Das letzte Mal bei Nexus:
Der Mörder der Unsterblichen, Teil 3
In letzter Zeit hatte Chloe Spaß. Mehr Spaß als sie je zuvor in ihrem Leben gehabt hatte. In mehr Welten als sie sich je hätte erträumen können.
Seit ihrem Aufenthalt auf Hawaii war ein Monat vergangen. In diesem Monat hatte sie Elli an die verschiedensten Orte im Multiversum geführt.
Sie hatten die Boston Teaparty miterlebt, in London die Frostjahrmärkte besucht, den Broadway besichtigt, in Venedig die Gondeln bestiegen, den Mars erkundet und die Milchstraße von oben betrachtet.
Sie blieben zwar immer nur ungefähr eine Stunde, aber das tat den Wundern die Chloe sah keinen Abbruch.
Nicht dass es immer gemütlich zugegangen wäre.
Im Nexus vor Ellis Haus öffnete sich ein Portal, durch das mit halsbrecherischer Geschwindigkeit ein tarnfarbener Jeep raste. Das Gefährt kam mit quietschenden Reifen zum Halt, während sich das Portal blitzartig wieder schloss.
"WUHU!", rief Elli, während sie aus dem Wagen stiegen.
Sie griff nach ihrem Flachmann und trank einen kräftigen Schluck. Derweil stiegen eine extrem wabblige Chloe und ein sehr genervter Dean aus dem Wagen aus.
"Ja, lass uns nach Philadelphia gehen", äffte Dean Elli nach. "Das nächste Mal lässt du uns aber wo raus, wo die Navy gerade keine Tarntechnologie testet!"
"Hey, der Raum war dort schön brüchig, und wir sind wenigstens nicht auf dem Schiff rausgekommen. Und man hat uns nur bemerkt, weil Chloe husten musste. Tut mir leid, Chloe."
Dean verdrehte die Augen.
"Tschuldige", murmelte Chloe traurig.
"Ach, macht doch nichts, Chloe", tröstete sie Elli. "Ist doch nichts passiert."
"Wir haben einen Soldaten niedergeschlagen und Militäreigentum geklaut", erinnerte sie Dean.
Elli warf ihm einen Blick zu, der ausgereicht hätte, eine mittelgroße Sonne einzufrieren.
"Nach der Aufregung sollten wir vielleicht wohin gehen, wo es weniger hektisch ist", schlug sie dann vor.
"Ach ja? Was schwebt dir denn vor? Nordkorea? Die Indische Küste während des Tsunamis 2004? Oder doch lieber Berlin Ende 1923?", fragte Dean trocken.
"Nein, wir gehen in die Ukraine der Gegenwart und gucken uns den Schnee an. Und vielleicht besuchen wir ein Museum. Was sagst du Chloe?"
Chloe, die allmählich wieder einen festen Aggregatzustand erreichte, war erleichtert. Nach der Verfolgungsjagd gerade kam ihr etwas Ruhiges wie gerufen. Sie hatte gestern an einem Geländer hart die Rippen geprellt, daher hatte jeder Schlenker in dem Auto zu kleineren Explosionen in ihrer Brust geführt. Sie nickte dementsprechend langsam mit dem Kopf.
Elli hatte sich inzwischen ob ihrer ständigen Wechsel zwischen Zeiten und Universen dafür entschieden, sie einfach alle in ihre Garderobe zu teleportieren. Dean zog sich eine Bomberjacke und Jeans an, Elli nahm sich einen weißen Anorak mit grauen Fellkragen und Chloe bekam einen beigen, zusammen mit einer braunen Uschanka und schwarzen Fäustlingen. Elli legte sich bei dem Anblick noch eine Pelzmütze zu.
Nachdem sich alle Winterstiefel angezogen hatten (Dean hatte kein anderes Schuhwerk zugelassen), kam die letzte Überprüfung.
"Also, die Damen, aufgepasst", begann Dean resigniert. "Jacken?"
