Der Bessere Mensch? Teil 1

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Das letzte Mal bei Nexus:
Die Strafe eines Gottes, Teil 3

Frankreich, Paris, 1800

Pierre wusste nicht so recht, wo er zuerst hinschauen sollte. Der braunhaarige Junge im zarten Alter von 14 entschied sich schließlich, verlegen auf sein verschlissenes Hemd zu starren. Das war neben seinen gleichsam braunen und dreckigen Hosen und Schuhen das Einzige hier, was ihm vertraut vorkam. Der Raum war einfach zu prunkvoll eingerichtet. Wertvolle Teppiche lagen auf dem Steinboden, zwei bestickte Couches standen sich an einem glänzenden Tisch gegenüber und auf mehreren Beistelltischchen standen kunstvolle Vasen und andere teuer aussehende Gegenstände.

Er war auf der Straße plötzlich von zwei Männern gepackt und hierher geschleppt worden. Sie waren wie Wachen gekleidet gewesen, darum hatte niemand auf Pierres Rufe reagiert.

Zusammen mit ihm im Raum befand sich ein Mann in einem blauen Wams mit goldenen Knöpfen. Dazu passte auch seine Hose, die nach unten hin in schwarze Lederstiefel überging. Wie viele vom Adel trug dieser Mann mit dem kantigen Gesicht und der Hakennase einer grauen Haarpracht, unter seinem linken Arm war ein Dreispitz geklemmt. Er lächelte freundlich.

"Pierre Lapin, richtig?", fragte er.

Pierre nickte kurz und zögerlich.

"Äh, was mache ich hier? Und wer sind Sie?"

"Oh, wie unhöflich von mir. Mein Name ist Charle de la Croix. Ich habe dich hergebracht, weil ich möchte, dass du mein Lehrling wirst."

Pierre hatte viel erwartet, aber nicht sowas.

"Lehrling?", echote Pierre. "Aber Herr, ich kann nichtmal lesen! Und ich meine, ich lebe auf der Straße und-"

"Ich weiß, Pierre"; unterbrach ihn de la Croix. "Ich bin mir deiner Umstände bewusst. Dein Vater ist im Zweiten Koalitionskrieg gefallen, deine Mutter und deine Geschwister wurden von Tetanus dahingerafft."

Pierre schaute traurig nach unten. De la Croix schüttelte den Kopf.

"So viel Tod, und das noch vor dem Erreichen des Mannesalters. Genug um den Verstand eines Kindes zu brechen. Aber du, du hast dich durchgekämpft. Du bist ein helles Bürschchen, Pierre, und Intelligenz ist in der heutigen Zeit ein rares Gut. Sag mir, willst du auch so enden wie deine Familie?"

"N-nein, Herr."

"Gute Antwort. Also, Pierre, ich gebe dir hier die Chance deines Lebens. Wenn du ablehnst, werde ich dich auf die Straße zurückschicken und alles wird sein wie zuvor. Werde mein Lehrling, und zusammen werden wir den Tod besiegen. Was sagst du dazu?"

Pierre brauchte nicht lange überlegen. Er wusste noch nicht so recht was man von ihm verlangte, aber eine warme Mahlzeit und ein Bett waren auf jeden Fall verlockender, als unter einem Karren auf der Straße zu schlafen.

"Ich, äh, es wäre mir eine Ehre, Herr."

De la Croix griente.

"Dann willkommen, Pierre, bei den Humanistischen Kavalieren."

Deutschland, Dresden, Gegenwart

Jeder hat so seine Stärken und Schwächen. Manche sind gut im Sport, aber unheimliche Nullen in Mathe. Manche sind extrem gut in Naturwissenschaften, aber haben keinerlei Sozialkompetenz.

Chloe war sehr kreativ und mochte Geschichte.

Nur konnte sie sich beim besten Willen nicht all das darüber merken, was man in der Schule von ihr verlangte.

Im Moment war die Französische Revolution dran und Chloe sollte einen Vortrag über die Zeit danach vorbereiten. Es war absolut frustrierend, weil in dieser Zeit nicht allzu viel Interessantes passiert war. Gut, die Franzosen hatten jetzt eine Verfassung, aber wen interessierte sowas? Sie hätte gerne mit dem Aufstieg Napoleons angefangen, aber das Thema war leider an jemand anders gegangen. Sie musste sich jetzt mit dem Alltag der Franzosen rumschlagen, finde dazu mal genug aussagekräftiges Material.

Chloe kratzte sich mit dem Stift hinter dem Ohr. Dabei knarzte es ziemlich laut.

Sie hielt sich erschrocken den Stift vor die Augen, bevor sie das Knarzen als das ihres Schranks identifizierte. Er öffnete sich gerade.

Eine grinsende Elli kam hinter der unheilvoll aufschwingenden Tür zum Vorschein. Nun, zumindest ihr Kopf, der Rest befand sich in der Schwärze, die den Eingang zu ihrem Nexus darstellte.

Seit ihrem letzten Treffen war eine Woche vergangen.

"ELLI!", entfuhr es Chloe. "Du kannst mich doch nicht so erschrecken!"

Trotzdem stand sie sofort auf und lief zu ihrem Schrank.

