Gnadenloses Eis, Teil 3

scp-heritage-v3.png
Bewertung: +6+x
Bewertung: +6+x

Das letzte Mal bei Nexus:
Gnadenloses Eis, Teil 2

In seinem Büro klatschte Steuer vor Elli und Dean einen Aktenordner auf den Tisch. Sowjetisches Kauderwelsch stand darauf geschrieben.

Während Kulzer Chloe in der Nähe mit einer Militärration versorgte, die sie, ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, nur aus Höflichkeit aß, blätterte Elli durch den Ordner. Der Funker hatte leider das kyrillische Morsealphabet nicht beherrscht und nach zwei Seiten offenbar aufgegeben, Buchstaben zu schreiben. Der Rest war einfach als Morsecode gehalten, was etwas Interpretationsarbeit von Elli erforderte. Zumal der Funkspruch auch noch verschlüsselt war.

"Dieser Funkspruch hier kommt von Osten, irgendwo aus den Tiefen der Sowjetunion", erklärte der Kommandant. "Wir haben den Code noch nicht entschlüsseln kön-"

Er brach ab, als er sah, wie Elli begann, Buchstaben auf einen Notizzettel zu schreiben.

"ICH BIN ALEXEI, DURCH GOTTES GNADEN KAISER UND ALLEINIGER HERRSCHER VON GANZ RUSSLAND", übersetzte sie zunächst.

"Donnerwetter!", entfuhr es Steuer. "Ist der Code in Ihrer Zeit bekannt?"

"Nein", dementierte Elli. "Ich denke nur schneller als andere Leute. Was mich daran erinnert …"

Sie griff ohne Vorwarnung in ihre Handtasche, die immer noch von einem der Soldaten getragen wurde. Sofort richteten sich mehrere Waffen auf sie, aber Elli holte nur ihren Flachmann heraus und schüttete dessen Inhalt in sich hinein.

Die Soldaten senkten argwöhnisch wieder ihre Pistolen.

"Boah, das war nötig", kommentierte Elli, nachdem sie fertig getrunken hatte.

Allmählich war sie gefährlich nüchtern geworden …

"Ist das irgendeine Medizin?", fragte Steuer.

"Im Prinzip ja", antwortete Elli und schrieb weiter.

Das Meiste, was sie übersetzte, schien tatsächlich Gefasel zu sein. Als ob der Funker nicht mehr alle Tassen im Schrank und Alzheimer gehabt hätte. Aber dann wurde sie tatsächlich fündig, als sie plötzlich auf eine andere Verschlüsselung traf.

"Der Grigori hat die Truppen erfolgreich vernichtet", las sie vor. "Das Wort Grigori taucht hier immer wieder auf. 'Grigori nimmt Belagerung wieder auf', 'Deutsche Truppen am Werwolf-Bunker im Moment im Patt mit dem Grigori.' Hm …"

"Was ist ein Grigori?", fragte Steuer.

"Eine Gruppe biblischer Engel", erklärte Elli. "Wächter. Einige von ihnen wurden aus dem Himmel geworfen, weil sie gegen Gott rebelliert haben. Oha!"

"Soll das heißen, diese Dinger da draußen sind Engel?", erkundigte sich Kulzer von hinten.

"Kulzer, ich rede hier", rügte ihn Steuer. "Aber ja, was er gefragt hat. Ich meine, so engelsgleich sehen die doch nicht aus. Keine Flügel und Heiligenscheine und das ganze Zeug. Es könnte ein Codewort sein."

"Sie sind weiß glänzend und steigen aus dem Himmel herab, um sowjetischen Boden zu verteidigen", erwiderte Elli. "Mehr braucht man als Wächterengel nicht. Außerdem habe ich vorhin merklich Mengen an himmlischen Energien messen können, bevor Wenkmann mir die Pistole an den Hals gesetzt hat. Wir haben es also in jedem Fall mit irgendwas Engelhaftem zu tun. Aber wenn das wirklich Grigori sein sollen, ist es unglaublich, dass die Sowjets so viele von ihnen unter Kontrolle haben … Obwohl … Dann hätte keine Ihrer Waffen Wirkung auf sie … Hm."

