Sankt Chloe, Teil 3

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Das letzte Mal bei Nexus:
Sankt Chloe, Teil 2

Die Schemen in der Wüste waren jetzt fast greifbar und kamen immer näher. Der Himmel über Las Vegas war einem leuchtenden Rot gewichen, dass eher wie das Innere eines gewaltigen Lochs aussah.

Spinazzola starrte auf das Schauspiel, erhielt aber von seinen Technikern unerwartet einen Kopfhörer.

Stirnrunzelnd setzte er das Gerät auf.

"Spinazzola hier?"

"Hier Team Romolus, Kommandant!"

Erleichterung machte sich in ihm breit.

"Ich hatte mir schon Sorgen gemacht. Was ist euer Status?"

"Wir sind alle am Leben, ein Haufen blaue Flecken, aber nichts Ernstes. Uns sind allerdings wichtige Informationen zugespielt worden."

"So?", wunderte sich Spinazzola. "Was habt ihr herausgefunden?"

"Sir, wir wurden manipuliert!"

Spinazzola hörte mit wachsendem Schrecken zu. Offenbar war er von allen Leuten von Dämonen ausgetrickst worden.

Dennoch, so wie es klang war diese Stadt tatsächlich voller Dämonen. An seinem Ziel änderte sich nichts. Las Vegas und Paradise mussten vom Antlitz Seiner Schöpfung getilgt werden, egal aus welchen Gründen die Dämonen hier Zuflucht gesucht hatten. Keine Gnade den Sündern …

Außer einer Ausnahme.

"Und dieses Mädchen ist alles, was die Stadt davon abhält, zu fallen?", vergewisserte er sich.
"Äh, ja, Sir."

Spinazzola schüttelte den Kopf in stillem Erstaunen.

"Wir müssen dieses Individuum finden und beschützen. Halten Sie mich auf dem Laufenden."

Er legte auf und wandte sich an den Rest der Kommandozentrale.

"Leute, hergehört, Befehl an alle Einheiten, sie sollen nach einer Dreizehnjährigen mit weißen Haaren Ausschau halten. Das Individuum kann offenbar Dämonen vertreiben und hält die Stadt in unserer Welt. Das Mädchen muss in Gewahrsam genommen und sicher aus der Stadt geschafft werden, vorzugsweise nachdem unsere Leute aus Las Vegas raus sind. Und holen Sie mir Mr Coin her!"

"Der ist gerade aus dem Van gestiegen", meldete einer der Techniker.

Spinazzola rannte wie von der Tarantel gestochen nach draußen.

Von dem Abtrünnigen war nichts zu sehen.

"Verflixt schlauer Bursche …", murmelte der Kommandant in widerwilliger Anerkennung.


"Bist du sicher, dass wir die Jungs nicht hätten mitnehmen sollen?", fragte Dean, während sie das Bordel verließen.

"Sie müssen auf Az aufpassen", erwiderte Elli.

"Sie werden ihn erschießen", merkte Dean an.

"Erst werden sie merken, dass er seine Augen und Wunden wieder regeneriert hat."

Hinter ihnen wurden Schüsse und lautes Gebrüll laut.

"Wir sollten uns schnell verdünnisieren", merkte sie an. "Solange keiner von ihnen vom Papst persönlich geweihte Waffen hat, können sie Az nicht dauerhaft verletzen."

Sie rannten hinaus auf den Las Vegas Strip. Und blieben in Bewegung, da Dämonen plötzlich von ihren Opfern abließen und hinter Elli her rannten wie Motten, die eine Karbidlampe gesehen hatten.

"Vielleicht hat der Mann recht gehabt was das Sündigen angeht …" keuchte Elli im Rennen. "Hast du die Granate noch?"

Dean grinste.

"Ich hab was Besseres …"

Er bog auf einen Parkplatz ein.

Und hielt direkt auf sein Motorrad zu. Ein schwarzer Ring aus verbranntem Asphalt hatte sich darum gebildet, neben einer Menge vor Schmerz heulender Dämonen.

Elli hechtete in den Beiwagen, während Dean den Motor anwarf und begann, alles umzufahren, was nicht clever genug war, sich zur Seite zu werfen.

Elli sah sich gehetzt um.

"Wo zur Hölle-"

Neben ihr öffnete sich eine glühende Magmaader mit lautem Knacken. Der Beiwagen hüpfte darüber hinweg.

"Du mich auch. Wo sind diese blöden Steine? Wir müssen sie schnell finden, es dauert nicht mehr lange, bis Las Vegas hinabfährt. Nichtmal mehr anständig fluchen kann man hier."

Elli überlegte fieberhaft.

"Wir brauchen das Gebäude in Paradise, bei dem sich die meisten und am gemeinsten aussehenden Dämonen aufhalten. Aber zuerst sacken wir Chloe ein …"

"Und wie willst du sie finden", fragte Dean schnippisch.

Aus einer Seitengasse heraus kamen plötzlich Schreie aus teilweise unmenschlichen Kehlen und vor ihnen stand Xōchiquetzal am Straßenrand.

Dean kam neben ihr zum Halten.

"Hallo", begrüßte Elli sie anzüglich. "Wie viel kostest du für eine Stu-"

Deans Faust fuhr von oben auf sie nieder.

"Wo ist Chloe?", fragte er alarmiert. "Müsste sie nicht bei Ihnen sein."

Xōchiquetzal maß sie beide mit einem Blick, den Elli nur schwer entziffern konnte und deutete mit dem Daumen hinter sich in die Gasse, in der offenbar Dämonen um Gnade flehten.

"Sie kämpft da drin gerade …", sagte sie trocken.

"Was, alleine?", vergewisserte sich Dean und stellte seine Maschine ab, um abzusteigen.
"Nein, sie gegen alle Dämonen, die zu langsam sind …", erwiderte Xōchiquetzal.

Dean und Elli wechselten verwirrte Blicke und schauten dabei zu, wie vereinzelt Dämonen aus der Gasse rannten.

Oder humpelten, wenn ihnen ein Bein fehlte.

