Das letzte Mal bei Nexus:
Gnadenloses Eis, Teil 1
Chloe hatte sich nie wirklich darüber Gedanken gemacht, wie sich Krieg eigentlich anfühlte. Jetzt bekam sie Eindrücke aus erster Hand. Soldaten feuerten mit ihren MPs auf den herannahenden Feind, der da durch das Unterholz gebrettert kam, nur um selbst niedergemäht zu werden. Granaten flogen durch die Luft und explodierten, den Gegner in einem Splitterhagel zerfetzend.
Für Chloe war das noch nichtmal das Schlimmste. Das Schlimmste war, gegen was die Soldaten da eigentlich kämpften.
An sich waren es menschliche Statuen, grob behauen und ohne nennenswertes Gesicht. Sie bestanden aus weißem Eis und führten ebenfalls aus Eis bestehende Waffen mit sich, Maschinengewehre, Granaten und Mörser. Und sie alle funktionierten als wären sie aus gewöhnlichem Stahl, mit gewöhnlicher Munition. Der Trupp, der gerade vom Süden her einfiel, war auf Motorrädern, ebenfalls aus Eis, durch das Unterholz geprescht und feuerten noch im Fahren auf ihren Gegner. Die, freilich, konnten auch zahlreiche Treffer verbuchen, aber nur Granaten vermochten, diese Eismänner mit einem Schlag zu zertrümmern. Ansonsten schienen sie Wunden nicht groß zu jucken. Ganz im Gegenteil zu denen, auf die sie feuerten. Um Chloe herum wurden viele Soldaten von Kugeln getroffen und niedergestreckt.
Bevor sie sich den Kampf aber noch weiter ansehen konnte, wurden sie von Kulzer an der Hand gepackt und hinter einem Bunker in Deckung gezerrt.
"Vorsicht, Kleine, wenn sie dich erwischen, zerquetschen die dir den Schädel."
Er feuerte auf eines der nur leise knirschenden Motorräder, das schließlich zersprang. Sein Fahrer flog im hohen Bogen herunter und zersplitterte an einer Bunkerwand.
"Treffer", jubelte er, während Chloe hektisch nach Dean und Elli Ausschau hielt, ohne sie jedoch zu entdecken.
Derweil setzten die Eismänner, unbeirrt vom Tod ihrer Kameraden, ihr Gemetzel fort. Mähten Soldaten nieder und sprengten sie aus ihren Verstecken.
Kulzer unterstützte die Verteidiger so gut er konnte, bis plötzlich einer der Eismänner aus dem toten Winkel der Deckung direkt vor ihn trat.
"Ach du lieber Himmel!", entfuhr es dem Soldaten, während er hastig Chloe hinter sich zerrte, wohl in einem verzweifelten Versuch sie zu schützen. Der Eiskrieger hob ungerührte seine Maschinenpistole, eine Nachbildung desselben Gewehrs, das auch die Wehrmacht benutzte, wie Chloe bemerkte, und legte an.
Und bemerkte dabei zu spät, wie Dean ihm von hinten die Hände an den Kopf legte, um ihn kurzerhand abzubrechen. Sein Opfer fiel sofort zu Boden.
"Donnerwetter!", entfuhr es Kulzer. "Ein Glück war das Kind wirklich nicht entführt …"
"Halten Sie keine Maulaffen feil und schießen Sie auf irgendwas!", bellte Dean, während er den Soldaten regelrecht aus seiner Deckung riss, um zu Chloe zu gelangen.
"Alles klar bei dir?", fragte er.
Chloe nickte nur.
"Wo ist Elli?"
"Keine Ahnung", sagte Dean. "Als ich sie das letzte Mal gesehen hab-"
Der Rest seiner Worte wurde vom Donnern einiger Panzerketten verschluckt, als sich drei der eher merkwürdigen Panzer mit beachtlicher Geschwindigkeit einen Weg auf das Schlachtfeld bahnten.
Und feuerten.
Chloe konnte kein Projektil erkennen, aber irgendwas blies alles bis in fünfzehn Meter Entfernung vom Austrittsende des Laufs in die Luft. Drei Eiskrieger wurden von der eigenartigen Druckwelle erfasst und zerbröselten sofort zu weißem Schnee.