"Oh, das tut mir leid", entschuldigte sich Elli und trat aus dem Nexus um Chloe zu knuddeln. Heute trug sie eine blaue Jeans und ein rosa T-Shirt mit der Aufschrift "Meine Augen sind weiter oben, Arschloch."

"Schön dich wiederzusehen, mir gefällt das was du mit deinen Haaren gemacht hast."

"Oh, äh, dass …"

Chloes Haaransatz war nach ihrer Begegnung mit dem Gott Ku weiß geworden. Im Moment sah man es nur wenn man sie mehr als nur beiläufig betrachtete, aber das Weiß wurde jeden Tag mehr, denn ihre Haare wuchsen unbeirrt weiter. Sogar beschleunigt, so kam es ihr vor …

"Oh …", machte Elli. "Das wird wohl eine Schockreaktion auf die Absorption von Ku sein. Göttlichkeit kann einige merkwürdige Auswirkungen auf die Körperchemie haben. Da kann ich dir leider nicht helfen, da hilft nur Haarefärben."

Leichter gesagt als getan, Chloe bekam nicht viel Taschengeld und sie war der Meinung, dass man bei der Geldmenge wichtigere Ziele vor Augen haben sollte als Haarfärbemittel.

"Hey, schneeweißes Haar ist ein Alleinstellungsmerkmal", tröstete sie Elli. "Wenn du es richtig anstellst, hast du die Blicke von allen auf dir ruhen."

"Ich weiß nicht so Recht ob ich sowas hinkriegen würde, ich meine, ich könnte zum Beispiel niemals so aussehen wie du."

"Oh, der Tussi-Look ist nichts für dich, glaub mir" winkte Elli mit der Gewissheit einer Veteranin ab. "Ich mag ihn vor allem deswegen, weil einige dadurch denken ich sei dümmer als sie. Ich liebe den Gesichtsausdruck, wenn sie das Gegenteil rausfinden. Hehehe … Was machst du eigentlich gerade, Hausaufgaben?"

Elli war der Zustand von Chloes Schreibtisch aufgefallen und studierte neugierig ihr bisher Geschriebenes.

"Geschichtshausaufgaben … Hm, du bist noch nicht wirklich auf die Hungersnot eingegangen, die wurden richtig erfinderisch damals."

"Du hast Ahnung von sowas?", fragte Chloe erstaunt.

"Ich war in dieser Zeit, Chloe."

Sie brauchte kurz um diesen Satz zu kategorisieren?

"Was?"

"Ich kann mit dem Nexus überall hin, Chloe, nicht nur in andere Universen, auch in Zukunft und Vergangenheit. Was denkst du weshalb deine Abwesenheit letztes Mal nur neunzig Minuten gedauert hat? Ich für’s dir vor, wenn du mir nicht glaubst."

"Das würde ich gern sehen …", meinte Chloe.

"Na dann, komm mal mit. Wir gehen in die Vergangenheit."

Sie drehte sich vor Motivation strotzend um und steuerte den Schrank an. Sie hatte allerdings nicht mit Chloes Diensteifer gerechnet.

"Mo-Mo-Moment, ich muss das hier erst noch fertig machen, Elli!"

Elli blieb mitten im Schritt stehen und drehte den Kopf. Ihre linke Augenbraue war hochgezogen.

"Das wird eine Zeitreise, Chloe. Wir haben alle Zeit der Welt, wenn nicht noch mehr. Überleg mal, letztes Mal warst du nur eine anderthalbe Stunde abwesend, dieses Mal hab ich Übung. Die richtige Zeit zu treffen ist zwar immer ein kleiner Balanceakt, aber ich glaube ich kann die Zeit die du weg bist jetzt sogar auf zwanzig Minuten herunterschrauben."

Chloe war ob dieser Aussage zerrissen zwischen ihrem Pflichtgefühl und dem Wunsch, wieder mal etwas Aufregendes zu erleben. Elli schien ihr das anzusehen, denn sie half nach.

"Meinst du nicht, dass du deinen Vortrag mit Erfahrungen aus erster Hand besser machen könntest?"
Chloe wollte etwas erwidern, zögerte aber noch während dem Luftholen.

Elli hatte Recht …

"Iiiich glaube ich kööönnnte da vielleeeiiiiicht eine Ausnahme machen …"

Chloe vermied es, Elli in die Augen zu sehen, allerdings spürte sie ihren triumphierenden Blick förmlich auf der Haut.

Mit langsamen Schritten näherte sie sich dem Portal …

Frankreich, Paris, 1801

Wie immer, wenn die Humanistische Versammlung anstand, setzten sich dutzende gut betuchte Herren in ganz Frankreich in Bewegung, um daran teilzunehmen. Dieses Mal würden sie in Paris zusammentreffen.

Bis dahin dauerte es noch einen Tag, aber einige Kavaliere trafen sich schon vorab, um Neuigkeiten auszutauschen und über die Welt zu diskutieren.

