Das letzte Mal bei Nexus:
Trickster Heist, Teil 3
Washington DC, USA
Die amerikanische Hauptstadt war ein Ort, an dem man auf so ziemlich alle Arten von Leuten in allen Arten von Etablissements treffen konnte.
Das galt im Guten, wie auch im Bösen. Seine Exzellenz Silvio Paolo Spinazzola persönlich zählte sich zu den Guten.
Er war ein bulliger Mann mit Glatze und einem kurzen, gepflegten Bart und Brille. Und er leitete die US-amerikanische Außenstelle der Bruderschaft der Ritter des Sankt Georg, eine Armee des Heiligen Stuhls. Ihre Aufgabe war es, Wesen und Objekte himmlischen Ursprungs sicherzustellen und zu verwahren und jene, die des Teufels waren, zu vernichten.
Entsprechend war sein Büro nicht nur mit einem Teak-Holz-Schreibtisch und Aktenschränken, sondern auch mit einigen Kopien von christlichen Ikonen und dem Kruzifix geschmückt.
Er war mit dem Abstempeln einiger Dokumente beschäftigt, als sein Sekretär sich über das Telefon meldete.
"Spinazzola, was gibt's?", meldete sich der Leiter des Zweigs.
"Äh, Sir? Hier ist er gewisser Mr Coin. Er möchte Sie sprechen. Sagt, es sei wichtig."
"Kann er nicht einen Termin machen?", fragte Spinazzola genervt. "Ich habe zu tun."
"Sir, er sagt er ist von der Foundation übergelaufen."
Es herrschte kurz Stille.
"Mh, das ändert die Sache etwas … Na gut, nehmt ihm alles ab, was er als Waffe benutzen könnte und schickt ihn hoch."
Es dauerte ein wenig, aber dann öffnete sich die Tür und ein stark abgemagerter Mann trat ein. Man konnte seinen Schädelknochen erkennen, und sein Nasenbein. Er hatte eine ziemlich große Nase und schmale Lippen. Er trug einen abgenutzten, billigen Anzug und einen mitgenommen aussehenden, schwarzen Aktenkoffer. Ebenso wie Spinazzola hatte er eine Glatze, allerdings keinen Bart, dafür aber unschöne Leberflecken auf dem Kopf.
Er sah sich mit stechendem Blick um.
"Sie sind Pater Spinazzola, richtig?", fragte Mr Coin dann.
"Allerdings. Ich begrüße Sie, warum zum Herrgott sind sie hier und stören mich bei der Arbeit?"
Mr Coin sog bei dem Wort "Herrgott" scharf die Luft ein.
"Ich glaube, der ist im Moment ziemlich sauer auf mich, aber ich bin hier um das geradezurücken."
Der Leiter wurde hellhörig.
"Wieso? Oh, bitte nehmen Sie doch Platz."
Mr Coin kam der Aufforderung nach und holte tief Luft.
"Äh, ist ihnen Foundation-Standort-616 ein Begriff?"
"Nein", sagte Spinazzola und schüttelte den Kopf. "Haben die wirklich einen Standort so benannt? Wo liegt der denn?"
"In Las Vegas."
"Euh …"
Mr Coin zuckte entschuldigend mit den Schultern.
"Tut mir leid, aber dafür kann ich nichts. Aber ich war dort, müssen Sie wissen. Schrecklich ist es dort."
"Warum?", fragte Spinazzola.
"Der ganze Standort ist nur dafür gedacht, um die Dämonen zu beschützen. Las Vegas und besonders Paradise sind voll mit ihnen."
"WAS!?", entfuhr es Spinazzola.
Er hatte davon gehört, dass Las Vegas einstmals fast zur Hölle gefahren wäre, aber das war ihm neu.
"Ich veralbere Sie nicht, schauen Sie sich das an", bat Mr Coin und öffnete seinen Aktenkoffer. Darin waren einige Foundation-Dokumente fein säuberlich in einem Aktenordner verpackt. Da waren Berichte über die Dämonenpopulation, die verschiedenen Spezies, Übereinkünfte mit der Foundation …
"Das ist ja ungeheuerlich!", kommentierte Spinazzola.
"Nicht wahr?", stimmte der Abtrünnige zu. "Wenn es nach mir ginge, ich würde sie alle aus unserer Welt vertreiben, geht es Ihnen nicht genauso?"
