Das letzte Mal bei Nexus:
Die Strafe eines Gottes, Teil 1
Fallen. Chloe wusste nicht wie lang sie fiel, während sie voller Panik um sich schlug, aber es war auf jeden Fall zu lang, um beim Aufschlag nicht zu sterben. Umso überraschter war sie, als sie einfach aufhörte zu fallen. Sie hatte zwar einen Boden erreicht, ihre überschüssige kinetische Energie schien jedoch einfach beschlossen zu haben, vorzeitig Feierabend zu machen, was Chloes Körper dankenswerterweise davor bewahrte, extrem flach und dafür sehr breit zu werden.
Sie brauchte etwa zehn Sekunden, um diese Information zu verarbeiten. Ihr Unterbewusstsein nahm derweil ihre Umgebung in Augenschein und meldete seinen Befund, nachdem ihr die Gesichtszüge eingeschlafen waren.
Sie befand sich immer noch in Dunkelheit, aber hier herrschte ein klein wenig Licht. Und es gab Wände. Augenscheinlich metallene Wände, gegeben den Nieten. Sie schätzte, dass sie sich in einem etwa zwei Meter hohen Container befand.
Chloe hatte das Gefühl, beobachtet zu werden und sah sich um. Daraus erfuhr sie zwei Sachen. Erstens, sie wusste nun, wo das Licht herkam. Zweitens, es war offensichtlich, dass sie nicht allein hier drin war.
Nur war sie sich nicht sicher was der andere Anwesende war.
Ihr Gehirn versuchte sie davon zu überzeugen, dass da ein etwa fünf Meter großer Mann mit einem Bart vor ihr stand, beziehungsweise vornübergebeugt kniete. Gekleidet war er in ein langes, schwarzes Gewand. Seine Augen waren komplett silbern und wirkten wie große Murmeln. Das war es, was sie laut ihrem Verstand sehen sollte. Ihre Augen waren da etwas anderer Ansicht, denn Chloe vermochte zum Beispiel nicht zu sagen, ob sich ihr Gegenüber direkt vor ihr, oder irgendwo anders im Raum befand. Auch wusste sie nicht, ob er ihr überhaupt die Front zugewandt hatte, oder wie viele Gliedmaßen er besaß. Und er wirkte viel zu echt. Man schmeckte seine Präsens förmlich. Chloe konnte nur bedingt mit dem Fakt umgehen, dass dieser Mann wirklicher wirkte als sie. Außerdem leuchtete er von innen heraus …
Der Fremde musterte sie mit einem traurigen Blick. Er wirkte melancholisch.
"Äh … Hallo?"
Der Mann zeigte keine Gefühlsregung. Doch er streckte die Hand aus und stupste Chloe behutsam an die Nase.
Aus irgendeinem Grund lud sie das mit statischer Energie auf.
Ihre Haare begannen wild in alle Richtungen abzustehen. Chloe wusste nichts damit anzufangen, aber der Mann fing jetzt wenigstens an zu lächeln.
Sie wollte nach Hause …
"Wo bin ich hier? "
Der Riese legte den Kopf schräg. Dann sagte er etwas. Chloe verstand seine Sprache nicht, aber es gab noch andere Gründe, weswegen sie nichts mit den gegebenen Informationen anfangen konnte. Sie hörte ihn nicht nur mit ihren Ohren. Ihr ganzer Körper erzitterte unter der Gewalt seiner Stimme und ihr Kopf fühlte sich an, als müsste er sofort explodieren.
Aber trotz dieser Stimme, die bestrebt zu sein schien, ihr Hirn durch einen Mixer zu jagen, merkte sie Eines: Der Riese, oder was auch immer er war, war am Ende. Er stand an der Schwelle des Todes. Aber konnte er bitte aufhören zu reden?
Plötzlich kam Bewegung in den Container. Die Wand hinter ihr fuhr nach oben und ein Mann in grauen Alltagsklamotten kam zum Vorschein. Und er trug ein Gewehr bei sich.
Er war ob dieses Zusammentreffens vermutlich ebenso verdutzt wie Chloe. Nur fing er sich schneller und brüllte etwas in einer Sprache, die Chloe nicht kannte. Nachdem sie offenbar nicht die gewünschte Reaktion zeigte, rief der Bewaffnete irgendwas über seine Schulter, was dazu führte, dass vier weitere Männer und eine Frau zu ihm traten. Alle ähnlich gekleidet und bewaffnet wie er. Die Frau, sie trug Jeans und ein weißes Hemd mit einem Schriftzug, den Chloe nicht lesen konnte, trat anschließend in den Container, um Chloe zu packen; aber der Riese schubste sie mit einer behäbig anmutenden Bewegung um.