Diesen Plan verfolgte auch Phillipe Ambroise, ein dickleibiger Mann mit einem Gesicht, das etwas zu klein für seinen pausbäckigen Kopf zu sein schien. Im Moment trug er, wie viele Leute in seiner Stellung, weiße Hosen und ein weißes Hemd, schwarze Lederstiefel und eine blaue Jacke. Der Schweiß triefte unter seinem braunen Haar hervor, was ihn ziemlich dämlich aussehen ließ, während er ein Gemälde betrachtete, dass eine Landschaft in der Nähe von Avignon zeigte. Über seine Wirkung auf andere war er sich allerdings nicht im Klaren, weil ihn nie jemand darauf hingewiesen hatte.

Die Wand, an der das Bild hing, dem er seine Aufmerksamkeit schenkte, war wie ihre Kollegen mit Holz verkleidet und gehörte zu einem Salon, der mit allerhand Keramik und Glaswaren verziert war.

An einem großen Kamin stand eine Gruppe Sessel, jeder flankiert von einem Beistelltischchen. Durch mehrere Fenster flutete Licht herein.

"Wie ich sehe, haben Sie etwas gefunden, das Ihren Geschmack trifft."

De La Croix trat durch eine weiße Flügeltür ein. Amboise drehte sich schwerfällig zu ihm um und erweckte dabei den Eindruck eines mäßig interessierten Nilpferds.

"Oh ja. Ich war mal in dieser Gegend, sie ist sehr gut getroffen. Toller Ort, Avignon, kann ich nur empfehlen. Sagen Sie, wie viel hat das gekostet?"

Netter Versuch, dachte sich de la Croix. Er konnte sich bereits denken, weshalb Ambroise hier war.
"Das war ein Geschenk, ich weiß nicht wie viel es wert ist. Sagen Sie, hatten Sie eine angenehme Herfahrt?"

"Es war relativ holprig. Und wir kamen hier kaum voran in dieser Stadt. Paris ist immer so geschäftig, ich hatte den Eindruck in einem Ameisenhaufen zu sein."

"Ja, das ist immer etwas ärgerlich. Kann ich Ihnen was zu trinken anbieten?"

Lächeln, immer nur lächeln …

"Ich weiß ihre Gastfreundschaft zu schätzen, aber leider komme ich mit zu schlechten Nachrichten, als dass ich sie guten Gewissens in Anspruch nehmen könnte."

Innerlich verdrehte de la Croix die Augen. Elender Heuchler …

"Oh? Was könnten Sie denn kummervolles zu berichten haben?"

Ambroise maß ihn mit einem mitleidigen Blick, bei dem de la Croix bald die Galle hoch kam.

"Ich will ehrlich mit Ihnen sein, mein Freund. Ihr Ansatz zur Schöpfung des Besseren Menschen stößt beim Rest der Kavaliere nicht unbedingt auf Verständnis, noch dazu haben Sie seit drei Jahren keinerlei Ergebnisse vorweisen können. Ich fürchte, wenn Sie das nicht schnell ändern, wird Ihnen die Versammlung die Geldmittel kürzen, wenn nicht sogar streichen."

Was zu erwarten war … Ja, de la Croix Forschungen waren schwierig, zeitaufwendig und sehr kostenintensiv, aber was zählte, war verdammt nochmal das Endprodukt! Die anderen Kavaliere waren so unglaublich kurzsichtig. Seine Ideen waren revolutionär! Man konnte nicht nur an Altem festhalten um etwas zu schaffen, was die Vorstellungen der gewöhnlichen Menschen übersteigen sollte. Allein die Tatsache, dass de la Croix fast sein ganzes Vermögen für seine Forschung aufbrachte, sollte ihnen eigentlich zeigen wie sehr er daran glaubte, aber nein, natürlich musste man einem Mann, der gerade noch so den Mitgliedsbeitrag aufbringen konnte, den Hahn zudrehen. Aber de la Croix war nach so vielen Fehlschlägen endlich so kurz davor … Da half nur noch …

"Nun, ich habe vor einiger Zeit tatsächlich einen Durchbruch geschafft, werter Ambroise."

Ambroise horchte auf.

"Einen Durchbruch, sagen Sie? Warum habe ich davon noch nichts gehört? Können Sie ihn mir zeigen?"

De La Croix geriet leicht ins Schwitzen. Er hatte sich soeben in seiner Hast sein eigenes Loch geschaufelt …

Der Junge ist noch nicht bereit.

Dann eben improvisieren …

"Naja, ich wollte ihn für die morgige Versammlung aufheben. Als Überraschung. Um mich wie der Phönix aus der Asche zu erheben, verstehen Sie?"

Ambroise nickte zustimmend.

"Oh, ich verstehe. Jetzt bin ich aber wirklich neugierig. Zeigen Sie mal her."

De la Croix nickte mit einem aufgesetzten Lächeln und bedeutete Ambroise, ihm zu folgen. Langsam, wohlgemerkt, denn Ambroises Leibesfülle verlangsamte ihn merklich. De la Croix überlegte kurzzeitig, ob sie schneller wären, wenn er ihn einfach rollte …

Die beiden Kavaliere stiegen hinauf in den zweiten Stock von De la Croix’ Anwesen, zu einem Zimmer, das durch eine schwere Tür aus Eichenholz und einen Wachmann gesichert war. Einen unrasierten Tagelöhner, wohlgemerkt, denn de la Croix war wie erwähnt finanziell nicht gerade flüssig.

"Monsieur de la Croix", meldete er sich möglichst höflich.

