Das letzte Mal bei Nexus:
Der Mörder der Unsterblichen, Teil 1
Chloes Kreischen versetzte Dean sofort in Alarmbereitschaft. Es dauerte nur Sekunden bis er ungeachtet aller Etikette die Tür zur Damentoilette aufriss, aber in dieser Zeit kamen ihm bereits fünfzig verschiedene Ideen für den Grund des Schreis, die von keine Handtücher bis zu aus dem Klo emporsteigenden, tentakelbewehrten Gottheiten reichte. Er dachte sich während die Tür aufschwang für jede dieser Möglichkeiten drei Pläne aus.
Zu seinem großen Bedauern stellte sich eine seiner Befürchtungen als vollkommen korrekt heraus, als er zuerst der vor Schock ohnmächtig gewordenen Chloe und anschließend der Insassin der Toilettenkabine gewahr wurde, vor der sie lag.
Es war Mrs Hayden. Man hatte sie enthauptet und ihr Kopf ruhte auf ihrem Schoß. Die Augenlieder waren geschlossen, aber seltsam einfallen. Aus ihnen lief Blut hervor.
Seufzend hob Dean Chloe auf und schickte sich an, sie zurück zu den anderen zu bringen.
Jonathan Drake, Koch und im Moment Barkeeper, staunte, ähnlich wie die anderen an der Bar nicht schlecht ob des Phänomens, dass sich da vor seinen Augen abspielte. Die Blondine hatte sich vor vielleicht einer Stunde auf einen der Hocker an der mit edlem Holz und Goldschmuck ausstaffierten Bar gesetzt und trank sich seitdem unaufhaltsam durch das ganze Sortiment. Und das beinhaltete immerhin einhundertzwanzig Getränke. Das Ganze war natürlich nicht ohne Folgen geblieben, denn inzwischen wankte sie wie ein wackeliger Metronom von einer Seite zur anderen und schien allmählich den Punkt des Alkoholkonsums zu erreichen, an dem ihr die Muttersprache abhanden kam. Nicht dass sie das aufgehalten hätte.
"Hm, der … der hat nisch so viel Bums, ne, hatter nich … Gib-Gib mir mal bitte wasch ausch den drei blauen Flaschen da … Boah, Schie-Schie haben drei rechte Hände? Abgefahren …"
Normalerweise hätte Drake bereits die Bremse gezogen und der Dame zu einem Sitz geholfen um wieder auszunüchtern, aber wer sprengte schon eine Goldmine? Mit geübten Bewegungen füllte er das gewünschte Getränk in ein Wiskey-Glas und schob es zu ihr. Mrs Hunter brauchte drei Versuche um es zu fassen zu kriegen, leerte es dann aber in einem Zug.
"Donnerwetter", staunte Mr Ward.
Er war selbst ziemlich gut unterwegs, aber sein Konsum verblasste vor den Mengen, die die Blondine in sich hineinschüttete.
"Haben Sie sowas schonmal gesehen, Ms Macintosh?"
Die Exoskeletträgerin, die sich nur auf eher leichte Getränke beschränkte, schüttelte in stumme Verblüffung den Kopf.
"Iss mehr so … so minschig, wie … wie’n TicTac, ja genau" lallte Mrs Hunter derweil und schielte kritisch auf ihr Glas. "Kann isch … Kann isch wasch ausch der Flasche da kriegen? Die mit dem, äh … mit dem Wurm? Und-Und die da hinten? Die schiet scho niedlisch aus …"
Getränke wurden eingegossen, rübergeschoben, zweimal fast umgeworfen und dann geext.
"Oh, dasch … Dasch is gudd … Macht rischtisch warm … Hope, guck dir … guck dir dasch an! Isch, genau, isch knuddel disch mal um dasch schu scheigen …"
Drake war beruhigt, dass die Blondine, die gerade freudestrahlend eine teilweise belustigt aber auch peinlich berührt dreinblickende Ms Macintosh umarmte, unter Alkoholeinfluss ein sehr sonniges Gemüt zeigte. Es hatte schon andere Gelegenheiten gegeben, wo Gäste aggressiv und tobsüchtig geworden waren. Mrs Hunter löste ihre Umarmung wieder und erhob sich schwankend wie ein Kahn im Sturm von ihrem Hocker.
