Dean, Teil 1

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Das letzte Mal bei Nexus:
Der Herold des Zerbrochenen, Teil 3

Es gibt viele Szenarien, in denen die Menschheit zugrunde geht. Klimawandel, Atomkriege, Killerviren, selbstpropagierende Memes, das Verschwinden der Erde, die Möglichkeiten sind endlos. In zahlreichen Zeitlinien hat sie es mit Nanomaschinen geschafft.

In einigen jedoch, ließ sie etwas zurück, um die Scherben aufzulesen.

Humanoide Roboter, Androiden, damit beauftragt, die Nanomaschinen zu vernichten und die Menschen zurückzuholen. Sie waren gut darin, Dinge zu erforschen, zu verwalten und zu erschaffen, aber ihre Aufgabe erschien unmöglich. Die Nanomaschinen widerstanden allem, was ihnen entgegengeworfen wurde.

Bis einige auf die Idee kamen, dass die ultimative Direktive vielleicht anders ausgelegt werden konnte.

Die Initiative zur Wiederherstellung der Menschheit wurde gegründet. Unter ihnen die Gesellschaft der Menschmaschinen, darauf aus, die Menschen perfekt nachzuahmen, um sie zu ersetzen.

Doch auch das wollte nicht so recht gelingen.

Bis Washington auf den Plan trat. Er war der Ansicht, dass klassische Androiden Menschen unmöglich ersetzen konnten, weil sie nicht ihren Entwicklungsprozess durchlaufen hatten.

So erschuf er zusammen mit seinen Anhängern im eisigen Norden Kanadas eine neue Form von Androiden. Mit einer neuen Intelligenz.

Das Prinzip war ziemlich alt, früher als ineffizient und langwierig verworfen worden, nachdem man damit eine KI einmal erhalten hatte. Schließlich konnte man diese so oft kopieren wie man wollte.

Im Prinzip bestand der Trick darin, einen Androiden zu erschaffen, der nichts wusste. Nichts konnte. Einen, der all diese Dinge lernen musste. Sich entwickelte.

Hieraus ergab sich das erste Problem.

Jedes Lebewesen wurde nicht komplett blank geboren. Es gab bestimmte Fertigkeiten, die Neugeborene mitbringen mussten, wenn sie überleben wollten.

Aber was genau waren diese Dinge? Und was genau sollte ein Android nach seiner "Geburt" erfahren um zu lernen?

Dazu liefen zahlreiche Versuchsreihen. Eine mit schlechteren Ergebnissen als die andere.

Washington, ein Forschungsandroid mit dem Aussehen eines Spaniers mit Gummi anstatt Haut, raufte sich die künstlichen Haare. Er trug einen Kittel, ein blaues Hemd und sehr ramponierte Jeans und Turnschuhe.

Vor ihm, in einem kleinen weißen Raum mit nichts als einem schrankwandartigen Rechner stand eine nackte Androiden-Multifunktionseinheit mit abgenutzter, weißer Außenverkleidung. Man konnte sich in etwa einen Menschen vorstellen, dessen Gelenke durch Servomotoren ersetzt worden waren und der aussah, als hätte man ihn mit weißem Plastik verkleidet, dann wusste man ungefähr, die dieses Ding aussah. Das neueste Testsubjekt. Es hatte gerade das Initiationstraining an dem Rechner hinter ihm abgeschlossen und gelernt zu laufen. Zu schnell … aber er nahm sich vor, das durchzuziehen. Es würden sich vielleicht neue Daten ergeben.

"Dean", sagte er und deutete mit dem Finger auf den Androiden.

Den Namen hatte er sich gerade aus den Fingern gesogen. Das erste Experiment hatte Genesis geheißen, bevor es angefangen hatte faschistische Tendenzen an den Tag zu legen und nach einer Weile hatte er es satt gehabt, hochtrabende Namen zu vergeben.

Mit tollpatschigen Bewegungen ahmte Dean die Geste nach und deutete auf sich.

"Deeeaaan?"

"Ja, du bist Dean", sagte Washington genervt.

Die Mimik des Androiden wurde traurig und er trat zusammengekrümmt einen Schritt rückwärts.