Chloes Gelächter klang an ihr Ohr.

Es war schon selten, dass sie lachte, aber Elli hätte nie gedacht, dass sie zu solchem Gelächter fähig war. Ihr stellten sich bei dem bloßen Geräusch die Nackenhaare auf.

"Ääääh …", sagte sie vorsichtig. "Bevor du fragst, Xōchiquetzal, ich glaube nicht, dass ich dafür verantwortlich bin …"

Dean schaute kurz um die Ecke.

"Ist das Adrenalin?", fragte er.

"Mmh, möglich?", antwortete Elli unsicher. "Ich meine, wenn sie in einer extremen Notsituation war. Immerhin wollten die Dämonen sie umbri-"

"GAAAH!", kam es erbärmlich aus der Gasse.

"KOMM SOFORT ZURÜCK, DU BESSERER ZIEGENBOCK!", dröhnte Chloes Stimme sofort danach. "WENN ICH MIT DIR FERTIG BIN, ZIEH ICH DIR DIE OHREN LANG UND BESPANNE EINEN KONTRABASS DAMIT, SOBALD ICH WÜRFEL AUS DEINEN ZÄHNEN GESCHNITZT HABE!"

Es folgte wieder dieses Gelächter, dass vor Sadismus triefte …

Dean, Elli und Xōchiquetzal traten erschrocken einen Meter vom Gasseneingang weg, während wieder qualvolles Gestöhne folgte.

"Was haben wir bei ihrer Erziehung falsch gemacht?", fragte Elli.

"Guck mich nicht so an", wehrte Dean ab. "Ich hab ja gesagt, wir gehen irgendwo hin, wo nix passieren kann, aber nein, du musst sie ja ständig überall hin schleppen. Also wundere dich nicht, wenn sie ein paar deiner Marotten aufgreift."

Elli blieb kurz der Mund offen stehen.

"Meine Marotten?", echote sie dann. "Wer ist denn immer der Erste, der zur Gewalt greift? Das hat sie wenn dann von dir."

"Hast du mich denn mal so fluchen gehört?", gab Dean zurück. "Wenn du mich das hättest übernehmen lassen, wäre sie nicht so ausgeflippt."

"Ähm", mischte sich Xōchiquetzal ein. "Entschuldigt, aber es schien mir eher so, als ob sie irgendwas in sich aufgestaut hatte. Anfangs hatte sie nur versucht die Dämonen zu verjagen … Bis sie einen von ihnen in die Finger bekommen hat … Danach ist sie komplett durchgedreht und hat Jagd auf Az' Meute gemacht. Ich glaube, da entlädt sich gerade ziemlich viel Druck …"

"Oh …", machten Elli und Dean gleichzeitig.

"Hab ich recht?", fragte die Dämonin verdutzt.

"Ich … glaube schon1 …", bestätigte Elli vorsichtig.

"Wie exakt funktioniert Chloes Schutz eigentlich?", fragte Dean. "Sie scheint diese Dämonen ja regelrecht zu verbrennen."

Wieder kam schmerzerfülltes Gebrüll aus der Gasse, gefolgt von beinahe manischem Gekicher.

"Naja", begann Elli. "Ihre himmlische Resonanzenergie ist so verdammt hoch, dass sie als Engel aus einer der mittleren Stufen durchgeht. Dadurch neutralisiert sie geringere Konzentrationen tartarischer Resonanzenergie. Und ohne diesen Schutz wirken ihre Haut, Haare und Nägel auf niedere Dämonen wie Sonnenstrahlen-"

"AAAH! MEINE NASE!"

"GIHIHIHI!"

"-wenn die Sonne ein tödlicher Laser wäre …", schloss Elli.

"Oh, ein Glück, dass ich sie nicht direkt angefasst habe", seufzte Xōchiquetzal.

"Sollten wir vielleicht langsam mal nach ihr gucken?", fragte Dean.

Die Frauen gaben ein verängstigtes "Hmf" von sich.

Betont langsam betraten sie die Gasse.

Sie lag halb in der Dunkelheit.

Aus dem Schatten kam ein Dämon hervorgekrochen. Elli erkannte ihn als einen von Az' Gefolgsleuten. Ihm fehlten die Beine.

"Hilfe …", röchelte er, bevor ihn etwas packte und lachend wieder in die Dunkelheit zerrte.

Schmerzerfüllte Schreie folgten.

"Nicht, dass ich es ihnen nicht gönne, nachdem sie versucht haben, Chloe zu töten", kommentierte Elli, während sie in ihrer Tasche kramte. "Aber ich glaube das geht ein klein wenig zu weit …"

Sie holte eine Taschenlampe hervor und brachte Licht ins Dunkel.

Der Boden war bedeckt mit verbrannten Körperteilen. In Mitten dieses Gemetzels stand Chloe und grinste von einem Ohr zum anderen, während sie ihrem letzten Opfer vergnügt das Gesicht wegbrannte. Elli bemerkte, dass sie ihre Schuhe und Socken ausgezogen und ihre Hosen hochgekrempelt hatte. Ihre Füße und Beine waren schwarz vor Asche.

Vorsichtig, als hätte sie es mit einem gefährlichen Tier zu tun, das sie jeden Augenblick anfallen könnte, watete Elli durch Chloes Hinterlassenschaften und tippte ihr aus so großer Entfernung wie möglich mit spitzen Fingern auf die Schulter.

Chloe drehte sich freudestrahlend zu ihr um und erledigte den Dämon, indem sie seinen Kopf in Asche verwandelte.

"Ah, Elli, hast du diesen Az erledigt?", fragte sie fröhlich.

Elli presste die Lippen zusammen, bevor sie vorsichtig antwortete.

"Äh, jjjjjja … Du, äh, du bist auch zurechtgekommen … hier?"

"Oh ja, habt ihr gesehen, was ich kann?", fragte Chloe quietschfiedel.

Elli, Dean und Xōchiquetzal nickten langsam und abgehackt.

"Du, nun, äh, bist du verletzt?", fragte Elli weiter.