"Ladiesch und Gschentlemen, esch ischt ein groschesch Ver- Groschesch Vergnügen, heute eure Gescheschaft schu genieschen … Puh … isch hab schon … ich hab schon viele … gansch viele Orte beschucht und ihr, ihr scheid voll in … in Ordnung. Isch findsch hier glasche … "
Die Blondine rollte die Augen nach hinten und kippte stocksteif hintenüber. Keiner der Anwesenden konnte noch verhindern, dass sie hart auf die Fliesen krachte.
Chloe schreckte mit einem Aufschrei hoch. Sie hatte noch immer das Bild von Mrs Hayden vor Augen, das ganze Blut … Sie musste wohl in Ohnmacht gefallen sein. Das machte sie an dem Fakt fest, dass sie träumte.
Chloe wusste tatsächlich ganz genau, dass sie träumte, denn dieser Traum hier plagte sie schon eine ganze Weile. Und sie kam nicht aus ihm heraus, selbst wenn sie wusste, dass es ein Traum war. Normalerweise wachte man auf, wenn man das merkte.
Zunächst einmal, sie war nackt. Und es war eisig kalt. Warum sie sich noch immer nicht im realen Leben erkältet hatte, war ihr ein Rätsel.
Um sie herum war es vollkommen dunkel, aber sie wusste, dass da etwas in der Finsternis war. Etwas Gigantisches. Chloe hatte es berührt, während sie stundenlang durch die Dunkelheit geirrt war. Es war rosig und weich und sie hatte seine Dimensionen nie abschätzen können. Und sie wusste, dass es, was auch immer es war, tot war.
Aber dieses Mal war etwas anders …
Chloe sah nichts in der Schwärze, aber sie spürte ganz deutlich, wie unendlich langsam, aber unerbittlich Leben in dieses Ding zurückkehrte …
"-du kriegst auch kein Netz?"
"Neh. Wir sollten es über das Festnetz probieren."
"Sowas haben wir hier oben nicht. Zu neu, zu abgelegen …"
Chloe schlug die Augen auf. Dieses Mal schien sie wirklich wach zu sein, denn sie lag auf einer Couch. Dean hatte sich über sie gebeugt und musterte sie mit ausdruckslosem Gesicht.
"Alles okay, Chloe? ", fragte er.
In solchen Fällen lässt der menschliche Körper meist ein Diagnoseprogramm laufen, dass leider auch die jüngsten Ereignisse unter die Lupe nimmt. Daraus folgte, dass Chloe mit aller Macht dagegen ankämpfen musste, dass ihr das Abendessen wieder hoch kam.
"Ich fasse das als Nein auf", bemerkte Dean trocken. "Bleib kurz liegen, du machst es nur schlimmer wenn du anfängst dich zu bewegen. Denk an was Schönes."
Mit diesen Worten wandte er sich von Chloe ab zu ging zu einer Runde, die aus den Erwachsenen gebildet wurde. Nur Elli und Mr. Macintosh fehlten.
Chloe gab ihr Bestes, aber Dean hatte gut reden, gerade war jemand gestorben- Moment, hier starb niemand … Chloe standen bei dieser Feststellung die Haare zu Berge. Glücklicherweise ließ dabei auch ihr Mageninhalt davon ab, ihren Körper zu verlassen und hinterließ unangenehmes Sodbrennen.
"Also keiner von uns kann einen Krankenwagen rufen?", schloss gerade Mr Hayden schockiert und fiel kraftlos auf einen Stuhl. "Warum fällt ausgerechnet jetzt das Netz aus?"
Zu seiner Rechten stand ein Glas mit einem gelben Cocktail, den er sich sofort auf ex einverleibte, ungeachtet der Tatsache, dass er jemand anderem gehörte.
"Ich bezweifle, dass die ihr noch helfen können", sagte Dean gerade. "Dennoch sollte jemand losgehen und die Polizei holen."
"Äh, deswegen …" schaltete sich Henry ein.
Der greise Kellner druckste ein wenig auf der Stelle.
"Irgendwer hat das Verriegelungssystem aktiviert und unser Passwort geht nicht mehr …"
"Was für ein Verriegelungssystem?", fragte Dean.
"Das Hotel hier ist für Reiche, die was auf ihre Sicherheit geben", erklärte Mr Ward. "Darum wird dieses Haus in der Nacht komplett abgeriegelt."