Washington zwang sich zur Ruhe.

"Komm mit, Dean."

Er streckte die Hand aus.

Dean trat zögerlich auf ihn zu und ergriff seine Hand. Dass das immer so lange dauern musste …

Der Körperkontakt schien die dumme Maschine etwas aufzuheitern. Bereitwillig folgte sie Washington aus dem Initiationsraum heraus.

Der Rest der Einrichtung war für menschliche Verhältnisse noch weniger einladend als der monochrome Raum. Es handelte sich um eine alte Fabrikhalle in der Nähe eines Dorfes, das von der Foundation dem Verfall preisgegeben worden war. Der Putz war an vielen Stellen bereits abgebröckelt.

Dean schaute sich neugierig um. Einige TCUs, sehr roboterhaft aussehende Kampfandroiden, die zur Bewachung eingesetzt wurden, musterten ihn abschätzig.

Ihr Ziel war ein anderes Gebäude. Ein weiblich aussehender Android wartete auf sie in einem Zimmer, das früher mal ein Büro gewesen war. Sie sah schon eher aus wie ein Mensch, wie eine Frau europäischer Abstammung. Ihre Haut war allerdings an manchen Stellen schon rissig. Aber das falsche braune Haar war vorbildlich und zu einem Pferdeschwanz gebunden. Der Raum besaß ebenfalls einen Fernseher, einen Computer und zahlreiche abgenutzte Spielsachen.

"Elsa, hier ist Nummer 129. Der Name lautet dieses Mal Dean. Standardprogramm."

Elsa nickte. Washington dreht sich abrupt um und ließ die beiden allein.


Dean schaute ihm verwirrt hinterher und deutete fragend auf die Tür, die Washington hinter sich geschlossen hatte.

"Oh, der kommt wieder, später", versuchte ihn Elsa zu beruhigen.

Das Problem war, dass Dean sie nicht verstand. Er hatte keine Ahnung von Sprache und verstand nur rudimentäre Gestik. Er wollte die Tür öffnen und stellte erstaunt und erschrocken fest, dass sie abgeschlossen war.

Er wäre den Tränen nahe gewesen, hätte er die Fähigkeit besessen zu weinen.

Elsa nahm ihn in den Arm.

"Ist ja gut, Dean. Ich bin ja da."

Dean schien sich wieder zu beruhigen.

Eine vollkommen menschliche KI. Androiden verfügten über Emotionen und die Fähigkeit zu lernen. Doch sie lernten anders als Menschen. Sie vergaßen nicht so einfach, sie lernten zweckmäßig und kannten keine Faulheit oder Langeweile. Dean war anders. Er, wie auch alle seine Vorgänger, waren mit zusätzlichen Routinen programmiert. Seine älteren Geschwister jedoch waren ihren Softwarefehlern zum Opfer gefallen. Einige waren lethargisch geworden, andere hatten begonnen, ihren Gelüsten freien Lauf zu lassen. Zwei hatten Selbstmord begangen.

Elsa wusste inzwischen, wie man mit diesen Androiden umgehen musste. Sie hatte sich zu menschlichen Babys und Kindern belesen und diese Herangehensweise schien gute Ergebnisse zu liefern.

Sie holte ein gelbes Gummihuhn von einem Regal und ließ es quietschen.

Das weckte Deans Interesse. Er griff nach dem Huhn, das ihm Elsa reichte und drückte zu.

Erste wichtige Lektion. Die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung.

Das Testsubjekt schien Spaß daran zu finden und schüttelte das Spielzeug.

"Das ist ein Huhn, Dean", erklärte ihm Elsa mit einem Lächeln.

"Huuuuuuhn?", fragte Dean und schaute abwechselnd auf das Gummitier und den Pflegeandroiden.

Dann schien die Erkenntnis einzurasten.

"Huhn! Huhn! Huhn! Huhn!", jubelte er und schüttelte das Huhn weiter.


