Das letzte Mal bei Nexus:
Der Zornregulator, Teil 1
Die Raumstation Brym liegt ganz am Rand des Sternenclusters Terzan 2. Einstmals eine Bastion der Orthotanischen Koalition, war dieser Raumhafen von den Zwölf Sternen, einer Zivilisation, die mit der Koalition im Krieg lag, angegriffen und erobert worden. Die Station erwies sich allerdings wegen seiner Lage als kaum nutzbar für die Zwölf Sterne und so wurde die Station geplündert und verlassen. Wegen der Unruhe in Bryms näherer Umgebung hatte sich die Orthotanische Koalition noch nicht aufgemacht, diesen Ort wieder zu beanspruchen.
Aber das war ganz im Sinne der Unterwelt von Terzan 2. Frei von Moral, Vorurteilen oder Staatszugehörigkeit hatten sich hier die übelsten Schichten der Galaxie eingefunden, um mit all den Waren zu handeln, die laut Gesetz verboten waren. Drogen, Sklaven, Waffen, alles, was man sonst nirgendwo bekommen konnte, bekam man hier.
Elli hatte schon viele solcher intergalaktischer Schwarzmärkte besucht, hatte aber nirgendwo mehr Abschaum und Verkommenheit versammelt gefunden als hier.
Das wirkte sich glücklicherweise auf die Qualität und die Preise der Ware aus.
Wer zu teuer auf Brym anbot, wurde seine Ware entweder gar nicht los oder von besonders verzweifelten Individuen ausgeraubt. Stimmte die Qualität nicht, war es eine eherne Regel auf Brym, dass der Kunde Anspruch auf eine Rückerstattung hatte, üblicherweise in Form von Gliedmaßen, lebenswichtigen Organen, dem Verkäufer selbst oder dessen Familienangehörigen.
Menschen traf man hier nur vereinzelt an, denn sie hatten sich noch nicht in großer Zahl nach Terzan 2 gewagt. Größtenteils waren es Anhänger der Kirche des Zweiten Hytoths, die ihre Beziehungen hatten spielen lassen, um den Cluster zu erreichen.
Elli und Dean schritten durch die Reihen von Ständen aus Holz oder Blech, die auf dem kahlen Metallboden des Gemeinschaftsdecks aufgebaut waren.
Bis auf alle tragenden Wände waren alle Raumtrenner mit Schweißbrennern entfernt worden, um mehr Platz zu schaffen. Als Nebeneffekt waren die ehemals weißen Wände und die Decke mit hässlichen schwarzen Flecken bedeckt.
Elli beglückwünschte sich im Geheimen zu ihrer Entscheidung, Chloe nicht mitgenommen zu haben. Gleich neben ihrem Portal hatte ein Vamonier gestanden, eine große, affenartige Kreatur mit sechs Armen. Menschenkinder galten bei ihnen als Delikatesse …
Der Laden, den Elli anstrebte, war ein umgebauter Wohnwagen, der sich zwischen einer Fressbude, die die gebratenen und gekochten Überreste von Bryms neuesten Todesopfern anbot und einer kleinen Hütte befand, aus der neongrüner Dampf quoll. Es roch nach Zimt und verbrannten Autoreifen.
"Lausiges Kushum", bewertete Elli den Qualm.
War wahrscheinlich mit Erdöl und Zement gestreckt worden …
Sie klopfte an ein Fenster des Wohnwagens, das sich daraufhin öffnete. Vier grüne Stielaugen lugten neugierig nach draußen. Von dem Körper war nicht viel zu sehen, aber Elli wusste, dass sie einen Ptrazzi vor sich hatte, eine Art intelligenter Schnecke mit Tentakeln.
Sein Körper wechselte die Farbe von neugierigem Blau zu verwirrtem Violett, als er Elli sah.
"Nanu, waren Sie nicht gerade erst hier?", fragte er gurgelnd.
"Ich bin Zeitreisende, ich komme wann es mir passt", erklärte ihm Elli leicht gereizt.
"Ähm … Ist was mit der Ware nicht in Ordnung?", fragte der Händler unsicher, während sein Körper das Zitronengelb aufkommender Angst annahm.
"Nicht in Ordnung?!", echote Elli und griff in ihre Tasche, um die verbrannte Platine herauszuholen. "Durchgebrannt ist mir das Scheißding! Sie haben mir Militärstandard versprochen! Das hier wurde aus einer Bedienungs-Einheit ausgebaut! Ich will meinen Schädel zurück!"