"Ist er wach?", fragte der Angesprochene nur.

"Keine Ahnung, er hat vor einer Weile ziemlich lange und laut geflucht, aber jetzt ist alles still."
Er muss sich wieder irgendwo verletzt haben, dachte sich de la Croix resigniert. Die Macken seiner Kreation auszubessern hatte sich als ziemlich kompliziert erwiesen, aber Rom war ja schließlich auch nicht an einem Tag erbaut worden.

Er zog einen schweren, schmiedeeisernen Schlüssel hervor und öffnete damit seufzend die Tür. Sie schwang mit einem hämischen Knarzen auf.

Und gewährte den Blick auf eine Szenerie der Zerstörung.

Das Regal mit den vielen Büchern war noch intakt, aber das schmale Bett war offenbar als Rammbock benutzt worden, um das ehemals zugenagelte Fenster aufzubrechen. Die Laken waren zu einem improvisierten Seil verknotet, das am Fensterladen befestigt war und draußen etwa zwei Meter über dem Erdboden endete.

Es dämmerte de la Croix, dass das laute Fluchen wohl dazu gedient haben musste, den Krach zu verschleiern, der bei der Flucht unweigerlich hatte entstehen müssen. Krach, den man im Erdgeschoss unmöglich hörte.

Ambroise, dem ebenso wie dem blassgewordenen de la Croix aufgefallen war, dass das Vorzeigeobjekt entkommen war, besah sich das Ganze mit leisem Erstaunen.

"Da weht aber ein eiskalter Wind durch Ihre Finanzen", bemerkte er.

De la Croix, sichtlich schwitzend und fest entschlossen, sich den Tagelöhner später eingehend vorzuknöpfen, drehte sich zu dem feisten Mann und hob beschwichtigend die Hände.

"Keine Sorge, wir haben immer noch Zeit. Den finde ich schon wieder. Wir werden morgen zur Humanistischen Versammlung zusammen aufkreuzen, versprochen."

Ambroise maß ihn skeptisch.

"De la Croix, das wird Ihre letzte Chance sein, ehrlich. Erst von einem Durchbruch reden und dann sowas präsentieren, Sie haben Glück, dass das außer mir keiner mitbekommen hat."

"Natürlich Ambroise, aber keine Sorge, ich werde mir was einfallen lassen. Dafür ist unsere Zunft schließlich bekannt."

Dem Tagelöhner hinter ihm begannen mit einer dunklen Vorahnung die Knie zu schlottern, als de la Croix die Tür wieder schloss und dabei offenbar ohne es zu merken den gusseisernen Türgriff zerdrückte …

Nexus, ???

Der Leser kennt das vermutlich. Manche Anblicke sind so unglaublich, dass einem erst einmal die Kinnlade runterklappt. Beispiele dafür sind die von anderen Leuten neu und besser eingerichtete eigene Wohnung oder das Fremdgehen des eigenen Ehepartners.

Für Chloe gesellten sich noch tellergroße Augen dazu, als sie nun zum ersten Mal den Nexus im vollen Bewusstsein betrat.

Elli hatte ihn ihr letztes Mal als Raumschiff beschrieben, aber wenn das stimmte, musste es ein extrem riesiges Raumschiff sein. Es gab nämlich einen blauen Himmel und eine Sonne, die durch eine Wolke hindurch herabschien. Chloe lief auf weichem Gras, an dass sich ein Kiesweg anschloss. Dieser führte zum vermutlich merkwürdigsten Haus, dass sie je gesehen hatte.

Zunächst war da der Anstrich. Das Haus hatte keine einheitliche Farbe, sondern war in den verschiedensten Farben und Mustern gestrichen. Das Ganze konnte man am ehestens als Regenbogen beschreiben, der beschlossen hatte, dass er anders als die anderen Regenbögen sein wollte. Einen ähnlichen Beschluss hatte wohl auch der Architekt gefasst, denn das Haus mit seinen augenscheinlich fünf Stockwerken und mehreren Türmchen drehte und wand sich in den unmöglichsten Formen. Und alles hier wirkte so unglaublich echt. Echter als Chloe selbst …

"Ist- Ist das dein Haus?"

Elli neben ihr trank gerade einen Schluck aus ihrem Flachmann und antwortete daher nicht sofort.
"Klar, selbstgebaut. Gefällt dir der Anstrich?"

Chloe nickte, auch wenn ihr das Haus merkwürdig vorkam.

"Warst du nüchtern als du das gebaut hast?"

Elli gluckste nur.

"Nö, wieso?"

"Nur so … Also das ist dein Raumschiff?"

Elli schien kurz verwirrt zu sein, bevor in ihrem Gesicht Verstehen aufblitzte.

"Was? Nein. Ich habe dir nur gesagt du sollst dir den Nexus wie ein Raumschiff vorstellen. Aber das war nur behelfsmäßig. Das hier ist alles andere als ein Fortbewegungsmittel. Das hier ist meine eigene kleine Privatdimension. Hier kann ich machen was auch immer ich will."

"Naja, ohne Ordnungsamt ist das sicherlich einfach."

Elli zog belustigt eine Augenbraue hoch und sich dann ein Veilchen aus der Nase.