"Check!", kam es von Elli und Chloe.
"Stiefel?"
"Check!"
"Kopfbedeckung?"
"Check!"
"Hosen?"
"Check!"
"Taschen?"
"Mit Inhalt", bestätigte Elli.
"Ahnung wo es eigentlich hingeht?"
Elli verdrehte die Augen.
"Komm mir nicht auf die Tour, wir wären vorhin fast Teil der USS Eldridge geworden", schimpfte Dean.
"Ja, ja …"
"Ich habe die Wernerfilme gesehen, Elli, ich weiß was du gerade gesagt hast."
Elli beschloss zu schmollen. Chloe derweil begann sich zu fragen, ob die beiden miteinander verheiratet waren, das mochte diese Situationen noch am ehesten zu erklären. Auch wenn die Rollen vertauscht zu sein schienen.
"Hoffen wir einfach mal Check", murmelte Dean. "Chloe, hast du deinen Not-"
Elli schaute ihn plötzlich erwartungsvoll grienend an. Dean seufzte.
"Deinen NIVEA?1?"
Elli nickte zufrieden.
Chloe holte das kleine, pomadendosenartige Gerät aus der Tasche und zeigte es vor. Es war ein dunkelblauer Apparat mit einem Ein-Knopf im Inneren, dass, so hatte Elli versichert, es Chloe auch ohne sie erlauben würde, in den Nexus zurückzukehren. Es konnte nur von ihr aktiviert werden, das hatte Chloe etwas die Angst vor dem Verlust genommen.
"Perfekt!", frohlockte Elli. "Dann noch flugs das Porta- ha- ha- HATSCHI!"
Ihr Pelzkragen musste ihre Nase gereizt haben, denn Elli nieste hart, laut und allgemein sehr undamenhaft. Sogar das Portal, das sich vor ihr öffnete, schien davon angeekelt zu sein, denn Chloe hatte für einen Sekundenbruchteil das Gefühl, als wolle es sich wieder schließen.
"Genau mit dem Manöver hat Elli damals auch verhindert, von Augustus II flachgelegt zu werden", merkte Dean trocken an.
Elli schniefte kurz, bevor sie mit würdevoll erhobenen Gesicht durch das merkwürdig unförmig wirkende Portal schritt. Als Chloe dasselbe tat, merkte sie auch, woran das lag. Es füllte den gerade noch so zusammenhaltenden Türrahmen einer verfallenen Hütte aus, die einsam in einem verschneiten Fichtenwald stand. Elli stand davor und bedachte das Bauwerk mit einer hochgezogenen Augenbraue, währen Dean durch das Portal kam, welches sich hinter ihm schloss.
"Ist was, Elli? ", fragte Chloe.
Elli drehte sich mit einem letzten argwöhnischen Blick zum Gehen um.
"Ach, nicht so wichtig … Oh, was haben wir denn da?"
Elli bückte sich und griff in den Schnee. Chloe kam interessiert näher, wurde aber auf halbem Wege von Ellis Schneeball an der Schulter getroffen.
"Hehe, reingefallen", höhnte sie. "Und jetzt noch- UMPF!"
Chloe spürte noch den Luftzug des Schneeballs, den Dean mit chirurgischer Präzision über Chloes Kopf hinweg in Ellis Gesicht gepfeffert hatte. Die Wucht war groß genug, um Elli nach hinten zu reißen und auf den Hintern fallen zu lassen.
"Au!"
Dean stapfte in gewohnter Gleichmütigkeit an Chloe vorbei und baute sich vor Elli auf.
"Wenn du fertig bist dich wie eine Fünfjährige aufzuführen, komm, du wolltest einen Winterspaziergang zu einem Museum machen."
"Ja, ist ja gut."
Dean half Elli auf die Beine und gemeinsam machte sich das Trio auf den Weg durch den Wald. Es dauerte nicht lange, bis Dean etwas auffiel.
"Elli, wo sind wir eigentlich genau?"