Ellis frisch mit Alkohol geschmiertes Hirn ratterte.

"Vielleicht ist es nur ein stark abgeschwächter Grigori", ging es ihr dann auf. "Dadurch ließe sich leichter ein Pakt schmieden und er legt nicht die Umgebung in Schutt und Asche. Ja natürlich, das erklärt den Automatismus!"

"Die Sowjets haben einen Pakt mit Engeln? Klingt eher nach Dämonen, wenn Sie mich fragen", erwiderte Steuer.

"Gefallene Engel sind so eine Art Dämon", entgegnete Elli.

"Mich erstaunt, dass Sie das alles so bereitwillig akzeptieren, Kommandant", bemerkte Dean.

"Ich habe beim SKP schon so manches unglaubliches Zeug gesehen, mein Herr, das hier ist nur ein kleiner Spagat für mich. Aber wenn es einen Pakt gibt, was kriegt der Engel von den Sowjets?"

"So wie es sich anhört, gehorcht der Grigori allein dem russischen Zaren" sagte Elli. "Zar … Zar …"

"Bitte um Erlaubnis zu sprechen, Kommandant", bat Kulzer.

"Erlaubnis erteilt."

"Äh, die Bolschewiken haben den letzten Zaren doch getötet, es sollte also keinen Zaren mehr geben, richtig?"

Elli begann plötzlich zu lächeln.

"Stimmt, aber es geht rein um Symbolik. Der Zar war in Russland der oberste Beschützer der Kirche und damit der Vertreter Gottes auf Erden, das Nächste, was ein Engel hier zum Wort des Weißbärtigen haben könnte. Ähnlich wie beim Papst. Aber alles, was man braucht ist jemand, der sich für den Zaren hält und als solcher anerkannt ist. Muss nicht unbedingt öffentlich sein. Vielleicht haben die Sowjets einen Überlebenden des Zarengeschlechts gefunden, vielleicht haben sie aber auch nur jemanden mit Drogen vollgepumpt und einer Gehirnwäsche unterzogen. Beides wäre vollkommen ausreichend für einen Engel."

"Sind Engel wirklich so dämlich?", fragte Steuer skeptisch.

"Die meisten niederen metaphysischen, Wesen, wie etwa Engel, leben rein durch Symbolik und den Glauben daran. Für sie sind das Naturgesetze. Aber, ich kann ihm was Besseres geben, als nur einen Vertreter Gottes."

"Und was? ", fragte Dean.

"Der Grigori will vermutlich Gottes Gunst wiedererlangen, um nach Hause zu kommen, andernfalls würde er keinem seiner Stellvertreter gehorchen. Und er braucht Gottes Wohlwollen, denn nur ein mächtiger Gott kann einen Weg in die göttliche Sphäre öffnen. Ich glaube aber, ich kann ihm die Arbeit ersparen. Aber dafür brauche ich euer Gold."

"Gold?", echote Steuer. "Wir sind ein Bunker, gute Frau, wir haben hier kein Gold."

"Ich gebe mich auch mit Bronze zufrieden, aber wenn ich euch retten soll, brauche ich Gold und einen erhöhten Punkt in der Landschaft. Und Chloe."

Chloe schreckte von ihrer Mahlzeit hoch und schluckte.


Kaiser und Kulzer genehmigten sich im Krankenflügel, in dem Ersterer wegen seiner Wunde verweilen musste, eine Konserve mit Eintopf. Schmeckte ekelhaft, aber es füllte den Magen.

"Meinst du, dass uns diese Familie helfen kann?", fragte Kulzer unvermittelt.