"Du denkst in zu kleinen Dimensionen. Schau dir das an."

Chloe, gerade im Lauf, zuckte zusammen, als ihre Füße plötzlich keinen Erdboden mehr unter sich spürten. Verwirrt guckte sie nach unten und bemerkte, dass sie gerade langsam nach hinten kippte.
Zwei Zentimeter über dem Boden.

"Wa-"

"Das ist Schwerelosigkeit", erklärte Elli, noch immer fest auf dem Boden stehend. "Macht Spaß?"

Chloe ruderte hilflos mit den Armen und Beinen. Sie sagte nichts, aber auf ihrem Gesicht machte sich wachsende Panik breit. Elli runzelte die Stirn.

"Hm, das hatte ich mir anders vorgestellt …"

Sie richtete Chloe wieder korrekt aus und drückte sie auf die Erde zurück. Das Mädchen stellte beruhigt fest, dass die Schwerkraft sie wieder erfasste.

Es dauerte kurz, bis sie sich von dem Schock erholt hatte.

"Du kannst hier wirklich alles machen?"

Elli nickte.

"Das geht wegen der besonderen Eigenschaften des Nexus. Blöd ist nur, dass ich nichts, was ich hier drinnen erschaffe, in andere Universen mitnehmen kann. Sobald meine Kreationen den Nexus verlassen, hören sie sofort auf zu existieren. Ziemlich lästig, weil ich dadurch nichts essen kann was ich mir hier mache. Würde ich dann gehen, würde ich einen merklichen Teil meines Körpers einbüßen. Sogar die Luft hier drin musste ich von woanders importieren …"

Sie erreichten die Tür des Hauses. Bevor Elli nach der Tür greifen konnte, wurde sie von der anderen Seite bereits von einem Dean geöffnet, der offensichtlich gerade an einem Wettbewerb für die beste Putzfrauverkleidung teilnahm. Er trug eine blaue Schürze mit grünen Blümchen, ein lila Kopftuch und zwei Gummihandschuhe. In der Rechten hatte er einen Wischeimer inklusive Mob.

"Oh, hallo Chloe. Ich mache hier gerade sauber."

"Vergiss Saubermachen, Dean", winkte Elli ab. "Wir haben Dinge zu besichtigen. In Frankreich. Beginn neunzehntes Jahrhundert."

Dean rollte mit den Augen.

"Es war sehr dreckig damals … Elli, das wird warten müssen bis ich das Haus-"

Elli schnippte mit den Fingern. Es veränderte sich nicht viel, außer dass das Wasser im Wischeimer jetzt wesentlich dreckiger war. Und im Inneren des Hauses sah es plötzlich sauberer aus …

"Du solltest das öfter machen, Elli", merkte Dean an. "Oder den Nexus endlich mal so einstellen, dass nichts mehr dreckig wird."

"Dann kriege ich dich hier doch gar nicht mehr raus", merkte Elli an und schob Chloe an Dean vorbei ins Haus.

"Mach dich zeitperiodenfertig, ich kümmere mich um Chloe. Und schütte das Wasser weg."

"Ja, mein Imperator", kam es mit Roboterstimme von Dean, bevor er sich kopfschüttelnd umdrehte und ging.

"Mo-Moment! Wo gehen wir hin?", fragte Chloe, während sie von Elli durch die sinnverwirrenden Gänge und Hallen des Hauses geführt wurde. Der Boden krümmte sich teilweise zu Spiralen, mal lief sie an der Decke und einmal gingen sie sogar durch eine Wand.

"Naja, wenn du mit den Klamotten hier in der Vergangenheit auftauchst, wirst du dir einige Fragen gefallen lassen müssen. Deswegen werden wir uns fix umziehen", erklärte Elli und öffnete die Tür zur wahrscheinlich größten Garderobe des Multiversums.

Der Raum konnte unmöglich in das Haus passen, in dem er sich befand, dafür war er einfach zu groß. Elli schien genug Anziehsachen zu besitzen um die gesamte Erdbevölkerung einkleiden zu können. Chloe sah Alltagskleidung, historische Gewänder aus allen möglichen Epochen, inklusive einiger zusammengenähter Tierhautfetzen, die wohl in der Steinzeit in Mode waren. Dann waren da Kleider, deren Design ihr völlig neu war, wie etwa ein blauer Umhang mit hochgestellten, langen Zacken am Kragen, ein Kleid das wie eine Maschine anmutete und ein Gewand, bei dem anzunehmen war, dass Elli es regelmäßig füttern musste. Dazu gesellten sich dann noch eher absurde Artefakte wie etwa ein Bärenkostüm, ein Raumanzug, eine Imkerausrüstung und, hierbei stieg Chloe die Schamesröte ins Gesicht, Badekleidung, deren Stoff wahrscheinlich nichtmal ausreichte um eine kleine Untertasse abzudecken.

Während Chloe auf diese Myriaden von Kleidern starrte, zog Elli ein eher schlichtes Kleid ohne Ärmel heraus und stattete es mit einem roten Tuch aus. Dazu kam ein Paar Schuhe, das mit Bändern an den Waden festgemacht wurde. Chloe sah auf Anhieb, dass Ellis Vorhaben einen fatalen Fehler aufwies.