Einem Baby-Androiden etwas beizubringen erforderte viel Geduld. Zwar entfielen einige lästige Handgriffe die bei Menschenkindern erforderlich waren, so etwa das Windeln-Wechseln oder Füttern, aber man mache einem Wesen ohne natürliches Schmerzempfinden zum Beispiel klar, dass es eine dumme Idee war, sich selbst aus Neugier auseinander zu nehmen. Dean musste erst noch lernen, was die Warnsignale bedeuteten, die in ihm aufkamen, wenn er sich beispielsweise das Knie anschlug oder seine Servomotoren überlastete. Das erforderte normalerweise ziemlich viele Ersatzteile, aber Dean merkte, wenn jemand sauer war. Und er versuchte, diesen Zustand bei anderen Leuten so gut es ging zu vermeiden.

Die KI entwickelte sich schneller als der Verstand eines Kindes, und so begann Dean nach nur zwei Tagen des sanften Zuredens durch Elsa, ihr Gesprochenes und ihre Bewegungen mit Konzentration nachzuahmen. Er begann zu brabbeln.

Um seinen Verstand zu schulen, hatte man einige alte DVDs von Kindersendungen wie der Sesamstraße aufgetrieben, die Dean zusammen mit Elsa anschaute. Nun, Dean tat das. Elsa saß neben ihm und beobachtete Deans Reaktionen, um Protokoll zu führen. Die Filme kannte sie immerhin auswendig.

"Mama?", fragte Dean während einer Folge The Meighborhood of Mr. Rogers. "Warum sehen die Leute nicht aus wie Dean?"

Er hatte angefangen Elsa als seine Mutter anzusehen, dank einiger Kindersendungen. Elsa war darauf vorbereitet gewesen.

"Das sind Menschen, Dean. Sie haben uns gebaut. Wir wurden nach ihrem Ebenbild geschaffen, aber wir sind nicht wie sie. Darum konnten sie uns nicht so aussehen lassen wie sie."

"Menschen?", wunderte sich Dean. "Aber du siehst aus wie ein Mensch."

"Ich bin weit entfernt davon, Dean", sagte Elsa lächelnd. "Oder denkst du, dass ich aussehe wie Mr. Rogers?"

"Du bist doch eine Frau, Mama", entgegnete Dean lachend.

"Wieder daneben, Dean", erklärte Elsa. "Ich bin ein Android, genau wie du. Wir haben keine Geschlechter."

Es war wichtig, dass Dean den Unterschied zwischen sich und wahren Menschen begriff. Den frühesten Modellen wurde vorgegaukelt, dass sie tatsächlich Menschen waren. Identitätskrisen waren die Folge gewesen.

"Aber warum wurde Dean dann gebaut? Und wo sind die Menschen?", fragte Dean.

"Es gibt sie nicht mehr, Dean", entgegnete Elsa. "Sie sind verschwunden. Doch sie haben uns geschaffen, damit wir sie ersetzen können. Und dafür schufen wir dich."

Dean gab einen Ton kindlichen Erstaunens von sich.

"Heißt das, ich kann ein Mensch werden?"

"Ganz genau, Dean. Dafür wurdest du geschaffen."


Der Raum hatte keine Fenster, um ungewollte Einflüsse zu unterbinden. Dean verbrachte den ersten Monat seiner Existenz nur hier. Er erlernte verschiedene Sprachen und das, was man können musste, um als Android möglichst lange zu funktionieren. Elsa war extrem geduldig mit ihm.

Dean lernte das Meiste durch spielen. Sein Lieblingsspielzeug war hierbei ein kleines Xylophon.

Vielleicht, so hoffte Elsa, würde es seine Kreativität wecken.

Doch es sollte anders kommen.

Eines Tages öffnete sich unvermittelt die Tür.

Washington stand darin.

Offenbar wollte er Dean abholen.

Aber er war noch nicht bereit.

"Äh, Washington, ich glaube nicht, dass", begann Elsa, aber ihr Vorgesetzter schnitt ihr mit einer Geste das Wort ab.

"Er sollte nicht nur hier drin Erfahrung sammeln. Wenn er nichts von der Welt sieht, ist er nicht mehr als eine Maschine."

Dean machte mit einem Gesichtsausdruck deutlich, dass er nichts davon verstanden hatte.