Weitere gegnerische Einheiten versuchten, die Panzer auf ihren Motorrädern einzukreisen, aber die Türme hatten eine extreme Drehgeschwindigkeit und feuerten sukzessive in fünf Richtungen, wodurch sämtliche Feinde ausgelöscht wurden.
Es herrschte relative Stille, nur gestört vom Knallen und Donnern aus dem Westen.
Nach einer Weile öffnete sich schließlich der Einstieg des Panzers, und ein merklich genervter Panzerfahrer steckte den Kopf heraus.
"Wie zum Teufel sind die hier rein gekommen?", wetterte er. "Das ist schon das siebte Mal!"
Einige der versprengten Soldaten, die sich gerade nicht um Verwundete oder Tote kümmerten, kamen am Panzer zusammen.
"Sie werden uns flankiert haben. Mit ihren Motorrädern sind sie schneller aus die Hauptstreitmacht mit ihren T-34 oder T-55 oder weiß der Kuckuck was für Eispanzern", mutmaßte Kaiser.
Er hielt sich den rechten Arm, von dem Blut herabtropfte. Ein Feldarzt kramte neben ihm in seinem Verbandskoffer.
"Legen Sie sich endlich hin", knurrte der.
"Warum haben die Wachposten dann nichts gemeldet?", fragte der Panzerfahrer.
"Der Funkkontakt ist abgebrochen", entgegnete ein Soldat, der einen höheren Rang als die anderen zu besitzen schien. "Vermutlich sind sie erwischt worden. Aber dazu später. Kümmert euch erst mal um die Verletzten, bergt die Gefallenen und erstellt einen Schadensbericht. Der Kommandant wird darüber informiert werden wollen."
"Wo ist Elli?", fragte Dean in die Runde.
Kulzer, der neben ihm stand, blickte sich suchend um.
"Ihre Frau, äh, ach, da hinten ko- WENKMANN! WAS SOLL DIE SCHEIẞE!"
Die Soldaten und auch der Panzerfahrer drehten sich zu Kulzer um und blickten anschließend dahin, wohin er blickte. Chloe ebenfalls. Tatsächlich hatte der Soldat Elli gefunden, allerdings wurde sie von Wenkmann festgehalten, der ihr eine Pistole an den Hals hielt. Elli hielt zudem irgendeinen futuristisch aussehenden Barcode-Scanner in der Linken.
"Könnte jemand diesen Flegel von mir entfernen?", keifte Elli. "Ich weiß nicht ob das sein Holster ist, was mich da in den Hintern piekt."
"Ruhe, Weibstück!", bellte Wenkmann.
In seinen Augen stand pure Wut geschrieben.
"Und ihr, nehmt diese Saboteure fest!"
Einige Soldaten musterten Chloe verwirrt und brachten Wenkmann nur Unverständnis entgegen.
"Wenkmann, lass den Unsinn, nur weil-", begann Kulzer, nur um von dem Wahnsinnigen unterbrochen zu werden.
"Halt die Klappe, Kulzer, ich habe es mit eigenen Augen gesehen! Diese Eisteufel sind schnurstracks an dieser Frau vorbeigelaufen, um Jagd auf unsere Kameraden zu machen. Und guckt euch an, was sie in der Hand hat, das ist ein Funkgerät!"
"Ist Ihnen schon mal der Gedanke gekommen, dass diese Jungs vielleicht einfach nur Standards haben?", fragte Elli. "Außerdem ist das kein Funk- sondern ein Messgerät, Sie Idiot!"
"Standards?", echote Wenkmann ungläubig.
Den letzten Teil schien er gar nicht gehört zu haben.
"Diese Monster haben vor nichts haltgemacht. Nicht vor Kranken, nicht vor Verwundeten, nicht vor Soldaten, die sich ergeben haben. Das sind sowjetische Agenten, mein Wort drauf!"
"WENKMANN", bellte der übergeordnete Soldat. "LASSEN SIE DIESE FRAU GEHEN, DAS IST EIN BEFEHL!"
Es dauerte kurz, aber dann ließ der Soldat Elli widerwillig los, hielt aber weiterhin seine Waffe auf sie gerichtet.