"Sicherlich", murmelte Spinazzola, während er blätterte. "Aber das wird unmöglich, es sind so viele, die Kollateralschäden wären immens, die Gegenwehr durch das Militär der USA allein wäre zu viel."
"Da habe ich eine Lösung für", sagte Mr Coin. "Im Prinzip ist es ganz einfach."
Spinazzola hörte mit wachsender Faszination zu. Dieser Plan konnte klappen. Sicherlich, die Bevölkerung Las Vegas' würde dieser Operation zum Opfer fallen, aber wer scherte sich schon um diese Sünder, wenn dafür ein wahres Heer der Feinde Gottes unschädlich gemacht werden würde … Dafür war der Plan einfach zu perfekt. Er war narrensicher und, wenn einmal ausgeführt, nicht mehr aufzuhalten.
Durch niemanden …
Las Vegas, Nevada, USA
Die Triumph Rocket III Roadster ist eines der größten, serienmäßig gefertigten Motorräder der Welt. Der Mann, der den zweieinhalb Meter langen Koloss steuerte, ließ es allerdings wie ein normales Fahrzeug wirken. Die blonde Frau, die sich hinter ihm an ihn klammerte, rückte die Perspektive allerdings wieder zurecht. Das Motorrad verfügte über einen entsprechend riesigen Beiwagen, in dem ein weißhaariges Mädchen saß. Alle drei Passagiere trugen schwarze Motorradhelme und -kluften, die Blonde hierbei einen Catsuit. Weißes und blondes Haar flatterte im Fahrtwind, während sie über die Interstate 15 nach Norden fuhren, genau auf Las Vegas zu. Die Abendsonne brannte vom Himmel, aber das schien sie nicht zu stören.
Das Ziel war der Las Vegas Strip, auf dem sich das Trio einen Platz zum Parken suchte.
Ein paar Passanten, offenbar Motorradenthusiasten, verfielen beim Anblick des Gefährts in spontanen Beifall.
"Uff, ein Glück sind das Klimaanzüge, ansonsten hätte uns die Sonne gegrillt", bemerkte Elli, während sie vom Motorrad stieg und den Helm abnahm.
Es knackte, als sie sich den Rücken wieder einrenkte.
"Wir hätten doch auch einfach per Portal herkommen können", bemerkte Chloe, während sie aus dem Beiwagen kletterte.
"Wenn man nach Vegas reist, dann mit Stil, Chloe", belehrte sie Elli. "Außerdem wollte Dean endlich mal sein Motorrad ausprobieren, er hat das Baby seit zwanzig Jahren getunt."
Dean betrachtete seine Maschine kritisch.
"Der Sound gefällt mir noch nicht so richtig", bemerkte er.
Elli sammelte sämtliche Helme ein und verstaute sie in ihrer Tasche. Chloe und Dean derweil öffneten ihre Jacken, sie trugen Shirts darunter.
"Und jetzt?", fragte Chloe, während die drei den Parkplatz verließen und in das bunte Treiben der Sin City eintauchten.
"Jetzt zeigen wir dir, wie wir Kohle verdienen", erklärte Elli mit Vorfreude. "Wenn wir nicht gerade verbotene Substanzen über irgendwelche Grenzen schmuggeln."
"Ihr handelt mit Drogen?", fragte Chloe entgeistert, während sie sich in Bewegung setzten.
"Nein", gab Elli zurück. "Drogen sind nicht das Einzige, was in einigen Staaten verboten ist. Dazu gehört auch Tee, Holz, Schokolade, Kaffee und in einem interessanten Fall, Milch."
"Wer verbietet denn bitte Mi-", begann Chloe, doch wurde durch einen markerschütternden Schrei unterbrochen.
"Was war denn das!?", fragte sie entsetzt.
Dean lächelte böse.
"Jemand hat gerade versucht, mein Bike zu klauen …"
Das Luxor Las Vegas ist ein Kasino und Vier-Sterne-Hotel in Paradise und das sechstgrößte Hotel der Welt.
Auffälligste Merkmale an ihm sind sein Vorpark mit den zwei Sphinxen und anderem ägyptisch angehauchten Zierrat und das Hauptgebäude, eine riesige, schwarze Pyramide aus Glas.