"Nur beste Sicherheitsvorkehrungen für unsere Gäste", merkte Henry an und erntete einige hochgezogene Augenbrauen. "Aber morgen früh wird die Verriegelung automatisch wieder aufgehoben."
"Was macht ihr im Brandfall?", fragte Dean. "Irgendwie muss man hier ja rauskommen, wenn schon nicht rein."
"Sie verstehen das falsch", entgegnete Henry mit Schweiß auf der Stirn. "Wir haben es hier mit einem Bug zu tun, der bei unsachgemäßer Handhabung auftreten kann. Der lässt sich kaum zufällig auslösen, aber wir haben das leider schon zweimal hinbekommen. Das System hängt im Moment in der Verriegelungssequenz in einer Endlosschleife fest und akzeptiert keine Eingaben, die seine Parameter betreffen. Die Schleife wird aber morgen um sieben automatisch von der Zeitschaltuhr unterbrochen, die das Gebäude normalerweise wieder entriegelt."
"Und warum haben wir kein Netz?", fragte Ms Macintosh.
"Da bin ich überfragt", entgegnete Henry. "Die Verriegelung hält eigentlich keine Funkwellen ab."
"Wir sind also hier drin eingesperrt? Ohne Aussicht auf Hilfe?", entfuhr es Mrs Ward? "Was macht euer Sicherheitspersonal denn den ganzen Tag?"
"Gute Frau, wir sind zwar ein Hotel für gut betuchte Leute, aber wir können uns nicht die Manpower leisten um jeden Raum abzudecken. Wir haben drei Wachleute, die hier ihre Runden gehen", versuchte sich Henry zu rehabilitieren.
"Bevor ich mir dieses Gequatsche noch länger anhöre, schlag ich eines der Fenster ein um rauszukommen", knurrte Mr Hayden und erhob sich wieder. "Eine Unverschämtheit ist das hier. Ich muss meiner Frau helfen!"
Er nahm einen Stuhl, positionierte sich vor einem der Panoramafenster und holte aus.
"WARTEN SIE, DAS IST-", brüllte der Butler noch.
BONK!
"-Panzerglas …"
"Für was sind diese Sicherheitsmaßnahmen? ", fragte Dean, während Mr Hayden durch die wirkenden Kräfte auf den Hintern plumpste und von Stuhltrümmern getroffen wurde. "Plant ihr für den Dritten Weltkrieg?"
"Einige unserer Kunden haben ziemlich viele Feinde", erklärte Henry. "Entsprechend paranoid sind sie, dass irgendwann mal einer von denen aufkreuzen könnte, wenn sie verstehen, was ich meine. Das hier gibt ihnen Sicherheit."
"Auch das noch … ", murmelte Dean. "Henry, trommeln Sie alle zusammen, die sich im Moment im Haus aufhalten. Nicht dass noch wer auf die Idee kommt, auf eigene Faust den Täter zu 'bestrafen'."
Henry nickte hastig und eilte von dannen.
Kopfschüttelnd kehrte Dean zu Chloe zurück.
"Vollidioten …", murmelte er.
"Was machen wir?", fragte Chloe und setzte sich auf.
Bis auf das Sodbrennen ging es ihr allmählich wieder besser.
"Nehmen wir den Nexus und verschwinden?"
Dean deutete wortlos auf die Couch neben der von Chloe. Elli lag darauf, knuddelte ein Kissen und schnarchte leise. Gelegentlich kicherte sie.
"Saufkoma", erklärte Dean. "Vor Sonnenaufgang ist die Frau nicht zu gebrauchen. Sie sollte endlich aufhören so impulsiv zu handeln, dir zuliebe …"
"Wir sitzen hier also fest? ", fragte Chloe ängstlich.
"Mit einem Mordfall im Rücken, ja."
Es dauerte eine Weile, aber dann kam Henry mit vier Personen zurück. Zwei von ihnen hatten einen militärischen Kurzhaarschnitt und trug wie auch der dritte eine blaue Sicherheitsuniform. Der dritte Sicherheitsbeamte war offenbar auch ein Träger eines Exoskeletts, das das Aussehen eines stämmigen, glatzköpfigen Afroamerikaners besaß. Die Vierte war der Arbeitskleidung nach Köchin, besaß ebenfalls ein Exoskelett und besaß das Aussehen einer schwarzhaarigen Polynesierin.
