Ruinen des Wahnsinns, Teil 1

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Das letzte Mal bei Nexus:
Der Gefallen, Teil 3

Donner grollte am Nachhimmel, doch es regnete noch nicht. Für Matheus war das ein schlechtes Omen. Der braunbärtige Mann hatte sein Schwert an sich genommen, um sich den Widrigkeiten zu stellen, die sich ihm entgegenwerfen würden. Er trug zwar nur seinen braunen Mantel und etwas Lederkleidung, aber er war Kesselflicker, er brauchte keine Rüstung.

Er hätte sich nie mit dieser Magierin einlassen dürfen. Nein, sagte er sich dann, er hätte es rechtzeitig bemerken müssen, war doch aus dieser Verbindung sein geliebter Sohn hervorgegangen. Aber es hätte ihm spätestens auffallen müssen, als er ihr Labor gesehen hatte, als diese seltsam leuchtenden Glaskugeln ihm zugeflüstert hatten …

Reinhardt! Er musste ihn finden, wusste der Teufel, wo diese Infame ihn hingebracht hatte.

Ein Blitz erhellte die Nacht und gab zwei Silhouetten auf einem Hügel in der Ferne preis.

Die Formen passten. Matheus beschleunigte seine Schritte, doch noch während er auf den Hügel zu rannte, brachen über ihm die Wolken auf und hellblaues Licht flutete hinunter.

Die kleinere der beiden Silhouetten begann zu schweben …

Als er näher kam, konnte er die Beschwörung verstehen.

"-und so fahre hinab, oh Arbarab, Verschlinger!"

Und dann erklang eine Stimme, die wie ein ganzer Chor klang. Sie schien nicht von dieser Welt.

"Der Pakt ist geschlossen!"

Er sah, wie Reinhardt die Augen öffnete. Sie leuchteten in diesem unheiligen Blau.

"Gut gemacht, Irene, dieser Körper wird mir von großem Nutzen sein", sagte er mit dieser unheimlichen Stimme.

Die Frau vor ihm fiel auf die Knie.

"Oh großer Arbarab", sagte sie. "Nun ist es an euch. Ihr verspracht mir ewige Schönheit."

"Es sei dir gewährt …"

Matheus hörte ihr Lachen, als auch sie in hellblauem Licht erstrahlte.

"IIIIREEENEEE!"

Er schlug mit dem Schwert nach ihr und trieb es der Zauberin in seiner Wut bis zum Heft in den Rücken.

Sie kicherte nur.

"Du kommst zu spät", gurrte sie. "Du kannst nichts mehr aufhalten. Jetzt bin ich … Was?"

Sie fiel kraftlos nach vorn und reckte den rechten Arm nach Reinhardt.

"Arbarab", keuchte sie. "Warum … heile ich nicht, ich dachte, ich sei ewig."

"Du nicht", widersprach Arbarab und verzehrte das Gesicht des gerade Mal zweijährigen Jungen zu einem höhnischen Grinsen. "Aber deine Leiche wird auf ewig schön bleiben."

"Du … Lügner …"

Irene hörte auf, sich zu bewegen.

Ein Donnerschlag erhellte den Hügel.

"Gib ihn frei!", verlangte Matheus. "Sie ist nicht mehr."

"Hältst du mich für einen Narren?", fragte das Wesen, das in seinen Sohn geschlüpft war. "Weißt du, wie lange es gedauert hat, eine Form in eurer Welt zu erhalten? Diese dumme Gans hat nie auch nur geahnt, mit was sie da gehandelt hat, dafür habe ich gesorgt. Jetzt kann ich tun und lassen was mir gefällt!"

"Was willst du hier!", fragte Matheus. "Warum eine Sterbliche verführen, dir ihren Erstgebornen zu geben?"

"Was ich will?", wiederholte Arbarab und lachte. "Ich will alles! Mehr werden als ich bin! Ich will Macht! Und die Welt steht mir jetzt offen!"

Mit einem neuerlichen Donnerschlag verschwand Arbarab zusammen mit seinem Gefäß.
Matheus verließen alle Kräfte. Er fiel auf die Knie.

"Ich werde dich finden … HÖRST DU, ARBARAB! ICH WERDE DICH FINDEN UND DICH BEZWINGEN UND WENN ICH DICH BIS AN DAS ENDE DER WELT JAGEN MUSS!"