"Keine Ahnung", gab Kaiser ehrlich zu. "Aber wenn es darum geht, den Ivan vor den Kopf zu stoßen, bin ich grundsätzlich erstmal dabei. Besonders, nachdem ich gesehen habe, wie diese Monster unsere Panzer geknackt haben."

Kulzer schüttelte sich bei dem Gedanken. Er hatte nicht vergessen, wie brutal diese Eismenschen vorgingen. Selbst wenn man die Waffe wegwarf und sich mit erhobenen Händen hinstellte, schossen sie einen ohne zu zögern nieder. Sogar weiße Flaggen und das Rote Kreuz wurden von ihnen einfach ignoriert. Sie metzelten einfach nur nieder.

"Ich habe vorhin gesehen, wie der Chef schon Dokumente aufgesetzt hat, um die Frau für einen Orden zu nominieren", gluckste Kaiser, wurde aber dann unvermittelt wieder ernst. "Du scheinst einen ziemlichen Narren an dem Mädchen gefressen zu haben", merkte er mit leiser Besorgnis an.

Kulzer zuckte leicht grinsend mit den Schultern.

"Sie erinnert mich an meine Helga zu Hause. Die müsste jetzt ungefähr so alt sein wie sie. Hoffentlich ist ihr nichts passiert … Herrgott, ich hab sie und Getrude seit zwei Jahren nicht mehr gesehen!"

"Hattest du keinen Fronturlaub?", erkundigte sich Kaiser verwirrt.

"Wie denn?", entgegnete Kulzer resigniert. "Ich stecke ja ständig mitten in der Scheiße, wo man keinen Mann entbehren kann."

"Hrm", gab Kaiser sein Mitgefühl kund. "Meine Sprösslinge sind schon ausgezogen. Ich glaube, mein Werner muss in Frankreich kämpfen, wenn’s ihn nicht schon erwischt hat …"

"Vielleicht kommen wir hier ja raus", machte ihm Kulzer Hoffnung. "Ich habe die Männer schon reden hören. Sie glauben daran, dass diese Frau weiß, was sie tut."


"Bist du wirklich absolut sicher, dass es ein Grigori ist?", fragte Dean, während er den Haufen an Gegenständen vor sich durchstöberte. "Könnte auch ein Elementargeist sein oder irgendwelche Mutanten."

"Das glaube ich nicht", erwiderte Elli, während sie einen Ring untersuchte. "Dafür braucht man keinen Zaren, und dessen Funksprüche haben sich quer durch die ganze Akte gezogen. Noch dazu hätten sie keine so hohen metaphysischen Energiewerte. Und eine Terrakotta-Armee, wie in China, kann es nicht sein, denn die sind erschöpflich. Und Aliens haben im Moment andere Probleme, als für Russland zu töten."

Elli und Dean waren im Moment damit beschäftigt, in einer Baracke, unter den erwartungsvollen Blicken mehrerer Wachen, sämtlichen Schmuck und Habseligkeiten der Soldaten nach Gold zu durchsuchen. Einige von ihnen hatten wegen fälschlicherweise als Gold identifizierten Schmuck bereits arge Schläge einstecken müssen.

"Und wenn es was ist, das nicht auf irgendwas passt, was gerade angesprochen wurde?", fragte Dean weiter, während er eine Kette in der Hand wog. "Du verlässt dich hier auf Zeug, das du erraten hast. Wir wissen nicht, ob es funktioniert."

"Hast du eine bessere Idee?", erwiderte Elli mit Blick auf eine Brosche, der kyrillischen Beschriftung nach wahrscheinlich von irgendwo gestohlen. "Tut mir leid, Mann, das ist Messing."

Sie schnippte das Schmuckstück seinem Besitzer zu, der es hastig auffing.

Es blitzte plötzlich.

"GAH!", entfuhr es Elli, während sie ärgerlich zu dem Soldaten mit der Fotokamera sah.

