Der Gefallen, Teil 3

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Das letzte Mal bei Nexus:
Der Gefallen, Teil 2

Die Raben kreischten über ihnen und flogen mittlerweile so tief in der engen Kammer, dass Dean sie vermutlich aus der Luft pflücken konnte. MTF Tau-5 hielt sich weiterhin mit seinen Waffen gegenseitig im Schach, während Deimos an Ellis Arm zog und einen Anmachspruch nach dem anderen losließ.

Dean stand daneben und schien nicht so recht zu wissen, was er tun sollte.

Elli selbst zog derweil die Stirn kraus, bevor ihr auffiel, was los war.

"Dean! Erziehungsschellen!"

Dean zuckte mit den Schultern und verpasste allen eine Backpfeife. Tau-5 wurde von der Aktion völlig überrascht und spielend leicht entwaffnet, was Elli als weiteren Beweis für ihre These nahm.

"Habe ich eure Aufmerksamkeit", fragte Elli. "Schön. Das hier ist Harab Serapel, die Raben der Gottesverbrennung. Die Qlipa von Lust, Gier sowie Egoismus und Gratulation, ihr wurdet gerade erfolgreich gegeneinander ausgespielt. Diese Raben hier vernebeln euren Verstand."

"Oh, und Sie sind wohl kerngesund oder wie?", fragte Irantu lauernd.

Elli verdrehte die Augen.

"Mein Herr, wenn es Chaigidel nicht hinbekommen hat, mich auszulesen, was bringt Sie dann zu der Annahme, dass Harab Serapel mich beeinflussen kann? Ich bin schlichtweg anders verdrahtet als andere Menschen. Denken Sie nach. Ein Mann hat gereicht um euch drei zu überwältigen. Sie verspüren Zorn, Menschenskind.

Elli starrte den anderen fest in die Augen. Mehrere Minuten lang blieb es still, aber sie konnte sehen, wie er hinter allen Stirnen arbeitete.

Tau-5 und auch Deimos blinzelten schließlich verwirrt.

Das Geschrei der Raben verklang und sie zogen sich nach oben zurück.

"Ihr scheint wieder runterzukommen", bemerkte Elli.

"Was war das?", fragte Nanku benommen. "Sowas habe ich noch nie gefühlt."

"Das, Nanku, war göttliche Gedankenbeeinflussung", erklärte ihr Elli. "Wenn auch ziemlich subtil."

"Nein, dieses, dieses Gefühl … ich wollte ohne Grund auf mein Team abdrücken …"

"Wie gesagt, Zorn, Teil des Menschseins, freu dich drauf.

"Oh, guckt mal", schaltete sich Dean ein. "Da ist nur noch ein Ausgang."

Alle drehten sich in die Richtung, in die Dean deutete.

Tatsächlich waren alle Ausgänge bis auf einer verschwunden.

"Diese Qlipoth sind wie Prüfungen", bemerkte Onru.

"Natürlich", bestätigte Elli. "Alles Schlechte in der Welt wird im Judentum als Prüfung angesehen. Die Qlipoth sind dabei keine Ausnahme. Das ist eine der Funktionen von Religion. Man kann sich die Welt damit schönreden."

Tau-5 sammelte seine Waffen wieder auf und machte sich zusammen mit dem Rest auf zum nächsten Qlipa.

Sie manifestierte sich als gewaltiges Ödland, erhellt von heißem Gestein.

"Samael, Gottes Einöde", stellte Elli vor. "Ich schätze, wir müssen einfach hier durch. Oh, ist das heiß hier …"

Die Gruppe setzte sich in Bewegung.

Elli versuchte, etwas zu trinken, aber ihr Alkohol fing Feuer, bevor er ihre Lippen erreichte, darum machte sie ihren Flachmann enttäuscht wieder zu.

Die gegenüberliegende Wand kam in Sicht.

"Wo-wo ist der Ausgang?", keuchte Deimos.

Die Wand vor ihnen war massiv und lochfrei.

"Sind wir vom Kurs abgekommen?", fragte Irantu.

"Unmöglich", verneinte Onru. "Mein Gyroskop lügt nicht."

"Sie hat recht, wir sind schnurstracks geradeaus gegangen", flüsterte Dean Elli ins Ohr.