Aber das war nur Fassade, denn unter der Erde lag der eigentliche Daseinszweck dieses Gebäudes verborgen, die Außenstelle der Foundation in Las Vegas. Hier wurden die Aktivitäten in Las Vegas und Paradise live mitverfolgt und verdächtige Personen und Entitäten festgesetzt. Doch Standort-616, wie er genannt wurde, besaß noch eine andere Aufgabe. Nämlich die Bewachung der Maschine, die unter der Spitze der Pyramide versteckt war.
Zwei Männer betraten nun die Pyramide des Luxor Las Vegas. Wer genau hinsah, konnte erkennen, dass einer von ihnen eine dünne Armkette mit einem Kruzifix daran trug.
Beide trugen lange Mäntel und Sonnenbrillen und bewegten sich auf das Zentrum des Gebäudes zu, denn die Luxor-Pyramide war größtenteils hohl und beherbergte in ihrem Inneren weitere Gebäude, die wegen dem verblassenden Licht der Sonne mit Scheinwerfern bestrahlt wurden.
Man sah auf den ersten Blick, dass die beiden verdächtig waren.
Das dachte sich offenbar auch der Wachschutz, der die beiden argwöhnisch im Auge behielt.
Dadurch übersahen sie leider eine Frau, die sich auf einer der Toiletten verschanzt hatte, zusammen mit einem Posaunenkoffer.
Und in aller Seelenruhe die darin verborgene Panzerfaust zusammenbaute …
Das Klo besaß ein Fenster, durch das man die Unterseite der Spitze sehen konnte.
Die Frau öffnete das Fenster …
Zielte …
Und feuerte …
Mit der Explosion brach im Gebäude helle Panik aus, während merkwürdige Maschinenteile von der Decke regneten.
Man konnte fühlen, wie sich etwas Urtümliches, etwas Böses im Hotel auszubreiten begann und durch die Wände nach draußen schwappte.
Dr. House, der Standortleiter von Standort-616, rauschte an seinen Rechner, um dafür zu sorgen, dass eine ganz besondere Anomalie eingedämmt blieb.
Warum war die Vakuumeinheit zerstört worden!?
Egal, es war ja nicht so, dass es kein Back-up gab.
Er wählte die Nummer der Maschinenwartung.
Es wurde abgenommen.
"Skinner?", fragte er. "Fahrt die Backup-Vakuum-Einheit hoch! Und zwar schnell, uns entweicht die TRE!"
Anstatt der genervten Stimme des Ingenieurs drang ein furchterregendes Knurren und Kichern aus dem Hörer.
"Hey, Skinner, was ist da los?"
"Was hier los ist?", fragte eine Stimme, die definitiv keinem Menschen gehörte. "Oh stimmt, du warst abgelenkt … Aber keine Sorge, wir sind bald bei dir …"
In dem Moment begann ein anderer Alarm zu plärren.
Und House sank das Herz in die Hose.
Es war der Alarm, der vor einem vollumfänglichen Eindämmungsversagen der gefangenen Entitäten warnte.
Aber wie zum Henker passierte so etwas, das kam doch nicht aus dem Blauen heraus!
Dann ging es ihm auf.
Der Forscher, der verschwunden war …
Die Foundation suchte mit Hochdruck nach ihm, doch bisher war nichts gefunden worden. Eines Tages war einfach sein Zimmer leer gewesen. Egal, das hatte Zeit für später.
House aktivierte die automatische Abriegelung des Standorts. Keines dieser Monster durfte nach draußen gelangen, oder zumindest nicht noch mehr. Dann nahm er Verbindung zu den umliegenden Foundation-Standorten auf.
Das hieß, er versuchte es …
Die Leitungen waren allesamt tot …
Damit hatte Dr. House keine Möglichkeit mehr, das Back-up zu aktivieren!
Mit bangem Blick beobachtete er, wie nach und nach alle TRE-Detektoren in der Stadt gefährlich hohe Werte anzuzeigen begannen, während er sich das Hirn darüber zermarterte, was er noch tun konnte.
Ein paar Funken flogen aus den durchgeschnittenen Telefonkabeln. Sie flogen fast aus dem Loch heraus, das in die Wüste von Nevada gegraben worden war.
Lario und Cozzi, beides treue Ritter des Sankt Georg, schauten auf ihr Werk und wischten sich den Schweiß von der Stirn.
"Glaubst du, dass die anderen Teams die Störsender rechtzeitig aktiviert haben? Mal ganz zu schweigen von den anderen Kommunikationsleitungen?", fragte Cozzi.