"Wenn ich kurz vorstellen darf", begann Henry, "Das sind Tim und Tom Orwell, Zwillinge, Michael Shaw und Sandra Pukui. Zusammen mit mir und Mr Drake da drüben bilden wir das gesamte anwesende Personal, von der Verwaltung ist jetzt nämlich keiner mehr da. Sind sonst alle anwesend?"
Alle warfen einen kurzen Blick in die Runde.
"Wo ist Robert?", fragte Ms Macintosh?"
Tatsächlich war ihr Bruder nirgendwo zu sehen.
"Er muss der Täter sein!", wetterte Mr Hayden sofort los. "Der Feigling traut sich nichtmal zurück nach dieser Schandtat. Wenn ich den erwische …"
"Da wäre ich mir nicht so sicher", meldete Dean an. "Es gibt mehrere Ungereimtheiten in dieser Theorie. Erstens, er hatte kein Motiv, oder wenigstens keins von dem wir wüssten, schließlich haben sich die Macintoshs und die Haydens heute zu ersten Mal getroffen, oder?"
Nicken von den Angesprochenen.
"Dann als Nächstes besaß der Mann wahrscheinlich kaum Wissen zu Alarmanlagen. Oder zur Blockierung von Handyempfang, richtig?"
"Ein bisschen schon", sagte Ms Macintosh. "Er kümmert sich um die Installation und Instandhaltung der Sicherheitssysteme in unseren Anlagen. Aber ich glaube nicht, dass er einfach so ein Passwort ändern kann."
"Noch dazu hatte er wahrscheinlich keinen Zugang zu irgendeiner Art von großer Klinge. Wir haben zwar keine Tatwaffe gefunden, aber die Schnitte waren glatt und die Augen wurden präzise getroffen. Wenn wir davon ausgehen, dass beides von derselben Waffe stammt, muss es sich dabei um ein großes Messer handeln. Und wir hätten gemerkt, wenn er sowas bei sich getragen hätte. Noch dazu war kaum herausgespritztes Blut vorhanden, also ist davon auszugehen, dass die Kleidung des Täters sauber geblieben ist. Also auch kein Grund sich deswegen zu verstecken. Das macht es sehr unwahrscheinlich, dass er der Täter ist", fasste Dean zusammen. "Keine Ahnung wo der gerade steckt, aber selbst, wenn er der Schuldige ist, wird er niemanden angreifen, solange wir alle in diesem Raum sind. Wahrscheinlich mit Durchfall auf irgendeinem Klo oder so. Er war ja auch in Richtung Toiletten gegangen, oder, Henry?"
Henry nickte.
"Dann ist es nur eine Frage der Zeit bis er wiederkommt. Uns jetzt aufzuteilen um ihn zu suchen erscheint mir keine kluge Idee. Nicht bis alle Zweifel", und dabei schaute er Mr Hayden an, "ausgeräumt wurden."
"Und was ist mit Ms Macintosh?", knurrte Mr Hayden.
Dean wandte sich an Dr. Allison.
"Sie waren zeitgleich mit den Frauen auf dem Klo. Haben sie irgendwelchen Kampflärm gehört?"
Der Doktor schüttelte den Kopf.
"Ich habe die Wände gesehen", erklärte Dean. "Solchen Lärm könnten sie nicht abhalten, denn das Opfer hatte sich sicher gewehrt. Folglich kann Ms Macintosh nicht die Täterin sein."
"Und wenn sie es getan hat, nachdem der Doktor fortging?", fragte Mr Hayden mit giftigem Blick.
"Äh, Mr Hayden?", warf Dr. Allison ein, "Sie kam vielleicht fünf Minuten nach mir zurück. Ich hätte auf dem Gang was hören müssen."
Mr Hayden knirschte mit den Zähnen. Dean ignorierte das geflissentlich und schaute nun entschuldigend zu den Hotelangestellten.
"Es tut mir leid, aber diese Umstände machen Sie sechs nun zu den Hauptverdächtigen. Sie kennen sich hier am ehesten mit der Technik aus und wissen, wo die scharfen Gegenstände sind."