"Ist das wahr?", fragte der Befehlshaber dann. "Dass Ihnen diese Eismänner nichts getan haben?"
"Weniger nichts getan als komplett ignoriert", bestätigte Elli. "Sie haben mich in Ruhe gelassen, solange ich nicht keinen ihrer Soldaten hinter mir hatte."
"Mich haben sie auch in Ruhe gelassen", stimmte Dean zu.
"Er hat einen von ihnen mit bloßen Händen den Kopf abgerissen", meldete sich Kulzer zu Wort. "Der Mann ist stark wie ein Bär, das sag ich euch."
Dean wurde das Opfer teilweise erstaunter und teilweise ungläubiger Blicke.
"Ich hab’s auch gesehen", rief ein anderer Soldat in der Gruppe.
"Ja und? ", fragte Dean. "Das Wesen hat eine Waffe auf meine Tochter gerichtet."
Schlagartig wurde um Chloe ein drei Meter durchmessender Bereich frei.
"Was ist hier los?"
Steuer kam, flankiert von zwei Soldaten, heran und baute sich vor der Gruppe auf. Der Befehlshabende trat vor und salutierte, während der Rest der Anwesenden hastig Haltung annahm. Sogar Wenkmann versuchte möglichst gerade zu stehen, während er weiterhin Elli bedrohte.
"Kommandant Steuer, melde gehorsamst. Es gab einen Hinterhalt. Einige Männer wurden getötet, andere verwundet. Unsere Späher wurden vermutlich ausgelöscht, wir kriegen keinen Funkkontakt."
"Das ist mir klar, deswegen hab ich die Impulspanzer geschickt", winkte Steuer ab. "Was treibt Wenkmann da schon wieder mit den Zivilisten?"
"Die Eismonster haben sie ignoriert, er nimmt an sie seien Saboteure, die für den Angriff verantwortlich sind."
"Hatten sie irgendwann Zeit, unbeobachtet einen Funkspruch abzusetzen?", fragte Steuer.
Kopfschütteln von Kaiser, Kulzer und erstaunlicherweise auch Wenkmann.
"Wir haben nichtmal ein Funkgerät", entgegnete Dean. "Das da misst irgendwas."
"Ich glaube trotzdem, dass wir uns unterhalten müssen. Oder wenigstens ihr mit einem unserer Ausquetscher. Und Wenkmann, Sie kommen für heute in den Bau, damit das klar ist!"
"Ich fasse es nicht, Elli!", wetterte Dean. "Warum zum Geier hast du es für eine gute Idee gehalten, ausgerechnet 1943 aufzusuchen! Dadurch, dass die Nerven hier zum Zerreißen gespannt sind, war es klar, dass der AVT nicht gegen die Wachsamkeit der Nazis ankommt."
Sie befanden sich in einem kleinen Raum in einem der Bunker, der noch halbwegs intakt war, zusammen mit drei Stühlen und einem kleinen Tisch. Man hatte ihnen alles abgenommen, was keine Kleidung, war. Das hieß, Ellis Handtasche, ihren Messer, Chloes Portemonnaie, ihr Smartphone und den NIVEA. Eigentlich hatte man sie einzeln eingesperrt, aber dank Ellis Nexus stellte das nur ein kleineres Problem dar. Er verband im Moment alle drei Zellen.
Chloe, die erst vor kurzem angefangen hatte, das Gesehene zu verarbeiten, hockte in einer Ecke und übergab sich in einen Eimer, eine Angelegenheit, die durch ihre Prellungen nicht gerade angenehmer gemacht wurden. Sie hatte zuvor bereits Tote gesehen, aber noch nie so viele auf einmal. Diese Bilder würden sie in ihre Träume verfolgen, vorausgesetzt sie hätte mal wieder welche. Sie irrte im Schlaf noch immer durch diese Dunkelheit …
"Ich hatte Chloes Gegenwart anvisiert, Dean", verteidigte sich Eli. "Irgendwas hat mich vom Ziel abgebracht."
"Musstest du nicht niesen?", fragte Chloe röchelnd, bevor die Bilder und Teile ihrer letzten Mahlzeit wieder hochkamen.