Lario zuckte mit den Schultern.
"Bruder, so Gott will, so wird Las Vegas heute Nacht mitsamt seiner bösen Brut verschwinden …"
"Die Fünfundzwanzig gewinnt."
Der Dealer zog die Einsätze ein und schob anschließend einen gewaltigen Berg an Chips zu Dean.
"Sehr freundlich, mein Herr", bedankte der sich.
Chloe sah dem, was am Tisch geschah, gebannt zu.
Es war ein größeres Kasino, in dem sie sich befanden. Dieser Laden hier nahm es mit der Kleiderordnung nicht ganz so streng, allerdings wäre Chloe ohne Ellis Engelszunge nicht reingekommen. Der Portier hatte sich schließlich mithilfe von Benjamin Franklin überreden lassen, unter der Voraussetzung, dass Chloe nicht an den Spielen teilnahm.
Dean hatte sich einen Hundert-Dollar-Schein in Chips umtauschen lassen und war zum Craps gegangen. Anfangs hatte er ständig verloren, doch dann hatte Elli die Würfel angehaucht, um ihm Glück zu bringen. Daraufhin hatte er angefangen abzuräumen.
Das Ganze hatte sich später beim Black Jack und beim Baccara wiederholt. Dean war nun mit seinem bisherigen Gewinn von etwa zwanzigtausend Dollar zum Roulette gegangen und hatte die Hälfte davon gesetzt.
Und gewonnen.
Der Dealer und auch die anderen Spieler schauten die Chipsstapel entgeistert an.
Bis sich der Spielleiter wieder fing. Chloe hatte ihn eine Weile lang angestarrt. Aus seinem schwarzen Haar ragten zwei kurze Hörner. Aber sie hatte Elli noch nicht danach fragen können, vor allem, weil sie sonst niemandem aufzufallen schienen. Außerdem war da noch die andere Sache, die sie noch mehr verblüffte.
"Nächstes Spiel."
Die Spieler setzten, und die Kugel kam ins Rollen. Dean setzte dann mit einiger Verspätung.
Alle schauten gespannt auf die Kugel, die im Roulettekessel tanzte und hüpfte.
Chloe zupfte Elli am Arm und nahm sie etwas abseits.
"Wie macht er das?", fragte sie. "Er muss doch schummeln."
"Dean und schummeln?", fragte Elli skeptisch.
Chloe hob nur hilflos die Schultern.
Elli gluckste.
"Da hast du vollkommen Recht, Chloe. Aber nun verrate mir, was tut er?"
"Ähm …"
Chloe überlegte angestrengt.
Moment. Dean war eine Maschine!
"Er hat die Würfel abgewogen. Indem er sieht, welche Augenzahl sich oben befindet, wenn er sie in Händen hält, kann er sie so werfen, dass er das Ergebnis kriegt, das er braucht."
Elli grinste wie eine Mutter, deren Kind bei einem Sportwettkampf den ersten Platz belegt hatte.
"Hundert Punkte. Aber das war einfach. Was hat er bei den Kartenspielen gemacht?"
"Er hatte Karten dabei, die er bei Bedarf aus dem Ärmel zieht und dafür andere verschwinden lässt?", fragte Chloe.
"Nh, fast. Wie solle er mit Karten spielen können, die vom Design der im Kasino verwendeten Decks abweichen?"
Die metaphorischen Zahnräder in Chloes Kopf knirschten.
"Er hat sie vorher unauffällig gestohlen?"
"Wieder hundert Punkte", applaudierte Elli. "Nun, wie ist es beim Roulette? Hier gibt es nichts, was er nach Gefühl werfen kann und auch keine Karten zum Mogeln."
"Die Dreizehn gewinnt", kam es vom Spieltisch.
"Sie brauchen den Gewinn nicht einpacken, mein Herr", sagte Dean.
Ungläubiges Raunen ging durch die Spieler.
"Nächstes Spiel."
Chloe schaute angestrengt zu, wie die Spieler und schließlich auch Dean setzten.
Dann ging es ihr auf.
"Er setzt, wenn die Kugel rollt. Er kann abschätzen, wo sie landen wird."
"Exakt", bestätigte Elli. "Dean ist ein Kesselgucker, Chloe. Wenn man als einer in einem Kasino entlarvt wird, erhält man auf Lebenszeit Hausverbot. Also sch …"
"Die Eins gewinnt."