"Tschuldigung", kam es verlegen von dem Übeltäter.

Elli beschloss, sich nicht weiter damit zu beschäftigen. Sie verwirrte immerhin Historiker im ganzen Multiversum bereits mit ihrem Konterfei.

"Wie viel haben wir inzwischen?", fragte sie dann.

Dean wog ihre Ausbeute in den Händen.

"Etwas über ein Kilo."

"Das sollte reichen. Chloe?"

Chloe, die fiebernd an der Seite gesessen hatte, sah auf.

"Ja?"

"Für das, was ich tun will, brauche ich deine Hilfe. Du wirst ein Diadem tragen müssen."

Elli kippte sich mit dem Gold in den Händen auf ihrem Stuhl Richtung Fenster, in dem sich ein Portal zum Nexus öffnete. Die Wachen richteten sofort ihre Waffen auf Elli, schienen aber unsicher zu sein, ob sie wirklich feuern sollten. Elli selbst rollte nur mit den Augen und hielt das Gold durch das Portal. Man hörte kurz das Kreischen von Metall, bevor Elli eine Art kleine Krone aus Gold herauszog. Mit einem Diadem hatte dieses Ding nur entfernt Ähnlichkeit, es wirkte eher wie ein Haarreif, der versuchte, wie die Sonne auszusehen. Ein Kruzifix prangte auf ihm.

"Hey, Sportsfreund!", rief Elli zu dem Mann, der ihre Habseligkeiten in einem Beutel bei sich trug. "Meine Tasche."

Mit sichtlicher Überwindung, einer Person zu gehorchen, die keinen höheren Rang bekleidete als er, kam er näher und gewährte Elli einen Griff in ihre Tasche. Die Macht der Verzweiflung schien in den Soldaten größer zu sein als alles andere. Chloe hatte einige Wachen als Soldaten wiedererkannt, die nur noch mit glasigen Augen durch die Gegend gestarrt hatten. Jetzt aber, da Elli einen Ausweg präsentierte, schien wieder ein Funken Hoffnung darin zu glimmen.

Elli derweil zog einen Gegenstand mit dem Aussehen eines grauen Game Boys mit Tastatur aus ihrer Tasche. Am oberen Ende besaß er einen weißen und einen schwarzen Stab.

"Jetzt brauchen wir nur noch-"

Eine Alarmsirene plärrte los.

"Was ist denn jetzt los?", fragte Dean.

"Keine Ahnung, besser Sie gehen in den Bunker, bis wir das Problem behoben haben", meldete eine der Wachen an.

Mit einer Eskorte von sechs Mann verließen Elli, Dean und Chloe die Baracke. Und sahen sofort, was los war.

Überall knallte und zischte es, während die Soldaten versuchten, eine ständig wachsende Zahl an Eissoldaten zurückzudrängen. Ein Unterfangen, das sinnlos schien, denn in den gegnerischen Reihen befanden sich Impulspanzer, die sich mit der schwindenden Zahl der Panzer der Nazis heftige Duelle lieferten.

"Impulspanzer!", entfuhr es einer der Wachen. "Die Sowjets müssen irgendwo einen ergattert haben!"

"Das ist erstmal irrelevant", sagte Elli und deutete auf das Dach von einem der Bunker. "Ich und Chloe müssen da rauf. Sobald wir dort sind, können wir diesen Angriff mit einem Schlag stoppen."

"Irrelevant?", fragte Dean und deutete nach Westen.

Der Horizont und der meiste Teil des Walds war eine einzige Wand aus Schnee, der aus dem Himmel herabfiel. Aus ihr strömten unaufhörlich weitere Truppen.

"Wir schaffen es nie durch dieses Scharmützel, gute Frau", entgegnete die Wache mit einer Geste zu dem Chaos, das draußen tobte.

"Ihr nicht", bestätigte Elli. "Wir schon."

