auf einige Wachen in der Nähe gemacht hatte, SCP-091-DE war urplötzlich in einem Laden in Braunschweig lokalisiert worden und sämtliche Instanzen von SCP-058-DE hatten plötzlich angefangen, Thriller zu tanzen. Das Letztere hatte offenbar irgendwas mit Schinken zu tun, aber keiner der O4s hatte die Augenzeugen in diesem Zusammenhang verstanden, weil sie ständig brüllten, wenn sie darauf zu sprechen kamen.

Das waren nur drei von knapp vierzig Fällen. Tendenz steigend.

Die O4s hatten sich allesamt in einem Konferenzraum mit einem großen ovalen Tisch eingefunden, jeder hatte ein Glas Wasser und bei jedem Sitz war ein Bildschirm in das Möbel eingelassen, der die Anwesenden über das Chaos auf dem Laufenden hielt.

O4-1 klatschte beide Hände auf den Tisch.

"Meine Damen und Herren, die Lage ist ernst, im Moment haben wir es mit einem Eindämmungsbruch von sechsunddreißig Euclid- und drei Keter-Anomalien zu tun. Keine davon hochgefährlich, aber trotzdem zeigt es, mit was für einer gefährlichen Gruppe wir es hier zu tun haben müssen. Die ganzen merkwürdigen Phänomena bei anderen Anomalien außer Acht gelassen.

"Gerade wurde SCP-180-DE gestohlen …", kam es tonlos von O4-8 mit Blick auf den Bildschirm.

"Ja, pennen die denn alle?", erboste sich O4-4. "So einen beschissenen Job habe ich seit dem Schlamassel mit 066-DE nicht mehr erlebt."

"Dieses Mal liegt das glaube ich nicht direkt an unseren Leuten", warf O4-2 ein, bevor seine Kollegin explodieren konnte. "Nach den Aufnahmen, die wir zugespielt bekommen haben, ist das das Werk einer einzelnen Person mit irgendeiner Portalanomalie. Sie dringt damit in Isolierzellen ein und nimmt die Anomalie mit, um sie anschließend durch ein anderes Portal freizulassen. Oder sie nutzt die Portale, um ihre Mobilität zu erhöhen, wie als sie mit einem Elektroroller durch Areal-DE04/058 gefahren ist, UM DIE ZOMBIES MIT DIESEM ENDGEILEN SCHINKEN ZU FÜTTTEEEEEERN! Entschuldigung … Die Wachen konnten ihrer nicht habhaft werden, weil sie ständig durch die Portale abgehängt wurden."

"Aber sie werden doch wohl wenigstens ein paar Daten haben sammeln können, oder?", fragte O4-4 gereizt.

"Die haben sie tatsächlich, wir haben sogar ein Bild", bestätigte O4-1. "Moment …"

Er wischte auf seinem Bildschirm herum und präsentierte allen eine Überwachungsaufnahme.

"Das ist nicht Ihr Ernst, oder?", entfuhr es O4-4 fassungslos, während sie die Blondine auf dem Foto anstarrte.

"Streckt sie der Kamera wirklich die Zunge raus?", fragte O4-9.

"Offenbar will sie, dass wir sie wahrnehmen", schloss O4-2. "Aber wer ist das überhaupt?"

"Das kann ich erklären", meldete O4-12 an.

Alle Blicke richteten sich auf ihn. O4-12 wischte eine Weile auf seinem Bildschirm herum und gab jedem seiner Kollegen eine Fotogalerie. Sie enthielt jede Menge historische Aufnahmen und Aufzeichnungen.

"Das ist eine Zeitreisende, die in den Aufzeichnungen konstant als "Elli", beschrieben wird. Der Nachname ist selten der Gleiche. Wie sie sehen können, gibt es von ihr Aufnahmen aus dem neunzehnten Jahrhundert. Überlieferungen reichen sogar bis ins antike Griechenland zurück."

"Eine Zeitreisende?", wiederholte O4-8. "Sind sie sicher? Woher wissen wir, dass sie nicht einfach nur irgendeine Form der Unsterblichkeit hat?"

"Forschungsassistent Brakensieg von Standort-DE12 hat diese Möglichkeit gründlich untersucht und ausgeschlossen. In einigen Aufzeichnungen wurde festgehalten, dass sie Ereignisse erwähnte, die erst später passieren sollten. Zudem hatte sie zu den entsprechenden Zeiten unbekannte Technologien dabei", erklärte O4-12. "Wir konnten aber mittlerweile einige Dinge feststellen. Diese Portalanomalie zum Beispiel kann offenbar willentlich erzeugt werden, aber nur an Orten, die klar ein Durchgang sind, wie etwa Türen und Fenstern. Weiterhin hatte sie manchmal Begleiter dabei. In solchen Fällen aber meist nur einen, einen großen Mann, der "Dean" genannt wurde, manchmal aber auch mit einem kleinen Mädchen namens "Chloe". Nachnamen ebenfalls nie konstant."

"Aber warum sabotiert sie jetzt die Foundation?", erkundigte sich O4-1. "Am Telefon sagte sie, wir hätten ihre Aufmerksamkeit gewollt."

O4-12 rückte sich in einer bequemere Position, bevor er antwortete.

"Nun, vor ein paar Wochen hatten unsere Überwachungsalgorithmen drei Treffer zu Personen von Interesse gelandet. Eine von ihnen aber nur, weil sie nach dem SKP gegoogelt hat. Wir konnten zweifelsfrei feststellen, dass die Lebensläufe von zweien gefälscht waren, von einer "Elli Margret Jäger" und einem "Dean Weiß". Beide hatten an einer Realschule in Dresden Jobs angenommen. Eine Schule, auf die auch die dritte Person von Interesse seit mehreren Jahren geht, nämlich "Chloe Angelika Winter". Da wir letztere als normalen Menschen einstufen konnten, haben wir uns nur auf die anderen beiden konzentriert und die Agenten Straub und von Dorff losgeschickt, um sie in Gewahrsam zu nehmen. Leider bisher ohne Erfolg."

"Lass mich raten, die beiden haben Winter entführt", grummelte O4-2.

"Ist doch gut, dann haben wir wenigstens ein Druckmittel", kommentierte O4-4.

Die anderen O4s zogen ob O4-4s Einstellung kurz lange Gesichter.

"Äh, die Sache ist die", sprach O4-12 wieder. "Den Agenten war verständlicherweise nicht wohl dabei, eine Dreizehnjährige zu entführen, daher wollten sie das erstmal nur androhen. Wir wissen aber inzwischen sicher, dass Chloe Winter spurlos verschwunden ist."

"Das deckt sich mit meinem Anruf", meinte O4-1. "Sie muss die Agenten belauscht haben und denkt jetzt, da ihr offensichtlicher Schützling weg ist, dass das eine Finte war."

"Moment", bat O4-4. "Soll das heißen, wir haben das Mädchen gar nicht?"

"Ja", kam es morbide von O4-12. "Aber viel Glück dabei, ihr das zu erklären …"

Die Temperatur im Raum schien um gefühlte 50 Grad zu fallen …

Das nächste Mal bei Nexus:
Ein Gutes Mädchen, Teil 3

Sofern nicht anders angegeben, steht der Inhalt dieser Seite unter Lizenz Creative Commons Attribution-ShareAlike 3.0 License