Ein letztes Mal ließen die Wolken den Donner hallen.


Chloe ging es nicht gut. Sie hatte Kopfschmerzen, weil sie heute drei Klausuren in Folge hatte schrieben müssen. Und das ausgerechnet heute.

Sie lag auf ihrem Bett, weil sie sich nicht dazu motivieren konnte, sich in eine aufrechte Position zu begeben.

"Meeeehheheeee", stöhnte sie.

Ihr Schrank ging quietschend auf. Elli sprang mit einem himmelblauen Partyhut auf dem Kopf aus dem Nexus.

"Happy Birthday!", trällerte sie und blies in eine Partypfeife. "Tolle Sache mit deinen Arbeiten, Chloe."

Chloe, die sich jetzt weit genug zusammenraffte um aufzustehen, bedachte Elli mit einem bohrenden Blick.

"Hast du meine Arbeiten etwa schon korrigiert?", fragte sie. "Was ist mit der in Deutsch?"

"Äh, sagen wir, ich bin gut darin, Wetten abzuschließen. Auf jeden Fall hat Frau Kopernikus eine Flasche Wein an mich verloren", sagte Elli. "Ich würde dir ja ein Geschenk überreichen, aber ich kann schlecht deinen Laptop verpacken.

Chloe schaute verwirrt auf ihrem Computer. Er war das Billigste vom Billigen.

"Was hast du damit angestellt?", fragte Chloe erschrocken und ehrlich besorgt. "Und wann überhaupt?"

"Als du nicht hingeguckt hast", war die Antwort. "Piekfeine Prozessoren und Grafikkarte. Marke Eigenbau, also weißt du, dass sie gut sind. Maskiert dich im Netz automatisch und wehrt sämtliche Malware ab, die bis 100.453 nach Christus erfunden wird, danach hat die Hardware nicht mehr mitgemacht. Ich habe außerdem eine Funktion eingebaut, die jedem Spammer auf den du triffst automatisch Logikbomben schickt, aber die ist im Moment deaktiviert. Oh, und du hast immer W-LAN, egal wo du bist, mit Minimum-Ping. Nie mehr Ärger wegen der langsamen deutschen Leitungen. Oder mit der Telekom … Ich wollte noch eine KI und eine Fusionsbatterie einbauen, aber Dean hat mich nicht gelassen."

"Besser so", kommentierte Chloe trocken. "Soll ich mitkommen oder wollt ihr hier feiern?"

"Oh, dafür habe ich mir was ganz Besonderes einfallen lassen. Du mochtest doch Herr der Ringe, als wir uns zusammen die Filme angeguckt haben, also geht's heute in ein Fantasy-Universum! Hab leider keins gefunden, in dem Elben und Zwerge gleichzeitig und offen existieren … Na gut, zwei, aber die haben Deans Hygienestandards nicht genügt."

Chloe runzelte die Stirn, musste aber zugeben, dass sie neugierig war. Elli nahm sie selten in Zeiten des Mittelalters oder des Altertums mit. Zugegeben, das letzte Mal hätte man Chloe beinahe wegen ihrer Haare als Hexe in einen Tümpel geworfen, aber sie mochte diese Zeitperiode.

"Ich kann's mir ja mal angucken", sagte sie sich und schlurfte zum Schrank.


Dean hatte sie bereits mit einem kleinen Geburtstagskuchen erwartet. Er war nicht groß, denn nur zwei Leute aßen davon, allerdings ließ Dean in seiner gewohnt direkten Art durchblicken, dass Elli ursprünglich ein mehrstöckiges Modell geplant hatte. Glücklicherweise war es während der Erstellung explodiert.

Von Dean hatte Chloe ein Päckchen bekommen. Ein multidimensionales Schweizer Taschenmesser mit etwa fünfhundert Werkzeugen, darunter das gewohnte Messer und der Dosenöffner, aber auch Exoten wie einer Taschenlampe, einer große Kreissäge, einer Axt und einem Schweißbrenner (bereits befüllt).

Chloe wurde nach dem Kuchen in eine schlichtes, beiges Kleid gehüllt, Elli nahm eine etwas auffälligere weiße Version mit Ausschnitt. Dean für seinen Teil sah aus wie ein Schmied, trug größtenteils braunes Leder und schwere, schwarze Stiefel.