"Ähm, mein Herr-"
"Ich bin weiblich …"
Kurzer Wechsel zu verlegenem Grün, aber dann sofort zurück auf panisches Dunkelgelb.
"Oh, Tschuldigung, ich hab so meine Probleme mit den humanoiden Spezies. Nun, äh, aber ich kann Ihnen wegen der Platine doch nicht den Schädel wiedergeben, Sie haben immerhin meinen halben Bestand aufgekauft."
"Tja, dann husten Sie besser einen passenden Ersatz aus, denn ich weiß, welche Teile an Ihnen nicht nachwachsen", erklärte ihm Elli drohend.
Das war zwar nicht gelogen, aber sie würde davor zurückschrecken, ihn tatsächlich auszuweiden. Das wusste der Ptrazzi aber zum Glück nicht.
"Nun, ähm, kann ich ihnen vielleicht stattdessen ein Neurister-Gitter anbieten?"
Bevor Elli antworten konnte, packte Dean alle vier Stielaugen mit den Händen und zog sie sich direkt vor sein zorniges Gesicht. Der Verkäufer nahm das Ocker der Todesangst an.
"Jetzt hör mal zu, du übergroße Nacktschnecke. Dank deinem kleinen 'Malheur' muss ich mich mit dem Körper einer Stripperin rumschlagen! Praktischerweise ist der Leistungsoutput ungefähr gleich, also wenn du nicht SOFORT einen ordentlichen Zornregulator rauskramst, ramme ich dir meinen Fuß so hart in den Hintern, dass ich dein Zäpfchen mit der großen Zehe kitzeln kann! Und da ich keine Ahnung habe, wo dein Hintern ist, werde ich die Versuchs-und-Irrtums-Methode anwenden, bis ich ihn gefunden habe! Verstehen wir uns?"
"Ähm, ähm", stammelte der Verkäufer verzweifelt. "Ich hab einen da, aber nachher kommt einer von der mymonischen Mafia vorbei, um ihn abzuholen, wenn Sie mir ein wenig Zeit ge-"
"DAS KLINGT NACH EINEM DU-PROBLEM!", wetterte Dean.
"Ist-Ist ja gut, ich geh ihn holen! Bitte lassen Sie meine Augen wieder los!"
Dean tat ihm den Gefallen, woraufhin die Kreatur vom Fenster verschwand.
"Ich habe dich gar nicht als Stripperin vorgesehen gehabt!", wehrte Elli endlich ab.
"Und in der DDR hatte keiner die Absicht, eine Mauer zu bauen …", grollte Dean.
Junge, Elli liebte es, wenn er in dieser Form sauer war … Es hatte was von diesen Action-Frauen, die man immer wieder in Filmen sah, deren Stimmung immer zwischen extrem angepisst und total genervt lag.
Ein Tentakel kam zitternd aus dem Fenster und reichte Elli einen nagelneuen Zornregulator. Sie nahm das Bauteil vorsichtig entgegen und führte mit ihrer Untersuchungslampe einen Check durch.
"Geht doch …", seufzte sie und schnippte die verbrannte Ware durch das Fenster. "Wenn nochmal was von deinem Ramsch nicht ordnungsgemäß funktioniert, kommen wir wieder …"
Dean seufzte zufrieden, während sich die beiden vom Laden entfernten. Elli öffnete ihre Handtasche, um den Zornregulator hineinzulegen, als plötzlich:
"O. M. G. Ist das etwa Elli!?"
Elli erkannte die Stimme leider und kniff gequält die Augen zusammen.
"Oh nein, bitte nicht …"
Sie zog Dean am Arm und beschleunigte ihre Schritte, um die nächste Tür zum Verschwinden anzusteuern.
Doch Elli war nicht schnell genug …
Vor den Pub, den sie ausgesucht hatte, stellte sich ihr eine Frau mit asiatischen Zügen in den Weg. Sie hatte ein Allerweltsgesicht, man vergas es, sobald man es nicht mehr ansah. Um das auszugleichen trug sie Seitenzöpfe und eine Art schwarze Kampfmontur mit genug Taschen, um drei Reisekoffer zu ersetzen.
"Hallo, Elli!"
Elli stöhnte genervt auf.