Chloe konnte sehen, dass der Dealer misstrauisch wurde. Er startete das Roulette nicht.
"Mein Herr, bitte setzen Sie jetzt."
"Ich kann mich nicht entscheiden", entgegnete Dean hilflos.
"Es tut mir leid, Sir, aber Sie müssen jetzt setzen."
Dean sah gezwungen aus.
"Öhm, alles auf die drei …"
Der Dealer schien beruhigt und startete.
"Entschuldige mich kurz", bat Elli.
Sie ließ Chloe verwirrt stehen und wanderte zu einem Teil des Kasinos, der gut einsehbar war. Dort begann sie gleichzeitig lässig und anzüglich zu posieren.
Sie tat so als wäre ihr warm und fächelte sich Luft zu.
Sie öffnete den Reißverschluss ihres Catsuits ein ganzes Stück …
Es sollte erwähnt werden, dass sie anders als Dean und Chloe keine weiteren Kleider darunter trug.
Zahlreiche Männeraugen und zu Chloes Überraschung auch ein paar, die Frauen gehörten, blieben mit Begehrlichkeit an Elli kleben.
So auch die eines (zu Chloes Verwunderung ebenfalls gehörnten) Kellners, der als Resultat nicht mehr darauf achtete wo er hinging und gegen Dean prallte. Zum Glückt verlor er die leeren Gläser auf seinem Tablett nicht.
Dean versuchte das Gleichgewicht zu halten, indem er das Knie hob, knallte aber damit nur gegen den Tisch, da er zu nahe stand.
Er täuschte ein schmerzerfülltes Knurren vor und stützte sich auf den Tisch, um nicht umzukippen.
Die Erschütterung, die durch seinen Kniestoß durch den Tisch lief war nicht wirklich der Rede wert, reichte aber, um die tanzende Kugel mitten im Hüpfen ihren Kurs ändern zu lassen.
Sie fiel in die Drei.
Der Kellner entschuldigte sich noch profund bei Dean, während am Tisch stiller Applaus entbrannte.
Dean strich seinen Gewinn von einem leichenblassen Dealer ein, wohlweißlich erst, nachdem der von anderen Tischen weitere Chips geholt hatte und humpelte vom Tisch weg, nachdem er die Chips in einem mitgeführten Beutel verstaut hatte.
Ein Surren meldete Chloe, dass Elli ihren Reisverschluss wieder geschlossen hatte. Sie meinte, vereinzelt enttäuschtes Stöhnen im Raum zu hören.
"Wie viel haben wir?", fragte sie, während sie wieder zu Chloe trat und ihre Kleidung zurecht zupfte.
"Zweiundzwanzig Millionen und sechshundertachtzigtausend Dollar", meldete Dean.
Elli zog eine Augenbraue hoch.
"Was? Normalerweise machst du erst bei neunstelligen Beträgen Schluss."
"Der Dealer hat mich komisch angeguckt", sagte Dean nur. "Außerdem glaube ich nicht, dass die hier bereit sind, so viel auszuzahlen."
Er sollte Recht behalten.
"Sie wollen mir erzählen, dass das das Ergebnis von Chips im Wert von hundert Dollar ist?", fragte ein kleines Männchen mit schwarzem, krausen Haar und einer Fahrradbrille, die seine Augen stark vergrößerte. Zwei Ziegenhörner ragten aus seinem Schädel.
"Was soll ich sagen, shit happens", entgegnete Dean schulterzuckend. "Ich habe mir das alles fair und ehrlich erspielt."
Der Cashier sah Dean lange und eindringlich an. Aber Dean hatte das wohl weltweit beste Pokerface.
"Können Sie jetzt auszahlen oder nicht?"
"Da muss ich mal kurz im Safe nachgucken, ich glaube, Sie haben den Hausrekord gebrochen …"
Chloe wurde es mittlerweile zu bunt.
"Elli?", raunte sie.
"Ja?", sagte die Angesprochene ebenfalls leise.
"Warum bemerkt niemand, dass das Personal hier Hörner hat?"
"Oh, du kannst sie sehen?", sagte Elli zu gleichen Teilen verwundert und schwer beeindruckt.
Chloe zog die Augenbrauen zusammen.
"Andere können sie nicht sehen? Wie soll das gehen?"