"Das kann nicht stimmen", entgegnete Ms Pukui fest. "Ich bin die ganze Zeit in der Küche gewesen, Drake kann das bestätigen, er war dabei."
"Bis ich an die Bar musste", schränkte der Barkeeper ein. "Und du bist zweimal kurz raus, weil jemand an der Tür geklopft hat."
"Also waren Sie es", schloss Mr Hayden sofort und zeigte mit einem Finger auf die Köchin.
"Das mit der Bar, gut, aber die Frau wurde geköpft. Wir haben zwar große Messer für sowas, aber ich war nicht lange genug weg um damit sowas zustande zu bringen", verteidigte sich die Köchin. "Und keines davon hat die Küche verlassen, das schwöre ich ihnen!"
"Die Bar war zwei Stunden lang geöffnet! In dieser Zeit hätten sogar Sie das hinbekommen."
"Äh, Mr Hayden", warf Mr Drake mit anmerkendem Zeigefinger ein. "Ms Pukui macht nachdem sie das Essen aufgetischt hat den Abwasch. Das dauert bei solchen Mengen schon mal eine Stunde. Außerdem habe ich sie immer in der Küche gesehen, wenn ich in das Vorratslager musste um Nachschub für Mrs Hunter zu besorgen. War ungefähr so alle halbe Stunde. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie genau in diesem Abstand den Mord verübt hat, ist ziemlich gering."
"Und es war alles blitzsauber, das habe ich gesehen als ich sie geholt habe", fügte Henry mit an.
"Eine Stunde nach dem Aufwasch reicht immer noch vollkommen", beharrte der frischgebackene Witwer fest.
"Eher fünfzig Minuten", schränkte Dean ein. "Sonst hätte sie mir und Chloe begegnen müssen. Der Eingang zur Küche liegt auf dem Weg zwischen den Toiletten und hier. Oder gibt es noch einen zweiten Eingang?"
"Ja", bestätigte einer der Orwell-Zwillinge. "Aber der führt nach draußen, sie müsste um das halbe Haus rennen um wieder reinzukommen. Und müsste trotzdem an Ihnen vorbei."
"Mit einem Exoskelett ist das zu einem früheren Zeitpunkt kein Thema", warf Mr Ward ein. "Und sie hätte einfach das Messer irgendwo deponieren können."
"Dann hätte sie aber uns über den Weg laufen müssen", meldete einer der Orwells an. "Wir haben uns zu dieser Zeit in der Eingangshalle getroffen. Und vor dem Mord hätte sie nur im Lager gegenüber den Toiletten etwas ablegen können. Hätte sie vor dem Ausfall etwas in der Umgebung deponiert, hätten wir sie nämlich auf den Kameras gesehen, aber Pukui war den ganzen Tag in der Küche unterwegs."
"Ausfall?", fragte Dean.
"Unsere, äh, Kamerasysteme sind ausgefallen …"
"Ja sagt mal, wollt ihr hier den Täter decken, oder was?", fuhr Hayden auf.
"Moment", bat Dean um die Situation zu entschärfen. "Zur besseren Organisation, lasst uns einen Zeitplan erstellen. Hilft dann später auch der Polizei. Einverstanden?"
Nicken von den Anwesenden. Dean nahm einen Kugelschreiber und einen Block Klebezettel von der Bar und begann zu notieren.
"Gut. Also, ich fange ein wenig vorher an. Um sieben begann das Essen. Die Gäste sind alle am Tisch, das Küchenpersonal ist in der Küche, Henry lief die ganze Zeit herum um alles zu servieren und um Bestellungen aufzunehmen und das Sicherheitsteam?"
"Im Überwachungsraum, dort wo unsere Überwachungskameras zusammenlaufen", gab Mr Shaw an.
"Hm … gut, dazu später", fuhr Dean fort. "Der Erste der von unserem Tisch aufstand war Dr. Allison. Sie wollten auf das Klo, stimmt’s?"
"Äh, ja", kam es von dem Chirurgen. "Das muss so Viertel vor Acht gewesen sein."
"Gut. Das Personal ist weiterhin in der Küche, Schrägstrich Überwachungsraum und Henry wuselt weiterhin durch die Gegend um seiner Arbeit nachzukommen?"
"Äh, nein", dementierte Ms Pukui. "Der Doktor hatte kurz an der Küche geklopft um zu fragen wo die Toiletten sind. Ich habe ihm gesagt wo."