"Müssen wir etwa die ganze Wand absuchen?", fragte Deimos.

"Erstmal kommen wir an der Wand an", schlug Eli vor.

Die Hitze machte ihnen allen langsam zu schaffen, Dean vielleicht mal ausgenommen.

Als sie die Höhlenwand endlich erreichten, legte Elli eine Hand auf den heißen Stein.

Er begann zu bröckeln und offenbarte einen Ausgang.

"Ah, so ähnlich wie Thagirion, Samael testet unsere Entschlossenheit und Zähigkeit."

"Kann ich vielleicht endlich mal auf irgendwas feuern?", fragte Nanku, während sie vor der Hitze in den Stollen flohen.

"Sie durften schon eine Decke sprengen", merkte Dean an.

"Ja, aber Felsbrocken sind keine Herausforderung … Sie sind langweilig."

"Sagt mal, warum rückt ihr alle so eng zusammen?", fragte Elli.

"Wir stehen hier vor einer Wand", erklärte Irantu.

"Hinter uns ist auch eine", meldete Onru.

"Kann nicht sein, wir wären schon erstickt", widersprach Elli. "Lauft nach vorn."

Es dauerte kurz, dann erklang ein schabendes Geräusch, als schleife Stein über Stein. Es ging etwa einen Meter vorwärts.

"Die Mauer weicht vor uns zurück", meldete Irantu.

"Dafür zieht sie sich hinter uns zusammen", fügte Onru an.

"Das ist merkwürdig", kommentierte Elli. "Eigentlich sollte jetzt Gamaliel kommen, Gottes Verunreinigung."

Dann spürte sie etwas in sich. Da entwickelte sich etwas in ihrer Magengegend … Und an den Armen …

Sie schaute an sich herunter und entdeckte Beulen an ihrem Körper. Sie tippte prüfend gegen die Gebilde, die langsam größer wurden. Es war massives Fleisch …

Krebszellen!

"Oh nein! VORWÄRTS! Dieser Bereich erzeugt Tumore. Wenn wir uns nicht beeilen, bleiben wir hier stecken!"

Hektisches Rascheln und Klicken wurde laut, während sich die Gruppe in Bewegung setzte. Unterwegs ertönte ein ekelhaft feuchtes Geräusch und sie bekamen plötzlich mehr Raum, um sich zu bewegen, aber das machte nichts, denn zumindest Ellis Muskeln und Lungen wurden allmählich von Krebsgeschwüren blockiert. Dean, der als Maschine von diesem Effekt nicht betroffen war, schleifte sie und Deimos schließlich einfach hinter sich her.

Dann verschwand die Mauer vor ihnen und sie sahen wieder einen freien Stollen vor sich.

Außer Dean sah jeder aus, als hätte man ihm an verschiedenen Stellen Wasser unter die Haut gespritzt und so Beulen erzeugt.

Elli kramte mit ihrer noch benutzbaren Hand in ihrer Tasche und holte Panazee heraus, das sie an alle verteilte. Die Tumore klangen danach allmählich ab.

"Woher haben Sie SCP-500?", wollte Irantu wissen, sobald seine Lunge wieder einsatzfähig war.

"In anderen Universen gibt's das Zeug in jeder Apotheke. Die Zusammensetzung ist einfach zu entschlüsseln, ihr müsst nur was wagen", antwortete eine genesene Elli, während sie weiter Pillen verteilte. "Wo ist Onru?"

"Die wurde von der Wand hinter uns zerquetscht", erklärte Nanku. "Darum hatten wir plötzlich mehr Platz. Ich war der Ansicht, dass sie uns mit einem zerquetschten Fuß nur behindern würde, darum habe ich ihr nicht geholfen."

Elli legte sich seufzend die wieder beruhigend tumorfreie Hand auf die Augen.

"Leute, geht sorgsamer mit eurem Leben um …"

Nachdem alle wieder bewegungsfähig waren, setzten sie ihren Weg fort, um den tiefsten Teil des Baumes des Todes zu erreichen.

Noch bevor die die Kaverne erreichten, drang der Gesang an ihre Ohren.

"Wir sind auf der untersten Ebene", meldete Irantu. "Hier wurden wir Opfer von Halluzinationen."