Es kam zu weiterem Gebrüll von Seiten des Mannes und der Käfig wurde plötzlich von leuchtenden Wellen durchlaufen, als wären alle Wände glatte Seeflächen. Das große Wesen schrie mit seiner gewaltigen Stimme; ein Laut, der Chloe die Kraft aus den Beinen sog. Als sie auf die Knie fiel, entlud sich ihre statische Energie schmerzhaft.
Da es Chloes volle Aufmerksamkeit beanspruchte, ob des Gebrülls nicht einfach zu zerfließen, war es der Frau nun ein Leichtes, sie einfach an der Hand zu packen, hochzureißen und hinter sich herzuziehen. Sie, wie auch der Rest ihrer Gruppe, schienen von dem Aufruhr des Riesen nicht im Geringsten beeinflusst zu werden.
Das Wehklagen verstummte, als hinter Chloe der Container wieder geschlossen wurde. Weitergeschliffen wurde sie trotzdem, aber da ihr nun nicht mehr die Ohren klingelten, hatte sie endlich die Gelegenheit, ihre Umgebung in Augenschein zu nehmen.
Der Container, in dem sie sich befunden hatte, war an einen wahren Wald von leuchtenden Drähten, Schläuchen und Rohren in allen Formen und Größen angeschlossen, die ihrerseits im Boden verschwanden. Das Ganze sah aus, als wären seine Teile aus anderen Dingen aufgebaut worden, bevor man sie hierzu zusammengefügt hatte. Chloe fragte sich unwillkürlich, warum sie diese Anschlüsse nicht von drinnen gesehen hatte. Der Raum, aus dem sie soeben geschleift wurde, war von verfallenem Grau, zylinderförmig und sicherlich zehn Meter hoch. Ohne die Apparatur in der Mitte hätten darin sicherlich ohne Probleme Ballettstunden für fünfzig Mann stattfinden können.
Chloe, im Moment in einem Stadium des Schocks, in dem sie noch halbwegs rational dachte, wehrte sich versuchsweise gegen den eisernen Griff ihrer Ergreiferin, da die Reibung mit dem unbehandelten Betonboden sich langsam schmerzhaft an ihren nackten Füßen bemerkbar machte. Sie stellte diese Bemühungen aber sofort ein, als die Frau sie an sich zog und mit bedeutungsvoller Miene an einen Teleskopstock tippte, der an ihrer Hüfte baumelte. Chloe begann zu zittern und nickte hastig. Immerhin wurde ihr jetzt wenigstens erlaubt, selbst zu gehen.
Ein Mann in einem weißen Kittel trat vor den Trupp, der gerade durch einen fahlgrauen und nur spärlich beleuchteten Gang lief. Chloe wurde unter ängstlichem Quieken ihrerseits vorgezerrt und dem Neuankömmling präsentiert.
Er sah aus wie ein Wissenschaftler. Er trug eine Brille, wirres, graues Haar und einen kleinen Bart. Es folgte wieder ein Wortwechsel in dieser Chloe unbekannten Sprache. Dabei wurde mehrfach auf sie und den Raum gedeutet, aus der man sie gerade gezerrt hatte. Das Ganze endete schließlich damit, dass sie von ihrer Eskorte weitergescheucht wurde. Es folgte schließlich ein Stopp vor einer Tür, die man mit einem leisen Quietschen für sie öffnete.
Dahinter befand sich etwas, das Chloe mit Entsetzen als Gefangenenzelle identifizierte. Es gab ein Waschbecken und ein deckelloses Klo, einen Stuhl, einen Tisch und ein Bett. Und Chloe, nachdem man sie mit sanfter Gewalt in den Raum bugsiert und die Tür hinter ihr verriegelt hatte.
Es dauerte eine Weile, bis sie das Geschehene verarbeitet hatte und zu der Erkenntnis gelangte, dass sie offenbar hier gestrandet war. Dabei wusste sie nicht mal, warum sie hierher gekommen war. Dieses verdammte Heft! Hätte Chloe einfach akzeptiert, dass sie ihre Schuhe verloren hatte, dann wäre das alles nicht passiert! Aber nein, sie hatte natürlich ihrer Gier nachgeben müssen! Sie war gefangen. Sie würde nie mehr nach Hause kommen …
Chloe brach in Tränen aus.