"Nö, ganz im Gegenteil, ich fühl mich super."

Chloe strahlte sie an wie ein Kind, das gerade sein Lieblingseis bekommen hatte.

"Okay, ähm, gut, dann komm mit, wir … wir müssen noch eine Stadt vor der Hölle retten."

"Oh stimmt", bemerkte Chloe, der das offenbar gerade wieder einzufallen schien. "Da war ja was …"

Sie lief zu Dean und Xōchiquetzal, wobei Letztere rasch einen Dreimeterabstand zu ihr einnahm.

Unterwegs las sie aus dem ganzen Durcheinander ihre Schuhe wieder auf. Es ist zu anzumerken, dass Chloe ohne Umwege zu machen durch sämtliche Körperteile auf ihrem Weg lief.

Elli machte sich ebenfalls auf den Rückweg und trat aus Versehen auf eine Leiche, die daraufhin verdächtig hustete.

Chloe drehte sofort grinsend den Kopf und richtete einen Zehntausend-Watt-Halogenstrahlerblick auf den hageren Dämon mit dem kleinen schwarzen Ziegenbart, der tot gespielt hatte. Er hatte sich unter den sterblichen Überresten seiner Artgenossen versteckt, weil ihm ein Fuß fehlte. Und er quietschte vor Angst, als Chloe sich ihm näherte.

"Warte, Chloe!", gebot ihr Elli.

Sie gehorchte erst mit einiger Verzögerung und schaute Elli an, als hätte sie ihr gerade Hausarrest erteilt.

"Bist du zufällig in die Logistik dieses Höllenunternehmens involviert gewesen?", fragte Elli.

Der Dämon nickte hastig.

"Oh, gut, gut", entgegnete Elli. "Hast du was mit Piaculumit zu tun gehabt?"

Wieder hastiges Nicken.

"Dann sag uns doch bitte, wo die Dinger hingeschafft wurden, sonst hältst du für die Aggressionsbewältigung meiner kleinen Freundin hier her."

Chloe blinzelte verwirrt. Hoffentlich ließ ihr Blutrausch allmählich nach.

"Okay, okay, okay", sprudelte es aus dem Unhold hervor. "Ich sag's euch. Okay, ähm, wisst ihr, wo das Bellagio ist?"

"Bellagio?", wiederholte Elli. "Das Kasino-Hotel?"

"Ja, ja! Genau das! Wir, äh, wir haben Lagerraum D für das Zeug requiriert. Ich habe aber keine Ahnung, wie ihr da reinkommt, ehrlich!"

Elli strich ihm über den Kopf.

"Das lass mal unsere Sorge sein. Chloe! Nein, Chloe! Nein! Aus!"

"Er wollte mich umbringen", beharrte Chloe, die wieder ein paar Schritte auf den Dämon zu getan hatte.

Elli wusste nicht so recht, wie sie vorgehen sollte. Normalerweise musste man junge Mädchen nicht davon abhalten, die Verkörperungen des Bösen und der Versuchung abzuschlachten …

"Ja, ich weiß, pass auf, wenn er gelogen hat und wir alle in der Hölle landen, mache ich ihn für dich ausfindig, einverstanden?"

Chloe murrte eine widerwillige Zustimmung.

"Meh, muss reichen", murmelte Elli. "Und du weißt Bescheid, Kleiner. Du hast die Wahrheit gesagt, ja?"

Erneutes hastiges Nicken.

"Wundervoll …"


Das Bellagio ist im Prinzip ein ziemlich breites und ziemlich schmales Hochhaus und ist bekannt für seine Springbrunnen in einem riesigen Becken, die bei Nacht beeindruckende Lichtspiele vorführen. Dean, Elli und Chloe näherten sich dem Kasinohotel nun auf Deans Motorrad. Xōchiquetzal hatte dankend abgelehnt.

Der rote Schleier, der sich seit einer Weile über Chloes Sichtfeld gelegt hatte, wurde vom Fahrtwind allmählich vertrieben. Nicht, dass das viel nützte. Das rote Leuchten in der Stadt war intensiver den je und die ganze Stadt schien inzwischen eher am Hang eines gewaltigen Abgrunds zu liegen als in einer Wüste.

Chloe wurde sich allmählich bewusst, was genau sie getan hatte, aber die Tatsache, dass sie Dämonen ermordet hatte, ließ sie merkwürdig kalt. Mochte daran liegen, dass sie selbst beinahe gepfählt und verspeist worden wäre …

Während Chloe in ihre Selbstevaluierung vertieft war, tauchten mehr und mehr Dämonen auf, um die Bewohner zu foltern, aber sprangen hastig aus dem Weg, als Dean auf sie zu bretterte.

Er fuhr direkt bis vor die Eingangstreppe, ungeachtet der gewaltigen Menge an Dämonen, die das Gebäude umschwärmten. Manche von ihnen waren groß wie kleine Häuser, aber alle von ihnen machten hastig Platz, wenn sich Chloe ihnen näherte.

Schlechte Nachrichten verbreiteten sich offenbar schnell in der Hölle.

Sie beschloss, daraufhin, ihr Gemetzel nicht unter "Böse Taten" abzulegen.

Und Chloe fühlte sich ein wenig wie eine Barbarenkönigin.

Bis sie auf den Unhold traf, der an der Tür wartete.

Einige Dämonen hielten mit Mühe einen dreiköpfigen Hund von der Größe eines Elefanten an mehreren Ketten. Er hatte gewaltige Reißzähne und in seinen Augen schien rotes Feuer zu glühen. Das Wesen bellte sie an, bewegte sich aber nicht von der Stelle.

Chloe stieg aus und hob die Hand, um den Hund zu "streicheln", aber Elli hielt sie zurück.

"Vorsicht, Chloe! Cerberus ist eine höherrangige tartarische Entität. Auf den wirkt dein Magic Touch nicht."

"Sollte der nicht eigentlich die Unterwelt bewachen?", fragte Dean.

"Äh, das tut er, Dean", merkte Elli an. "Er sorgt dafür, dass Las Vegas nicht abhauen kann."