"Nehemoth, die Nachtgespenster", schloss Elli daraus. "Die unterste Qlipa. Ich werde die Beschwörung nicht sofort neutralisieren können, verschafft mir Zeit."

"Wie soll das gehen?", fragte Nanku. "Durch die Halluzinationen sehen wir nicht, wo der Gegner ist."

"Nehemoth verführt die Gläubigen", sagte Elli. "Unter Einsatz ihrer Ängste. Und dafür haben wir einen Fachmann dabei, nicht wahr?"

Alle Augen richteten sich auf Deimos, der sich verlegen an den Hinterkopf griff.

"Sowas habe ich noch nie gemacht, das wird eine völlig neue Erfahrung für mich …"

"Aber Sie können die Halluzinationen neutralisieren", fragte Irantu.

"Ich werde zumindest alles geben, was ich habe", versprach der Gott des Schreckens.

"Na dann, leise, Elli, Sie fangen an, wenn sie bereit sind."

Die Gruppe schwärmte in den Raum aus.

Noch immer saßen in der Mitte des Raumes elf Menschen in einem Kreis um einen Baum aus Fleisch herum, der sich aber mittlerweile durch die Decke gebohrt hatte. Elli konzentrierte sich. Es bedurfte Fingerspitzengefühl, um die richtigen Formulierungen zu finden.

Dann begann sie auf Hebräisch zu singen, wenn auch nicht sonderlich gut. Sie konnte ihre Töne nicht lang genug halten.

Der Baum bemerkte sie und riss Ranken und Tentakel aus der Decke.

Nur um sie schmerzerfüllt zurückzuziehen, als Tau-5 mit ihren verbliebenen Waffen zu schießen begann.

Elli spürte, wie ihr ein psionisches Signal entgegenbrandete, dass von ihrem Verstand sofort abgewiesen wurde. Die Halluzinationen mussten bei den anderen einsetzen. Samsara jedenfalls stellte das Feuer ein und sah sich hektisch um.

Doch Deimos trat vor. Um den Baum herum brach der Boden auf und die Tentakel des Gottes kamen aus den Löchern, um sich um den Baum zu wickeln.

Ein gewaltiges Fauchen ertönte und das Gebilde begann, sich gegen seine Fesseln zu wehren.

"Es ist eine Sache, die Menschen zu prüfen", proklamierte Deimos. "Aber eine völlig andere, sie ins Verderben reißen zu wollen."

Weitere Tentakel wurden aus der Decke gezogen, doch es kam zu einem göttlichen Armdrücken zwischen ihnen und weiteren Tentakeln, die aus dem Boden brachen. Samsara nutzte die Gelegenheit, um auf die Beschwörer zu feuern.

Der monotone Singsang brach nach und nach ab und machte Ellies mehr oder weniger guten Hymne Platz.

Dann bracht über ihr einer der Schlangenköpfe durch die Decke und hielt genau auf sie zu.

Es war einzig Dean zu verdanken, der das Maul des Wesens aufstemmte, dass Elli nicht verschluckt wurde. Deimos konnte nicht eingreifen, denn die Nehemoth beanspruchte mit ihrem Kräftemessen seine ganze Aufmerksamkeit, da änderte auch Tau-5 nichts dran, denn einige der Beschwörer waren ziemlich hartnäckig. Selbst Schusswunden brachten sie nicht dazu, ihre Beschwörung abzubrechen, denn Samsara achtete drauf, niemanden tödlich zu verletzen.

Weitere Schlangen kamen aus der Decke und umzingelten Elli.

Eine von ihnen öffnete das Maul, um sie zu verschlingen und schoss auf sie zu …

Dann zerfiel sie zu Staub.

Der Baum gab ein ohrenbetäubendes Kreischen von sich, während er unter Ellis Gebet einzugehen begann. Staub rieselte aus Löchern in der Decke und die Erde bebte, als die Kavernen der Qlipoth aus dem Stollen verschwanden.


O5-3 beobachtete die Qlipoth durch eine Kamera an einem Helikopter, der das merkwürdige Gebilde aus Fleisch- und Holzranken in sicherer Entfernung umflog. Es hatte sich fast zu einem kompletten Dom geformt, bevor das Mikrofon ein außerweltliches Kreischen aufschnappte.