"Danke, aber ansonsten waren alle da wo sie vorher waren, richtig?"
Einvernehmliches Nicken.
"Dann, vielleicht fünf Minuten später, erhält Ms Macintosh einen Anruf. Worum ging es dabei eigentlich? Ihnen waren die Gesichtszüge eingeschlafen."
Ms Macintosh sah nach unten.
"Uns ist ein Deal durch die Lappen gegangen" war die traurige Antwort.
"Mein Beileid", kam es trocken von Dean. "Jedenfalls sind Sie ungefähr Viertel neun kurz nach Mrs Hayden aufgestanden um zur Toilette zu gehen. Ab hier beginnt das Zeitfenster ab dem Mrs Hayden geköpft werden kann. Ist derweil irgendwas in der Küche oder im Überwachungsraum passiert?"
"Ms Macintosh hat an der Küche angeklopft um ebenfalls nach den Toiletten zu fragen", antwortete Ms Pukui.
"Wir sollten wirklich ein Schild anbringen …", bemerkte Mr Drake trocken.
"Hm, sonst noch was?"
Allgemeines Kopfschütteln.
"Dann weiter, ungefähr fünf Minuten nachdem die Frauen fortgegangen sind, geht auch Mr Macintosh. Fünfunddreißig Minuten später kommt Dr. Allison zurück. Längere Sitzung, oder?"
"Ja, das Essen war sehr reichhaltig", lautete die peinlich berührte Antwort.
"Ich kann bestätigen, dass er das Männerklo bis die beiden Frauen kamen nicht verlassen hat", merkte der eine Mr Orwell an. "Hab ihn durch die Kameras reingehen sehen, aber er kam nicht mehr raus. In den Klos haben wir aber keine Kameras, wegen der Privatsphäre."
"Notiert", bestätigte Dean knapp. "Haben sie in dieser Zeit noch was bemerkt?"
"Michael hat einen Anruf gekriegt und ist rausgegangen", sagte der Sicherheitsbeamte. "Weiß nicht genau wann, aber die Frauen waren noch nicht auf dem Klo. Hat vielleicht so zehn Minuten gedauert bis er wieder rein kam."
"Danke, Tim", unterbrach ihn Mr Shaw. "Aber ich kann für mich selbst sprechen."
"Ich bin Tom, Sir", kam es mit militärischer Lakonik zurück.
Mr Shaw verdrehte genervt die Augen.
"Unabhängig davon war der Anruf eine Privatsache. Familiäre Angelegenheit, ich würde das gerne nur der Polizei erklären müssen, wenn Sie gestatten. Als ich zurückkam, waren unsere Kameras ausgefallen und das Haus wurde automatisch abgeriegelt. Ich habe die Orwells daraufhin angewiesen, die Gänge zu patrouillieren, während ich versucht habe die Technik wieder online zu kriegen."
"Also haben sie kein Alibi", fragte Mr Hayden lauernd.
Er schien kurz vor der Explosion zu stehen.
"Kein direktes, aber aus den Log-Dateien des Computers werden Sie entnehmen können, dass ich in dieser Zeit alles Mögliche probiert habe, um das Sicherheitssystem wieder unter Kontrolle zu bringen. Wir haben den Gästen und dem restlichen Personal nichts gesagt, um keine Panik auszulösen."
Dean notierte mit gestochen scharfer Schrift und einer Geschwindigkeit, bei der sich Chloe zu wundern begann warum der Kugelschreiber nicht schmolz. Drei Notizblätter klebten bereits am Tisch. Beschrieben in Schriftgröße 8.
"Haben Sie kurz vor dem Ausfall noch irgendwas auf den Kameras gesehen?" fragte Dean die Orwells.
"Nix, außer vielleicht dass Mrs Hayden, Ms Macintosh und Dr. Allsion wie bereits angemerkt an der Küche vorbeikamen, Mrs Hayden lief hierbei einfach weiter. Und dann hat Ms Macintosh nochmal kurz nach dem Telefon gegriffen, aber wir konnten durch den Kamerawinkel nicht mehr sehen wozu."
"Stimmt das?", fragte Dean Ms Macintosh.
"Ich … ich glaube ja", lautete die zögerliche Antwort. "Hab wohl mal auf die Uhr geguckt. Ich erinnere mich nicht an jedes Mal, wenn ich mein Handy raushole."