"Elli, das ist viel zu groß für mich."

Elli hielt kurz inne und schien mit den Augen Maß zu nehmen. Die Kleidungsstücke schrumpften urplötzlich auf eine für Chloe passende Größe zusammen.

"Problem gelöst", verkündete sie grinsend.

"Wa- Elli, hast du nicht vorhin gesagt nichts was du hier drin erschaffst hätte außerhalb des Nexus Bestand? Ich stehe in Unterwäsche auf der Straße sobald wir ankommen!"

"Nun mal langsam", gebot Elli. "Ich habe nichts erschaffen, im Gegenteil, ich habe vernichtet. Das Kleid bleibt erhalten, selbst wenn du den Nexus verlässt."

Chloe wurde mulmig zumute.

"Du hättest doch nicht eines deiner Kleider für mich zurechtmachen müssen. Das kriegst du doch nicht wieder in die Originalgröße zurück, oder?"

Elli winkte ab.

"Ich hab sowieso zu viele Klamotten und du wirst nicht glauben wie billig ich das hier erstanden hab."

"Billig ist doch bestimmt immer noch ganz schön teuer. Das sieht wertvoll aus."

"Ist es auch, das ist Musselin aus Seide. Am Preis brauchst du dich nicht zu stören. Ich hab es gestohlen."

Es herrschte kurz Stille.

"WAS?"

"Ich hab dir doch gesagt du würdest es nicht glauben. Mach dir keine Sorgen, der Verkäufer in dem Universum, aus dem ich das hier habe, hat zwei Stunden später sowieso völlig andere Probleme gekriegt. Im dortigen Marseille ist urplötzlich ein Krieg gegen die Eichhörnchen ausgebrochen."

Chloe hatte nur einen ungläubigen Blick übrig.

"Ja, Eichhörnchen, Chloe. Diese kleinen Biester sind wesentlich intelligenter als du denkst. Hatten in diesem Universum beschlossen zur dominanten Spezies des Planeten zu werden. Ich glaube sie sind damit sogar durchgekommen, hm …"

Chloe starrte sie immer noch nur an. Elli setzte einen strengen Blick auf.

"Chloe, im Multiversum gibt es so ziemlich nichts was es nichts gibt. Ich habe schon Universen besucht, die ausschließlich aus Pornoheften bestanden oder wo die Erde von einem Schwarm Makrelen regiert wurde. Ist wirklich nicht weniger unglaubwürdig als in einer kleinen Dimension zu stehen, die du durch deinen Kleiderschrank betreten hast, oder?"

Chloe sagte auch weiterhin nichts, brachte mit ihrem Gesicht aber nachdenkliche Zustimmung zum Ausdruck.

"Na also, so, ich habe hier irgendwo einen Umkleideraum. Nimm das und zieh dich um, wir treffen uns dann gleich mit Dean am Eingang."


"Gleich" wurde zu einer etwas längeren Zeit, da Chloe nicht wirklich wusste, wie man damals solche Kleider getragen hatte. Elli stieß etwas später zu ihr, bereits in einer ähnlichen Aufmachung, nur war ihr Tuch blau. Sie grinste erst wissend ob Chloes Aufmachung, dann runzelte sie die Stirn.

"Was hast du denn an deinen Armen gemacht?"

Die Frage galt ein paar verschorften Striemen an ihren Unterarmen.

"Bin an einem Maschendrahtzaun hängengeblieben", erklärte Chloe.

Sie wusste nicht mehr genau wann das passiert war, aber sie hatte damals, wenn sie sich richtig erinnerte, in ihrem Eifer beschlossen eine Abkürzung nach Hause auszuprobieren …

"Hm …", machte Elli. "Warte mal kurz, du hast das verkehrtherum an."

Sie zog ihr das Kleid über den Kopf und starrte fast eine geschlagene Minute stumm auf ihren Rücken.

"Elli?" fragte Chloe. "Alles in Ordnung?"

Sie drehte sich zu Elli um, die daraufhin abgehackt nickte.

Sie half Chloe, ihr Kleid richtig anzulegen und führte sie anschließend in einen Raum, der, was Chloe erst nach eingehender Betrachtung feststellte, für Kosmetik gedacht war. Der unbedarfte Beobachter hätte das Zimmer für ein Chemielabor gehalten.

"Hast du nur so große Zimmer für alles?", fragte Chloe leicht verunsichert.

"Klar, warte bis du den begehbaren Kühlschrank siehst."

Elli rührte derweil eine Art durchsichtige Pomade zusammen, die sie auf den Verletzungen aufbrachte. Das Zeug nahm sofort die Farbe und Struktur ihrer Haut an. Ihr Schorf war darunter nicht mehr zu sehen.

"Wir wollen doch ein wenig schön aussehen, oder?", meinte Elli. "Kurz trocknen lassen, das hält dann bis zur nächsten Dusche. Biologisch abbaubar."

Nach dieser kosmetischen Notversorgung machten sich die beiden über einen ähnlich verwirrenden Weg zurück zum Eingang und trafen dort wie angekündigt Dean. Chloe musste sich bemühen, nicht loszuprusten, denn er sah einfach lächerlich aus. Seine Hose war bis zum Bauch hochgezogen, er trug unbequem aussehende, wadenhohe Stiefel und etwas, das wie der Vorfahre des Fracks wirkte und einen Kragen besaß, der ihm bis zu den Ohren reichte.