Zwei Männer in weißen Kitteln trafen sich am Pissoir ein Stockwerk tiefer. Es gab eine kleine Konversation zwischen ihnen, durch die sie beide nicht bemerkten, wie sich in der Tür zu den Toiletten ein schwarzer Fleck bildete, der wuchs und nach einer Sekunde den gesamten Rahmen ausfüllte. Sie bemerkten auch nicht, wie zwei Hände nach ihnen griffen.
Aber sie merkten, wie sie plötzlich in das Schwarz hineingezogen wurden.
Wenig später erschien dasselbe Schwarz in der Tür zu einer Besenkammer in der Nähe. Zwei Personen in weißen Kitteln traten daraus hervor. Eine der beiden hielt ein quaderförmiges Gerät in den Händen.
"Hm, wir müssen nach links …"
Sie wusste nicht, wie lange sie weinte, aber ein plötzliches "Quietsch" kündigte einen Besucher an. Es war der Forscher von vorhin. Er trat zusammen mit einem Klappstuhl und einem augenscheinlichen Wachmann ein, der Chloe sofort an den Tisch zerrte und in ihrem eigenen Stuhl platzierte. Der Forscher nahm ihr gegenüber Platz und begann zu sprechen. Er sprach sogar ziemlich viel, aber Chloe verstand nichts von dem, was er sagte. Bis sie merkte, dass er offenbar verschiedene Sprachen durchprobierte.
"Äh, ich kann Sie nicht verstehen?", versuchte sie ihm zu helfen.
Der Mann zog verwirrt seine Augenbrauen zusammen. Dann murmelte er der Wache etwas zu, woraufhin diese ein Gerät hervorzog, das beängstigende Ähnlichkeit mit einem Taser hatte. Ungerührt schritt er auf eine vor Angst gelähmte Chloe zu …
"Quietsch."
"BONK!"
"Quietsch."
Der Wachmann drehte sich prompt um, um nach dem Grund für diese Geräusche Ausschau zu halten, aber alles was er sah, war eine Faust, die prompt mit seinem Gesicht in Kontakt trat. Diese gehörte einem braunhaarigen Mann in einem weißen Kittel, Hemd und Schuhen und schwarzen Jeans, der sofort nachsetzte und so lange auf den zu Boden gegangenen Wachmann einschlug, bis dieser ohnmächtig wurde. Er legte dabei jenen Stoizismus an den Tag, der Schweineschlachtern zu Eigen ist, die schon über zwanzig Jahre im Geschäft sind.
"Dean, bringt ihn nicht um. Oder wenigstens nicht komplett."
Chloe, noch immer perplex ob der Dinge, die sich gerade abgespielt hatten, starrte auf den zweiten Neuankömmling, der den Wissenschaftler mit einer mitgeführten Bratpfanne niedergeschlagen hatte.
Es war offensichtlich, dass das ihre Retterin war, aber so hätte sie sich Chloe nie vorgestellt.
Es gibt eine Menge Blondinenwitze auf der Welt. Alle zu Unrecht, wie Chloe fand, aber die junge Frau hier machte den Eindruck, als würde jeder einzelne auf sie zutreffen. Sie trug ebenfalls einen Laborkittel, darunter allerdings eine eng anliegende blaue Hose. Selbiges galt für ihr genauso blaues Shirt und ihre schwarzen Turnschuhe. Und sie sah so aufgebrezelt aus, als würde sie erwarten, jeden Augenblick im Fernsehen aufzutreten. "Dean", der jetzt zu ihr trat, brummte nur etwas Unverständliches und musterte Chloe ausdruckslos. Er wirkte bedrohlich, was wohl an seiner Größe und seinem breiten Kreuz lag.
Die Frau packte derweil ihr Kochutensil in eine große schwarze Damenhandtasche an ihrer Schulter, die die Pfanne vollständig aufnahm, obwohl sie logisch gesehen nicht hineinpassen konnte, kramte dann darin herum und zog schließlich ein Gerät mit der Größe und Form eines Taschenrechners hervor. Nachdem es eingeschaltet worden war, machte es Geräusche wie ein Geigerzähler.
"Volltreffer!", jubelte sie dann und streckte grinsend ihre Hand zur Begrüßung aus.
"Gestatten, Elli mein Name."
Geistesabwesend schüttelte Chloe die Hand. Das ging alles viel zu schnell für sie …
"Und du bist?"
"Chloe Winter", gab Chloe an, bevor sie wieder in die Gegenwart aufholen konnte.
"Freut mich sehr", erwiderte Elli und zeigte mit dem Daumen auf ihren Begleiter. "Das da ist übrigens Dean."