"Normal, würde ich sagen", kommentierte Dean und wandte sich an den Doktor, während er einen kaum merklich qualmenden Stift ablegte. "Haben Sie irgendwelchen Lärm gehört, Dr. Allison? Die Toiletten für Männer und Frauen liegen direkt nebeneinander und wie bereits erwähnt lässt man sich normalerweise nicht ohne lautstarken Protest die Augen ausstechen und köpfen."
Der Doktor schüttelte den Kopf.
"Dann muss es später passiert sein" mutmaßte Dean. "Ms Macintosh kam nämlich erst fünf Minuten nach ihnen wieder herein und Mrs Hayden war sicher nicht vertraut genug mit ihnen um Sie sofort auf Armlänge herankommen zu lassen. Und selbst wenn Sie sie überrumpelt hätten, wäre es zum Aufschrei oder wenigstens Gepolter gekommen, denn der Doktor hätte hören müssen. Sie haben Mrs Hayden also als Letzte intakt gesehen, richtig?"
Ms Macintosh nickte.
"Ebenso waren Sie die letzte, die ihren Bruder gesehen hat."
Sie nickte wieder.
"Okay … Jetzt ist es Punkt neun, Drake machte die Bar auf und Pukui den Abwasch. Alle, die ab jetzt kein Alibi haben, sind unsere beiden Zwillingswachmänner hier. Ihr sagtet ja, dass ihr Ms Pukui während ihres 50-Minuten-Zeitfensters zwischen um elf und kurz vor Mitternacht nicht auf ihrer projizierten Route gesehen habt."
Die beiden Wachen nickten.
"Muss so kurz vor halb gewesen sein", präzisierte der eine. "Der Weg hätte für etwa zwanzig Minuten nicht benutzt werden können ohne, dass wir was mitbekommen. Wir sind unsere Route nämlich in entgegengesetzte Richtungen gelaufen und haben uns in der Eingangshalle gekreuzt. Aber wir haben nichts gehört."
"Das Zeitfenster für den Angriff schließt sich demnach um, sagen wir, 23:15?", fragte Dean. "Denn kurz vor Mitternacht haben Chloe und ich mich in Bewegung gesetzt."
"Pi mal Daumen", lautete die Bestätigung.
"Also war es einer von euch!", fuhr Hayden die beiden Wachmänner an.
"Mr Hayden, so sehr ich ihren Verlust bedauere, ich verbürge mich für diese beiden Männer", erhob Mr Shaw das Wort.
Mr Hayden winkte ab.
"Verbürgen!? Während sie abgelenkt waren haben die das Sicherheitssystem gegrillt. Die beiden stecken unter einer Decke, oh ja!"
"Das kann nicht passiert sein", entgegnete Shaw. "Der Schaltkasten für die Alarmanlage befindet sich außerhalb des Überwachungsraums und rein zufällig stand ich davor, während ich telefoniert habe."
"Kann man das System von außen hacken?", fragte Dean.
"Nein, das ist ein Inselsystem, es gibt keine Funkverbindung. Was ich mir vorstellen könnte wäre, dass dieser Mord von langer Hand geplant wurde und man direkt einen Virus eingeschleust hat, der sich zu einer vorgegebenen Zeit aktiviert und dann löscht. Hab dementsprechendes aber noch nichts im System gefunden. Muss unheimlich gut programmiert gewesen sein oder ich hab noch nicht gründlich genug gesucht."
"Warum eigentlich?", fragte Mrs Ward? "Warum wurden wir eingesperrt? Kann mir das jemand erklären?"
"Man kann uns hier nicht ewig festhalten, früher oder später bekommt das jemand mit", überlegte Dean. "Aber wenn ich mir das zusammen mit dem Netzausfall so angucke, komme ich zu dem Schluss, dass uns jemand hier behalten will. Möglicherweise eine Drittpartei von der wir nichts wissen."
"Und warum?", fragte Mrs Ward erneut.
"Tja, das ist nur eine Vermutung und ich hoffe, dass ich mich irre", begann Dean. "Aber es scheint so als wäre der Täter noch nicht fertig mit uns."
Das nächste Mal bei Nexus:
Der Mörder der Unsterblichen, Teil 3