Dean, der dem Ganzen mit gewohntem Gleichmut begegnete, wandte sich an Elli.
"Ich nehme an, du kennst diese Dame?", ließ er seine Vermutung verlautbaren.
Elli schien mit sich zu ringen, aber schließlich antwortete sie.
"Dean, das ist Aura. Sie ist eine interreale Diebin. Und … Meine Stalkerin …"
"Verehrerin", korrigierte Aura sie empört.
"Stalkerin", beharrte Elli bissig.
"Das ist zu hart!", quengelte die Diebin. "Ich will nur, dass du mir endlich Beachtung schenkst!"
Elli rieb sich den Nasenrücken.
"Jedes Mal, wenn ich sie treffe, verwanzt sie mich", erklärte sie Dean. "Und dann habe ich egal wohin ich gehe dieses Paar Augen auf mir, bis ich rausgefunden habe, welcher Natur ihr interrealer Peilsender dieses Mal ist. Hast du eine Ahnung wie widerlich sich das anfühlt?"
"Ungefähr so widerlich, wie als du dich ins Bett von Leonard Di Caprio geschlichen hast, während der Mann selbst drin lag", erwiderte Dean trocken. "Zweimal, bei verschiedenen Realitätsversionen?"
Elli klappte ein paar Mal den Mund auf und zu, während bei Aura ein finsterer Ausdruck auf das Gesicht trat.
"Hey, das ist was anderes!"
"Ach so?", vergewisserte sich Dean, genauso beeindruckt wie ein Elefant, der sich mit einem zahnlosen und altersschwachen Löwen konfrontiert sieht. "Und was war dann mit der Sache mit Marylin Monroe? Oder Kleopatra? Oder den Beatles, inklusive Brian Epstein? Oder Mozart? Oder Goethe? Oder Sun Tzu? Oder Martin Luther King? Oder-"
"Is' ja gut, Dean!", unterbrach ihn Elli genervt und bedeutete ihn mit einer Handgeste, gerade vor Aura nicht sowas raus zu posaunen.
Die wiederum warf sich förmlich auf Elli und begann zu weinen.
"DAS IST SO UNFAAAAIIIII-HE-HE-HAIR! KEINER VON DENEN HAT WAS FÜR DICH ÜBRIG, ABER WARUM TUST DU MIR DAS AN!?"
"Dean, hilf mir!", röchelte Elli, da Aura ihr die Luft abschnürte.
"Entschuldigung was sagst du?", fragte der nach. "Du redest zu leise und ich kann dich nicht hören, weil irgendwas mit meinem Gehör nicht stimmt. Hm, muss daran liegen, dass du unbedingt einen weiblichen Körper machen musstest."
"Dean, bitte sei bitte jetzt nicht dieser Typ!", bettelte sie.
"Oh, ich bin jetzt genau dieser Typ, Elli. Die Suppe löffelst du selber aus. Ich steh derweil daneben und lache."
Elli fragte sich einen Moment lang, womit sie das verdient hatte, bevor ein Teil ihres Geistes ihr die lange Liste an Vergehen öffnete, die für ihr tiefschwarzes Karma verantwortlich waren.
Sie schüttelte sich, um die Diebin wieder los zu werden und kam nach einer Weile frei.
"Irgendwann krieg ich dazu, dass du mir hinterherläufst. Und dann kommen wir zusammen!", heulte Aura pikiert und schnaubte Elli an, bevor sie von dannen stolzierte.
Sie würde nach dem neuen Peilsender suchen müssen, den sie ohne Zweifel angebracht hatte.
"Na also, war doch gar nicht so schlimm", sagte Dean. "Und jetzt los, ich will endlich meine alte Haut zurück."
"Ja, warte kurz", murmelte Elli und verstaute endlich den Zornregulator in ihrer Tasche.
Zumindest wollte sie das, denn ihre Hände waren plötzlich leer.
"Wa-"
Elli klopfte ihre Taschen ab, aber alles was sie zutage förderte war eine Packung Taschentücher und ein GlückspfennigTM.
"Wo-"
Sie sah sich hektisch um. In der Ferne sah sie Aura, die sich zu ihr umgedreht hatte und ihr die Zunge raustreckte. Und zwischen ihrem rechten Zeige- und Mittelfinger klemmte die Platine. Dann begann sie zu rennen.
Elli brauchte eine Sekunde, um das schiere Ausmaß dieser Frechheit zu erfassen.