"Du kennst doch den AVT, auch wenn wir ihn heute nicht dabeihaben. Selbes Prinzip. Dämonen sind Meister darin, sich vor Normalsterblichen zu verbergen."
"Dämonen!?", vergewisserte sich Chloe.
Elli zuckte gleichgültig mit den Schultern.
"Las Vegas heißt nicht umsonst Sin City, Chloe. Paradise, eine Stadt, die im Süden unmittelbar an Las Vegas grenzt, ist von Emigranten aus der Hölle gegründet worden. Sind ganz nette Leute, die sich hier niedergelassen haben. Die wollen nicht groß Aufsehen erregen. Natürlich gibt es auch blutrünstige Unterweltler, aber um die wird sich hier anderweitig gekümmert."
"Wie kommen Dämonen darauf, sich hier niederzulassen?", fragte Chloe.
"Steuerhinterziehung", war die Antwort. "Die Hölle hat abartige Steuersätze, habe ich mir sagen lassen, also wird im großen Stil Steuerflucht und -vermeidung betrieben."
"Das … ist wesentlich langweiliger als ich dachte …", kommentierte Chloe.
Es klackte an der Kasse, als Dean die Koffer mit seinem Geld schloss.
"Hab nachgezählt, wir können los. Schnell."
Er scheuchte die beiden aus dem Kasino und in das Nachtleben von Vegas.
"Warum müssen wir so schnell weg?", fragte Chloe.
"Damit wir nicht mehr greifbar sind, wenn er merkt, dass er mir zweihundert Dollar zu viel gegeben hat", flüsterte Dean.
Das Trio nahm die Beine in die Hand.
Erst als sie dem Las Vegas Strip etwa zweihundert Meter zurückgelegt hatten, wurden sie langsamer. Elli ließ dann die Koffer in ihrer Handtasche verschwinden und nahm einem Schluck aus ihrem Flachmann.
Ihr und auch Chloe fiel sodann ein Mann auf, der in einem Straßencafé saß und Wein trank.
"Oh, Jesus!", entfuhr es Elli und lief zu dem Mann, wie zu einem alten Freund. "Hi! Na, kennste mich noch?"
Der Mann sah auf. Das wärmste und sanfteste Lächeln, dass Chloe je gesehen hatte, machte sich auf seinem Gesicht breit.
"Ah, Elli", sagte er freundlich. "Schön, dich nach all den Jahren mal wiederzusehen."
"Gleichfalls, Mann. Wie lange ist das jetzt her?"
"Fast zweitausend Jahre. Du schuldest mir übrigens noch Geld."
Elli presste die Lippen aufeinander. Offenbar hatte sie aufgrund der fälligen Zinsen und der Inflationsrate gehofft, dass ihr Gegenüber das vergessen hatte.
Chloe versuchte, das Gesicht einzuordnen, aber die Ergebnisse, die ihr Faktengedächtnis lieferte, wurden von ihr als unmöglich abgetan.
"Dean, ist das …"
Dean legte den Kopf schräg.
"Ich hab ihn noch nie getroffen, aber er hat Narben in Händen und Füßen, das wird er wohl sein. Schicke Sandalen …"
"Dean, die Haut- und Haarfarbe passt nicht."
"Chloe, denk nach, der Mann wurde in Vorderasien geboren, was erwartest du? Blond und blauäugig?"
Elli hatte seit einer Weile nichts mehr gesagt. Offenbar überlegte sie noch, wie sie sich aus der Sache rauswinden konnte.
"Oh, keinen Stress, Elli, wenn du mir meine Zeche hier bezahlst, sind wir quitt."
Elli erwachte fast augenblicklich wieder aus ihrer Starre.
"Oh, sehr freundlich. Was steht denn bisher auf der Liste?"
"Ein Salat und eine Karaffe Wasser."
Elli schaute mit einer hochgezogenen Augenbraue auf den Wein.
"Warum habe ich dich eigentlich nie zu einer Party eingeladen …"
Ihr Gesprächspartner richtete sein Augenmerk auf Ellis Begleiter.
"Nicht so schüchtern, tretet näher. Ich beiße auch nicht, versprochen."
Chloe und auch Dean wussten nicht so recht, wie sie sich in der Gegenwart einer solchen Persönlichkeit verhalten sollten und watschelten vorsichtig heran.
"Dean und Chloe", stellte Elli vor.