Elli sprang auf, riss der anderen Wache den Beutel mit ihren Besitztümern aus der Hand und rannte nach draußen.

"Bleib dicht bei mir", raunte Dean Chloe zu.

Zusammen, wobei sich Dean immer in mögliche Schusslinien begab, in die Chloe geraten konnte, watschelten auch sie los. Anders als Elli jedoch, die sich zu beeilen schien, den Bunker zu erreichen, wählte Dean einen langsameren Ansatz. Dieser beinhaltete, von Deckung zu Deckung zu schleichen.

"Dean, lass den Mist, wir haben keine Zeit!", rief ihm Elli zu, während sie hinter einigen Soldaten entlanglief, die mit Maschinengewehren, Panzerfäusten und anderem Kriegsgerät ihr Möglichstes taten, die weiße Streitmacht zurückzuhalten, die inzwischen mit der Unaufhaltsamkeit eines Gletschers in die Basis einfiel.

Für Chloe lief die Welt plötzlich in Zeitlupe, als sie den einen Eiskrieger sah, der auf Elli anlegte …

"ELLI, PASS AUF!"

PENG!

Elli wurde im Laufen zur Seite gerissen, als das eisige Geschoss ihre Hüfte passierte.

Dean beschleunigte sein Vorrücken, während Chloe angstvoll nach Soldaten Ausschau hielt, die sie auf’s Korn nehmen konnten. Aber keiner von denen schien sie zu bemerken.

Elli wurde bereits von einem Feldarzt versorgt, als sie sie endlich erreichten.

"Elli, alles in Ordnung?", erkundigte sich Dean.

"Mein Beckenknochen wurde durchbohrt, das juckt nur ein bisschen", presste Elli zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, während sie der Arzt stabilisierte.

"Ich fasse das als ja auf", erwiderte Dean trocken. "Aber warum haben die auf dich geschossen?"
Elli rollte mit den Augen.

"Ich glaube, ich weiß jetzt warum der Grigori uns zuvor ignoriert hat. Er greift nur Personen an, die zu einer einfallenden Streitmacht gehören. Steuer, dieser Idiot, wird wohl ein Papier aufgesetzt haben, das mich als Verbündeten aufführt, wodurch ich ein gültiges Ziel wurde. So komme ich nicht weiter …"

Elli drückte ihm die Krone und das Gerät aus ihrer Tasche in die Hand.

"Hör zu Dean, im Prinzip improvisieren wir eine Kirche ähnlich dem Petersdom, darum das Gold, zum Leiten der metaphysischen Energie. Dadurch, dass Chloe Ku verzehrt hat, hat sie ein gewaltiges göttliches Potential. Wenn wir nun an einer erhöhten Position noch einen Funken aus dem metaphysischen Akku hier hinzugeben, sollte das ausreichen, mit Chloes Diadem als Fokus ein Tor zur Domäne der Götter zu öffnen, ähnlich wie wenn bei einem Gewitter ein Blitz von einem Blitzableiter angezogen wird. Der Engel sollte dann sofort seinen Angriff abbrechen."

"Und wenn nicht?", fragte Dean.

"Dann weißt du, was mit Chloe zu passieren hat. Aber der Engel wäre wirklich selten dämlich, sich diese Chance entgehen zu lass-"

Nicht weiter von ihnen schlug eine Granate ein, die ihre Splitter verteilte und alle Anwesenden mit Tinnitus zurückließ. Das Letzte, was Chloe noch hörte, war ein hartes "Donk!" aus Deans Richtung, dann war da nur noch Pfeifen in ihrem Ohr. Sie konnte nicht mehr verstehen, was Elli sagte, aber sie machte eindeutige Handgesten.

Zusammen mit Dean, dem nach dem Einschlag nun ein Haufen Schnee an der Hüfte klebte, machten sie sich auf den Weg, während die Soldaten hinter ihnen mehr und mehr von der weißen Übermacht aufgerieben wurden, selbst wenn sie verletzt waren, sich ergaben oder einfach nur um ihr Leben bettelten.