Als Chloe in die Welt eintrat, erlebte sie eine Überraschung. Die Straßen waren wesentlich sauberer und die Gebäude höher, als sie es gewohnt war. Der Ort erschien wirklich wie er in Märchen dargestellt wurde. Sah man vielleicht mal davon ab, dass es gerade geregnet hatte und überall Pfützen waren.

Als sie aus der Gasse traten, erreichten sie einen großen Marktplatz, auf dem Händler ihre Waren anpriesen, Gaukler ihre Tricks vorführten und Taschendiebe versuchten, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Ins Auge sprang Elli ein Fischverkäufer, der sich mit einem Schmied über die Qualität der Fische stritt.

"Sind wir in Frankreich?", fragte Dean, während er sich umsah.

"Äh, nach unseren Maßstäben ja", präzisierte Elli. "Wir befinden uns hier am Genfer See auf Seiten des Romanischen Imperiums. Allinges wird dieser Ort genannt."

"Andere historische Entwicklung?", fragte Dean.

"Jap", bestätigte Elli. "Hier wurde Amerika schon wesentlich früher entdeckt und es gibt nur noch einige Weltreiche. Aber das soll uns nicht weiter stören. Wir mischen uns einfach unter die- Hm?"

Elli hatte abgebrochen, weil wütende Rufe laut wurden.

Durch die Menge hindurch rannte eine Person in einem brauen Kapuzenmantel auf sie zu und rammte Elli zu Boden. Dann war er auch schon wieder weg.

Zwei Stadtwächter folgten ihm.

"Im Namen des romanischen Gesetzes, Halt!", brüllte einer, während sie an Dean vorbeiliefen.

"Alles in Ordnung, Elli?", fragte er und half Elli wieder hoch.

"Ja", stöhnte Elli. "Mir tut nur der Hintern weh … Warum fühle ich mich so leicht?"

Sie schaute an sich hinunter.

"Oah! Der Kerl hat meine Tasche geklaut! KOMM SOFORT ZURÜCK, DU RATTE!"

Sie rannte den Wachen hinterher.

Dean und Chloe sahen ihr nach.

"Was machen wir jetzt?", fragte Chloe.

Dean zuckte mit den Schultern.

"Soll ich dich unter den Arm nehmen?", fragte er.

Sie wich vor ihm zurück.

"Habe ich mir gedacht. Komm, wie sammeln uns am vorgesehen Notfalltreffpunkt. Sobald Elli ihre Tasche wiederhat, kann sie uns anpeilen."

"Du hast keine Angst, dass sie hier umkommen könnte?", fragte Chloe. "Ich finde, wir sollten hinterher."

"Wir reden hier von Elli, Chloe", erwiderte Dean schlicht. "Sei es nun durch ihre fragwürdige Brillanz oder weil sie mehr Glück als Verstand hat, die Frau überlebt alles, das solltest du inzwischen wissen."

"Naja, aber-"

"Die Rote Pest von Bajandal?"

"Elli hat sich angesteckt, aber ein Gegenmittel gebraut."

"Anantashesha?"

"Hat sie wieder ausgespuckt."

"Teslas Todesstrahler?"

"Sie hat ihn unschädlich gemacht, bevor er das Universum zerstören konnte. Warum hatte der Kerl einen Todesstrahler?"

"Wir reden hier von Tesla, der Kerl war einen Laborunfall davon entfernt ein Superschurke zu werden, zumindest in der Realität damals. In deiner aber glaube ich auch. Aber du verstehst, worauf ich hinauswill?"

"Jaa …", murrte Chloe.

"Gut, dann lass uns mal langsam losgehen. Wir können zwischendurch einen Schaufensterbummel machen. Ich glaube ich habe Krapfen gesehen …"


Matheus rannte so schnell er konnte. Und das war nach den Jahren, die er auf Reisen verbracht hatte ziemlich schnell. Leider musste er stehlen, um zu überleben, dabei hatten ihn die Wachen erwischt. Er hatte sein eigentliches Ziel zwar nicht gekriegt, dafür aber zumindest die Tasche der blonden Frau. Mit etwas Glück war Geld drin.

Er zog sich in die dunklen Gassen von Allinges zurück und kam erstmal wieder zu Atem.

Dann wollen wir doch mal sehen, was wir da haben …

Er griff mit etwas Reue in die Tasche.

Er griff noch weiter hinein.