Dann stieß sie die fürchterlichsten Flüche aus, die ihr bekannt waren. Dean stimmte ein.
Tief unten in der Hölle spielten drei rote, gehörnte Dämonen Mau-Mau auf einem schwarzen Holztisch, während sie sich vom Malträtieren der verdammten Seelen eine Pause gönnten.
Plötzlich horchten alle drei auf, als ein nur für sie hörbares Geräusch durch die von rotem Licht beleuchtete Kaverne zu hallen begannen. Sie hörten eine Weile lang erstaunt zu, bis das Geräusch aufhörte.
"Donnerwetter!", sagte einer der Dämonen dann halb überrascht und halb ehrfürchtig.
Seine Spielkollegen nickten nur zustimmend.
Ferra hatte wie immer einen größtenteils emotionslosen Gesichtsausdruck, aber wer sie kannte, erkannte durch das Leuchten in ihren Augen und eventuell durch das Vermessen der Stellung ihrer Mundwinkel mit lasergestützten Messmitteln, dass sie gute Laune hatte. Der Grund war die panzerfaustartige Waffe mit quaderförmigen Aufsätzen, die sie knuddelte wie ein Stofftier, während sie eine ihrer Zigarren im Mundwinkel hatte.
"Oh, wie niedlich", kommentierte Nero. "Um es perfekt zu machen bräuchtest du noch eine Kätzchenhaarspange. Und Schminke für die Wangen. Und ein Kleid mit Rüschen. Und eine Zigarre in Pink, aber am besten gar keine. Wo ich gerade daran denke, wann hast du das letzte Mal ein Kleid getragen? Kann mich dran erinnern, dass der Letzte, der versucht hat drunter zu gucken nur eine Wand aus Kanonen gesehen hat …"
"Nero, halt die Klappe", sagte Ferra, als wäre Nero ein Kind, dass hinter dem Rücken seiner Mutter in die Keksdose langen wollte. "Ich habe gerade einen Moment."
Sie paffte kurz und bekam das Kunststück fertig, den Rauch in der Form eines Herzchens auszustoßen.
"Einen, der Häuser einstürzen lässt", vermutete Nero. "Sind Cluster-Guns nicht laut der Terzan-Konvention ver-"
Ferra sah ärgerlich auf, um Nero durchzukauen, sah dann aber zwei Frauen, die Zeter und Mordio schreiend hinter einer dritten Frau herrannten.
Die Größere der beiden lieferte bei einer Datenbanksuche keine Treffer. Die Kleinere aber …
"Elli", das blonde Desaster, interreal gesucht für-
Ferra brach die Aufzählung ihrer Verbrechen sofort ab, weil ihre Prozessoren drohten, dadurch heißzulaufen und sprang zum Kopfgeld.
Die Anzahl der Stellen trieb ihr das Lunari-Äquivalent der Dollarzeichen in die Augen.
Sie packte Neros Kopf und drehte ihn so, dass er den beiden Frauen nachschauen konnte.
"Nero siehst du die! Die Blondine!"
"Ja", bestätigte Nero. "Ich glaube, ich weiß, worauf du hinauswillst."
"Echt?"
"Ja, ihre Möpse sind größer als deine."
Ferra nutzte ihre Zeigefinger, während sie weiter Neros Kopf festhielt, um ihm schmerzhaft die Augen einzudrücken.
"GAAAAH!"
"HINTERHER! NERO! HINTERHER! WENN WIR DIE BLONDE FASSEN, HABEN WIR FÜR DEN REST UNSERES LEBENS AUSGESORGT!"
"SAG DAS DOCH GLEICH! UND LASS MEINE AUGEN LOS!"
"Du hast einen Plan, oder? Bitte sag mir, dass du einen Plan hast", bat Dean im Rennen.
Elli sah mittlerweile ein inhärentes Problem in diesem Design. Dean konnte keine ordentliche Geschwindigkeit aufbauen, weil dann Teile von ihm derart zu oszillieren begannen, dass er sich bereits selbst zwei Kinnhaken verpasst hatte, ohne die Hände zu benutzen.
Da sie sich, anders als er, beim Laufen auf das Atmen konzentrieren musste, kramte Elli wortlos in ihrer Tasche und reichte Dean schließlich eine winzige, geladene Armbrust. Darin eingelegt war aber kein Pfeil, sondern eine Art schwarzer Gummiball.
