Das letzte Mal bei Nexus:
Die Hexe, die Zauberin und die Dimensionsreisende, Teil 3
Popiwka, Oblast Luhansk, Ukraine
Jede Streitmacht mit geopolitischem Einfluss hat so etwas wie Eliteeinheiten. Leute, die so ausgiebig ausgebildet waren, dass man sie ruhigen Gewissens zu zehnt losschicken konnte, um es mit fünfzig Gegnern aufzunehmen.
Und dann ist da die Foundation. Ihre Elite der Elite besteht gerade mal aus vier Personen. Und sie können allein ein ganzes Heer auseinandernehmen.
Diese vier Personen hören auf die Namen Irantu, Onru, Nanku und Munru und wer sie in voller Ausrüstung sah, dachte, er hätte schwarze Power Rangers vor sich. Zusammen bildeten sie die MTF Tau-5, "Samsara".
Sie waren übermenschliche Cyborgs, geboren aus dem Fleisch eines toten Gottes. Ihre Kräfte und geistigen Fähigkeiten waren übermenschlich.
Aber dieser Gegner hier brachte sie an ihre Grenzen.
Tief unter dem unscheinbaren Dorf in den östlichen Farmlanden der Ukraine, tobte ein Kampf, dessen Erschütterungen man wohl auch an der Oberfläche fühlen musste.
Er fand in einer großen Kaverne statt. In der Mitte befand sich ein Kreis aus elf knienden Menschen, sie murmelten unablässig auf Hebräisch, aber ihre Stimmen hatten kaum mehr etwas Menschliches an sich. In der Mitte ihres Kreises wuchs eine Art Baum aus Fleisch und Holz aus dem Boden. Anstatt Ästen besaß er Tentakel und schlangenartige Köpfe, die auf Tau-5 herabsausten und sie zu zerquetschen versuchten. Die Einheit derweil versuchte, die Menschen in dem Kreis zu erschießen, aber gewaltige Tenktakel umringten sie und machten es unmöglich, sie zu treffen. Wenn ihre Kugeln das Wesen überhaupt verletzten, so heilten die Wunden fast augenblicklich wieder.
"Mir geht die Munition aus", merkte Munru an.
"Ich habe keine mehr", meldete Nanku.
Keiner der beiden klang in irgendeiner Form aufgeregt. Es ließen sich ähnliche Gefühlsregungen erkennen wie wenn man bemerkte, dass man mal wieder tanken fahren musste.
"Wechsle auf Bomben", befahl Irantu.
Kurz darauf flog eine Granate. Einer der Köpfe stieß herab und verschluckte sie, nur damit sie in seinem Rachen explodierte. Aber gleich der mythischen Hydra wuchsen aus dem verbrannten Stumpf zwei neue Köpfe.
"Irantu", meldete sich Onru, "wir müssen-"
Irantu konnte sie nicht mehr ordentlich verstehen, denn plötzlich war da Geflüster um ihn herum.
"Hülle …"
"Marionette …"
"Bauernopfer …"
Die Szenerie vor Irantu wechselte plötzlich. Anstatt des Baumes sah er plötzlich Menschen und Ungeheuer vor sich, von denen er wusste, dass sie nicht mehr existieren konnten. Er hatte sie selbst getötet. Sie kamen mit zornigen Gesichtern auf ihn zu, Waffen, Klauen und Zähne bereit, sich in sein Fleisch zu bohren.
"Tau-5, aufgepasst, wir stecken in einer Art Illusion", sendete er über das Funkgerät. "Wir müssen-"
Weiter kam er nicht, weil er von einem riesigen Tentakel das Baumes zerquetscht wurde.
Einige tausend Kilometer entfernt brach ein rosa Gebärtank aus Plastik auf und Nanku fiel heraus. Sie war ebenfalls gestorben, erbrach synthetisches Fruchtwasser und hustete für eine Weile.
"Tja, Scheiße", merkte sie dann an.
Die Bewohner von Popiwka waren evakuiert worden und allmählich brachen gigantische Ranken aus dem Boden und reckten sich gen Himmel. Luftschläge waren erfolglos verlaufen, ebenso Angriffe am Boden durch den Foundationzweig der Ukraine. Das Zeug wuchs sofort nach.