Wenkmann grummelte in sich hinein, während draußen die Welt unterzugehen schien. Man hatte ihn wegen Ungehorsams ins Gefängnis gesteckt, aus dem er nicht befreit worden war, bevor die Wachen ihren Posten fluchtartig verlassen hatten.

"Keine Saboteure, pah! Ich hab’s ihnen gesagt, ich hab’s ihnen mehrfach gesagt, aber nein, man muss ja im Angesicht des Feindes zimperlich werden. Dämliche Hunde, allesamt!"

Die Tür zum Gefängnistrakt flog krachend auf. Entgegen Wenkmanns Hoffnung traten jedoch keine Soldaten ein, sondern zwei mit Maschinenpistolen bewaffnete Eiskrieger. Und die marschierten unbekümmert genau auf seine Zelle zu.

"Wa- Warte!", rief Wenkmann "Wir können verhandeln, ich gebe euch was ihr wollt, mein Geld, meine Kleider alles. Ich … Ich. ICH ERGEBE MICH! ICH ERGEBE MICH! ICH-AAAAAHHHHH!"


Überall hallte das Krachen und Zischen der Kanonen und Explosionen, nur untermalt von den Schmerzensschreien der Verwundeten. Die Wolke hatte den Bunker inzwischen erreicht und ließ überall neue Eiskrieger entstehen. Waffen waren zudem nutzlos geworden, da sich die verwundeten Feinde durch den herabfallenden Schnee wieder reparierten. Die Nazis hatten daher ihre Stellungen aufgegeben und taten ihr Möglichstes, um zu entkommen. Nur hatten sie einen Feind im Nacken, der keine Erschöpfung und kein Leid kannte und jeden vernichtete, auf den er traf. Chloe sah Kulzer, wie er Elli wegzutragen versuchte. Sie konnte nicht hören, was Elli sagte, aber ihr Gesicht sprach Bände, während um sie herum einer nach dem anderen niedergeschossen wurde.

Chloe war von dem Anblick wieder speiübel, als sie endlich das Dach des Bunkers erreichten.

Dean setzte ihr die Krone auf, während Chloe hilflos beobachtete, wie sich einer der Eiskrieger unaufhaltsam zu Elli und ihrem Retter vorarbeitete.

"Dean, beeil dich!"

"Ich kann nicht hexen!", kam es von Dean, während er versuchte, den Akku zu bedienen.

"Dämliche Zukunftstechnik! Chloe, Zähne zusammenbeißen!"

Dean haute ihr das Gerät ohne Vorwarnung gegen den Hinterkopf.

"Aua!"

Chloe rückte das Krönchen zurecht und schaute sich zusammen mit Dean ratlos um.

"Hätte was passieren sollen?", fragte sie dann.

"Laut Elli hätte eigent-"

Ein lautes Knacken ertönte. Nicht auf dem Schlachtfeld, sondern über ihnen.

Durch die Wolken hindurch drang ein goldener Schein, der Chloe ins Visier nahm. Er gab ein tiefes Wummern von sich, während er herabstieß und sie direkt traf.


Tief in Chloes Innerem, einem Ort, den sie nur in ihren Träumen erreichte, begann eine Art Gewitter zu toben, aus dem schließlich ein Blitz herabstieß und etwas traf, das sich danach sehnte, wieder zu leben.

Ku schlug seine zahlreichen Augen auf. Und grinste mit mehr Mündern, als man hätte zählen können.
Auf der Außenseite wurde Chloes Haar schlagartig schneeweiß …


Der Vormarsch stoppte nicht. Die Eiskrieger marschierten unbeirrt weiter und Elli blickte inzwischen ironischerweise in den Lauf einer aus Eis bestehenden MP40.

Dann sah einer der Eissoldaten auf und bemerkte den goldenen Schein.