"Und wie kommen wir an dem Viech vorbei? Die Dämonen an den anderen Eingängen sind noch eine Ecke größer", fragte Dean weiter.

Chloe raffte alles zusammen, was sie über die griechische Mythologie wusste.

"Können wir ihn einschläfern? Ich glaube man kam an ihm vorbei wenn man ihm Musik vorgespielt hat."

"Bei dem Lärm schläft er nicht lange", merkte Elli an.

Tatsächlich, das Lachen und Wehklagen in der Stadt wurde allmählich ohrenbetäubend.

Obwohl, irgendwas anderes hatte sich unter die Stimmen gemischt.

Es dauerte kurz, bevor Chloe die Gewehrschüsse zuordnen konnte.

"DECKUNG!", brüllte Elli, aber Dean hatte schon Chloe gepackt und sich hinter den Springbrunnen geworfen.

"Wenn mein Bike auch nur einen Kratzer abbekommt …", hörte sie ihn murmeln.

Kugeln flogen über sie hinweg.

Der Höllenhund wurde getroffen und jaulte auf vor Schmerz. Die Dämonen versuchten ihn zurückzuhalten, doch da sie stationäre Ziele waren, wurden sie auf's Korn genommen. Cerberus riss sich los und raste auf die Angreifer zu.

Deans Motorrad befand sich leider auf seinem Kurs.

"Oje, Augen zu, Chloe!"

Chloe tat wie geheißen. Der Hund gab ein erbärmliches Winseln von sich, das komischerweise über ihr erklang.

Dann hörte sie, wie etwas Großes im Springbrunnen landete.

Wasser schwappte über den Rand.

Die restlichen Unholde nahmen Reißaus.

Als Chloe die Augen wieder aufmachte, sah sie, dass das Motorrad unversehrt war, Cerberus offenbar bewusstlos im Springbrunnen lag und sich Männer und Frauen in Soldatenuniform näherten. Mit Abscheu bemerkte sie die Kreuze, die sie bei sich trugen.

Dean baute sich zwischen ihr und den Neuankömmlingen auf.

"Was wollt ihr denn schon wieder?", fragte er.

"Mein Herr, wir, die Ritter des Sankt Georg, haben den Befehl, dieses Mädchen aus der Stadt zu schaffen", erklärte einer der Soldaten.

"Soso", meldete sich Elli hinter Dean. "Euch ist bewusst, dass sie im Moment das Einzige ist, das verhindert, dass wir im vierten Kreis der Hölle landen, oder?"

"Unsere Befehle sind absolut. Was mit dieser Stadt passiert, ist für uns nicht von Belang."

Chloe traten die Augen hervor bei so viel Apathie.

"Siehst du, Chloe, und sowas nennt sich heutzutage Ritter", mokierte sich Elli.

"Übergebt uns das Mädchen!"

Elli fixierte etwas, dass sich hinter den Rittern abspielte.

"Bevor ihr eure Kugeln an uns vergeudet, solltet ihr lieber sicherstellen, dass eure Fluchtroute frei ist."

Der Boden begann zu erzittern, als gewaltige Kreaturen der Unterwelt um das Haus gelaufen kamen, gefolgt von einem wahren Heer an Teufeln. Diese Dämonen waren nicht mit Flaschen oder Knüppeln bewaffnet, sie trugen stachelbesetzte Keulen und flammende Schwerter mit sich.

"Ach du Heiliger!", entfuhr es dem Mann.

"Tja", sagte Elli. "Wenn sie uns entschuldigen, wir suchen Schutz in diesem Hotel, während Sie gefälligst die Suppe auslöffeln, die sie uns eingebrockt haben. Tata …"

Während sich die Ritter erschrocken formierten, scheuchte Elli ihre Begleiter in das Hotel.

"Der war aber mehr als nur empfänglich für meine Sprachmemes2 …", murmelte sie dabei. "Lager D ist irgendwo unten …"

"Woher weißt du das?", fragte Chloe, als sie im Gebäude waren.

"Ich hab dem Laden 2003 schonmal den Alkohol gestohlen, als sie Dean nicht auszahlen wollten."
Chloe bemerkte einen Fehler.

"Aber er hat doch gemogelt."

"Ja, Chloe, aber er ist nicht erwischt worden."

Sie ließ das so stehen.

Drei aufgebrochene Türen später erreichten die drei die Lagerräume mit ihren kahlen Betonwänden und -böden und sahen sich einer weiteren Horde Dämonen gegenüber.

An vorderster Front stand ein hagerer Mann in einem abgenutzten Anzug.

"Also wir sind auf jeden Fall richtig …", kommentierte Dean trocken und stellte sich vor die Horden der Hölle.

"Und wer sind Sie?", fragte Elli den Mann mit einer hochgezogenen Augenbraue.

"Man nennt mich Mr Coin", erklärte der. "Es tut mir sehr leid, aber ich kann nicht zulassen, dass ihr den Absturz verhindert. Satan wartet sehnsüchtig auf seine Steuernachzahlungen."

"Ich gebe ihnen eine heilige Handgranate als Trostpflaster", entgegnete Dean und holte die Bombe aus der Tasche, die er den Rittern abgenommen hatte. "Keine Ahnung, ob sie aus Antiochia stammt."

Er zog den Splint und warf die Granate, die in den Horden der kreischenden Dämonen explodierte. Mr Coin wurde durch die Druckwelle nach vorn geschleudert, während hinter ihm freiwerdender Weihrauch die Dämonen zu verätzen begann.

"Du hast nicht bis drei gezählt", merkte Elli an.

"Die Granaten haben Bügel, Elli", belehrte sie Dean, während er auf den gefällten Mann zu stampfte und am Schlafittchen packte. "Und jetzt zu Ihnen. Wissen Sie, wo das Piaculumit liegt?

Mr Coins Blick richtete sich auf ein Rolltor, zu seiner Linken.

"Danke schön."

Dean ließ los und wollte sich aufmachen, um das Tor zu öffnen, doch Mr Coin ergriff ihn seinerseits am Arm.