Der O5-Rat hatte sich zusammen mit je zwei Vertretern den untergeordneten Gremien aller Foundationzweige zusammengeschaltet, um eine Lösung zu erarbeiten. Das Anomale stand kurz davor, in den Fokus der Öffentlichkeit zu gelangen, es wurde bereits über SCP-Klassifizierungen als Tiamat geunkt.
"Nun, meine Damen und Herren, die Zeit ist knapp", eröffnete O5-1 unverblümt. "Wir brauchen Vorschläge, wie wir diesem Ding Herr werden. Der GOC juckt es bereits in den Fingern und es braucht bereits alle Überredungskunst unseres Verbindungsbüros um sie zurückzuhalten. Sie wollen einfach eine Atombombe darauf werfen."
"Und warum lassen wir sie nicht einfach?", fragte O5-9.
"Eine Atombombe. Fast an der Grenze von Russland", wies ihn der russische Vertreter auf seinen Denkfehler hin. "Das wird mehr Chaos verursachen als dass es bereinigt, mein Wort drauf. Wahrscheinlich wird es sogar unsere Arbeit behindern."
"Mal ganz davon abgesehen, dass sie auf den am dichtesten besiedelten Kontinent der Welt fällt", pflichtete ihm der Repräsentant der Ukraine bei.
"Also was tun wir?", fragte O5-1 "Diese Frage geht besonders an die Repräsentanten aus Europa. Tau-5 ist diesem Ding laut eigener Aussage nicht gewachsen, habt ihr irgendwas, mit dem wir sie unterstützen könnten.
"Also, wir hätten ein paar Roboter", merkte der italienische S5-1 an. "Allerdings muss ich sagen, dass wir sonst nur mit schwerem Gerät dienen können, wäre es am Wasser, wären wir eine größere Hilfe."
"Keine großen Einheiten", kam es vom ukrainischen Vize-Repräsentanten. "Das Ding lernt. Inzwischen zerstört es Panzer und andere Fahrzeuge, wenn sie sich dem Ding auch nur nähern."
"Wir könnten ihm eine Krankheit auf dem Hals hetzen", schlug der russische Repräsentant vor. Areal-02 hat eine riesige Auswahl."
"Und woher wollen Sie wissen, was Sie nehmen müssen um das Teil nicht noch stärker zu machen?", fragte O5-5.
"Wir könnten mit Servokampfrüstungen aushelfen", sagte der portugiesische CL5-1. "Ich glaube, die Deutschen haben da sogar noch weiter die Nase vorn als wir."
Der deutsche O4-4 machte ein gequältes Geräusch.
"Ja, aber ich glaube nicht, dass uns das weiterhilft, wenn das Ding Panzer zerquetscht. Wir wissen ja nicht mal, wie wir dem Ding Schaden zufügen sollen, wir wissen überhaupt nichts. Ist es sarkizistisch? Dann könnten wir unsere Informanten fragen."
"Wir haben bereits festgestellt, dass der Annihilismus aus der Ukraine dafür verantwortlich ist", erklärte O5-2. "Unsere Kontakte bei den Sarkizisten wissen von nichts, auf das die Beschreibung dieses Wesens passt. Sie verwenden kein Holz. Oder Hebräisch."
"Also bräuchten wir als allererstes jemanden, der weiß, was Sache ist", schloss einer der französischen Vertreter. Aber kennen wir jemanden, der uns aus dem Blauen heraus sagen könnte, mit was wir es hier zu tun haben?"
"Hm … Ich glaube ich kenne da jemanden", meldete der deutsche O4-1 an.
"Was?", fragte O4-4. "Wen meinen Sie- Oooooh nein! Auf keinen Fall! Nicht diese Knalltüte! NEIN!"
"O4-1, bitte klären Sie uns auf", bat O5-1.
"Nun, die deutschsprachige Foundation hatte vor einigen Jahren einen Zusammenstoß mit einer Zeitreisenden1. Hat einen gewaltigen Eindämmungsbruch verursacht, kannte sich offenbar mit einer großen Menge an Anomalien aus. Nun, jedenfalls stellte sich die ganze Aktion als ein Missverständnis heraus und sie ist für die entstandenen Schäden aufgekommen. Und um ihr Bedauern über den Vorfall auszudrücken, hat sie uns einen Gefallen gewährt."