"Hallo", erwiderte Dean trocken.
Chloes Hirn erreichte endlich wieder gewohnte Betriebsgeschwindigkeiten und hielt es für angebracht, sie einige essentielle Fragen stellen zu lassen.
"Warte, Moment, wer seid ihr? Und was macht ihr hier?"
"Nun, zum Wer, wir sind Touristen", erklärte Elli, als hätte Chloe eine Unterhaltung über das Wetter angefangen. "Und wir sind hier, weil hier jemand einen verkorksten Portalsprung hingelegt hat. Und ich will wissen, wie."
Sie zwinkerte Chloe bei diesen Worten zu.
"Portalsprung?"
"Ja. Magischer Natur, wie es scheint. Wenn die Werte, die ich bekommen habe, richtig sind, hattest du Glück, dass du überhaupt irgendwo rausgekommen bist. Oder auch Pech …"
"Wo bin ich hier überhaupt?"
"Du wurdest in ein anderes Universum geschleudert. Direkt in eine Einrichtung der Saiga-Fraktionen. Das sind selbsternannte Weltenretter; später mehr dazu. Die Realität deines Portals war jedenfalls zu niedrig und-"
"Ein anderes Universum!? Wie in Parallelwelten und solches Zeug?"
Elli schien kurz nach den richtigen Worten zu suchen fand aber keine.
"Äh, ja", lautete ihre Antwort.
Chloe wurde flau im Magen.
"Und … kann ich wieder zurück?"
Die Miene der Frau hellte sich weiter auf.
"Klar. Ich bring dich zurück, schließlich wirst du hier zu Unrecht festgehalten, wie ich hörte. Aber so wie es aussieht müssen wir vorher noch etwas erledigen."
"Äh, und was?"
"Ich wäre nicht auf dich aufmerksam geworden, wenn du nur einen Portalsprung verbockt hättest. Sowas passiert ständig. Es gab eine gewaltige Fluktuation im Raum-Zeit-Gefüge dieses Universums, als du hier angekommen bist und die nun an dir festhängt. Am Besten, ich demonstriere es dir."
Vor der Eingangstür erschien ein schwarzer Punkt, der wuchs und fast sofort den gesamten Bereich des Rahmens schwärzte.
"Das ist ein Eingang zu meinem Nexus", erklärte Elli. "Stell ihn dir erstmal einfach wie ein ultra hoch entwickeltes Raumschiff vor. Dadurch sind wir hierher gekommen. Versuch mal, hindurch zu laufen."
"Hindurch?", vergewisserte sich Chloe skeptisch.
Dean steckte demonstrativ seine Hand in das Schwarz. Sie versank ohne Widerstand darin.
Chloe zuckte resigniert mit den Schultern. Verrückter wurde es ja so oder so. Sie stand auf und näherte sich dem Portal.
Als sie ungefähr einen halben Meter von der Schwärze entfernt war, spürte sie, wie sie etwas zurückzuhalten begann; eine Kraft, die exponentiell stärker wurde, je näher sie dem Portal zu kommen versuchte. Als wären sie und der Eingang zwei gleiche Magnetpole, die sich gegenseitig abstießen. Als sie versuchsweise hüpfte, wurde sie prompt nach hinten gestoßen.
"Was ist das?", fragte Chloe.
"Deine Raum-Zeit-Position wurde auf dieses Universum festgesetzt" sagte Elli. "Das heißt, du kannst dieses Universum nicht verlassen. Für sowas braucht man ziemlich große Mengen Energie. Dein Portalsprung allein kann das nicht bewerkstelligt haben. Ist dir nach deiner Ankunft hier irgendwas passiert?"
Chloe dachte daran, wie sie unsanft hierher gebracht worden war und an diesen Mann in der Kiste. Hatte er sie nicht …
"So ein großer Typ hat mich statisch aufgeladen, als er mich berührt hat. Hilft das?"
Elli zog lächelnd eine Augenbraue hoch.
"Oh ja. Hat 'ne Menge mit Quanten und String-Theorie zu tun, aber die statische Aufladung bedeutet, dass der Kerl sehr schlampig vorgegangen ist. Könntest du ihn beschreiben?"
"Er ist ungefähr fünf Meter groß und steckt in einer merkwürdigen Maschine."
Die Frau runzelte die Stirn, während sie mit diesen Informationen etwas anzufangen versuchte.
"Da müssen wir wohl nach dem Weg fragen", meinte sie schließlich. "Dean, weck den Eierkopf auf, Chloe, nimm das hier."