"Schieß auf sie, versuch Haut zu treffen!", befahl Elli.
Dean legte sofort aus der Bewegung heraus an, aber er konnten wegen bereits angesprochener Probleme seinen Arm nicht ruhig halten.
Irgendwas explodierte zwischen ihnen und der Diebin.
Elli sah, wie Aura gegen eine Wand geschleudert wurde und offenbar bewusstlos daran herunterrutschte.
Es kam durchaus vor, dass in Brym etwas explodierte, aber meist nur, wenn sich rivalisierende Gangs gegenüberstanden. Alle anderen erreichte der Zorn der Bewohner, traditioneller Weise in Form weit überlegener Feuerkraft.
So aber offenbar nicht den glatzköpfigen Typen, der mit wölfischem Grinsen auf sie zu gerannt kam.
"Keine Sorge, Ladies, das wird nur extrem schmerzhaft für euch!"
Sklavenhändler?
Elli sah hinter ihm noch eine Frau mit silbernen Haaren und einem dicken Zigarrenstummel im Mund, die mit einer Plasmakanone mit den Ausmaßen einer Baby-Badewanne auf sie anlegte.
Keine Sklavenhändler, die benutzten keine tödliche Gewalt und waren obendrein nicht nur zu zweit. Kopfgeldjäger!
Dean schien das Wort "Ladies" nicht gut aufgenommen zu haben, denn er bremste ab und benutzte seinen Schwung, um seinen Fuß im Gesicht des Glatzkopfs zu versenken, denn der war in genau diesem Moment heran. Da nur seine obere Körperhälfte ihre Bewegungsenergie einbüßte, verlor der Kopfgeldjäger den Boden unter den Füßen und krachte hart auf den Boden.
"Hm, eignet sich besser zum Zutreten als zum Zuschlagen … Was mach ich jetzt gegen Haie?", sinnierte er.
"DEAN! DECKUNG!", brüllte Elli, als die Schützin ihn als das gefährlichere Ziel einstufte und auf ihn umschwenkte.
Der reagierte, indem er durch den Nebel sprang, den die Explosion hinterlassen hatte. Elli für ihren Teil hatte Schutz zwischen zwei Ständen gesucht.
Die Silberhaarige feuerte trotzdem.
Elli, die ihre Schöpfung nicht nach nur einer Stunde des Betriebs zerstört wissen wollte, griff nach einer leeren Flasche, die auf dem Boden lag und schleuderte das Gefäß auf die Angreiferin. Die wich dem Wurfgeschoss aus, war aber lange genug abgelenkt, damit Elli mit ihrer Pfanne auf sie zu rennen konnte.
Mit einer Denkleistung wie der von Elli ist es einfach, vorauszuahnen was der Gegner als nächstes tun würde, leider war sie meist nicht schnell genug, um Nutzen aus diesen Informationen zu ziehen. Dieses mal aber waren nur kleine Bewegungen erforderlich. Natürlich schwenkte die Frau auf Elli um, aber sie hielt ihre Pfanne in die Schusslinie, schon bevor ihre Kontrahentin überhaupt feuerte. Als Resultat wurden drei Schuss verschwendet und Elli kam endlich in Pfannenschellenreichweite, was sie gnadenlos ausnutzte.
Der Kopfgeldjägerin die Waffe aus der Hand zu schlagen war einfach, aber der bewährte Hieb gegen die Schläfe hatte leider nicht die erhoffte Wirkung. Das Ziel neigte nur durch die Wucht des Aufpralls den Kopf leicht zur Seite und wechselte die Zigarre in den anderen Mundwinkel, bevor Elli einem Faustschlag ausweichen musste, der ihr die Rippen gebrochen hätte.
Sie musste ein Cyborg sein …
Und sie holte eine noch größere Kanone aus einem Sub-Raum.
Glücklicherweise war es eine Laserwaffe.
Elli hielt ihre Pfanne auf die Mündung, als die Frau auf sie feuern wollte. Das Küchenutensil heizte sich wie erwartet auf, aber der Griff blieb kalt. Wie vom Hersteller garantiert.
Ebenso wie die Unzerstörbarkeit.
Wie von ihr beabsichtigt, wurde die Hitze so groß, dass die optischen Linsen in der Kanone durch die Ausdehnung zerbrachen. Es war ungefähr, als hielte Elli einen Ofen in der Hand, als sie erneut zuschlug.