"Ihr habt sie nicht eingedämmt?", vergewisserte sich O5-12.
"War mein Plan", knurrte O4-4. "Allerdings waren die meisten O4s in Anbetracht ihrer Fähigkeiten und ihrer augenscheinlichen Friedfertigkeit der Meinung, dass das eine extrem dämliche Idee wäre und so haben wir sie gewähren gelassen."
"Es kam bisher zu keinen Vorfällen mehr, zumindest keine, an denen sie schuld war", verteidigte sich O4-1.
O5-1 rieb sich den Nasenrücken.
"Diesen offensichtlichen Protokollbruch mal beiseitegelassen, sind Sie sicher, dass sie uns helfen kann?"
"Sie kann durch Zeit und Dimensionen reisen, gut möglich, dass sie zumindest was aufgeschnappt hat", meinte O4-1.
"Also gut", seufzte O5-1. "Wer ist dafür, dass uns diese, wie heißt sie?"
"Elli, Sir."
"Ah, dass uns diese Elli unterstützen soll?"
Das Ergebnis war klar dafür. O4-4 stöhnte auf.
"Warum ausgerechnet die?"
"Weil ich gerade versuche, eine Geburtstagsfeier zu organisieren, geht das nicht später?"
O4-1 rollte mit den Augen. Er hatte jene Nummer gewählt, über die ihm einst versprochen worden war, dass er Elli kennenlernen würde. Und Junge, hatte er sie kennen gelernt …
"Darf ich Sie an Ihr Versprechen erinnern? Wir glauben, dass wir hier einen Wettlauf gegen die Zeit vor uns haben und wir hätten Sie nicht angerufen, wenn wir selber damit fertig werden würden."
Ein Stöhnen erreichte ihn über das Telefon.
"Ist ja gut. Was ist es denn überhaupt? Wenn ich mit anderen Versionen des Paragons telefoniert habe, hat meist eine Ferndiagnose gereicht."
O4-1 überging diese Spitze. Er brauchte Antworten.
"Wir wissen nicht was es ist. Eine Art Baum aus Holz und Fleisch, wächst unter der Erde und seine Tentakel haben die Oberfläche durchbrochen. Elf Leute haben ihn scheinbar mit irgendwelchen Hebräischen Formeln beschworen."
"Eieiei, klingt nach Kabbala. Da muss man die Zunge gerade ins Maul nehmen. Haben Sie ein paar Koordinaten für mich, ich schau mir das mal an."
O4-1 gab die Daten durch. Es folgte mechanisches Klicken aus dem Hörer.
"Ah, ich sehe, was Sie meinen. Warten sie kurz, ich mache ein paar Messungen …"
Es kam zu noch mehr Klicken und elektronischem Piepen.
"Oh! Oh oh …", meldete sich Elli dann wieder. "Ich glaube, das bedarf meiner persönlichen Anwesenheit. Wo soll ich hinkommen?"
"Unsere gegenwärtige Basis ist Standort-UA-14", erklärte O4-1. "Sollen wir Sie irgendwo abholen?"
"Ich komm selber dort hin. Ich brauche Sie nur, damit Sie den Wachen dort sagen, dass sie mich bitte nicht erschießen sollen. Sie haben zwei Minuten."
"Und Sie sind sicher, dass wir da nochmal rein sollen? Letztes Mal waren wir keine große Hilfe", fragte Irantu den MTF-Führer Juschtschenko, während sie durch die Hallen von Standort-UA-14 schritten.
MTF Tau-5 war wieder in die Ukraine geflogen worden, nachdem sie alle eine neue Iteration erhalten hatten. Das war die große Stärke ihrer Truppe. Selbst wenn sie starben, ihr Geist überlebte und wurde einfach in neue Körper gespeist. Diese hier scheinen der Situation angemessener, sie waren widerstandsfähiger, wenn auch schwerer und sie hatten ein ganzes Arsenal an Waffen dabei. Ein normaler Soldat wäre unter ihrer Last zusammengebrochen. Gegenwärtig waren ihre Visiere hochgeklappt, größtenteils, weil das positiver auf Gesprächspartner wirkte.