Schließlich steckte er bis zur Schulter in dem Ding, aber er fühlte keine Gegenstände. Oder einen Boden.

Aber das war doch nicht möglich!

"Du musst fünfdimensional denken, wenn du an meine Habseligkeiten willst."

Matheus schüttelte die Tasche ab und packte sie am Halter. In derselben Bewegung zog er sein Schwert und wirbelte herum.

Die Frau, die er bestohlen hatte, lehnte an einer Tür und schaute ihn halb genervt und halb spöttisch an. Dann stellte sie sich mitten in die Gasse und kesselte Matheus so in einer Sackgasse ein.

"Ich bin erstaunt", gab Matheus zu. "Wie habt Ihr mich gefunden?"

"Ich finde immer zu meinem Hab und Gut. Du hast ja keine Ahnung, was es mit der Welt anrichten kann."

Die Frau streckte die Hand aus.

"Nachdem wir nun festgestellt haben, dass meine Tasche für euch wertlos ist, wären Sie bitte ein Kavalier und geben sie zurück?"

"Es wird sicher jemanden geben, der mir so eine Absonderlichkeit abkauft", erklärte Matheus nicht sonderlich glücklich. "Es tut mir leid, aber ich werde euch euer Gut nicht wiedergeben, auch wenn es rechtmäßig euch gehört. Bitte verzeiht das."

"Das war keine Bitte, die ich geäußert habe", knurrte die Blonde.

"Ihr habt nicht mal ein Schwert, gute Frau. Ihr könnt mich nicht einschüchtern."

Die Frau gluckste.

"Und trotzdem stehe ich hier vor euch. Ihr solltet euch fragen, warum ich keine Waffe dabei habe."
"Genug von Eurem Geschwätz!"

Matheus sprintete mit erhobenem Schwert auf die Blondine zu, bereit, ihr das Heft gegen die Schläfe zu rammen. Dabei lief er direkt durch eine große Pfütze hindurch.

Die plötzlich zusammen mit ihrem Boden verschwand, Matheus fiel plötzlich durch ein schwarzes Loch und befand sich nun im freien Fall auf eine grüne Grasfläche Meilen unter ihm wieder. Er begann zu schreien, während er sich in der Luft überschlug.

"Willkommen in meiner Welt", hallte es in seinem Kopf wider. "Hier mache ich die Regeln. Besser, Ihr lassen meine Tasche los, sonst seid Ihr gleich rot und sehr flach. Aber nicht tot …"

Eher aus Reflex als aus Absicht tat Matheus wie geheißen. Sofort fiel er nicht länger, sondern stand mit beiden Beinen fest auf dem Gras.

Er kippte mit einem weiteren Aufschrei trotzdem um.

Vor ihm befand sich ein großer Felsbrocken, auf dem die Blondine hockte und sich ihre Tasche wieder umhängte.

Nein, sie durfte nicht mit seiner Beute davonkommen. Er hatte kein Geld mehr, um aus der Stadt zu kommen und er war beide Hände los, wenn die Wache ihn erwischte.

Matheus rappelte sich wieder auf und richtete im Mut der Verzweiflung sein Schwert auf sie.
Das hieß, er wollte es.

Er hielt der Frau nämlich stattdessen einen Strauß Rosen entgegen …

"Oh, Blumen! Sind die für mich?", witzelte sie mit süffisantem Grinsen.

Die Dornen stachen in seine Hand und so ließ er die Pflanzen mit einem unterdrückten Schmerzensschrei fallen. Er entdeckte sein Schwert neben der Blondine. Es steckte in dem Felsbrocken.

"Gebt mir mein Schwert zurück!", verlangte er.

"Ich schätze, Ihr wisst immer noch nicht, in welcher Situation ihr steckt", sinnierte die Frau.

Hinter ihm öffnete sich ein weiteres schwarzes Loch und nahm die Form eines Haustürdurchgangs an.

Starker Wind kam auf und blies Matheus von den Füßen, direkt auf das Loch zu. Er biss die Zähne zusammen und krallte die Hände ins Gras, um nicht fortgeweht zu werden.

"Nein! Alles, nur nicht mein Schwert!"

Die Frau bedachte ihn mit nichts als Verachtung.

"Warum sollte ich auf das Flehen eines Diebes hören? Oh, Ihr habt mich sogar niedergestoßen, das heißt ich wurde von euch sogar beraubt."