"Das Verständnis kommt später", versprach Washington mit einem Augenrollen. "Elsa, Dean, ich muss euch etwas zeigen.


"Eine Patrouille hat dieses Exemplar aufgelesen, als es sich unserem Perimeter näherte", erklärte Washington, während sie durch die Ruine gingen. Dean schaute sich neugierig überall um. Unter einem Loch im Dach blieb er kurz stehen, um die Wolken zu betrachten, die im Blau des Himmels über sie hinweg trieben.

Er hatte noch nie in Wolken in echt gesehen. Der Himmel war eine völlig neue Erfahrung für ihn. Leider währte sie nicht lange, da ihn Washington weiterzerrte.

"Was für ein Exemplar, Sir?", fragte Elsa verwirrt.

"Ein waschechter Mensch", lautete die fast schon ehrfürchtige Antwort des Forschungsandroiden.

"Boah, wirklich?", fragte Dean voller kindlichem Erstaunen. "Kann ich ihn mir angucken?"

"Viel besser", entgegnete Washington. "Wir lassen dich mit ihm reden."

"Boah!"

Jetzt war Dean ganz aufgeregt. Ein echter Mensch. Elsa hatte ihm erzählt es gäbe keine mehr, darum hatte er die Hoffnung aufgegeben, einen zu treffen. Er würde sich ganz doll anstrengen, sich den Menschen anzugucken, damit er auch einer werden konnte.

Was da allerdings in einer großen Halle an einen Stuhl gefesselt auf ihn wartete, stürzte ihn in Verwirrung. Er kannte Menschen als strahlende, freundliche Wesen.

Diese Frau, wie Dean an den langen blonden Haaren und den Beulen auf der Brust erkannte, sah eher aus wie das, was von einem Menschen übrig blieb, nachdem man ihn in für zehn Wochen in einen Schornstein gesteckt hatte. Jedenfalls glaubte Dean das. Er hatte keine Ahnung, was Schornsteine konkret machten.

Das Haar war verfilzt und fast noch dreckiger als die Haut und Kleidung des Menschen. Sie trug etwas, das wohl mal eine robuste, schwarze Kampfmontur aus Kunststoff gewesen war, bevor sie Bekanntschaft mit einem Rasenmäher gemacht hatte.

Die blauen Augen des Menschen waren tot. Wenn es einmal einen Lebensfunken in ihnen gegeben hatte, so war er erloschen.

Die Frau schaute skeptisch auf Dean.

"Was wird das?", fragte sie mit einer leisen, kalten Stimme. "Wollt ihr mich da reinstecken, nachdem ihr mich jetzt mit Fragen gelöchert habt?"

"Nein, Mensch", verneinte Washington. "Du bist viel zu wertvoll als dass wir versuchen würden, dich zu zerlegen. Wir möchten, dass du Dean hier zeigst, was es heißt ein Mensch zu sein."

Die Frau legte den Kopf schräg.

"Ihr habt versucht, ein Kleinkind zu programmieren, oder?"

"Äh, ja."

Sie seufzte.

"Was soll's, ihr lasst mich hier eh nicht weg … Hey, Blechdose, schnapp dir einen Stuhl und setz dich zum Tantchen …"

Dean wusste nicht so recht, was er tun sollte, aber Elsa führte ihn nach vorne und setzte ihn gegenüber von der Frau auf einen Stuhl.

"Könntet ihr mir jetzt freundlicherweise die Fesseln abnehmen, ich brauche die Hände frei."

Man hatte sie mit zwei Kabelbindern gefesselt, die Washington nach einiger Überlegung durchschnitt. Dann gingen er und Elsa auf Abstand.

Der junge Dean hatte keine Ahnung wie er sich verhalten sollte. Moment. Elsa hatte ihm beigebracht, dass man sich neuen Leuten zuerst vorstellte.

"Ich heiße Dean und wie heißt du?"

Die Frau schaute ihn kurz skeptisch an, bevor sie wieder seufzte.

"Ich bin Elli."

Das nächste Mal bei Nexus:
Dean, Teil 2

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