"Sehr eklig sogar", stimmte Dean zu.
"Oh", machte Elli. "Da haben wir auch schon die Wurzel allen Übels. Ich hatte nämlich auch ursprünglich nicht die Hütte, sondern eine große Baumhöhle anvisiert. Hoppala …"
Chloe konnte Dean ansehen, dass er sich gerade die mentale Notiz machte, Elli bei der nächsten Gelegenheit über’s Knie zu legen.
"Sollten wir dann nicht langsam verschwinden?", fragte sie schwer atmend.
Für Chloe war es insgeheim auch völlig unverständlich, wie die beiden von dem Gemetzel da draußen so ungerührt bleiben konnten. Die einzige Erklärung für sie war, dass es nicht ihr erstes gewesen war …
"Nicht ohne meine Sachen", entgegnete Elli auf die Frage. "Meine Tasche ist zwar fünfdimensional, aber wenn sie nur lange genug darin rumgrapschen, werden sie an meine Habseligkeiten kommen. Und ich habe ziemlich futuristisches Zeug da drin. Die Einwirkungen, die es haben könnte, wenn die Nazis oder wer anders diese Gegenstände nachbauen, sind für die Zeitachse verheerend. Im schlimmsten Fall kommt es zu einer erzwungenen Spaltung dieses Universums, weil die Zeit versucht, den natürlichen Lauf der Dinge beizubehalten und unsere Einmischung in ein Zweiguniversum abkoppelt, wodurch dann beide in ihrer Stabilität beeinträchtigt werden. Sie könnten spontan kollabieren. Außerdem stört mich was an diesen Eisgolems. Meine Messungen zeigen an, dass sie himmlisch sind."
Die Tür zur Kammer quietschte, als sich auf der anderen Seite daran zu schaffen gemacht wurde.
"Schnell, alle zurück!", befahl Elli, aber es war schon zu spät.
Steuer trat zusammen mit drei Soldaten ein und glotzte kurzzeitig auf die Anwesenden und die beiden gegenüberliegenden Wände, die durch Ellis Portale geschwärzt waren. Er fing sich aber schnell wieder. Einer legte seine Waffe an, während der Zweite Ellis und Chloes Habseligkeiten präsentierte. Der Dritte stellte für seinen Befehlshaber einen weiteren Stuhl an den Tisch und trat nach draußen, um nach weiterer Verstärkung zu rufen.
"Sie sind der Ausquetscher? Ui!", kommentierte Elli.
"Ruhe!", kam es erbost von Steuer. "Ich habe mir doch gedacht, das was faul ist, wie seid ihr hier reingekommen!?"
"Wenn Sie das stört, gehen wir wieder", bot Dean an.
"RUHE!"
Chloe steckte als Erklärung kurz eine Hand durch das Portal, was einige hochgezogene Augenbrauen zur Folge hatte. Elli seufzte, woraufhin, sich die Portale schlossen.
"Sie sind vom SKP, guter Mann, sagen Sie mir nicht, Sie haben sowas noch nicht gesehen!"
"Woher-", entfuhr es Steuer, bevor er sich besann und kurz tief Luft holte. "Gut, später dazu, alles der Reihe nach. Eure Mitbringsel haben uns solches Kopfzerbrechen bereitet, dass ich mich lieber selbst darum kümmern wollte. War wohl auch berechtigt, gegeben … dem hier …"
"Müssen Sie sich nicht um ein Gefecht kümmern?", fragte Elli.
Der Obersturmbannführer winkte ab.
"Unsere Panzerdivisionen wechseln sich gegenseitig ab und unsere Truppen sind jetzt nach diesem Überraschungsangriff extrawachsam.", erklärte Steuer. "Meine Anwesenheit ist nicht zwingend erforderlich. Was mich als erstes interessiert, ist das hier."
Er nahm weder eines von Ellis merkwürdigen Geräten, noch Chloes Smartphone aus den Händen seines Untergebenen, sondern Chloes Portemonnaie, und knallte es auf den Tisch. Chloes Ausweis und einige Geldmünzen waren sichtbar.