"Stryschawka, wieso?", fragte Elli, bevor auch sie die Stirn runzelte. "Stimmt, du hast Recht, da wo ich hin will, sollte eigentlich mehr Lärm sein. Ganz schön still dafür, dass dahinten eine Häusersiedlung ist.
Sie deute in eine Richtung zu ihrer Rechten, in der Chloe aber nichts als Bäume sah.
"Naja, es ist Winter, da ist es generell ruhiger", versuchte sie einen Beitrag zu leisten.
Elli nahm einen Schluck aus ihrem Flachmann.
"Durchaus, aber hör mal, hier ist überhaupt nichts. Nichtmal irgendwelche Vögel oder so. Seht ihr was?"
Alle schauten und hörten sich kurz um, ohne irgendwas zu entdecken.
"Vielleicht haben wir sie einfach verscheuccchhhht …"
Elli wurde immer leiser, weil sie zu sehr damit beschäftigt war, auf den Lauf der MP 40 zu schielen, der auf sie gerichtet war. Der Besitzer der Waffe war hinter einer kleinen Fichte hervorgetreten und trug eine Kluft, die Chloe als die eines Wehrmacht-Soldaten identifizierte, komplett mit Stahlhelm und einer Gasmaske, die im Moment am Gürtel baumelte. Der Mann wirkte sehr mitgenommen, sein hageres, kantiges Gesicht war unrasiert und seine Kleidung war dreckig und an manchen Stellen eingerissen. Was ihr aber nicht gefiel, war das wütende Funkeln in seinen Augen.
"Wer seid ihr!?", bellte er. "Etwa sowjetische Spione? Antwortet!"
"Äh, wir sind Touristen?", versuchte es Elli mit einem verzweifelten Lächeln.
Das linke Augenlid des Soldaten zuckte auf eine Weise, die Chloe nicht gefiel. Die Hand am Abzug machte zudem Bewegungen, die ihr noch viel weniger gefielen.
Hinter dem Soldaten wurden plötzlich Schritte laut. Zwei weitere Männer in ähnlicher Aufmachung und in ähnlichem Zustand kamen heran. Der eine war breit gebaut und hatte ein rundes Gesicht und der andere hob sich von den anderen beiden durch seine Augenklappe ab.
"Wenkmann, was ist hier los?", fragte der Breite.
"Kulzer, ich habe hier drei verdächtige Subjekte festgesetzt, wahrscheinlich Spione vom Feind."
Die beiden Neuankömmlinge sahen erst zu Elli, dann zu Chloe, wechselten anschließend einen vielsagenden Blick und schüttelten langsam den Kopf.
"Ein Kind, Wenkmann", begann der Einäugige langsam. "Ich weiß, dass es im Moment nicht gerade leicht ist, aber auch Paranoia hat Grenzen."
Chloe spürte einen leichten Hauch von Hoffnung in der Art wie der Mann redete.
"Das ist ja gerade das Perfide, Kaiser. Die Illusion ist perfekt. Die Sowjets wissen was sie tun."
"Abor mir sin gene Sofjeds", sagte Chloe plötzlich mit dem schlimmsten Dresdner-Dialekt, zu dem sie fähig war.
Der Soldat namens Kaiser zog die Augenbrauen hoch.
"Ihr kommt aus Sachsen?"
"Ja", log Elli ohne mit der Wimper zu zucken. "Wir waren ziemlich lange in der Sowjetunion gefangen, seitdem der Krieg ausgebrochen ist."
Chloe wurde hellhörig. Krieg? Anscheinend waren sie in der falschen Zeit rausgekommen.
"Ha! So einen Dialekt kann man leicht fälschen", lachte Wenkmann.
"Nein, Wenkmann, solchen Kauderwelsch reden nur die Sachsen", entgegnete Kaiser genervt. "Nichts für ungut."
"Ach ja? Ziemlich komische Kleidung für Flüchtlinge aus der Sowjetunion", merkte Wenkmann mit einem irren Lächeln an. "Was ist das überhaupt? Plastik?"