Und hielt ihn an Ort und Stelle.

Dean bedachte ihn mit einem fragenden Blick.

"Was ist denn jetzt?"

Chloe konnte gar nicht sehen, was genau geschah, jedenfalls flog Dean plötzlich auf Elli zu und riss sie von den Füßen. Als Knäuel kugelten die Beiden den Gang hinunter, bis sie gegen eine Wand prallten.

Chloe wandte ihren ungläubigen Gesichtsausdruck wieder Mr Coin zu.

Der aber durchlief eine grauenvolle Verwandlung. Der Korridor war zu klein und zwang ihn in die Hocke, als er zu wachsen begann. Sein Anzug verwandelte sich in ein schwarzes Federkleid, Flügel wuchsen ihm aus dem Rücken und sein Kopf wurde zu dem eines Aasgeiers. Hände wie Füße verkamen zu Vogelklauen, groß genug um einen Mann darin zu halten.

"Man nennt mich zwar Mr Coin", krächzte das Vogelwesen. "Aber ihr kennt mich wahrscheinlich eher unter dem Namen Mammon. Jungs, alles okay bei euch?"

Aus dem Dunst hinter ihm traten einige überlebende Dämonen hervor.

Chloe krempelte die Ärmel hoch, aber Mammon krächzte nur belustigt.

"Ich stehe mit den Dämonen hier telepathisch in Verbindung, Kleine. Damit keiner auf die Idee kommt, seinen Tribut vorzuenthalten. Ich weiß, was du kannst.

Zu Chloes Erschrecken holten die Dämonen Tischdecken hervor.

"Seid ohne Furcht", krächzte der Gierdämon weiter. "Solange ihr ihre Haut nicht berührt, seid ihr sicher."

Chloe quiekte noch erschrocken, bevor sie von mehreren Seiten angegriffen und in einen Kokon aus Decken eingewickelt wurde.


Dr. House hatte sich aufgemacht, um zu versuchen, die Back-up-Vakuumeinheiten zu aktivieren, um Las Vegas von den gröbsten Mengen an TRE zu befreien. Er schlich sich durch die verlassenen und teilweise blutverschmierten Gänge, bewaffnet mit einem halbvollen Weihwasserwerfer. Wirkte super gegen niedere Dämonen, doch hier kreuchten und fleuchten allerdings Entitäten höherer Ränge herum. Es war am Sichersten, wenn man unentdeckt blieb.

Er sah vorsichtig um die nächste Ecke.

Und blickte direkt in das grinsende Gesicht von etwas, das wie ein geflügelter anthropomorpher Löwe mit schwarzem Fell aussah.

"Na hallo, Direktor", grollte die Kreatur von der Größe eines Grizzlybären und hob Dr. House von den Füßen.

Er krachte hart gegen die Wand und rutschte daran herunter. Das Wesen trat geifernd auf ihn zu.

Und musste plötzlich versuchen, das Gleichgewicht zu halten, als die Erde zu beben begann.

Trotz dieses Naturphänomens grinste es sogar noch breiter.

"Es geht los! Oh Junge! Oh Junge! Oh Junge!"

Dr. House brauchte einen Moment, um zu entschlüsseln, was die Kreatur so in Verzückung versetzte.
Las Vegas kam in der Hölle an!


Spinazzola schaute mit einer morbiden Faszination auf das Schauspiel, das sich ihm bot.

Er wusste, dass es zu spät war.

Las Vegas verschwand nach und nach wie eine Wasserpfütze in einem Ausguss und ließ nur karge Wüste zurück. Zusammen mit der Stadt wichen auch die Bilder aus dem vierten Kreis der Hölle und machten dem nächtlichen Sternhimmel Platz.

Er hielt den Zeitpunkt für ein Gebet für gekommen.

Möge der Herr Gnade mit den Seelen seiner Kämpfer haben und das Mädchen beschützen, dass so tapfer versucht hatte, die Stadt zu retten …


Elli kam wankend wieder auf die Beine, wankend deshalb, weil der Boden wackelte.

"Was geht denn jetzt los?", fragte sie sich.

Sie hörte Mammon lachen.

"Wir kommen in der Hölle an, meine Liebe. Genießen Sie Ihren Aufenthalt, denn Sie kommen hier nie mehr fort!"

Er lachte weiter.

Elli sank das Herz in die Hose.

"Was! Aber das kann nicht stimmen, nach meiner Extrapolierung sollten wir noch eine Stunde Zeit haben."

"Deine Berechnungen sind davon ausgegangen, dass ich durchgängig in der Stadt war, aber ich bin erst vor ein paar Minuten hier angekommen", erklärte Mammon. "Als eine Manifestation der sieben Todsünden hat meine Anwesenheit den Prozess extrem beschleunigt."

Elli ging auf die Knie.

Hinter ihr erhob sich Dean.

"Elli?", fragte er. "Haben wir … verloren?"

"Wir haben nicht verloren, Dean", entgegnete Elli tonlos. "Wir sind verloren …"


"Und Ihr haltet das immer noch für eine gute Idee, eure Eminenz?"

"Was sollen wir groß machen?", erwiderte der Papst. "Wir haben dieses Mädchen jetzt im Eiltempo seliggesprochen, da können wir auch noch die letzten Schritte durchführen. Ansonsten stehen wir bald mit heruntergelassenen Hosen da."

Vor ihm wurde das Martyrologium aufgeschlagen, das Verzeichnis der Heiligen.

Der Oberste Brückenbauer nahm den Stift und begann zu schreiben …


Las Vegas nahm nur noch etwa ein Fußballfeld in der Realität ein und schrumpfte immer schneller.

Chloe …

Schon war es nur noch die Hälfte und die Stadt verlor zusendendes die Verankerung im Diesseits.

…Angelika …

Mit einem letzten außerweltlichen Fauchen verschwand die Stadt und ließ nur eine blanke Wüste unter einem Himmel voller Sterne zurück …

…Winter.