Das gesamte Gebilde wurde zu Staub und verschwand …

O5-3 nahm Kontakt auf.

"Wie kommt die Desinformationskampagne voran?"

"Soweit wie wir hören ist alles super. Klasse-A-Amnesika werden über den umliegenden Dörfern verteilt und die Funkverbindung ist im Moment ausgefallen. Hiervon wird nichts nach außen dringen."

"Sehr gut. Weitermachen."

Er legte auf.

Gut, nun war es Zeit zum Aufräumen. Er vertraute darauf, das Tau-5 seine Befehle perfekt ausführen würde.


Samsara legte allen Mitgliedern dieses Todeskultes Handschellen an, während Elli sie notdürftig medizinisch versorgte. Die beiden Deans derweil hielten Ausschau, ob die Qlipoth nicht doch noch irgendein Ass aus dem Ärmel zogen, doch aus den Löchern in der Decke rieselte nur feiner Staub. Er bildete faszinierende Muster im Licht der Karbidlampen, die der Kult mitgenommen hatte.

"Scheint, als hätten wir's", freute sich Elli, als sie fertig war. "War doch gar nicht so schwer dieses Mal, oder Dean?"

"Ja, du wärst viermal fast gestorben, aber ansonsten war's super-einfach, kaum ein Hindernis …", brummte er zurück.

"Fickt euch!", spie einer der Beschwörer des Anihilimus. "Wir haben nur versucht, euch zu erlösen."

"Tja, wir brauchen keine Erlösung", erwiderte Elli. "Uns gefällt die Welt wie sie ist. Da gehört eben auch Leid und Elend dazu, es kann nicht nur lachen und Sonnenschein geben, das führt nur zu einer neuen Definition von 'Schlecht'."

Sie klatschte in die Hände.

"So, die Herrschaften, ich bin fertig. Ich öffne jetzt ein Portal nach Standort-"

Unter ihr brach der Boden auf. Finstere Tentakel kamen aus dem Loch hervor und umwickelten sie, bevor sie unter heftiger Gegenwehr in das Loch gezerrt wurde. Deimos hüpfte hinterher.

Dean schaute verwirrt auf das Geschehen.

"Hey, was wird das?"

Dann hörte er, wie neben ihm eine Waffe entsichert wurde. Tau-5 hatte seine Sturmgewehre auf ihn gerichtet.

"Dean, Sie sind hiermit im Namen der SCP Foundation festgenommen", postulierte Irantu. "Nehmen Sie es mir nicht übel, das waren von Anfang an unsere Befehle. Der O5-Rat will Elli eingedämmt sehen."


O4-1 öffnete verwirrt seine Videokonferenz-App am Computer, denn O5-3 klingelte bei ihm durch.

"Hier O4-1, gibt es ein Problem, Sir?", meldete er sich.

Anstelle eines Videofeeds sah er nur ein Bild von der schwarzen Silhouette eines Mannes.

"Oh, ganz im Gegenteil", entgegnete O5-3. "Ich wollte nur persönlich anrufen um zu verhindern, dass das irgendwo untergeht. Diese Qlipoth sind nicht mehr."

"Oh, das freut mich", erwiderte O4-1 erleichtert. "Und dafür rufen Sie mich an?"

"Nein", verneinte der Aufseher. "Ich rufe an, weil ich möchte, dass Sie eine Zelle mit starken Realitätsankern vorbereiten. Wir schicken Ihnen 'Elli' vorbei, SCP-Klassifikation steht noch aus. Um 'Dean' kümmern wir uns selbst."

O4-1 fiel die Kinnlade herunter.

"Sie wollen mir sagen … Tau-5 hielt es für eine gute Idee, ihre Verbündete festzusetzen? Sie hatte einen Deal mit uns."

"Nein, das war unser Befehl, schon vor der eigentlichen Mission", erklärte ihm O5-3. "O4-1, denken Sie, wir lassen eine solche Anomalie frei rumlaufen, wenn wir es vermeiden können? Noch dazu eine Zeitreisende? Denken sie nur an das ganze Chaos, das sie anrichten würde."