Die Kopfgeldjägerin parierte mit ihrer nutzlosen Waffe.
"NERO! BEWEG DEINEN HINTERN!", brüllte sie dann und brachte es fertig, dabei ihre Zigarrenreste im Mund zu behalten.
Elli beschloss, ihrem Beispiel zu folgen.
"DEEEEAAAN!"
Der Mann namens Nero kam schwankend wieder auf die Beine, nur um von Dean überrascht zu werden, der nach seinem rechten Fuß nun seine rechte Faust in dessen Gesicht versenkte.
"AUA! Warum immer auf die Nase!?", ereiferte sich der Kopfgeldjäger, während sein Riechorgan zu heilen begann.
Dean betrachtete diesen Vorgang mit schiefgelegtem Kopf, was Nero genug Zeit gab, ihm eine Kopfnuss zu verpassen.
"DONK!"
Vermutlich durch die unerwartete Härte von Deans Schädel taumelte er zurück. Dean derweil packte ihn am Kragen und revanchierte sich mit einem extrem angefressenen Gesichtsausdruck seinerseits mit einem Kopfstoß.
"DONK!"
Der Kopf seines Gegners wurde nach hinten geworfen, aber er wurde nicht ohnmächtig.
"Okay! Du willst das Ganze, du kriegst das Ganze!", grollte Nero.
Unter seiner Stirnhaut kam es zu Bewegung, während er nun Dean mit einer weiteren Kopfnuss bearbeitete.
"DONK!"
Die Wucht war dieses Mal so groß, dass er nach hinten umgeworfen wurde.
Aus Neros Händen wurden gewaltige Fäuste, vermutlich darauf aus, Dean komplett zu zerschlagen. Er baute sich über seinem Opfer auf.
"Schade eigentlich … Keine Ahnung welchen Chirurg du genommen hast, aber du siehst einfach schnuckelig aus. Naja …"
Er holte aus.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass Dean ihn trotz seiner weiblichen Form immer noch um ein paar Zentimeter überragte und zudem im Vergleich zu seinem normalen Körper über etwas längere Beine verfügte.
Das linke fuhr nun nach oben und krachte Nero mit solcher Kraft zwischen die Beine, dass er vom Boden abhob.
"OOOOOUUUUUH!"
Elli derweil versuchte weiter, sich Neros Partnerin vom Hals zu halten. Da ihre Pfanne weit über hundert Grad Celsius heiß war, musste sie nun tatsächlich ausweichen, um sich nicht zu verbrennen. Dadurch unfähig, auf ihren Sub-Raum zuzugreifen, trieb Elli sie vor sich her, bis die Raucherin rückwärts in einen Ulum stolperte. Dabei handelte es sich um eine außerirdische Spezies, die komplett aus brauner Melasse bestand und einer übergroßen Praline ähnelte.
Die Frau sankt hilflos in das Alien ein, das nur verwirrt gurgelte. Ulums können nur bestimmte Proteine zersetzen und Menschenfleisch gehörte nicht dazu. Allerdings würde es eine Weile dauern, bis sich die beiden wieder voneinander getrennt haben würden.
Elli nutzte den Augenblick, um zu Dean zurückzukehren, der gerade sein Möglichstes tat, um Nero bewusstlos zu treten.
"Dean, lass, er ist ohnmächtig", rief ihn Elli zu.
Dean gehorchte und drehte sich zu ihr.
"Was ist mit der Frau."
"Die ist gerade gewissermaßen mittendrin statt nur dabei", erklärte Elli. "Was ist mit Aura?"
Dean sah gequält aus.
"Ich habe auf sie geschossen und sie im Nacken getroffen, als ich durch den Raum gerannt bin, aber danach ist sie plötzlich verschwunden. Als hätte sie sich in Luft aufgelöst. Ich konnte den Zornregulator nirgendwo sehen. Mit was habe ich auf sie geschossen?"
Elli klopfte ihm auf die Schulter.
"Aura hat eine Fähigkeit ähnlich meiner. Sie kann zwischen den Realitäten und Zeiten teleportieren. Aber das macht nichts, denn das, was du da abgefeuert hast, war ein interrealer Quantensensor."
Sie griff in ihre Tasche und holte eine Art kleinen Touchscreen daraus hervor. Ihr gefiel, was sein Bildschirm anzeigte.