"Tja, ich kann mich nicht gegen das Kommando stellen, ihr auch nicht", erwiderte Juschtschenko in akzentuiertem Englisch. "Allerdings hat man uns was gefaxt, offenbar kriegen Sie dieses Mal Verstärkung.
Er gab Irantu einen zusammengefalteten Zettel. Irantu las sich den Inhalt durch und gab ihn über Funk an den Rest seines Teams weiter. Es waren merkwürdige Befehle dabei, aber keiner von ihnen hinterfragte das. Sie waren geschaffen um zu tun, also taten sie.
"Wer ist Elli?", fragte Onru.
"Offenbar eine Art Expertin von den Deutschen", sagte der MTFler nur. "Kennt sich offenbar mit diesem Teil in Popiwka aus. Außerdem steckt euch der O5-Rat noch ein Ass zu. Ah, da ist er auch schon."
Ihnen entgegen kamen vor Wachen. Sie eskortierten einen hochaufgeschossenen Mann mit kantigem Gesicht und prominenten Kinn. Er trug eine Standard-Kampfrüstung.
"Tau-5, Dean. Dean, Tau-5", stellte Juschtschenko sie einander vor.
"Ah, ich habe schon viel über euch gehört", freute sich Dean und streckte die Hand zum Gruß aus. "Mein eigentlicher Name ist übrigens Deimos, griechischer Gott des Schreckens."
Irantu schlug ein, nachdem er sich kurz zu erinnern versucht hatte, wie man auf diese Geste reagierte.
"Das ist mir bewusst, ich habe ebenfalls viel von Ihnen gehört. Wissen Sie schon, dass wir noch weitere Verstärkung bekommen?"
"Oh ja", erwiderte Dean, während sie sich alle wieder in Bewegung setzten. "Also wenn Sie sie mit Kalibern wie uns losschicken, dann muss sie ein wahrer Profi sein."
Sie erreichten die Tür zu einem Warte Raum. Als die Tür geöffnet wurde, fiel der Blick von Tau-5 und Dean auf einen riesenhaften Kerl mit schwarzen Haaren, der griesgrämig auf einem Stuhl hockte und eine junge Blondine, die ausgiebig aus einem Flachmann trank. Beide trugen Alltagskleider, die Frau sogar bauchfrei.
"Ich frage mich, in was sie Profi ist", ließ sich Nanku vernehmen.
Juschtschenko räusperte sich vernehmlich. Elli setzte ihre Flasche ab und verstaute sie in ihrer Handtasche.
"Wow, Power Rangers", kommentierte sie, während Tau-5, Dean und Juschtschenko eintraten. "Habt ihr auch Zords?"
"Elli, hör auf die Soldaten zu ärgern.", grummelte der große Mann.
"Dean, ich ärgere Militärpersonal so viel ich will!"
"Ich habe doch gar nichts gesagt", erwiderte Deimos verwirrt.
"Sie meint mich", klärte ihn der Mann auf. "Heißen Sie auch Dean?"
"Äh, ja?"
"Euh, ich sehe das Chaos jetzt schon kommen …"
"Und was tun sie hier genau?", fragte Nanku.
"Ich bin der Babysitter", war die trockene Antwort mit einem Nicken zu Elli.
Irantu bemerkte, dass sie abschweiften.
"Ähm, wenn wir uns vorstellen dürften, Ich bin Irantu. Das hier sind Onru, Munru und Nanku. Und das da ist Deimos."
"Ah, ich kenne deinen Vater", erwiderte Elli an den Gott gewandt. "Sehr ungehobelter Kerl. Ganz anders als deine Mutter. Die wusste, wie man Spaß hat …"
Irantu vermutete, dass eine merkwürdige Stimmung aufkam.
"Äh, könnten Sie bitte meine Eltern rauslassen", bat Deimos. "Wenn Sie mit ihnen getan haben was ich denke was sie getan haben, will ich nichts mehr davon hören."
Elli lächelte nur anzüglich und wandte sich Tau-5 zu. Sie runzelte die Stirn.
"Ihr wurdet künstlich erschaffen, oder? Eure Gesichter sind zu symmetrisch."
"Das stimmt", bestätigte Irantu. "Wir wurden geschaffen, um die Foundation in Krisensituationen zu unterstützen."
"Als entbehrliche Kämpfer."
Elli spie diese Worte fast aus.