Wenn er sein Schwert hier verlor, dann würde er sich Arbarab nie entgegenstellen können. Er durfte es hier nicht verlieren!

Der Wind nahm zu, doch Matheus nahm all seine Kraft zusammen und begann über den Boden zu robben, wobei er im Gras immer nach Halt suchte.

"Ihr seid vernarrt in eure Waffe, so scheint es mir", bemerkte die Frau höhnisch.

"Sag was du willst, Hexe", keuchte Matheus. "Nehmt mein Geld, nehmt meine Kleider, aber niemals hindert Ihr mich daran, zu tun was getan werden muss!"

Er robbte weiter. Der Wind wurde noch stärker.

Er starrte entschlossen zu der Hexe hinauf.

Er würde sich nicht von dieser Frau, die aus dem Nichts erschienen war, davon abhalten lassen, seinen Sohn zu retten, und wenn sie glühendes Gestein über ihm ausschüttete.

Sie legte mit mildem Interesse den Kopf schräg.

"Hm … Was ist es, das euch antreibt?"

Urplötzlich hörte der Wind auf. Das Loch schloss sich. Matheus blieb schwer atmend auf dem Boden liegen. Die Frau trat auf ihn zu.

"Sagt mir, was ist es, das Euch dazu bringt, euch gegen das nächstbeste zu Gott dieser Welt aufzulehnen, selbst wenn euch das Wasser bis zum Halse steht? Abhängig von eurer Antwort …"

Mit einem metallischen Sirren löste sich sein Schwert aus dem Stein, überschlug sich ein paar Mal und blieb gerade so außerhalb seiner Reichweite im Boden stecken.

"Was wollt Ihr?", fragte Matheus vom Boden aus.

"Spaß?", war die unsichere Antwort. "Ich sehe viele Zeiten und viele Welten, aber einen Mann von eurem Schlage sehe ich deprimierend selten. Was für aufregende Geschichten könnte ich mit euch erleben, so sagt mir."

"Ihr wollt mir helfen?", fragte er ungläubig.

"Kommt darauf an, was Ihr mir erzählt, und denkt daran, ich durchschaue jede eurer Lügen …"

Er konnte es nicht fassen. Matheus stand kurz davor einen Verbündeten zu gewinnen. Er überlegte sich seine Worte und holte dann tief Luft.

"Meine Geschichte ist die Jagd nach einer schwer fassbaren und rätselhaften Kreatur …"


Arbarab war endlich fündig geworden. Bald würde er mächtiger sein als selbst die Götter dieser Welt …

Weiche!

Sein mittlerweile sechsjähriges Gefäß, gekleidet in einen grauen Mantel mit Kapuze, bahnte sich den direktesten Weg durch die Gassen Allinges. Er hatte dieses Gefäß so satt. Er liebte es, sich der Völlerei hinzugeben, den Spielen. Aber sein Körper hatte einige nervige Eigenarten, allem voran diese Massenzunahme … Sicherlich, er war viel gewachsen in den letzten vier Jahren, aber ständig musste Arbarab seine Kräfte aufwenden, um sich dieses nutzlosen Fetts zu entledigen … un das mit der Erotik hatte auch noch nicht funktioniert …

Lass mich gehen …

Aber das würde bald ein Ende haben … Er hatte endlich den Ort gefunden, an dem er das Siegel beschwören konnte. Und dann würde er es brechen, er würde …

Verschwinde!

Irgendwas wickelte sich um ihn, vom Gefühl her Spinnenseide, aber nichts war zu sehen. Und doch zwang es ihn, seinen Kurs minimal zu ändern …

Er wurde von fiesem Rätsel abgelenkt, als er halb in stiller Panik ein weißhaariges Mädchen rammte. Der Einfluss verschwand augenblicklich.

"He, pass doch auf!", rügte das Mädchen ihn, aber Arbarab hörte gar nicht richtig zu.

Er packte sie an der Hand.

Tatsächlich, da war es wieder. Eine Art silberne Macht, die in diesem Mädchen schlummerte wie Magma in einem Vulkan, der kurz vor dem Ausbruch stand. Man konnte sie nur erspüren, wenn man sie direkt berührte.

Sie war unermesslich. War es womöglich nur sein Instinkt gewesen, der sie hatte aufeinandertreffen lassen?

Renn weg, Mädchen!