Er betrachtete die beiden prüfend.

"Elli, deine Handtasche."

Elli blickte auf ihre mitgeführte schwarze Handtasche hinunter und verdrehte die Augen.

"Die bemerkte keiner, Dean. Aber wo du mich gerade darauf hinweist …"

Elli zog ein kleines metallenes Keltenkreuz aus ihrer Tasche und gab es Chloe. Dann gab sie weitere an Dean und sich.

"Was ist das?", fragte Chloe.

"Das ist ein AAT", wurde ihr erklärt. "Ein Anti-Aufmerksamkeitstalisman. Er sorgt dafür, dass uns die Leute übersehen, doch er macht uns nicht unsichtbar. Er erleichtert uns das Fortkommen, aber er ist nutzlos, wenn sich jemand auf uns konzentriert, etwa weil wir auf uns aufmerksam machen. Remple also niemanden an und sprich mit niemandem, der uns besser in Ruhe lassen sollte."

"Verstehe …"

"Gut", frohlockte Elli händereibend. "Und los geeeeeeht's!"

Vor ihnen entstand mitten in der Luft ein schwarzes Portal, das schnell eine rechteckige Form annahm.

Frankreich, Paris, 1801

Chloe fand sich in einer Seitengasse wieder. Das Portal versperrte im Moment die Hintertür einer Kneipe und führte auf eine schlammige Pflasterstraße. Dean, der nach ihr als letzter aus dem Nexus kam, warf Elli einen vorwurfsvollen Blick zu.

"Während du dich umgezogen hast, habe ich schon mal einen passenden Erscheinungsort ausgesucht. Wenn wir auf der Hauptstraße rauskommen, gibt es zu viel Aufruhr", erklärte Elli, als sie den Nexus schloss.

"Ich hatte die Schuhe gerade erst sauber gemacht …", ärgerte sich Dean, während das Trio aus der Gasse trat und in das geschäftige Leben der Stadt eintauchte.

"Wir dürften hier im Jahre 1801 sein, Paris. Schwer zu erkennen, weil der Eifelturm erst in fünfundachtzig Jahren gebaut wird. Bis zum Arc de Triomphe sind es noch fünf", begann Elli.

Chloe hörte nur mit halbem Ohr zu. Es galt eine Menge Eindrücke aufzunehmen.

Am auffälligsten war der Geruch, der Dean dazu veranlasste, die Hand vor den Mund zu nehmen. Man nehme einen Fitnessraum und addiere eine Note von Pferdedung, dann bekam man einen Eindruck von dem Aroma, das über der Straße hing. Chloe wusste durch ihre Recherchen bereits, dass man sich in diesem zeitlichen Kulturraum nicht allzu häufig gewaschen hatte, aber das hier übertraf alle ihre Erwartungen.

Durch ihr Übersetzungspflaster verstand sie, was auf der Straße so beredet und gebrüllt wurde. Einige reich aussehende Männer diskutierten über Napoleons Anstrengungen, die ehemaligen Jakobiner für sich zu gewinnen, zwei Frauen berieten über die optimale Methode Wäsche zu waschen, ein Händler pries Waren aus den Kolonien an und eine Bande Kinder spielte auf der Straße Fangen.

Keiner der Passanten nahm Notiz von ihnen.

"Grässlich hier, oder?", fragte Dean ein wenig genervt. "Schaut dir die Haare von dem da an, zu viel Arsen und Blei."

Der Kommentar galt einem Mann mit einer sehr ungesund aussehenden Kopfbehaarung.

Chloe fiel plötzlich etwas auf.

"Moment, wir sind hier in der Vergangenheit, oder?"

"Ja", bestätigte Dean.

"Müssen wir da nicht aufpassen nicht die Zukunft zu verändern?"

"Mit der Zeit ist das so eine Sache", erklärte Dean. "Solange du nichts mit zu weitreichenden Folgen machst, ist alles in Ordnung. Elli wird beispielsweise nicht losmarschieren um Napoleon umzubringen, auch wenn das wahrscheinlich fünfhunderttausend Soldaten davon abhalten würde, in Russland umzukommen. Aber du kannst ruhigen Gewissens da drüben in die Kneipe gehen und dir einen Eintopf bestellen."

"Was passiert, wenn ich-"

Mehr bekam Chloe nicht heraus, da sich plötzlich eine Menschenmasse an ihnen vorbeischob und sie mit sich zu reißen drohte. Beruhigt spürte sie aber, wie sich Deans harte Hand um ihre schloss. Es dauerte eine Weile, aber dann waren die Straßen wieder frei.

"Danke, Dean", sagte Chloe. "Elli, wo genau gehen wir eig- Elli?"

Chloe und auch Dean schauten sich suchend um. Elli war nirgendwo zu entdecken.

Ihr schliefen die Gesichtszüge ein.

"Oh- Oh nein", entfuhr es Chloe. "Dean, was machen wir denn jetzt? Was wenn Elli was passiert!"

"Elli kann auf sich selbst aufpassen, auch wenn sie einen gefährlich hohen Alkoholspiegel hat", lautete die trockene Antwort.