"Wir haben einen Kleiderladen oben in Schytomyr bestohlen", entgegnete Dean. "Wirklich erstaunlich, was es da oben gibt. Aber so sehr es uns auch erleichtert, endlich wieder Landsleute zu treffen, könnten Sie uns bitte erklären, wo genau wir hier sind?"
"Ein paar hundert Meter hinter uns ist der Werwolf-Bunke-", erklärte Kulzer, bevor ihn Wenkmann unterbrach.
"PSCHT! Jetzt wissen sie wo wir sind, du Trottel!"
"Jeder weiß wo wir sind, vor allem die Sowjets", entgegnete Kaiser, noch genervter als zuvor.
"Ist der immer so?", fragte Dean.
"Nein, aber diese Monster hier reiben uns allen allmählich den Verstand auf, sie kennen die bestimmt", entgegnete Kulzer.
"Nein?", antwortete Dean vorsichtig.
"Dann hattet ihr mehr Glück als Verstand", sagte Kulzer trocken.
"Oder sie sind Agenten des Feindes", merkte Wenkmann an.
Kulzer drückte ihm genervt die Waffe runter.
"Wir können nicht lange hier draußen im Offenen bleiben. Wir bringen euch zurück zum Bunker. Mal sehen was der Kommandant sagen wird."
"Oh, wir wollen niemanden zur Last fallen" entgegnete Elli mit gespieltem Lachen. "Wenn ihr uns was zu essen mitgebt und uns sagt wo Westen ist, kommen wir schon durch, keine Sorge."
Kaiser sah sie mit durchdringendem Blick an.
"Ganz ehrlich? Es ist ein Wunder, dass ihr überhaupt noch lebt."
Der Führerbunker Werwolf wurde 1942 von ukrainischen Zwangsarbeitern errichtet und bestand hauptsächlich aus einigen quaderförmigen, jetzt inzwischen fast komplett zerstörten Betonbauten und jede Menge Holzbaracken. Der übrige Platz wurde von merkwürdig anmutender Artillerie beansprucht. Es waren Panzer, die aussahen, als hätte man die Kanone durch eine graue, drei Meter lange Posaune ersetzt.
Chloe hatte keine Möglichkeit gehabt sich bei Elli zu erkundigen, warum sie in dieser Zeit gelandet waren. Ihr Übersetzungspflaster zu deaktivieren half hier nichts, weil ihre Begleiter leider ihrer Muttersprache mächtig waren. Darum konnte sie nur raten und sich Dinge durch das, was sie sah zusammenreimen. Nur, so sehr sich Chloe auch das Hirn zermarterte, in der Schule waren sie in Geschichte noch nicht so weit. Alles was sie über die Nazis wusste, kam größtenteils von Hörensagen und in einigen wenigen Fällen von Wikipedia.
"Äh, was für Panzer sind das?", fragte sie daher unbescholten, was bei Elli als auch Dean kurz tellergroße Augen verursachte.
Glücklicherweise bekam das keiner mit.
"Das ist leider geheim", entgegnete Kaiser lächelnd.
Dann sah er zu Elli.
"Ist was nicht in Ordnung? Sie sehen so blass aus."
"Nein, alles okay, wird wohl der lange Marsch sein."
Allmählich gerieten auch andere Soldaten ins Blickfeld. Viele von ihnen befanden sich in ähnlichem, wenn nicht sogar schlimmeren Zustand als ihre Aufpasser. Nicht wenige sah Chloe, die innerlich tot zu sein schienen.
Ihre Eskorte führte sie in eine der wohnlicher aussehenden Baracken, vor eine große Holztür. Daneben, zwischen dem Türrahmen und einem grimmig dreinschauenden Wachmann, hing ein Kalender, der Chloes Befürchtungen wahr werden ließ.
Dezember 1943
"Kulzer, Sie bleiben hier, Wenkmann, Sie kommen mit."