"Auras Quantenaufbau wurde ausgelesen und mit diesem Gerät hier kann ich sie aufspüren, egal wo sie sich gerade aufhält. Komm mit, Dean, anders als ich kann sie ihre Kraft nicht in schneller Folge benutzen."
Die beiden beeilten sich, einen Ort für das Nexusportal zu finden.
Ferras Lungen waren zwar kybernetisch verstärkt und sie versuchte auch tunlichst, keinen Zigarrenrauch einzuatmen, aber auch wenn sie wie wild zappelte und der Ulum sein Möglichstes tat, um sie aus sich herauszudrücken, ging ihr allmählich die Luft aus.
Eine Hand packte sie plötzlich am Fußgelenk und zog.
Sie bekam grauen Schleim in den Mund, als sie endlich Luft holen konnte. Er schmeckte nach Granatapfel.
Sie erkannte Nero, der ihr auf die Beine half.
"Ganz schön viel Aktion", kommentierte er.
"Ganz anders als dein Sexleben, nicht wahr?", spuckte Ferra, während sie aufstand.
Beide lehnten sich zurück und deuten mit den Zeigerfingern auf den jeweils anderen.
"AAAAAAAAAH!"
"Aber jetzt mal im Ernst, hier, was zum Saubermachen", sagte Nero und gab Ferra ein großes Stofftuch, das er vermutlich von irgendwo stibitzt hatte. "Du siehst ziemlich schleimig aus. Nicht so schleimig wie dieser Monsterschleim, den wir damals im Mare Imbrium plattgemacht haben, aber ziemlich nahe dran. Ich meine, du kannst es auch drauf lassen, wenn du drauf stehst, ist aber nicht so mein Fall. Ich bin eher für die große Schwarzhaarige von gerade eben. Noch nie habe ich eine so gute Kopfnuss verpasst bekommen. Ich glaube ich bin verliebt. Meinst du, ich kann sie auf einen Kaffee einladen, nachdem wir ihre Freundin eingetütet haben?"
Ferra rubbelte sich sauber, während Nero wie üblich laberte ohne Ende.
"Nero, dafür müssten wir sie erstmal wiederfinden. Diese Frau kann wortwörtlich überallhin. Wir suchen eine menschengroße Stecknadel im größten anzunehmenden Heuhaufen."
Frustriert kramte sie eine neue Zigarre hervor und schaffte es beim dritten Versuch auch, sie anzuzünden.
"Ich hab mich bewusstlos gestellt und ihr unbemerkt einen interrealen Sender an den Schuh geklebt. Diese erbsengroßen Teile. Hilft das?"
Ferra wäre Nero beinahe um den Hals gefallen, um ihn zu küssen. Sie erinnerte sich aber zum Glück noch rechtzeitig daran, dass es Nero war …
"Alles klar … Auf zum Schiff, Nero, wir haben Arbeit vor uns!"
Sie wollte losrennen, drehte sich dann aber nochmal zu dem Ulum um.
"Tut mir leid wegen gerade eben. Sie schmecken übrigens sehr lecker. Passen Sie auf sich auf."
Der Ulum blubberte verständnislos.
Der Nexus öffnete sich in einer Seitengasse im Stadtzentrum Tokyo. Elli trat grummelnd heraus, gefolgt von einem wahrscheinlich noch mieser gelaunten Dean.
"Mal sehen …" murmelte Elli. "Wenn der Quantenfelddetektor nicht lügt, befindet sich Aura genau … da!"
Sie deutete auf eine kleine Sushibude, die sich in die kleine Gasse gequetscht hatte.
"Macht die Frau gerade Mittag?", fragte sich Dean verwundert.
"Wen schert's, komm, Dean, ich hab gutes Geld für den Zornregulator bezahlt."
Die beiden traten ein.
Dean hatte schon einige Sushi-Restaurants besucht, aber sowas hatte er noch nie gesehen.
Es gab einige gelb getünchte Wände, eine Theke und ein paar Schauplätze, wo man dabei zugucken konnte, wie der Koch die Malzeiten errichtete. Soweit exotisch, aber noch im Bereich des Normalen.
Was er aber noch nie gesehen hatte, waren die kreisrunden Tische, an denen sich jeweils zwei Personen auf Stühlen gegenübersaßen und das Spektakel anfeuerten, das auf besagten Tischen tobte.