"Ich bin mir nicht sicher, ob das klug-"

"Machen Sie sich deswegen keine Sorgen", unterbrach ihn O5-3 zufrieden. "Sie befindet sich gegenwärtig in der Gewalt einer der mächtigsten Thaumiel-Anomalien, die die Foundation je besessen hat. Ihr Entkommen ist ausgeschlossen. Bereiten sie alles vor."

Mit mulmigem Gefühl beendigte O4-1 den Anruf. wenn sich der O5 da mal nicht verzettelt hatte …


Der Ort war weiß, mit Ausnahme der schwarzen Tentakel, die Elli festhielten. Ein gewaltiger, weißer Raum wie Sathariel. Nichtmal ein Boden war erkennbar. Deimos trat traurig lächelnd auf sie zu.

"Deimos, was soll das!", rief sie zu ihm. "Ich habe euch gerade den Hintern gerettet!"

"Tut mir leid, aber so lauten meine Befehle", sagte er. "Die Foundation mag es nicht, wenn Leute wie du frei durch die Weltgeschichte rennen, das solltest du wissen."

"Deimos, ich habe ein Abkommen mit dem deutschsprachigen Zweig", wies ihn Elli darauf hin.

"Das interessiert den O5 anscheinend nicht", erwiderte Deimos schulterzuckend. "Andernfalls hätte ich keine solchen Befehle erhalten. Du bist jetzt eingedämmt, Elli. Willkommen in meiner … Nun, nennen wir es Folterkammer. Mein Reich des Schreckens."

Elli runzelte die Stirn und sah sich um. Was war hier, vor dem sie sich fürchtete?

Dann wanderten ihre Mundwinkel nach oben.

"Folterkammer? Reich des Schreckens? Soll mir das Angst machen?", fragte sie süffisant.

Deimos seufzte.

"Du hast es ziemlich schnell bemerkt. Ja, ich kann deine Ängste nicht sehen. Nichteinmal ich bin stark genug, um Antworten von deinem Verstand zu erhalten. Aber das macht nichts. Hier drin bist du gefangen. Eine falsche Bewegung und dir wird der Hals zugedrückt."

"Deimos, für wie blöd hältst du mich?", fragte Elli. "Du bist der Gott der Furcht. Hättest du mich außerhalb deines Reiches bedroht, wäre das eine andere Geschichte, aber hier drin musst du mit den Ängsten deiner Opfer arbeiten und nichts anderem. Und auch, wenn Angst eine der destruktivsten Kräfte des Universums ist, so ist sie doch im Grunde nur eins: Eine Schutzfunktion. Du kannst mir hier drin kein Leid antun, das meinen Körper dauerhaft schädigt, nicht mal, wenn du wolltest. Das ist eher das Handwerk deines Vaters."

Das traf einen Nerv.

"Respekt, du bist die Erste, die meine Kräfte entschlüsselt hat", komplimentierte Deimos sie mit unterdrücktem Zorn. "Aber Angst macht noch etwas anderes. Sie lähmt. Ich kann dich einfach hier drin behalten, bis das Eindämmungsteam aufkreuzt."

"Oh, kannst du das?", fragte Elli mit einem traurigen Grinsen. "Guck mal nach oben."

Deimos tat wie geheißen.

Und runzelte die Stirn. Die Welt über ihm war tiefschwarz. Aber nicht wegen seinem Wirken. Das musste Elli sein.

"Was tust du da?"

"Ich nehme an, du hast meine Akte gelesen", sagte Elli. "Über meine Eskapaden, meine Portale. Kam es dir nie merkwürdig vor, dass ich sie nur in begrenzten Räumen erzeugen kann?"

"Das ist ein Portal?", entfuhr es Deimos. "Aber was soll das, Elli. Du kannst es nicht erreichen."

"Lass mich ausreden. Dein Reich ist im Moment eine leere Welt, weil es nicht auf meine Ängste zugreifen kann. Das heißt, es gibt keine Grenzen, denn sie können nicht definiert werden. Das Portal breitet sich mit Überlichtgeschwindigkeit immer weiter aus."

Ein Beben ging durch die Realität.

"Und hier kommt ein kleiner Funfact aus der Ontophysik. Sobald ein Dimensionsportal eine … nennen wir es dem Verständnis halber 'kritische Masse' erreicht, dann beginnen die beiden Welten, die es verbindet, auf fundamentaler Ebene zu verschmelzen."