"Was soll's, ihr habt's euch nicht ausgesucht."
"Frau Elli? Könnten Sie uns dann bitte mitteilen, womit wir es zu tun haben?", bat Irantu.
"Stimmt, wir stehen ein wenig unter Zeitdruck", stimmte ihm Elli zu. "Also, wer von euch ist mit dem Konzept der Qliphoth vertraut?"
Onru hob als Einzige die Hand.
"Das habe ich mir gedacht", bemerkte die Blondine. "Also, für alle anderen, Zuerst einmal, die jüdische Kabbala kennt den Baum der Sephiroth, den Baum des Lebens. Gewissermaßen ein System, um alle Aspekte der göttlichen Schöpfung widerzuspiegeln. Den Sephiroth gegenüber steht der Baum der Qlipoth, der Baum des Todes. Besser gesagt, die Qlipoth bilden den Schatten der Sephiroth. Die Unheiligkeit zur Heiligkeit, das, was eintritt, wenn der Baum des Lebens nicht da wäre. Und dieses Gebilde werden gerade in Popiwka neu erschaffen."
"Soweit wir wissen, wurde dieses Ding von den Anhängern des Anihilismus erschaffen", meldete sich Onru. "Laut unseren Informationen wollen Sie alles Leben auf der Welt auslöschen, damit es ins Nicht-Sein zurückkehren kann. Wie spielen die Qlipoth da rein?"
"Eine ausgezeichnete Frage", gratulierte Elli. "Sehen Sie, auch wenn die Qlipoth das Schlechte aller Welten verkörpern, so hat er dennoch eine wichtige Funktion. Er bildet eine Schale um das Gerüst des Sephiroth und verhindert somit, dass das göttliche Licht unsere Welt verlässt. Nun sammelt sich aber ein großer Teil davon gerade im Osten der Ukraine, das heißt, er fehlt an anderer Stelle."
"Eine Schwachstelle entsteht", schloss Deimos. "Ein Punkt, an dem die Qlipoth brechen können. Aber was passiert, wenn er es tut?"
Elli gab ihm einen anerkennenden Blick.
"Die Qlipoth halten das göttliche Licht davon ab, unseren Kosmos zu verlassen. Ein Sinnbild für die Schöpfung. Würde es das tun, würde es unser Universum immer weiter erweitern, die Schöpfung würde sich unkontrolliert ausbreiten. Das mag kontraproduktiv für die Ziele des Anihilismus wirken, aber vergessen wir nicht, dass die Sephiroth gleich groß bleibt. Seine Last wird immer weiterwachsen, bis das Gerüst unserer Realität schließlich zusammenbricht. Ich glaube, die Foundation nennt das ein 'ZK-Klasse Realitätsversagen'."
"Und sowas kann wirklich passieren?", vergewisserte sich Juschtschenko. "Ich meine, es ist Religion."
"Das blöde an Religion ist, sie wird wahr, wenn sie es noch nicht ist, sofern genug Leute daran glauben", wies ihn Elli darauf hin. "Und jetzt denken sie mal daran, dass auf der Welt etwa vierzehn Millionen Juden leben. Es ist völlig irrelevant ob es mal ein Hirngespinst war, die Vorstellung hat es real gemacht, sonst hätten wir dieses Problem nicht."
"Und wie halten wir es auf?", fragte Munru.
"Wie man jeden Baum aufhält, wir müssen ihn an der Wurzel aus dem Boden reißen."
"Verstehe", sagte Irantu. "Und wie stellen wir das an?"
"Ich habe mich vorhin in eure Datenbank gehackt und alle Daten zu diesem Fall herausgezogen", begann Elli und brachte Juschteschenko, der wegen diesem Affront auffahren wollte mit einer Geste zum Schweigen. "Diese Beschwörungen in der Kammer in der ihr gekämpft habt werden noch immer gesungen, um diese Repräsentation der Qlipoth zu vollenden. Sobald ich dort bin, kann ich die Beschwörungen kontern und das Gebilde auflösen."
"Sie gegen elf Leute?", versicherte sich Nanku.
Elli zuckte mit den Schultern.