"Und was machen wir jetzt? Zurück in den Nexus?"

Dean schüttelte den Kopf.

"Nur Elli kann den Nexus öffnen. Aber wir haben für sowas einen Notfallplan. Pass auf, wir machen Folgendes …"


De la Croix hastete durch die Straßen. In seiner Hand befand sich ein kleines, kompassartiges Gerät, mit dem er Seelenenergie orten konnte. Das Problem war nur, dass es nicht wie ein richtiger Kompass arbeitete, sondern wie ein Bluthund, der einer Fährte folgen musste. Der Kavalier hatte sich bereits über Mauern wuchten, durch Zäune quetschen und durch Häuser bugsieren müssen, um die Spur nicht zu verlieren. Entsprechend mitgenommen sah seine Garderobe aus. Überall war Dreck und er hatte zwei Knöpfe verloren. Aber er musste sein Subjekt wiederfinden, koste es was es wolle. Aber er kam der Sache schon näher, denn der Ausschlag der Nadel wurde jetzt stärker.

Und dann änderte sie plötzlich die Richtung …

De la Croix blieb verwirrt stehen und klatschte zweimal kurz gegen das Gerät. Nein, es blieb dabei, die Richtung in die die Spur führte, hatte sich geändert. An sich war das natürlich logisch, denn der Geflohene musste schließlich auch um Ecken laufen, aber normalerweise war die Kurve der Spur nicht so scharf …

Als er in die zuvor angezeigte Richtung weiterging, bestätigte sich sein Verdacht. Irgendwas, das mehr Seelenenergie abstrahlte als seine Schöpfung, hatte ihren Weg gekreuzt. Dadurch war seine Spur verwischt worden, denn die Nadel würde sich nun immer auf diese bessere Spur ausrichten. So ein verdammter Mist! Er musste unbedingt irgendwas auftreiben, das er präsentieren konnte! De la Croix beschloss, der Spur zu folgen, denn mit etwas Glück, hatten sich der Unbekannte und der Gesuchte zusammengetan. Und wenn nicht … Dann würde er improvisieren müssen …

Während er sich auf den Weg machte, ging ihm eine Frage nicht aus dem Kopf: Was konnte nur so viel Energie abstrahlen?


" …und deswegen essen Unterschichtfamilien aus einer gemeinsamen Schüssel", beendete Elli ihren Vortrag.

Beifall heischend schaute sie sich nach ihren Begleitern um, nur um sie nirgendwo zu entdecken.

Ihre erste Reaktion darauf war ein kräftiger Schluck aus ihrer Flasche.

Die nächste bestand darin, einem Karren auszuweichen, der sie beinahe überrollt hätte. Ärgerlich zeigte sie dem Fahrer den Mittelfinger, bevor ihr gewahr wurde, dass sie ja einen AAT trug. Daraufhin versuchte sie, ihre wüste Geste mit einem V-Zeichen zu neutralisieren. Nicht dass es jemandem aufgefallen wäre.

In einem solchen Fall griff der Notfallplan, deswegen marschierte, beziehungsweise torkelte, sie schnurstracks los.

Das war ärgerlich. Hoffentlich versaute das Chloe nicht den Ausflug.

Sie bog in eine Seitengasse ein um abzukürzen, kam aber nur bis zur Hälfte …

Elli hörte noch wie jemand hinter sie trat. Sie griff in ihre Handtasche, war aber nicht schnell genug um zu verhindern, dass sich ein Messer an ihren Hals legte. Eine sehr kalte Hand packte sie derweil an der Schulter.

"Ich brauche Ihr Geld", flüsterte eine Stimme, deren Besitzer offenbar Mühe hatte, die Lungenflügel zu bewegen.

Vermutlich todkrank, würde die kalte Hand erklären.

"Und wenn ich kein Geld habe?", fragte Elli versuchsweise, während sich ihre Hand in der Tasche um den gewünschten Gegenstand schloss.

"Lüg nicht, dafür bist du zu sauber."

"Danke für das Kompliment, wenn Sie jemanden überfallen, müssen sie auf eine Sache achten …"

Ihre Hand schnellte aus der Tasche, während ihr Hals sich in die entgegensetzte Richtung lehnte. Das sofort nachrückende Messer wurde vom Griff ihrer Bratpfanne pariert, die sie aus ihrer Handtasche gezogen hatte, woraufhin Elli den Ellenbogen ihres anderen Arms dahinein rammte, wo sie das Sonnengeflecht des Räubers vermutete. Was sie traf, fühlte sich verdächtig nach der angezielten Körperregion an, löste aber keinerlei Reaktion aus. Im Gegenteil, die Hand mit dem Messer drückte trotz Ellis Gegenwehr mit unmenschlicher Kraft zu und stellte den Kontakt mit Ellis Hals wieder her.

"Eigentlich wollte ich sagen, Sie sollen aufpassen wo ihr Opfer seine Hände hat, aber was zur Hölle sind Sie?"

Elli drehte versuchsweise den Kopf und erhaschte einen Blick in ein Gesicht, das aus einem Alptraum zu stammen schien.

Das nächste Mal bei Nexus:
Der Bessere Mensch? Teil 2

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