Arbarab rang mit sich aber da seine Art größtenteils nur von Impulsen getrieben wurde, tat er etwas, das seinen Plan verzögern würde. Er beschloss, sich auch dieser Macht zu bemächtigen.

"Hey, es gehört sich nicht, wildfremde Menschen zu packen", belehrte ihn ein riesenhafter Mann neben dem Mädchen, wohl ihr Vater.

Er störte.

Tu es nicht!

Arbarab machte eine Handbewegung und der Mann wurde gegen die nächste Hauswand geschleudert. Das Mädchen kreischte auf.

"Du kommst mit …", sagte Arbarab.

Er nutzte seine eigene Stimme, um klare Verhältnisse zu schaffen.

"DEAN! HILFE!", schrie sie.

Der weggeschleuderte Mann löste sich aus der Wand, in der er einen Abdruck hinterlassen hatte und stampfte mit ausdruckslosem Gesicht auf Arbarab zu.

"Bemühe dich nicht …", sagte der.

Er beglückwünschte sich dazu, sich die Magie für einen Teleport gespart zu haben, aber jetzt war es an der Zeit.

In einem Lichtblitz verschwanden er und das Mädchen, das er festhielt und ließen einen verwirrten Mann und erschrockene Passanten zurück.


"Also, fassen wir nochmal zusammen", begann Elli, während sie durch ihren Hausflur schritten.
Matheus, so hieß der Mann, sah sich perplex um.

"Ihr verfolgt dieses Ding jetzt schon seit vier Jahren, wissen, dass es in die Körper von Menschen schlüpfen kann, wissen sonst absolut nichts über dieses Wesen außer seinen Namen und dass es zaubern kann und denken, Ihr könntet es mit einem Schwert aufhalten? Ihr seid lustig."

"Ich hatte gehofft, dass ich auf meinen Reisen Hinweise auf dieses Ding finden würde, aber niemand hat je den Namen Arbarab gehört."

"Hm", machte Elli. "Zugegeben, was Ihr mir erzählt habt lässt auf einen Dämon schließen, aber kein Dämon den ich kenne, verhält sich auf solche Weise. Er will mehr Macht … das ist ein Beweggrund für niedere Dämonen, aber keiner von denen ist zu solchen Dingen fähig, wie Ihr mir beschrieben habt."

"Es hat in Florenz ein Gebäude nur mit einem Fingerschnippen zerstört", half Matheus weiter.

"Hm, vielleicht gehe ich aus der falschen Richtung an diese Sache heran", dachte Elli laut. "Er ist hier in Allinges, das verleitet mich zu einem Experiment …"

Sie teleportierte sie beide zu ihrem Kosmoskop. Matheus quittierte das Geschehen mit einem Aufschrei.

"Tut das nie wieder!", forderte er. "Was ist das für ein absonderliches Konstrukt?"

"Das, Matheus, ist ein Kosmoskop. Ich kann damit überall hinblicken wo ich will und, was noch besser ist, ich kann nach Dingen suchen …"

Sie begann, Einstellungen vorzunehmen.

"Schön, dann wissen wir wo er ist, aber wie wollt ihr ihm dann beikommen?"

"Das weiß ich, sobald ich ihn gefunden habe. Mal sehen, wo hier der größte Astralzugang ist …"

Sie schaute durch ihr Kosmoskop.

Und bekam tellergroße Augen.

"Das darf doch … Matheus, schau dir das an!"

Matheus erschrak erneut, als neben ihm ein Bildschirm ansprang und ihm zeigte, was Elli sah. Ein Junge zerrte ein wesentlich größeres und dünneres Mädchen über einen Waldpfad.

"Das … das ist er, das ist mein Junge", keuchte Matheus, schwer damit beschäftigt, die Tränen zurückzuhalten. "Oh ihr Götter, er ist so groß geworden … Wer ist das da neben ihm?"

"Mein Mädchen …", grollte Elli mit geballten Fäusten. "Matheus, hofft, dass Ihr dieses Astralwesen vor mir in die Finger bekommt …"

Matheus horchte auf. Diese Info war für ihn offenbar so wichtig, dass er glatt überhörte, was Elli über Chloe gesagt hatte.

"Astralwesen? Ihr wisst, was Arbarab ist? Was ist das?"

Elli holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Es half nur bedingt.