Etwas härter als gewollt schlug der Heilige Vater das Martyrologium zu. Hoffentlich hatte diese Elli jetzt, was sie haben wollte …


Das Erdbeben schien eher ätherischer Natur zu sein, denn das Gebäude nahm keinen Schaden davon, während Las Vegas fiel.

Elli überlegte fieberhaft, aber für jede Idee die sie hatte fehlten ihr Zeit und Mittel.

Das Lachen von Mammon machte es nicht besser.

Die Dämonen kicherten, während sie Chloe in den Decken gefangen hielten, die sich scheinbar mit allem wehrte, was sie hatte.

"Nun, meine Liebe", lächelte Mammon. "Ich schätze, Az wird sich freuen, dich wieder zu sehen, vor allem wenn ich mir ansehe, was für eine Menge an Sünde du abzuarbeiten hast, die Ewigkeit wird nicht reichen, fürchte ich …"

Er griff nach Elli. Dean versuchte, sie zu verteidigen, aber er wurde mühelos umgeworfen. Der Dämon nahm sie in seine Klaue und hielt sie vor seinen Schnabel.

"Aber vorher werde ich selbst-"

Er brach ab, als Elli weißes Licht bemerkte.

Der Kokon, in dem Chloe gefangen war, fing von innen an zu leuchten.

Die Dämonen die ihn geschlossen hielten, heulten plötzlich auf, als ihre Hände zu Asche zerfielen. Chloe kam wieder hervor, aber sie leuchtete so hell, dass Elli den Kopf wegdrehen musste.

Las Vegas wurde von einem neuerlichen Beben geschüttelt.

Und Ellis Magengegend teilte ihr mit, dass sie sich nach oben bewegten.

Das Licht schien Mammon Schmerzen zu bereiten, denn er bäumte sich urplötzlich auf, hob vom Boden ab und durchbrach mehrere Wände, bis er durch die Außenmauern des Bellagio durchschlug. Dann wurde Elli fallen gelassen.

Über ihr erstreckten sich die Weiten der Höllenkreise.

Und durch den Fels hindurch sah sie den Mond.

Dann fiel sie in den Springbrunnen.


Chloe wusste nicht, was sie davon halten sollte. Sie fühlte sich nicht anders, aber sie hatte sich anscheinend in eine LED-Lampe verwandelt.

Dean kam näher, während die Dämonen vor ihr flohen.

"Dean? Was ist das?"

"Ich schätze, die Kirche hat dich gerade heiliggesprochen. Du bist jetzt die erste und einzige lebende Heilige. Und du ziehst gerade Las Vegas eigenhändig aus der Hölle zurück."

St. Chloe musste das erstmal verarbeiten …

"Aha … Und was passiert jetzt?"

Dean zuckte mit den Schultern.

"Keine Ahnung, abwarten, vermute ich. Vielleicht kannst du den Prozess aber beschleunigen …"

Er öffnete das Rolltor, auf das Mammon ihn zuvor hingewiesen hatte.

Dahinter kam ein ganzer Berg rubinroter Steine in allen Formen und Größen zum Vorschein. Es stank ein wenig nach faulen Eiern und verwesendem Fleisch.

"Das wird wohl das Piaculumit sein", vermutete Dean.

"Und was mache ich damit?", fragte Chloe.

"Es anfassen, schätze ich", erklärte Dean. "Als Heilige wird alles was du berührst zur Reliquie, darum konnten die Dämonen dich auch nicht länger gefangen halten. Und da Reliquien per Definition frei von dämonischen Einflüssen sind …"

Chloe nahm einen der Steine in die Hand. Von ihrer Haut ausgehend färbte er sich augenblicklich blauweiß ein.

Sie berührte weitere Steine. Sie musste nichtmal Kontakt halten, es reichte, wenn sie die Dinger nur kurz antippte.

Das Beben unter ihr verstärkte sich, während Las Vegas immer schneller aus dem Höllenpfuhl emporstieg. Dean wankte ein wenig und schaute sich um, bevor er eine Stelle zu untersuchen begann, die Chloe nicht einsehen konnte.

"Was ist?", fragte sie.

"Hm", sagte Dean. "Ich glaube ich weiß jetzt, woher Mammon seine Infos hatte …


Dr. House war von den Beben hin und her geworfen worden. Jetzt krabbelte er gerade auf allen Vieren vor dem Löwenmonster weg.

"Hey! Hiergeblieben!", schnaufte es ihm hinterher.

Es schien immer langsamer zu werden. Es erschöpfte.

Der Standortleiter riskierte es, auf die Beine zu kommen. Sein Verfolger tat nur noch schwere Schritte.

Und dann verschwand er mit einem "Plopp".

Dr. House hatte keine Ahnung was gerade passierte, aber er begrüßte es. Offenbar stieg Las Vegas trotz seiner Mengen an TRE wieder aus der Hölle empor.

Er beeilte sich, voranzukommen. Links und Rechts stürzten sich Dämonen auf ihn, doch sie verschwanden so schnell, wie sie vor ihm auftauchten.

Endlich kam er vor einem großen Tresortor an, das zu seiner Erleichterung nicht beschädigt war.

Nachdem das Sicherheitssystem verifiziert hatte, dass er keine tartarische Resonanzenergie abstrahlte, entriegelte sich das Tor mit einem lauten Klacken und gewährte Zugang zu einem Kontrollpult, das Dr. House prompt besetzte.

Nur einige wenige Eingaben später fuhr die Theoplanare House-Nicolas-Vakuumeinheit hoch, die als Reserve in Standort-616 untergebracht war.

Der gesamte ägyptisch angehauchte Vorgarten der Luxor-Pyramide begann blau zu leuchten, während die dämonische Energie abgesaugt und in Licht umgewandelt wurde, das zum Himmel emporstrahlte, an den mehr und mehr Sterne zurückkehrten.


Spinazzolas Truppen, oder zumindest, was davon noch übrig war sammelte sich, um abzureisen. Auch wenn ihre Aufgabe durch einen Teufel aufgegeben worden war, sie hatten erfolgreich Dämonen vom Antlitz Seiner Schöpfung getilgt.