"Was willst du damit erreichen? Du hast mir gerade die Kontrolle über deinen ominösen Nexus gegeben, weißt du."

Elli kicherte entschuldigend.

"Ähm, nein."

Die Tentakel ließen urplötzlich von ihr ab, während das Weiß von Deimos' Domäne mit einem kosmischen Knarzen Ellis Wohnzimmerflur wich.

"Denn weißt du, im Nexus mache ich die Regeln. Sieh es als Hackerschutz an. Selbst der Scarlet King hat keine Macht hier, wenn er zusammen mit seiner Dimension reingezogen würde. Die Realität hier drin erdrückt jede übersinnliche Macht außer meiner und vereinnahmt jede andere Welt wie ein schwarzes Loch. So wendet sich das Blatt, oh Deimos."

Deimos versuchte, seine Dimension neu zu formen und zu öffnen. Dann schaute er sich erschrocken um, bevor er seinen Blick wieder auf Elli richtete.

Er konnte seine Kräfte nicht benutzen.

"Ich schätze, ich brauche ein Exempel für den O5", sinnierte sie derweil. "Freiwillige?"

"Ich habe nur Befehle befolgt", kam es erstickt von Deimos.

"Ausrede", schmetterte Elli ab. "Du hast Moralempfinden, nicht wahr? Anders als diese armen Seelen von Tau-5. Du hättest nicht gehorchen müssen. Und im Multiversum bleibt nichts ohne Konsequenz …"

Deimos wirbelte herum und versuchte wegzurennen, aber mit einem mechanischen Klicken dehnte sich der Flur plötzlich ins Unendliche. Er kam nicht von der Stelle.

Er bemerkte eine Tür neben sich. Mit der Kraft der Verzweiflung warf er sich hindurch und schlug sie hinter sich zu.

Der Untergrund war seltsam weich, aber er konnte nichts erkennen, weil es hier drin stockfinster war.

"Ich weiß, warum du deine Befehle nicht ignorierst", hallte Ellis Stimme plötzlich von oben wider. "Du versuchst, vor dem zu entkommen, was du am meisten fürchtest. Du, als Gott der Panik."

Um ihn herum flammten plötzlich zahllose Lichter auf. Der Raum in dem er stand entpuppte sich als ein Kosmos aus leuchtenden Sternen und Planeten.

Und er merkte, dass er auf Ellis riesigem Handteller stand …

Sie selbst saß mit übereinandergeschlagenen Beinen in der Leere ihres Universums.

"Aber was hat es dir gebracht?", fragte sie. "Denn genau das, vor dem du wegzulaufen versuchst, wird dich jetzt einholen. Für lange Zeit."

Deimos hob die Arme vor das Gesicht in Erwartung irgendwelcher Schmerzen.

Aber nichts dergleichen geschah. Das Licht wurde lediglich anders.

Er fand sich auf einer weiten, grünen Wiese wieder, über ihm ein strahlend blauer Himmel, jedoch keine Sonne und keine Wolken. Es war nicht ersichtlich, woher das Licht kam, denn Deimos warf keinen Schatten.

Er sah in alle Richtungen. Nichts als absolut ebenes Grasland, alles dieselbe Art Graspflanze. Der Ort schien sich in die Unendlichkeit zu erstrecken.

Und Deimos blieb dort.

Fünfzig Jahre lang.


Dean reagierte schnell, er packte beide Gewehre und hielt die Läufe nach oben, während die beiden Mitglieder von Samsara zu feuern versuchten.

Nanku revanchierte sich mit einem Tritt in die Magengrube, der einen normalen Menschen das Rückgrat brechen konnte, Dean aber nur einen Ausfallschritt nach hinten machen ließ. Er zog den anderen Fuß nach und wollte den beiden ihre Waffen aus der Hand ziehen, aber Irantu ließ von selbst los, stürzte sich auf Dean und verpasste ihm markerschütternde Faustschläge ins Gesicht. "Bonk" machte es immer, wenn er traf.