"Deutsche Demokratische Republik. Euro. Und alles von nach zweitausend. Und dann dieses Ding hier", Steuer nahm Chloes Smartphone entgegen, "Was ist das? Dieses Ding verlangt irgendeinen Code, den ich nicht kenne, und eingeben kann ich ihn, indem ich auf Glas fasse. Und er sagt 'Kein Netz'. Dann, keine Ahnung, was das hier messen soll."
Er wedelte kurz mit Ellis ominösen Messgerät herum.
"Und der Gipfel ist das hier."
Er nahm Ellis Tasche, öffnete sie und versenkte seinen Arm bis zum Anschlag darin.
"Da passt offensichtlich mehr rein als reinpassen sollte. Ihr seid offensichtlich keine Deutschen. Ich rate euch also, eine gute Erklärung bereitzuhalten. Besonders nach der Aktion gerade eben."
Er nickte bedeutungsvoll zu dem Mann mit der Maschinenpistole.
Elli bedeute den anderen beiden, dass sie das Reden übernehmen würde.
"Also", begann sie langsam. "Um eine Sache klarzustellen, wir sind Deutsche, mein Herr. Nur stammen wir nicht von hier, sondern aus der Zukunft. Dass wir mit unseren Portalen hier gelandet sind, war im Großen und Ganzen ein Unfall."
"Aus der Zukunft, soso", knurrte Steuer. "Ganz schön hanebüchen, wenn Sie mich fragen."
"So hanebüchen wie eine Armee komplett aus Eis?", fragte Elli lächelnd. "Oder der Fakt, dass sie drei Leute in derselben Zelle vorfinden, die eigentlich in Einzelhaft sein sollten?"
"Punkt für sie", kommentierte Dean.
Der Kommandant maß ihn mit einem giftigen Blick.
"Und was ist dann diese Republik? Wir sind das Großdeutsche Reich, gute Frau."
"Hm, was könnte einen Staat wohl dazu bewegen, den Namen ändern zu müssen?", überlegte Elli laut.
Steuers Gesichtszüge schliefen ein.
"Das ist eine Lüge", sagte er nur. "Ein Trick der Roten Armee!"
"Ihre Schlussfolgerung, nicht meine", erwiderte Elli trocken. "Aber wie erklären sie sich diese Gegenstände sonst? Technologie, die sie noch nie zuvor gesehen haben und die eigentlich unmöglich sein sollte? Geld, das an einem Datum geprägt wurde, das noch nicht existiert. Einen Ausweis aus einem Land, das auf keiner Karte zu finden ist. Ziemlich große Längen, die die Sowjets da gehen müssten, nur um Sie zu täuschen, nicht wahr?"
"Dann wissen sie auch bestimmt, was es mit diesen Eismännern auf sich hat, oder?", fragte Steuer lauernd.
"Leider nein, aber ich schätze, sie werden der Grund sein, warum die Rote Armee schlussendlich in der Lage sein wird, diesen Bunker zu besetzen. Seine Ruinen sind in unserer Zeit ein Museum, müssen sie wissen. Wenn sie mir nicht glauben, ich habe in meiner Tasche eine Broschüre."
"Zerstört? Soll das heißen, alles was wir hier tun wird umsonst sein?"
Steuer klang verzweifelt.
"Vermutlich, aber vielleicht ist es sowieso das Beste, wenn Sie verschwinden. Diese Eiskrieger scheinen unglaublich große Reserven zu haben."
Steuer sackte in seinem Stuhl zusammen. Offenbar hatte er Elli ihre Erklärung von Anfang an abgenommen und nur versucht, seine eigene kleine Welt zu erhalten.
"Wir können nicht fort von hier. Wir kriegen keinen Funkkontakt mit der Heimat. Und sie werden uns verfolgen, uns jagen. Und sie werden uns alle vernichten, selbst wenn wir uns ergeben. Noch dazu kommen sie aus der Richtung, in die wir fliehen müssten."
Elli zog eine Augenbraue hoch.
"Sie töten jeden von euch? Ohne zu unterscheiden?"
Steuer, und mit ihm seine Begleiter, nickten nur schwach.
Zu Chloes Verwunderung ballten sich Ellis Hände nahezu krampfhaft zusammen. In ihrem Gesicht blitzte Zorn auf. Und Hass?