"Was da passiert, läuft Gottes Ordnung zuwider. Es ist mühselig, einen Turm aus Steinen zu legen, aber dafür umso einfacher, ihn wieder umzuwerfen. Dieses Qlipod-Imitat ist in einem metastabilen Zustand, dessen Gleichgewicht ich allein zerstören kann, sodass er zerfällt. Aber ich muss erstmal dort runter. Ich kann uns bis zum Eingang der Höhle bringen, aber meine Kraft reicht nicht, um weiter einzudringen. Dort unten entsteht eine metaphysische Ebene, die ich mit meiner Macht nicht erreichen kann."
"Wie wollen Sie uns dorthin bringen?", erkundigte sich Munru.
"So."
Elli deutete auf die Tür hinter ihnen, deren Durchgang schwarz geworden war.
"Ein Portal", erkannte Onru. "Wohin führt es?"
"Direkt vor die Höhle, aber wie gesagt, ich kann diese Dinger da drin nicht öffnen. Erst wenn die Qlipoth Geschichte sind, kann ich uns wieder rausbringen.
"Gute Frau, wenn Sie erlauben", meldete sich Juschtschenko. "Laut meinen Daten sind Sie Zeitreisende. Könnten Sie nicht in der Zeit zurückreisen und mit unseren Leuten zusammen das Unglück verhindern bevor es geschieht?"
Elli gab ihm einen bemitleidenswerten Blick.
"Aus dem, selben Grund aus dem ich nicht einfach zurückreise um mir davon zu erzählen wie es gelaufen ist", erklärte Elli. "Es ist nicht passiert, guter Mann. Die Qlipoth sind da und sie sind unser Problem. Würde ich zurückreisen, ich würde scheitern, ihn aufzuhalten, oder schlimmer, ich würde Erfolg haben. Und die Zeit lässt sich nicht verarschen. Im schlimmsten Falle zerstöre ich eure Zeitachse und eure Realität. Also, hat noch jemand Ideen, wie wir Zeitreisen einsetzen können?"
Allgemeines Kopfschütteln.
"Wundervoll, also, noch irgendwelche Fragen? Die Welt rettet sich nicht von selbst."
"Ähm, Elli", begann Irantu. "Ich würde Sie gerne darüber in Kenntnis setzen, dass mir das Kommando dieser Mission obliegt. Ich bin ihr Befehlshaber, solange bis diese Mission vorbei ist. Haben sie das verstanden?"
"Habe ich", entgegnete Elli. "Und wenn Sie tatsächlich denken, dass Sie mir Befehle erteilen können, haben Sie sich geschnitten. Auf dem Weg dort runter werden wir und mit jedem einzelnen Qlipa auseinandersetzen müssen, wie auch immer sie sich manifestieren. Also, solange Sie mir nicht beweisen können, dass Sie mehr Ahnung davon haben was wir tun als ich, hören Sie auf das was ich sage, damit Sie unsere kleine Reisegesellschaft nicht aus Versehen umbringen. Alles klar?"
Ohne eine Antwort abzuwarten trat sie durch die Schwärze. Dean folgte ihr seufzend.
"Ich mag sie", kommentierte Nanku.
"Ich nicht", setzte Deimos nach.
Irantu sammelte sich.
"Wir gehen rein. Justschenko?"
"Tut mir leid, aber ich soll hier bleiben. Ich würde euch wahrscheinlich nur behindern und ihr scheint schon genug Kopfschmerzen für die Mission zu haben. Wir werden versuchen, Funkkontakt zu halten, aber diese Ranken blockieren alle Radiosignale."
"Verstehe."
Irantu und der Rest von Tau-5 drehten sich ohne ein weiteres Wort um und traten durch das Portal.
"Ziemlich geradeheraus, diese Leute", hörte er Munru hinter sich sagen.
Irantu hatte das Gefühl, durch zwei Portale zu gehen, aber er schenkte dem keine Beachtung. Er fand sich in einem großen Haus wieder. Vor ihnen führte eine Falltür hinab in die Tiefe. Hier waren sie das erste Mal eingestiegen.
Durch das Fenster sah er, wie sich die Ranken und Tentakel draußen allmählich zu verflechten begannen und einen gewaltigen Dom bildeten.
"Faszinierend, nicht wahr?", bemerkte Elli. "Dort draußen bildet sich gerade der letzte und höchste Qlipa, Thaumiel, der Zwilling Gottes. Sobald er fertiggestellt ist, wir die Schale der Welt so geschwächt sein, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie aufbricht."