"Astralwesen stammen aus der Astralebene, einer Existenzebene über der unseren, dort existiert nichts außer reiner Energie und Information. Doch etwas davon kann selber denken und schaut gefühllos auf unsere Welt. Diese Wesen sehen uns und verzehren sich danach, so zu sein wie wir, so zu fühlen wie wir. Sie begehren Emotion und Ekstase. Versteht Ihr, Matheus, dieser Biester wollen leben."

"Schon, aber was hat das mit meinem Sohn zu tun?", fragte Matheus.

"Normalerweise suchen Astralwesen nach Zugängen in unsere Welt. Diese werden nur von Magiern erzeugt, die auf die Macht der Astralebene zugreifen müssen, um ihre Zauber zu wirken. Diese werden dann übernommen, damit das Astralwesen auf unsere Welt wirken kann. Und sie bringen jede Menge magisches Potential mit sich, weit mehr als jeder Magier auf dieser Welt. Ordentlich ausgebildete Magier wissen, sich gegen so eine Übernahme zu wehren, aber manchmal, da gibt es einen Novizen, der nicht aufpasst, und … Eure Frau war Magierin, korrekt?"

"Ja, sie sagte, sie erforsche Seelen. Hatte ein Labor mit vielen blau leuchtenden Kugeln. Sie haben zu mir geflüstert …"

"Ein Magier, der Astralwesen studiert?", wiederholte Elli. "Hier? Selbstmord geht einfacher. Ich nehme an, sie hat die Astralwesen für Dämonen gehalten und sich von dem verführen lassen, den Ihr Arbarab nennt. Verstehe, aber was will er hier … Wissen Sie was, wir ergründen das, sobald wir meinen Begleiter eingesammelt haben und dann müssen wir uns sofort einen Plan überlegen, wie wir meine Chloe aus seinen Fängen befreien."

"Moment, was ist mit Reinhardt", wollte Matheus wissen.

"Um den kümmere ich mich, sobald er keine Geisel mehr hat, die er gegen mich benutzen kann. Warum hat er sie überhaupt mitgenommen?"

Matheus zuckte mit den Schultern.

"Ihr könntet genauso gut fragen, was er in diesen Bergen will."


Chloe verstand noch immer nicht so recht, was vorgefallen war. Ein Sechsjähriger hatte sie gefangen genommen und Dean scheinbar kraft seiner Gedanken weggeschleudert. Und dann war sie teleportiert worden.

Im Moment befand sie sich tief in den Wäldern der Alpen um den Genfer See herum. Der kleine Junge zerrte sie mit mehr Kraft hinter sich her, als er eigentlich haben sollte.

"Okay, ähm, was willst du überhaupt mit mir? Ich bin völlig harmlos."

Der Junge lachte mit dieser merkwürdigen Stimme, die aus mehr als einer Kehle zu kommen schien.
"Du kannst das, was in dir steckt nicht verbergen, Mädchen."

"Und du kannst es mir nicht nehmen, nicht ohne zu sterben."

Zumindest hoffte Chloe das. Wenn Ku ihren Körper zerstörte, dann musste er das bei anderen auch tun, wenn er übernommen wurde, so die Theorie.

Zu ihrer Erleichterung knurrte der Junge frustriert.

"Das stimmt, aber das wird sich bald ändern, wenn ich das Siegel breche. Und dann bist du ein willkommener Bonus."

"Welches Siegel?"

Der Junge schenkte ihr ein Lächeln, das definitiv nicht in ein Kindergesicht gehörte.

"Welch Zufall, dass du das genau jetzt fragst, wir sind da. Weißt du, nur eine Schattenbreite von dieser Welt entfernt schwebt eine gewaltige Macht im Nichts, verborgen in einem menschengemachten Siegel. Wir haben sie schon vor Urzeiten bemerkt und beobachtet, nachdem sie über alle Zeiten und Räume hinweg verbannt wurde. Und wir haben sie gewollt, danach gegriffen, aber von unserem Zuhause aus ist kein Arm lang genug. Aber, wenn man hier, in eurer Welt das Gitter der Realität ein wenig ausdünnt …

Chloe war viel zu sehr damit beschäftigt zu begreifen, dass sie hier offenbar nicht mit einem irdischen Wesen redete, dass sie gar nicht bemerkte, was der Junge murmelte oder was für Gesten er vollführte.