Mehr Eismänner sahen auf, bis sich schließlich die gesamte Aufmerksamkeit des Winterbattalions auf das Tor fixierte. Das Donnern und Zischen ihres Kriegsgeräts verstummte.

Wind kam auf. Erst ein laues Lüftchen, das sich aber schnell zu einer Sturmbö entwickelte. Viele Soldaten der Nazis mussten sich irgendwo festhalten, um nicht fortgeweht zu werden, während die Eiskrieger einer nach dem anderen zu Schnee zerfielen und sich dem Schneewirbelsturm anschloss, in dessen Auge Chloe stand.

Sie fühlte Erleichterung von den Schneemassen, die nach und nach in dem Strahl aus Licht verschwanden. Über ihnen schrumpfte auch die Wolke Stück für Stück zusammen.

Der Sturm dauerte einige Zeit an, bevor die Wolke und die feindliche Streitmacht komplett verschwunden waren. Der Lichtstrahl aus dem Himmel wurde dünner, bis auch er schließlich komplett verschwand. Das Tor hatte sich geschlossen.


Elli, immer noch halb gelähmt von ihrer Wunde, hob versuchsweise den Kopf. Neben ihr sah Kulzer gen Himmel.

"Sind- Sind sie weg?"

Überall auf dem Schlachtfeld blickten Soldaten sich verwirrt um. Dann wurde vereinzelter Jubel laut, der bald zu einem regelrechten Siegesgeheul anschwoll.

Dadurch unbemerkt, genehmigte sich Elli endlich in aller Ruhe eine Panazee aus den Tiefen ihrer Handtasche und suchte, noch während ihre Wunde heilte, mit zittrigen Händen nach einem großen Stein …


"Du hast schon wieder einen Soldaten niedergeschlagen", kommentierte Dean, als sie durch die Bunkertür in den Nexus zurückkehrten.

Die Soldaten waren viel zu abgelenkt gewesen, um ihre Abreise zu bemerken.

Es dauerte eine Weile, bis Elli antwortete, da sie ihren Flachmann an den Lippen und scheinbar beschlossen hatte, ihn nie wieder abzusetzen.

"Verschweifelte Maschnahme", verteidigte sie sich dann schwankend. "Scholange der Kerl schuschah, konnte isch keine Pille nehmen. Dann hätte er schofort für alle eine gewollt. Eigentlisch allesch in Ordnung mit dir, Chloe? Dein Haar isch komplett weisch. Schogar deine Augenbrauen und Wimpern …"

Chloe brachte diesem Umstand weniger Panik entgegen als sie erwartet hatte. Naja, irgendwann wäre es ja sowieso passiert …

Nur, wie erklärte sie das ihrer Mutter …

Fragen für später! Erstmal nickte sie nur abgehakt.

"Hast du jetzt nicht die Geschichte verändert?", fragte sie, nachdem sie den Schock überwunden hatte. "Ich meine, die Nazis haben ja eigentlich verloren."

"Eine Schlacht entscheidet keinen Krieg, Chloe. Der Bunker wird in drei Monaten aufgegeben werden und die Naschisch schiehen ab. Allesch wasch isch getan habe, war ein paar dutzend Mann dasch Leben zu retten. Hascht du wieder allesch?"

Chloe hatte ihre Habseligkeiten von Elli zurückerhalten, tastete aber zur Sicherheit nochmal alles ab. Dann sank ihr das Herz in die Hose.

"Ich hab den NIVEA nicht mehr!"

Elli machte kurz ein nachdenkliches Gesicht.

"Hm, Schteuer hatte ihn bei scheinem Verhör nicht dabei. Wurde vielleischt verschlampt. Egal, der taucht wieder auf, ohne disch ischt er schowiescho nutschlosch."

"Bist du sicher?", fragte Chloe ängstlich.