Dean ertrug die Schläge still, während sein Kopf von der Wucht hin und her gerissen wurde. Er schlug seinerseits zu und benutzte dabei Irantus Gewehr als Keule, doch er duckte sich unter dem Angriff weg und wollte weiter machen, aber Dean benutzte die Bewegung, um das Gewehr wegzuwerfen und Irantu mit der nun freien Hand einen Kinnhaken zu versetzen, der ihn von den Füßen hob. Er landete ohne Schmerzbekundungen auf dem Rücken, während Nanku hastig vor einem weiteren Schlag Deans zurückwich und dabei ihre Waffe losließ. Aber sie nahm sofort eine Pistole, die jedoch nicht zum Einsatz kam, weil Dean ihre eigene Waffe nach ihr schleuderte. Nanku wich aus, wurde allerdings von Dean umgerempelt und fiel zu Boden.

"Ich fühle mich beleidigt", sagte sie vom Boden aus, während Dean ihr die Waffe aus der Hand trat.
"Keine Bewegung!", bellte Irantu plötzlich.

Er hatte seinen Granatwerfer gezückt und auf Dean gerichtet.

Er war sich sicher, dass er einen Granateneinschlag überstehen konnte, allerdings würde er zumindest kosmetische Schäden davontragen und soweit er wusste, hatte Elli im Moment keinen Ersatzkörper für ihn.

Er beschloss der Aufforderung nachzukommen.

Nanku rappelte sich wieder hoch und stellte sich neben Irantu.

"Im Endeffekt waren Ihre Aktionen bedeutungslos", kommentierte der Anführer von Tau-5.

Dean zuckte mit den Schultern.

"Ich habe Zeit rausgeschlagen, oder? Ist das nichts?"

Irantu und Naku verschwanden plötzlich hinter einer Wand aus Schwärze, die den gesamten Raum teilte.

"Wow. Und dabei hatte ich das nicht mal getimt", bemerkte Dean erstaunt.

Er betrat den Nexus, während Naku und Irantu auf der anderen Seite noch entschieden, was sie tun sollten. Nanku setzte schließlich einen Fuß durch das Portal, wurde aber Opfer der Telefragmentierung, als es sich urplötzlich schloss.

Dean rollte im Nexus mit den Augen, als er das blutende Bein sah. Noch mehr zum Aufräumen …


O5-3 war am Ende seiner Schicht und war auf dem Rückweg in sein Büro. Er wollte noch seine Tasche holen und dann Feierabend machen. Es war nicht das erste Mal, dass er die Dinge zur Rettung der Welt in die Wege leitete. Für andere mochte das ein denkwürdiger Tag sein, für ihn war Mittwoch.

In seinem Büro war das Licht gedimmt.

Komisch, normalerweise machte er es immer aus, bevor er ging …

Dann bemerkte er, dass jemand auf seinem Sessel saß und die Beine übereinandergeschlagen auf seinen Tisch gelegt hatte.

"Hallo …", knurrte die Blondine mit finsterem Gesicht.

"Wer sind Sie?", entfuhr es O5-3.

Er wollte sein Büro verlassen und einen Alarm auslösen, doch die Tür hinter ihm wurde von etwas schwarzem blockiert.

"Gestatten, ich bin Elli", stellte sie sich vor. "Und Sie brauchen sich nicht zu bemühen, den Wachdienst zu rufen, das Kommunikationssystem hat eine vorrübergehende Störung, es funktioniert wieder alles, sobald die Techniker meinen Virus isoliert haben, ich gebe ihnen zwanzig Minuten. Und keine Sorge, ich will Ihnen nichts tun. Ich will Sie nur warnen."

O5-3 wurde mulmig zumute. Sollte diese Frau nicht eingedämmt sein?

"Warnen? Wovor?"

"Vor mir …"

Die Decke des Raumes wurde plötzlich schwarz. Deimos fiel gefesselt und geknebelt heraus und klatschte auf den Boden. Als er sich umsah und Elli erblickte, begann er zu schreien und so schnell wie möglich von ihr wegzurobben.

O5-3 wurde blass. Wer konnte so eine Reaktion vom Gott des Schreckens mit seiner bloßen Anwesenheit erreichen?

"Oh, sei nicht so eine Pussy, ich hätte dich auch tausend Jahre da drin lassen können. Aber zu deinem Glück bin ich einfach zu freundlich …", brummte Elli.