"Sehr erfreut."
Er betrachtete Chloe mit einem merkwürdigen Blick. Sie meinte, Mitleid in ihm zu lesen.
"Woher kennt Ihr von allen Leuten Elli?", fragte Dean.
"Sie hat mir in Judäa ausgeholfen. Und Geld geliehen, um sich Wein zu kaufen …"
Er sah Elli mit einem tadelnden Blick an.
"Ja, ich kann sowas machen", winkte Elli ab. "Das große G würde sich zweimal überlegen, ob es über mich richten will."
"Du solltest wirklich mit dem Sündigen aufhören. Irgendwann wird es dir heimgezahlt."
Elli zuckte mit den Schultern.
"Ich glaube nicht an die Existenz von Göttern. Ich weiß, dass es sie gibt. Das macht es wesentlich schwieriger für sie, mich zur Rechenschaft zu ziehen. Wie damals, als ich zusammen mit Apollo, Hera, Hermes und Aphrodite-"
Aus einer kleinen Wolke am Himmel zuckte ein Blitz nieder und schlug nur Zentimeter neben Elli ein.
Komischerweise blieben die Menschen auf der Straße trotz dieses Ereignisses erstaunlich ruhig. Chloe vermutete, dass das an demselben Grund lag, wegen dem keiner mitbekam, dass er hier war.
Elli derweil verdrehte die Augen und wandte sich zum Himmel.
"Oh, halt die Füße still, Zeus, die vier hatten genauso viel Spaß daran wie ich. Außerdem hat Diddy es vorgeschlagen."
Verhaltenes Donnergrollen hallte von oben.
"Olympier …", sagte Elli kopfschüttelnd und wandte sich wieder ihrem Gesprächspartner zu. "Jedenfalls, das ist der Beweis."
Chloe wurde Zeuge eines anmutigen Kopfschüttelns.
"Die Strafe für Sünden kann auf mehr Arten kommen als nur durch körperliche Schmerzen, Elli."
"Sicherlich, aber ich habe nachgerechnet, bei meiner Liste an Vergehen müsste Er schon direkt unter mir das Tor zur Hölle öffnen, um mich angemessen zu bestrafen und das ist gegen die Spielregeln."
Chloe spürte, wie irgendwas über sie hinwegschwappte. Es war nicht greifbar, aber unsagbar widerlich. Ihr stellten sich die Nackenhaare auf.
Ihr Gegenüber verschwand unvermittelt mit einem "Plopp", als wäre er aus der Existenz geblinzelt worden.
Die Beleuchtung in der Umgebung änderte sich schlagartig zu einem düsteren Rot.
Dean seufzte lange und ausgiebig.
"Vielleicht hättest du einfach mal die Klappe halten sollen, Elli …"
Die Erde begann zu beben. Über die Häuser hinweg glaubte Elli in weiter Ferne durchsichtige Schemen am Himmel zu erkennen, als befände sich die Stadt in einem riesigen Loch. Sie schienen mit geologischer Langsamkeit näher zu kommen.
Neben ihr phaste plötzlich ein halbnackter Mann in die Existenz. Er grinste gierig und zwei Hörner befanden sich auf seinem Kopf.
Er sah sie an und drehte sich dann von Chloe weg, um sich auf einen Passanten zu stürzen.
Offenbar hatte er sich nicht mit Dean anlegen wollen …
Das Phänomen wiederholte sich. Mehr und mehr von diesen Dämonen erschienen aus dem Nichts. Sie schnappten sich Steine und Knüppel und Flaschen und suchten sich Menschen zum Quälen, die sich davon aber nicht sehr beeindruckt zeigten. Es war, als wären sie in Trance.
Das Beben hörte wieder auf.
Elli kramte ihren Flachmann und ein Gerät aus der Tasche, das Chloe als den Engelenergiemesser erkannte1.
Sie nahm einen kräftigen Schluck, während die Maschine ihre Arbeit tat.
"Ach du Scheiße, die tartarische Resonanzenergie ist ja durch die Decke!", entfuhr es ihr dann.
"Elli? Was passiert hier?", fragte Chloe ängstlich.
"Die Konzentration von Sünde ist in diesem Gebiet viel zu hoch", ächzte Elli. "Kein Wunder, wenn man bedenkt, was man in Vegas so treibt. Sowas ist 1992 schonmal passiert."