Die beiden Soldaten verschwanden hinter der Tür. Man hörte das Zusammenschlagen von Hacken. Dann eine Weile nichts und dann ein gebrülltes "HALTEN SIE ENDLICH DIE SCHNAUZE, WENKMANN!"
Die Tür öffnete wenig sich später leise quietschend und Wenkmann trat, nein, floh aus dem Raum. Kaiser derweil nahm neben dem Rahmen Aufstellung und gebot ihnen einzutreten.
Hinter Chloe kamen noch vier weitere Soldaten, die zusammen mit ihnen in das Büro traten, das hinter der Tür lag. Beherrscht wurde der weißgestrichene Raum von einem Fenster, einem großen Schreibtisch, mehreren Aktenschränken und einem riesigen Mann, der sogar Dean fast in die Augen sehen konnte, ohne den Kopf in den Nacken zu legen. Ebenso wie der Rest der Soldaten trug auch er eine Uniform, aber seine sah wichtiger und sauberer aus. Außerdem trug er keinen Helm, wodurch sein braunes Haar mit den Geheimratsecken zu sehen war. Vom kantigen Gesicht ließ sich ein Alter von ungefähr fünfzig ablesen. Er deutete eine Begrüßung an, die das Trio stumm erwiderte.
"So", begann er. "Ihr seid also die Flüchtigen aus der Sowjetunion. Ich bin SS-Obersturmbannführer Micheal Steuer, ich leite diese Anlage. Bitte entschuldigen sie die Soldaten, aber Sie wurden noch nicht durchsucht und Ihre Umstände sind, bitte nicht falsch verstehen, ziemlich suspekt.
"Der Fairness halber", merkte Dean an, "Unsere Umstände sind auch nicht gerade orthodox, wenn Sie verstehen was ich meine."
Elli nickte bekräftigend. Der Kommandant bemaß ihn mit einer gerunzelten Stirn.
"Und wer mögt ihr sein?
"Nun, Herr … Obersturmbannführer", begann Dean. "Wenn Ich und vorstellen darf, Ich bin Detlef Winter, das da sind Elli und unsere Tochter Chloe."
Steuer zog eine Augenbraue hoch.
"Ihr seht ziemlich jung aus für eine Tochter in dem Alter."
"Oh, vielen Dank", entgegnete Elli lächelnd.
"Wir sind beide achtunddreißig, ehrlich", entgegnete Dean mit einem entschuldigenden Lächeln.
"Mhm", machte Steuer. "Können Sie sich ausweisen?"
"Äh, wir konnten das mal, aber wir sind ausgeraubt worden. Landstreicherpack", antwortete Dean. "Wir haben uns nur durch Stehlen durchschlagen können, wie gesagt, sogar die Sachen hier haben wir aus einem Geschäft stibitzt."
"Hm, sieht auch nicht nach unserer Mode aus", merkte der Kommandant an. "Ist das Plastik? Hält es wenigstens warm?"
"Erstaunlicherweise ja."
"Dann erzählt mal. Warum wart ihr überhaupt in der Sowjetunion?"
"Wir sind aus Ostpreußen. Vor einigen Jahren aus Sachsen hingezogen. Die Sowjets haben uns vertrieben und von da an war es ein Spießrutenlauf. Wir hatten eigentlich gedacht, wir gehen nach Westen und nicht nach Süden."
Steuer runzelte lächelnd die Stirn.
"Soso. Wenkmann trug mir wiederholt zu, ihr könntet Spione der Sowjets sein. Und was habt ihr dazu zu sagen, ich meine, man muss schon einen ziemlich schlechten Orientierungssinn haben, um von Ostpreußen aus nach Süden zu gehen, anstatt der Küste in die Heimat zu folgen?"
"Seien Sie mal auf Fahrzeuge angewiesen, die ihnen nicht gehören", kam es lakonisch von Dean. "Außerdem, Chloe? Ein Spion? Gucken Sie sie sich doch an."