Sie stand auf, kam um den Schreibtisch herum und baute sich vor O5-3 auf.

"Und jetzt mal Tacheles, Freundchen. Ihr wollt mich einsperren, direkt nachdem ich euch geholfen habe, das Universum zu retten? Nicht cool. Ich bin stocksauer, enttäuscht, angeekelt und ein kleinwenig geil. Aber was soll's, war zu erwarten. Seht die Tatsache, dass ich euch nochmal davonkommen lasse als letzte Wiedergutmachung für das Ding in Deutschland, Österreich und der Schweiz."

Sie hob den Zeigefinger.

"Aber, wenn ihr mir nochmal absichtlich in die Quere kommt, schreit am Ende nicht nur der Gott des Schreckens. Alles klar?"

Es dauerte eine Weile, bis O5-3 antwortete.

"Soll- Soll ich das an die restlichen O5s weiterleiten?"

"Nicht nötig", lehnte Elli ab. "Ich führe dieses Gespräch gerade mit allen von ihnen, das ist eine praktische Anwendung von Zeitreisen. Und da ist noch was. Geben Sie diese Nachricht bitte an das Projektteam von Samsara weiter. Wenn Sie nicht anfangen, ihre Schöpfungen mit mehr Ehrfurcht zu behandeln, werden sie beim nächsten kompletten Reinkarnationszyklus ihr blaues Wunder erleben, denn ich habe da ein paar Daten aus der Vergangenheit gerettet, für die sich Tau-5 brennend interessieren dürfte … Ich wünsche einen angenehmen Abend. Passen Sie auf, wenn sie ins Auto steigen, ich habe ein Furzkissen auf ihren Sitz gelegt."

Ohne ein weiteres Wort lief sie an O5-3 vorbei, stieg über einen wimmernden Deimos und verschwand im Portal, das sich hinter ihr schloss.


Es schneite. Unter dem wolkenverhangenen Nachthimmel wartete ein Mann am Eingang eines großen Metalltores. Er hatte seine Kapuze wegen der Kälte tief ins Gesicht gezogen, sodass man sein Gesicht nicht erkennen konnte.

Er wartete, sehnsüchtig.

Endlich hörte er das Röhren eines alten Motorradmotors und aus dem fallenden Schnee blinkte ein einsamer Scheinwerfer. Es dauerte eine Weile, aber dann hielt der Fahrer des alten Fahrzeugs neben dem Wartenden an.

"Hätte nicht gedacht, dass Sie hier draußen warten", kommentierte der Fahrer auf Französisch.
"Sie wissen, um was es hier geht, richtig? Um was es mir geht", sagte der Mann.

Er klang sehr geduldig und man konnte es nicht hören, aber dennoch spüren, dass irgendwo in ihm ein paar Schrauben locker saßen.

"Punkt für sie …"

"Haben Sie, was ich wollte? Unsere ganze Arbeit hängt an der Qualität Ihrer Recherchen."

"Habe ich, Chef, habe ich, aber … Sie werden sich auf ein paar, nun … Neuerungen einstellen müssen, aber das erzähle ich Ihnen lieber drinnen."

Der Motorradfahrer begann in seiner Tasche zu kramen.

"Wenn Sie sagen 'Neuerungen', gibt es irgendwelche Probleme?", fragte der Mann mit der Kapuze.

"Für uns hier keine", erwiderte der Fahrer und zog endlich ein Foto aus seiner Tasche. "Wir werden sie wie vorgesehen abholen können. Hier, ein Vorgeschmack auf das, was ich Ihnen im Warmen erzählen werde.

Er übergab das Foto. Sein Gegenüber betrachtete es lange und ausgiebig und drückte es anschließend an seine Brust.

"Wie schrecklich!", seufzte er. "Kommen sie rein. Das Foto aber behalte ich."

Während der Fahrer sein Motorrad durch das Tor schob, verstaute der Mann mit der Kapuze das Foto von dem dürren, weißhaarigen Mädchen in seiner Brusttasche.

"Ich bin auf dem Weg, Angelika …"

Das nächste Mal bei Nexus:
Ruinen des Wahnsinns, Teil 1

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