"Und was folgte darauf?", fragte Dean und beäugte die erscheinenden Dämonen argwöhnisch.
Bisher wurden sie aber in Ruhe gelassen.
"Dasselbe wie jetzt. Große Mengen tartarischer Energie ziehen sich gegenseitig über metaphysische Grenzen hinweg an. Las Vegas ist dabei, wortwörtlich zur Hölle zu fahren. Es ist auf dem Weg zum vierten Kreis, wenn ich die Schemen am Horizont richtig deute. Wie passend."
"Wie ist das denn passiert?", fragte Chloe.
"Das ist nicht unser Problem, Chloe", sagte Elli. "Wir verschwinden von hier. Auch wenn es scheint als wäre hier göttliche Intervention am Werk, das ist nicht meine Schuld. Dann wäre unser Kollege nicht einfach verschwunden. Der kann sich nämlich nicht in höllenähnlichen Gebieten aufhalten. Ist schon tot und so."
Sie lief in eine Seitengasse und während Dean und Chloe ihr noch folgten, öffnete sie den Nexus in einer Seitentür.
"Chloe, du zuerst."
Chloe tat wie geheißen und trat in den Nexus. Hinter ihr drang plötzlich lautes Gerumpel durch das Portal und überraschte Rufe von Elli. Und die Schreie von Stadtbewohnern.
Besorgt steckte sie den Kopf wieder durch das Portal.
"Alles okay bei euch?"
Das Grollen der Erde hörte schlagartig auf und die Schreie änderten sich in verwirrte und überraschte Rufe.
Elli schien es auf den Hosenboden gesetzt zu haben.
Sie erhob sich stirnrunzelnd und drückte Chloes Kopf mit der Fingerspitze und wissenschaftlichem Interesse in den Nexus zurück.
Sofort gingen der Krach und die Schreie wieder los, bis Elli sie wieder nach draußen zerrte.
Die Schemen schienen merklich näher gekommen zu sein und das rote Licht hatte an Intensität gewonnen. Risse, die leuchteten, als würde Magma darunter fließen, hatten sich aufgetan und Chloe sah viel mehr Dämonen auf der Straße, die lachten und kicherten.
"Du bist nicht zufällig Bischöfin, oder?", fragte Elli verwirrt.
Chloe nahm das als Beleidigung.
"Ich bin Atheistin, Elli, das weißt du doch."
Elli vermaß sie mit ihrem Gerät und sog scharf die Luft ein.
Chloe mochte das nicht. Oh nein, sie mochte das ganz und gar nicht.
"Okay, Chloe, bitte nicht ausflippen", bat Elli mit erhobener Hand.
"Du erreichst das genaue Gegenteil!", zischte sie halb hysterisch.
"Äh, okay, ähm …", Elli fuhr sich vorsichtig mit der Zunge über die Lippen. "Du verfügst über ein weit höheres himmlisches Potential als normale Menschen. Könnte mit deinem Verhalten aus der Pre-Böser-Overlord-Ära zusammenhängen2. Normalerweise würde Las Vegas durch die schiere Menge an dämonischer Energie, die gerade freigeworden ist, sofort abstürzen, aber deine Anwesenheit verankert die Stadt in der gegenwärtigen Ebene. Aber nicht für ewig. Du hast jetzt die Wahl …"
"Welche?", fragte Chloe.
"Entweder, wir bringen uns in Sicherheit und überlassen Las Vegas den Qualen des vierten Kreises oder wir bleiben hier und finden raus, was hier passiert ist, bevor die Stadt trotzdem abstürzt. Ich bin allerdings mit dem Nexus noch nie in die Hölle reingekommen, daher können wir vermutlich auch nicht wieder hinaus, wenn wir einmal gefallen sind. Obwohl, ich habe noch eine andere Idee …"
"Welche?", fragte Chloe wieder.
"Deine Aura qualifiziert dich zur Kanonisierung. Wenn ich das hinbekomme, kann Las Vegas nicht zur Hölle fahren, solange du hier bist, weil du dann per himmlischem Gesetz nicht der Verdammnis zugeführt werden kannst."
"Warte", fragte Chloe. "Was ist eine Kanonisierung?"
Dean übersetzte für Elli.
"Sie will den Vatikan zwingen, dich heilig zu sprechen."
Das nächste Mal bei Nexus:
Sankt Chloe, Teil 2