Dean dachte erst, er hätte sich einen Virus eingefangen, der seine Kamerafeeds bearbeitete, aber da drehten sich tatsächlich auf jedem Tisch zwei Sushistücke und umkreisten einander wie zwei Kampfkreisel. Und sie stießen auch genauso zusammen. Neben einigen anderen Effekten …
Hatte ein Stück gerade sein eingearbeitetes Stückchen Lachs abgefeuert?
In der Tat segelte das getroffene Sushi unter wütendem Brüllen seines Besitzers vom Tisch. Der offensichtliche Verlierer des Duells hob das Gericht vom Boden auf und aß es widerspruchslos.
Wäre Dean aus Fleisch und Blut gewesen, der Anblick hätte ihm eine Gänsehaut verpasst.
"Is' ja ekelhaft", flüsterte er Elli zu. "Wie oft wird der Boden hier wohl geschrubbt? Lass uns schnell wieder gehen, Elli, ich kann zwar rein körperlich nicht kotzen, aber-"
"HAB ICH DICH!", rief Elli in dem Moment und stampfte auf eine erschrockene Aura zu, die einem epischen Kampf zwischen einer Thunfischrolle und vegetarischem Sushi beigewohnt hatte.
"Wa-", entfuhr es ihr. "Wie hast du mich so schnell gefunden!"
"Ich arbeite auf einem ganz anderen Level, Bitch", war Ellis Erklärung. "Und jetzt rück meinen Regulator raus!"
Aura erhob sich vorsichtig, aber plötzlich trat ein kleiner, älterer Mann mit einer Küchenschürze und einem Zwicker auf der Nase zwischen die beiden.
"Also was ist denn hier los, die Damen?", ereiferte er sich.
"Ich hole mir was zurück, das mir gestohlen wurde, mein Herr", erklärte Elli und wollte den kleinen Mann beiseite schieben.
Der aber ließ sich die Behandlung gar nicht gefallen, sondern zog stattdessen Elli zu sich herunter.
"Nanana! Keine haltlosen Anschuldigungen in diesen heiligen Hallen. Wenn ihr einen Disput habt, legt ihn mit den Hausregeln bei!"
"Oh, vielen Dank, Herr Maehara", bedankte sich Aura und verbarg das Gesicht vor Scham in den Händen.
Damit keiner sehen konnte, wie sie Elli höhnisch angrinste.
"Was für Hausregeln?", fragte Elli genervt.
"Ha! Kommst hier rein und weißt nicht mal wo du hier bist? Sie dich um! Wenn du etwas von einem meiner Stammkunden haben willst, musst du es dir erkämpfen! Beim SUSHIBLADE!"
Dean dachte, er hörte nicht recht.
Elli derweil seufzte.
"Einverstanden. Aber wenn ich gewinne, erhält Aura hier lebenslanges Hausverbot bei Ihnen, ist das klar?"
"Was?!", ereiferte sich der Mann. "Ich kann doch nicht einfach einen Stammkunden rauswerfen! Wollen Sie den guten Namen von Takeshi Maehara in den Schmutz ziehen?"
"Das schaffen Sie bereits, indem Sie eine Diebin in Schutz nehmen", hielt Elli dagegen.
"Hmpf, ich schätze ich werde Ihnen eine Lektion erteilen müssen", schnaubte der Koch.
Elli begann auf eine merkwürdige Art zu grinsen. Jene Art, zu der gut eine Kette aus violetten Kanjis für das Wort "Bedrohlich" gepasst hätte …
"Ho? Ist das eine Herausforderung?", fragte Elli gefährlich freundlich. "Meinetwegen. Ich nehme an."
"Sie sind eine Närrin", sagte Maehara. "Sie nehmen an, bevor ich die Regeln diktiert habe. Sie werden gegen mich und Aura hier antreten und wenn Sie verlieren, werden Sie Aura in Ruhe lassen. Vielleicht bringt Sie das von ihrem hohen Ross runter."
"Und du wirst mit mir ausgehen!", fügte Aura hinzu.
Die Gäste drehten sich interessiert zu den beiden um.
"Schön, aber wenn ich gewinne, kriege ich mein Eigentum von Aura zurück,", sagte Elli entgegen aller Vernunft.
"Einverstanden", sagte Aura entschlossen und mit rosa Wangen.
Dean schlug sich an die Stirn.
Das nächste Mal bei Nexus:
Der Zornregulator, Teil 3