"Ja, gucken Sie wie sie guckt", fügte Elli hinzu.
Chloe versuchte vergeblich, unsichtbar zu werden.
"Chloe", begann der Kommandant. "Denk daran, hier sind fünf Mann im Raum, die sich auf mein Kommando sofort auf jeden stürzen, der Böses will. Antworte also ehrlich. Wurdest du von diesen Leuten entführt?"
Chloe schlief vor Überraschung das Gesicht ein.
"Was? N-Nein. Das sind meine Eltern. Wirklich. Warum denken Sie ich wurde entführt?"
"Nur ein Gedanke, wir sind im Krieg, Mädchen. Der Feind wird alles versuchen um unser Zuhause zu vernichten. Aber sei unbesorgt, wir werden ihn zurückschlagen."
Er lächelte Chloe an. Sie wusste nicht wie sie sich dabei fühlen sollte, dass ein Nazi ihr seinen Schutz anbot …
"Ganz ehrlich, Herr Winter, ich glaube ihnen nicht hundertprozentig. Sie verheimlichen irgendwas. Normalerweise hätte ich Sie alle einzeln befragen müssen, aber auch wir haben momentan eher unorthodoxe Umstände. Alles, was ich mit Sicherheit sagen kann ist, dass Sie tatsächlich Deutsche sind. Und das ist erst einmal Grund genug, Sie hier in Schutz zu nehmen. Wir werden Sie aber trotzdem nach Vorschrift erstmal inhaftieren und durchsuchen müssen, bitte sehen Sie uns das nach. Kaiser, suchen Sie den dreien einen freien Raum und für nach der Durchsuchung was zu Essen, wir-"
Auf dem Schreibtisch klingelte ein Telefon. Der Kommandant hob mit einer entschuldigenden Geste ab.
"Steuer am Apparat, was gibt’s? Aha? Sofort zurückziehen, wir machen die Panzer fertig. Ja. Danke."
"Kommandant? ", fragte Dean.
"Planänderung. Ihr müsst in den Bunker, hier wird es gleich etwas ungemütlich. Kulzer, suchen sie sich sechs Leute zur Bewachung."
"Jawohl, Herr Obersturmbannführer."
"Werden wir angegriffen?", erkundigte sich Elli.
Steuer nickte nur.
Draußen setzten sich nach und nach die Panzer in Bewegung und rollten nach Westen, aber selbst durch den Lärm konnte Chloe es hören, mit etwas Konzentration sogar spüren.
Der Marsch. Sie wusste nicht wie viele es waren aber eine ganze Menge Soldaten schien sich im Gleichschritt auf den Bunker zuzubewegen. Sieben Soldaten, darunter Kulzer, Kaiser und offenbar zu seinem Missvergnügen auch Wenkmann geleiteten das Trio zum Bunker, als Dean plötzlich unvermittelt anhielt. Sofort wurden Gewehre auf ihn gerichtet, was er geflissentlich ignorierte.
"Wartet. Hört ihr das?"
Kaiser zuckte mit den Schultern.
"Der Gleichschritt? Das sind diese Monster wahrscheinlich. Normalerweise haben wir ständig mit ihnen zu tun, aber den Tag hier war mal Ruhe, vermutlich kamen irgendwo wieder Streitkräfte durch, die aufgerieben werden mussten. Arme Teufel …"
"Moment, wovon redet ihr?", fragte Elli.
"STILL", forderte Dean.
Alles verstummte. Dann hörte Chloe es auch. Ein Reiben, Knacken und Knirschen, als würde Eis kontinuierlich über Eis gezogen.
"Das kommt von Süden", stellte Dean fest. "Was ist das?"
Die Soldaten, die das Geräusch inzwischen auch hörten, schliefen die Gesichter ein.
"HINTERHALT! FEINDE AUS DEM SÜDEN!", brüllten sie dann.
Dann brach die Hölle los.
Das nächste Mal bei Nexus:
Gnadenloses Eis, Teil 2