"Natürlisch. Vermutlisch wird er aus Verschehen von einem Ruschen zertreten, wenn die Rote Armee den Bunker einnimmt. Wir haben keinen Nachteil aus dieschem Verluscht, Chloe. Keine Schorge. Und jetzt lass dich mal anschehen, ich will wischen, ob esch wirklisch nur deine Haare schind, die in Mitleidenschaft geschogen wurden."

Unbeobachtet von Chloe zog sich Dean endlich den Eisschrapnell aus der Seite, der durch die Granatexplosion hineingetrieben worden war. Als er fertig war, schaut er missbilligend auf das blanke Metall, das darunter zum Vorschein kam …


Kommandant Steuer saß in seinem Büro und war von gemischten Gefühlen erfüllt. Einerseits war ihm ein ganzer Berg vom Herzen gefallen, da diese eisige Bedrohung endlich gebannt war, allerdings war er auch unruhig. Ihre drei Wohltäter waren nämlich in dem Chaos nach dem Sieg spurlos verschwunden. Natürlich ließ er im Moment die Umgebung absuchen, aber er hatte das Gefühl, dass er die drei nicht wiedersehen würde. Vielleicht waren sie in ihre Zeit zurückgekehrt, oder so.

"Meier?", beschwor er die Aufmerksamkeit von seinem Vize.

"Kommandant?"

"Veranlassen Sie den Rückzug. Dieser Bunker kann von so wenigen Truppen nicht gehalten werden, wir werden-"

Es klopfte an der Tür.

"Herein?"

Ein Mann, den Steuer als einen der Funker erkannte, trat ein und salutierte.

"Obersturmbannführer, melde gehorsamst. Wir haben eine Nachricht aus Berlin bekommen. Offenbar hatte irgendein sowjetischer Trupp in der Nähe bisher unser Signal gestört. Wir sollen die Stellung weiterhin verteidigen. Es wird Verstärkung und jemand geschickt, der die Bunker repariert. Durch diese Eiswaffe kamen sie bisher nicht zu uns durch."

Steuer atmete tief ein und ließ die Luft langsam entweichen, während er sich mit der Hand über die Augen wischte. Auch das noch. Wenn er jetzt abrückte, kam das Befehlsverweigerung gleich und das mochten die hohen Tiere gar nicht. All das, nur um einen Bunker zu verteidigen, der in ein paar Monaten sowieso fallen würde …

"Meier, machen Sie eine Liste mit den Dingen fertig, die die Verstärkung mitbringen soll. Außerdem will ich unsere Panzer so schnell wie möglich wieder einsatzbereit haben. Sonst noch was, Soldat?"

"Äh, mir wurde draußen noch was von Kaiser für Sie in die Hand gedrückt, Kommandant."

Mit diesen Worten holte er einen Gegenstand hervor, der wie eine tiefblaue Pomadendose aussah. Erinnerte ihn irgendwie an NIVEA … Er nahm das Objekt entgegen und klaubte einen Spinnenfaden herunter, der daran hing.

"Was ist das?", fragte Steuer.

"Soweit ich weiß, wurde das den Winters abgenommen. Es lag im Untersuchungsraum auf dem Boden. Wohl vom Tisch gefallen."

Steuer betrachtete den Knopf im Inneren. Jetzt hatte er wenigstens den Hauch eines Beweises für diese Geschichte, wenn die Heeresleitung fragen würde. Und sie würde fragen …

Er seufzte.

"Gut, Soldat, Sie können gehen. Oh, und Meier, fragen Sie mal nach, ob wir eventuell einen aktuelleren Kalender als den draußen vor der Tür bekommen könnten. Es ist nicht mehr 1943, sondern 1944."

Das nächste Mal bei Nexus:
Ein Gutes Mädchen, Teil 1

Sofern nicht anders angegeben, steht der Inhalt dieser Seite unter Lizenz Creative Commons Attribution-ShareAlike 3.0 License