Aber sie spürte, wie die Erde zu beben begann, während die Bäume vor ihr zu verschwimmen begannen, als würde man sie durch wellendes Wasser hindurch betrachten. Allgemein wirkte die ganze Umgebung, als wäre sie im Fluss. Neue Pflanzen und Bäume erschienen, die ein wenig anders aussahen als die heimische Flora und mit einem kosmischen Ächzen materialisierte sich ein gewaltiges Gebäude vor ihnen im Unterholz.

Halt, korrigierte sich Chloe, es waren mehrere Gebäude, sie konnte über die Bäume hinweg Schornsteine erkennen.

Fabrikschlote … Die gehörten hier gar nicht her!

Jetzt, wo Chloe das Gebäude betrachtete, war das nicht-

"Beweg dich!", knurrte der Junge erschöpft.

Chloe überlegte, ob sie wegrennen sollte, aber bläulich leuchtende Macht begann um ihren Geiselnehmer herum zu knistern. Vermutlich konnte er sie selbst nach diesem Kunststück immer noch in einem Feuerball verbrennen, wenn es denn sein musste.

Mit mulmigen Gefühl trat sie durch das zerstörte Eingangstor. Und sah an der Wand einen ersten, in roter Farbe geschriebenen Hinweis.

SIEH NICHT AUF DIE WÄNDE.

Notiert …


In einem anderen Gebäude in der Nähe öffnete sich in einer Tür der Nexus und spuckte Elli, Matheus und einen etwas zerfleddert wirkenden Dean in einer Art leeren Lagerraum aus. Matheus und Ellis Begleiter hatten die Gegenwart des anderen ohne große Reaktion hingenommen, nachdem Elli die Situation erklärt hatte. Aber Deans Aussage hatte sie beunruhigt.

Das Astralwesen konnte ohne Worte Magie benutzen. Das hieß, dass Elli nicht wissen konnte, wann Arbarab was einsetzen würde. Da Astralmagie energie- und nicht realitätgestützt war, war zudem ihre Fähigkeit, Realitätsveränderungen auszunutzen, hier beinahe nutzlos, solange das Astralwesen die Wirklichkeit nicht verdrehte. Und dann diese Gebäude, die plötzlich erschienen waren … Im Nexus waren eine ganze Reihe Warnsysteme angesprungen, nachdem sie Dean abgeholt hatten, deswegen hatten sie so schnell reagieren können. Irgendwas stimmte hier überhaupt nicht.

"Was ist das für ein Stein", fragte Matheus, während er sich umsah. "Es schein, als wäre dieses Gebäude aus einem Stück gehauen, aber kein Bergmann arbeitet so glatt oder präzise."

"Das ist Beton", erklärte Elli. "Stell es dir wie Gips vor, nur wesentlich stärker und härter."

"Oh", machte der bärtige Mann. "Also wurde diese Baute gegossen?"

Sie beäugte die Wände misstrauisch. Beton hatte hier überhaupt nichts verloren.

Dean war in einen anderen Raum vorgegangen. Elli hörte plötzlich seine Ekelgeräusche.

"Hast du was Interessantes gefunden", fragte sie, während sie zusammen mit Matheus zu ihm lief.

"Guck dir das doch mal an, das ist doch ekelhaft", spie Dean und deutete in den Raum vor ihnen.
"Bei den Göttern!", entfuhr es Matheus.

Gewaltige zylinderförmige Maschinen füllten den Raum, zwölf an der Zahl. An einen von ihnen waren mit Draht menschliche Leichen gefesselt worden. Außerdem lag überall eine Art schwarzer Schlamm in dicken Lagen herum.


Die meisten Maschinen schienen inert, aber die, die man so verstörend dekoriert hatte, strahlte gewaltige Hitze ab.

"Was ist hier nur vorgefallen?", raunte Matheus fassungslos. "Elli, habt ihr- Elli?"

Elli war stocksteif stehen geblieben, als sie etwas gelesen hatte, was unter den Leichen an die Maschine geschrieben worden war.

"Oh nein … Warum ist das hier!?"

WAS …

Sie schüttelte voller Ablehnung den Kopf. Das durfte nicht wahr sein! Es konnte nicht sein!

… IST MIT …

"Ich weiß, wo wir sind …", sagte sie mit erstickter Stimme.

... STANDORT-13 PASSIERT?

Das nächste Mal bei Nexus:
Ruinen des Wahnsinns, Teil 2

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