"Wie lange hätten wir dann noch?", fragte Nanku.
Elli kicherte humorlos.
"Das Licht von En Sof ist unendlich, Fräulein. Das bedeutet, es breitet sich mit unendlicher Geschwindigkeit aus. Das wiederum heißt, dass die Last der Sephiroth sofort unendlich wird."
"Also sollten wir es nicht soweit kommen lassen", schloss Nanku.
"Korrekt", bestätigte Elli.
Deimos trat hinter ihnen als Letzter durch das Portal, welches sich hinter ihnen schloss.
"So, äh, gehen wir jetzt da runter, oder nicht? An den Tentakel sind wir ja im Handumdrehen vorbeigekommen."
"Die anderen Qlipoth werden nicht so einfach", prophezeite Elli. "Irantu, Sie wissen, wie es dort unten aussieht, Ich schlage vor, Sie und ihre Einheit gehen zuerst."
"War das ein Befehl?", fragte Irantu.
Es klang eher wie eine Feststellung als wie eine Rüge.
"Es war ein Vorschlag", korrigierte Elli. "Aber wenn Sie nicht wollen, bitte, dann gehen Dean und ich zuerst und werden eventuell von dem gefressen, was da unten lauert. Viel Glück dabei, dann noch das Ende der Welt zu verhindern."
Irantu drehte sich zu Tau-5 um.
"Ich find's lustig", merkte Nanku an.
"Nein, tust du nicht", entgegnete Irantu nur. "Vorwärts. Nanku, du zuerst, dann Munru, dann Dean-"
"Welcher?", fragten die beiden Deans wie aus einem Mund.
"Deimos-Dean", präzisierte der Truppenführer von Tau-5. "Dann der andere Dean, dann Elli und zum Schluss Onru und ich."
"Klingt nach einem Plan", kommentierte Elli, während sich die Gruppe in der angegebenen Reihenfolge in Bewegung setzte.
Eine ausfahrbare Leiter aus Aluminium führte fünf Meter in die Tiefe. Da sie nur ein Mitglied von MTF Tau-5 mit ihrer Ausrüstung gleichzeitig aushalten konnte, mussten sie einzeln hinunter klettern. Bei Dean wurde vorsichtshalber genauso verfahren.
"An das Loch schloss sich ein enger Tunnel an. Dean und Deimos mussten die Köpfe einziehen. Außer Elli musste sich jeder seitwärts bewegen.
"Wow, ich komme mir so schlank vor", kommentierte sie.
"Ich habe keine Ahnung, wo du das alles hin frisst, Elli, aber das liegt sicher nicht an deiner gesunden Ernährung", entgegnete Dean vor ihr. "Du bist in unserem Verbund hier die am wenigsten fitte Person."
Elli schnalzte mit der Zunge.
"Halt die Klappe und lass mir meine Body Positivity!"
"Ess weniger Schokolade und Eiscreme, dann denke ich drüber nach."
Elli zog aus Frust ihren Flachmann hervor und trank.
"Habt ihr das öfter?", fragte Deimos.
"Nein", antwortete Elli.
"Ja", antwortete Dean.
"Dean, blamiere mich nicht vor diesen Leuten!"
"Dafür brauchst du mich gar nicht, Elli."
"Scherz beiseite, dort vorne ist eine Kaverne", meldete Nanku von vorn. "Die war beim letzten Mal noch nicht hier. Und sie ist zu hoch.
"Die Qlipoth halten sich nicht an Gottes Gesetze"; erklärte Elli. "Das ist so eine 'Von innen größer als von außen'-Geschichte."
"Verstehe."
Der Hohlraum bestand aus grob behauenem Stein und war hell erleuchtet, obwohl es keine Lichtquelle gab. Und in der Mitte des Raumes standen zwei Männer.
"Sohn? Was machst du hier?", fragte der größere von beiden.
Irantu sah die Gesichter der beiden. Sie hatten eine erstaunliche Ähnlichkeit mit-
"Vater?", fragte Deimos. "Phobos?"
"Ares?", fragte Elli. "Was machst du denn hier?"
Das nächste Mal bei Nexus:
Der Gefallen, Teil 2