"Ich werde euch helfen", verkündete sie dann.
Dean und auch Chloe runzelten die Stirn.
"Wie wollen Sie uns bitteschön helfen?", gluckste Steuer in einem offensichtlichen Anflug von Galgenhumor. "Ihr habt nichtmal Waffen, um euch diesen Ungeheuern entgegen zu stellen."
"Wir brauchen auch keine", sagte Elli. "Wir werden von ihnen ignoriert, erinnern Sie sich? Und genau das wird der Punkt sein, an dem wir ansetzen."
"Das ist eine Paranormalie, wie wollen Sie die verstehen?", fragte Steuer.
"Ihr Sonderkommando für Paranormales hat es auch verstanden, eine Impulswaffe zu bauen, nicht wahr?", entgegnete Elli grinsend.
Der Kommandant blickte auf, als er sich plötzlich erinnerte.
"Woher wissen sie überhaupt-"
"Zukunft", wurde er von Elli unterbrochen. "Denken Sie, ich weiß nicht, wie Sie an diese Technik mit den Panzern gekommen sind? Und ich sage Ihnen eins, ich bin diesem Trupp um Jahrmillionen voraus."
"Bist du durchgedreht, Elli?", zischte Chloe leise, während sie den Bunker verließen und zu einem Spähposten gebracht wurden.
Ihre Sachen hatte man ihnen aber nicht wiedergegeben. So leicht zu überzeugen schien Steuer dann doch nicht zu sein. Vermutlich ließ er es nur auf den Versuch ankommen.
"Chloe, bau chemische Waffen, meinetwegen eine Atombombe, aber das sind wenigstens Waffen, in deren Angesicht man vor die Wahl gestellt werden oder fliehen kann" erwiderte Elli ebenfalls leise genug, um für die Wachen unverständlich zu bleiben, die die beiden gewähren ließen. "Einmal abgefeuert, kann man sich ergeben, wenn man sie überlebt. Aber das hier wurde mit dem simplen Ziel gebaut, jeden zu vernichten. Ohne zu berücksichtigen, ob man zur Aufgabe bereit ist. Diese Waffe kann, anders als andere Waffen, nicht einfach von irgendjemandem missbraucht werden, weil ihr einziger Daseinszweck bereits reine Gehässigkeit ist."
"Aber Elli, das sind Nazis. Die haben Millionen getötet und einen Haufen Länder überfallen!", beharrte Chloe.
"Die hier bestimmt nicht", entgegnete Elli flüsternd. "Sicherlich gibt es nichts an den Verbrechen dieses Regimes, das sich beschönigen ließe, aber guck dir diese Leute an. Sehen die für dich wie die Inkarnation des Bösen aus?"
Tatsächlich war alles, was Chloe sah, ein Haufen Dreck, zerschlissene Kleidung und lange Gesichter. Das hier waren nicht die Monster, die sie aus Erzählungen kannte. Das hier waren einfache Männer, die eigentlich gar nicht hier sein wollten.
"Interessanterweise vergessen die Geschichtsbücher oft zu erwähnen, dass die Soldaten einer Armee nur selten die Ansichten der Befehlshaber vertreten. Sie dürfen sich aber nicht dagegen aufwiegeln, denn das gehört nicht zu ihrem Job und wird entsprechend bestraft. Vor allem bei Militär wie dem hier. Die NS-Führung hat Furcht nicht nur als Mittel gegen ihre Opfer eingesetzt, musst du wissen. Und nur damit du es weißt, dieser Bunker wird in drei Monaten sowieso aufgegeben."
Chloe musste sich daran erinnern, wie freundlich die Leute außer Wenkmann hier gewesen waren. Gut, sie war Deutsche, aber man hatte sie teilweise als Spionin betitelt.
Der Spähposten zu dem sie aufgebrochen waren bestand aus einer Plattform zwischen den Baumwipfeln, erreichbar über eine Leiter. In der Ferne konnte man das Donnern der Kanonen und das Knallen der Pistolen vernehmen.
"Diese Panzer sind umgerüstete Panther V", erklärte Steuer. "Sie sind den gegnerischen Fahrzeugen durch ihre Geschwindigkeit und Feuerrate überlegen, aber nach und nach werden sie durch diesen andauernden Angriff abgenutzt. Außerdem geht uns allmählich der Treibstoff aus."