Am Horizont sah er bereits Hubschrauber, wohl die Foundation, die Kundschafter schickte, um zu sehen, was los war.

"Lasst uns gehen", rief er seinen Rittern zu.

Einer schaute auf etwas, das sich offenbar hinter ihm abspielte.

"Äh, Sir, vorher sollten Sie sich vielleicht umdrehen."

"Hm?"

Der Zweigführer drehte sich um.

Hinter ihm lag die Weite der Wüste, die einst Las Vegas und Paradise beansprucht hatten.

In ihrem Zentrum war eine hellblaue Lichtsäule aufgetaucht, die langsam waberte.

Sie kam aus dem Boden.

Und wurde zusehends heller.

Ein gewaltiges Knacken folgte, als wäre ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch.

Und unter Spinazzolas ungläubig aufgerissenen Augen öffnete sich der Schlund der Hölle erneut und spie die Städte wieder aus, genau dahin, von wo er sie fortgerissen hatte.

Wie Wasser flossen Gebäude, Anlagen und Pflanzen an den Ort, den sie einst beansprucht hatten.

"Nein!", entfuhr es ihm.

Die ganze Arbeit!

Die ganze Organisation!

Sie hatten sich sogar mit der Foundation angelegt! Warum tat ihm der Herrgott sowas an!?

Hoch am Himmel flatterte irgendeine Kreatur die entfernt wie ein Geier aussah. Sehr wahrscheinlich ein Dämon.

Irgendwie weckte dieses Wesen Zorn in ihm.

Er nickte einem der Ritter zu.

"Hey, geb den Befehl, die restlichen Brüder einzusammeln. Und gib mir bitte das Scharfschützengewehr da. Haben wir diese Patrone dabei, die der Heilige Vater persönlich gesegnet hat?"


Elli kam wasserspukend wieder hoch und versuchte sich aufzurichten. Aber der Boden war zu rutschig.
Über ihr verschwanden gerade die letzten Schemen der Hölle wie eine Fata Morgana.

Eine Hand wurde ihr gereicht.

Die dazugehörigen Füße standen auf dem Wasser.

"War klar, dass du erst kommst, wenn der Spaß vorbei ist", bemerkte sie.

"Hast du etwas über Sünde gelernt, Elli?"

"Vermutlich. Aber ich werde erstmal etwas trinken müssen, um darüber zu meditieren."

Mit einem belustigten Seufzer wurde Elli aus dem Wasser gezogen und zum Rand des Springbrunnens getragen.

"Du hast bedroht und geraubt, um die Menschen hier zu retten."

"Solange es hilft", entgegnete Elli. "Du solltest wissen, dass diese Scharte auf meinen Kerbholz nichtmal ansatzweise auffällt. Sieh es mal so. ich tue es, damit es kein anderer tun muss."

"Und das Stehlen?"

Elli überlegte kurz.

"Um … als schlechtes Vorbild zu dienen. Ich meine, irgendwas muss es genützt haben, schau dir das an."

Sie deutete auf den Eingang des Bellagio, aus dem Chloe und Dean hervortraten und zum Sternenhimmel emporsahen. Dean trug ein großes Bündel auf der Schulter.

Um sie herum verschwanden die Dämonen nach und nach. Die TRE reichte nicht aus, um sie hier zu behalten.

Die Ritter des Sankt Georg waren über den gesamten Platz verteilt, standen teilweise knietief in toten Dämonen und schienen zu erschöpft zu sein, um sie oder Chloe oder Dean überhaupt wahrzunehmen. Elli lief zu ihnen und ließ ihren Retter hinter sich zurück, welcher teilweise missbilligend aber auch teilweise belustigt den Kopf schüttelte.

Neben ihm fiel uhrplötzlich Mammon auf den Boden.

Aus einer Wunde an der Brust strömte Blut.

"Was machst du denn hier!?", entfuhr es ihm.

"Eigentlich war ich nur zum Sightseeing hier, aber ich schätze, ich werde mal ein ernstes Gespräch über Toleranz anderer Lebensarten mit dir führen müssen …"

Dem Dämonen traten vor Grauen bald die Augen aus dem Schädel.

"Nein … Alles nur das nicht! Nein! NEEEEIIIIN!"

Beide verschwanden mit einem "Plopp".


Xōchiquetzal hatte ihre Mädels wieder zusammengesucht und führte sie zurück zu ihrem Bordell. Es schien ihr, als wären es mehr geworden aber sie würde eventuelle neue Personalien später aufnehmen.

Foundation-Streitkräfte waren in der Stadt angekommen und lieferten sich Scharmützel mit den übrigen Rittern des Sankt Georg, die sich nicht ergaben und von ihrer Verstärkung nach und nach eingesammelt wurden. Über ihnen wurden Amnesika per Flugzeug abgeworfen, um die Bevölkerung die schrecklichen Ereignisse vergessen zu lassen, aber dieses Mittel wirkte in solch geringer Konzentration nicht auf Dämonen.

"Werden wir unseren Betrieb wieder aufnehmen können? Ich meine, man wird uns bestimmt verdächtigen …"

"Oh, keine Sorge, zu den Jungs drüben in Standort-616 hab ich einen ziemlich guten Draht, wir werden das schon schaff-"

Ihr Etablissement war ins Sichtfeld geraten.

Oder zumindest das, was Az' Wüten und der anschließende Feuerkampf mit den Rittern des Sankt Georg davon übrig gelassen hatten …

Ihr klappte die Kinnlade herunter.

Es dauerte eine Weile, aber dann schrie sie zum Himmel.

"Verdammt seist du! ELLIIIII!"

Es sollten nur wenige Stunden vergehen, bis Xōchiquetzal die Toilette aufsuchen und beim Öffnen der Klotür unter einer Flut aus Münzen aus purem Gold begraben werden würde …


"Nur damit ich das richtig verstehe, ihr habt eine himmlische Entität aus den Augen verloren, trotz eurer Messgeräte?"