"Warum andauernde Angriffe?", fragte Elli. "Gibt es eine Fabrik, die diese Dinger herstellt?"
"Sowas ähnliches. Schauen Sie zum Horizont. Hauer, geben Sie ihr das Fernglas."
Einer der Soldaten reichte Elli die Sehhilfe, aber Chloe brauchte keine, um zu sehen, was sie sehen sollte. Weit weg in der Ferne trieben graue Wolken ab Himmel und unter ihnen weißer Nebel, der sich bei näherer Betrachtung als Schneesturm entpuppte.
"Das ist in der Tat interessant", kommentierte Elli und gab Chloe das Fernglas.
Sie sah nur unwesentlich mehr, aber genug um zu erkennen, dass aus dem Schneegestöber ein endloser Strom von Eiskriegern und Panzern hervorkam, bewaffnet bis an die Zähne. Irgendwas in ihr empfand komischerweise Mitleid mit diesen Kreaturen. Aber sie wusste nicht warum.
Emotional verwirrt gab sie ihr Fernglas an Dean weiter.
"Wie lange gibt es diesen Schneesturm schon?", fragte Elli.
"Seit zwei Monaten" gab der Kommandant an. "Wir wurden immer wieder angegriffen, außer wenn in der Nähe Konvois vorbeikamen. Dann haben wir nur über Funk Hilferufe empfangen können. Wir müssen annehmen, dass sie zu den Sowjets gehören, weil sie deren Militär in der Nähe nicht behelligen."
"Was haben sie alles an Waffen?", erkundigte sich Elli weiter.
"Soweit wir wissen alles, was sich im Bestand der Sowjets befindet. Sogar unsere Waffen bilden sie nach, wenn sie vom sowjetischen Militär erbeutet und eingesetzt werden."
"Dann steckt ein Automatismus dahinter", schlussfolgerte Elli. "Irgendwas, das nur in absoluten Bahnen denkt oder denken kann."
"Aber wie soll uns das helfen?", fragte Steuer.
"Wenn es absolut denkt, wird es seine Regeln nicht missachten, dadurch könnten wir die Eismänner vielleicht dazu bringen, euch zu ignorieren. Dafür müssten wir aber herausfinden, wie sie ihre Ziele festlegen. Gibt es zwischen ihnen Funkverkehr?"
"Nun, nicht direkt zwischen ihnen, aber …"
Hoffling zog an seiner Zigarette, während er seinem Impulspanzer durch die feindlichen Reihen manövrierte. Diese T-34-Imitate und auch die anderen Panzer waren zu langsam, um ordentlich auf sein Gefährt feuern zu können, bevor sie einfach pulverisiert wurden. Dass die Panzerdivision bei ihrem Ballett auch noch feindliche Einheiten überrollte, war noch ein zusätzlicher Bonus. Er hörte dabei keine Schmerzensschreie, sondern nur leises Knirschen.
"Schuss auf zwei Uhr", empfahl er mit einem Blick nach draußen.
"Joa, sieht gut aus", kam es von Kanonier Mingel, dem man seine norddeutsche Abstammung deutlich anhörte.
Die Impulskanone zischte kurz, dann verschwanden zwei Panzer und mehrere Eiskrieger in einer Wolke aus Dreck. Aber die Arbeit war noch lange nicht getan. Der Schneesturm in der Ferne spukte seit Monaten unaufhörlich neue Feinde aus, er würde nicht so einfach damit aufhören.
Plötzlich sah Hoffling etwas Merkwürdiges draußen auf dem Schlachtfeld. Er kniff die Augen zusammen, um es besser erkennen zu können, bevor er sie plötzlich aufriss und den Panzer wendete.
"Was denn los?", fragte einer von der Mannschaft.
Der Panzerfahrer sah sich gehetzt im Gefährt um.
"Gebt einen Funkspruch an die anderen Panzer durch, wir müssen uns zurück-"
Dann wurde ihr Panzer mit einem lauten Knall in Stücke gerissen.
Das nächste Mal bei Nexus:
Gnadenloses Eis, Teil 3