Dr. House betrieb im Moment Schadensbegrenzung. Er musste vieles allein machen, da der Eindämmungsbruch zahlreiche Opfer gefordert hatte, auch wenn er vermutete, dass viele von seinen Mitarbeitern noch in Bunkern innerhalb des Standortes ausharrten.

Der Hubschrauberpilot, mit dem er gerade per Funk sprach, schien ähnlich perplex zu sein wie er.

"Tut mir ja leid, Doktor, aber unsere Messer sind plötzlich wieder auf Sin-City-Normalwerte gefallen, als die drei mit ihrem Motorrad unter eine Unterführung gefahren sind. Sie kamen nicht wieder heraus. Aber sie haben ein großes Bündel dagelassen, Truppen am Bodenuntersuchen gerade was es is- Ah, ich habe gerade einen Bericht bekommen. Darin war die Leiche von Dr. Tennant."

"Tennant!?", versicherte sich Dr. House. "Ich dachte der sei abtrünnig gewesen …"

"Scheint so", gab der Pilot durch. "Wie ich höre schaut er aus, als wäre er an sexueller Erschöpfung gestorben …"


Elli trat durch Chloes Schrank zurück in den Nexus zurück. Sie würde ein paar Maßnahmen treffen müssen, damit der Vatikan nicht auf die Idee kam, sie plötzlich einzusacken. Außerdem würde Chloe wohl erstmal verarbeiten müssen, dass sie als Atheistin nun eine Heilige war …

Elli hatte sich in ihre Bar teleportiert, einem gewaltigen Ungetüm aus Teakholz, an dem zwanzig Mann Platz fanden, vorausgesetzt Elli würde jemals so viele Personen in den Nexus einladen. Für jemanden wie sie, der nicht an Alter sterben konnte, waren richtige feste Freunde so etwas wie harte Drogen. Machten unheimlich viel Spaß, aber wenn man sie nicht mehr da waren, konnten die Entzugserscheinungen einen umbringen. Sie leckte sich die Lippen, als sie eine Flasche Absinth in einer Vitrine entdeckte, mit dem sie die finsteren Gedanken ersäufen konnte.

Sie öffnete den Schrank, aber Dean hinter ihr holte die Flasche heraus, bevor Elli danach greifen konnte.

Sie drehte sich mit einer hochgezogenen Augenbraue zu ihm um.

"Du weißt, dass ich die Flasche einfach in meine Hand wünschen kann, oder?"

"Ich habe deine Aufmerksamkeit, damit hat die Flasche ihren Zweck erfüllt."

"Was willst du?", fragte Elli.

"Reinen Tisch, Elli", entgegnete Dean leicht ärgerlich. "Chloe kannst du vielleicht erzählen, dass ein Mädchen Hunderttausende davor bewahren kann, zur Hölle zu fahren, aber nicht mir. Ich habe bisher aus Rücksicht auf sie nichts gesagt. Ist es Ku, der ihr solche Macht verleiht?"

Elli teleportierte die Flasche in ihre Hand und trank lange, bevor sie antwortete.

"Kus Macht wirkt auf unsere Dämonen wie gegen alles andere auch. Er und die Hölle sind nicht so kompatibel wie es Engel und Teufel sind. Nein. Das ist etwas, das uns wahrscheinlich nur Chloe beantworten kann. Aber ich glaube nicht, dass sie das wird."

"Aber du hast offenbar eine Vermutung", beharrte Dean. "Anderweitig hättest du dich nicht so bereitwillig um Az gekümmert, während Chloe in Gefahr war."

"Es ist weniger eine Vermutung als mehr ein Gefühl, Dean. Der harte Fakt ist, dass Chloes himmlische Resonanzenergiewerte auf dem Niveau mittlerer Engel waren, jetzt vermutlich sogar auf dem Niveau von Erzengeln mit ihrem Status als lebende Heilige. Wenn sie nicht sogar an den Sohn Gottes heranreicht … Aber du hast recht, eine solche Menge an Engelsmacht ist nicht natürlich. Vermutlich hat sie Chloe auch dazu verleitet, Dämonen niederzumetzeln. Neben ihrem unterdrückten Frust … Hoffentlich hat sie sich ausreichend abreagiert …"

Sie trank wieder.

"Und was kann so etwas verursachen?", fragte Dean.

"Mehr Methoden als ich jetzt Lust habe aufzuzählen, aber daraus resultiert wohl Chloes Atheismus."

"Warum?"

Elli wurde wacklig auf den Knien, als der Alkohol endlich zu wirken begann. Sie fühlte sich nach den ganzen Strapazen sehr müde.

Sie wollte wieder trinken, aber Dean hielt sie zurück.

"Elli, was ist Chloe passiert?"

"Nichts, was Panazee nicht rückgängig machen konnte … Aber damals, als wir auf unser erstes richtiges Abenteuer in Paris aufgebrochen sind3, musste ich ihr helfen, sich umzuziehen. Ich habe ihren Rücken gesehen, Dean … Zum Glück hab ich ihr die Heilpillen gegeben …"

Sie setzte sich auf einen Barhocker, aber Dean hielt die Flasche weiter von ihrem Mund fern.

"Ich habe keine Ahnung was man mit ihr versucht hat oder wer es war, aber ihr Rücken war voll mit christlicher Symbolik, als hätte man versucht, aus Chloe ein abstraktes Kirchenfenstergemälde oder sowas zu machen … In diesem Zusammenhang wurde ihr wohl auch die Fähigkeit gegeben, himmlische Resonanzenergie zu erzeugen …"

Dean runzelte die Stirn.

"Die Resonanzenergie mal außen vor, du sagtest die Abbilder seien jetzt weg? Panazee wirkt doch nicht auf Tätowierungen, soweit ich weiß."

"Tätowierungen?", wiederholte Elli und gluckste freudlos. "Ich habe nichts von Tattoos gesagt. Oh, wären es doch nur Tattoos … Nein Dean, Chloe wurde gebrandmarkt. Über viele Jahre hinweg."

Das nächste Mal bei Nexus:
Der Zornregulator, Teil 1

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