Mit diesen Worten überreichte Elli Chloe etwas, das wie ein kleines, graues Pflaster aussah.
"Das ist ein wiederverwendbarer Übersetzungssticker", erklärte Elli. "Er wird dir erlauben, die Sprache und Schrift der Leute hier zu verstehen und dich ihnen mitzuteilen. Kleb ihn dir hinter ein Ohr deiner Wahl."
"Sowas gibt's?", entfuhr es Chloe erstaunt.
"In der Zukunft schon. Ich besitze eine Menge Zeug aus der Zukunft, hab 'ne Zeitmaschine. Nun kleb ihn an."
Chloe tat, um was sie gebeten worden war. Plötzlich konnte sie aus dem Winseln, das Dean dem Forscher inzwischen unter Einsatz moderater Gewalt entrang, tatsächlich Informationen filtern.
"Bitte hör auf mich zu hauen!"
"O.K.", sagte Dean kurz angebunden, packte den Mann am Schlafittchen und brachte ihn in eine aufrechte Position.
"Hallo!", begrüßte ihn Elli, als hätte sie gerade eine alte Freundin auf der Straße getroffen. "Kann ich Sie was fragen?"
"Was?“, knurrte der Mann.
"Schauen Sie, wir befinden uns hier in einem großen Missverständnis. Was auch immer Sie hier eingesperrt haben, es hat nicht wirklich was mit dem Mädchen hier zu tun, aber es hat sie offenbar in diesem Universum fixiert. Könnten Sie uns sagen, was es ist und wo wir es finden?"
Sie machte, während sie das sagte, ein Gesicht wie ein Tourist, der einen Einheimischen nach dem Weg fragt.
"Wieso sollte ich? Wer seid ihr-", begann der Wissenschaftler, bevor Dean mit bedeutungsvoller Miene die freie Faust hob.
"Okay, okay! Ich rede! Er ist auf Ebene 2, Raum 110F!"
Elli zog wieder eine Augenbraue hoch. Chloe merkte, dass sie viel Übung darin haben musste, ihre Stimmung nur mithilfe ihrer Augenbrauen auszudrücken.
"Wirklich?"
Sie kramte in ihrer Tasche und holte schließlich eine schwarze Kugel, nicht größer als eine Murmel, daraus hervor. Bevor der Forscher irgendwie reagieren konnte, schnippte sie das Objekt mit einer geübten Bewegung in seinen offenen Mund.
"Was Sie da gerade geschluckt haben, ist eine Mikrobombe", erklärte Elli. "Diese kann ich mit einer Fernbedienung detonieren lassen. Selbst dann, wenn Sie sich auf der anderen Seite des Planeten befinden. Ich glaube, ich muss Ihnen nicht erklären, unter welchen Bedingungen sie hochgeht; Sie sind doch ein helles Köpfchen, oder?"
Sie bewies wieder jahrelange Übung im Augenbrauen-Handling, um ihre Mimik sadistisch wirken zu lassen. Chloe wunderte sich unwillkürlich, ob es da, wo Elli herkam, Augenbrauen-Olympiaden gab.
Der Forscher nickte ob dem, was dieses Gesicht versprach, hastig.
"Also, sagen Sie die Wahrheit?"
Der Forscher nickte nochmal hastig.
"Also, entweder sind Sie eines der größten Weicheier, das ich je gesehen habe, oder extrem gut in Psychospielchen. Was auch immer jetzt zutrifft; ich weiß immer noch nicht was es ist, das meine kleine Freundin hier festhält? Wären Sie also so freundlich?"
"Es ist Ku!", kam es wie aus der Pistole geschossen.
"Ku?" echote Elli und wurde allmählich genervt. "Welchen Ku? Es gibt Universen, da ist das der häufigste Vorname!"
"Den Gott Ku!"
Sie bekam große Augen.
"Wie in 'Ku, der Zerstörer'?"
Der Forscher bestätigte durch Nicken. Elli und Dean wechselten einen Blick. Chloe meinte, so etwas wie finstere Faszination in den Augen der Frau zu sehen.
"Das ist interessant … Ich werde nicht nach dem 'Wie' fragen, aber warum habt ihr ihn eingefangen?"
"Weil er eine Waffe ist. Wir wollen seine Macht einsetzen, um eine Waffe zur Vernichtung anderer Realitäten zu betreiben. Als Abschreckung. Damit niemand auf die Idee kommt, eine Invasion-"
"Das ist so typisch von eurem Verein", unterbrach ihn Elli mit genervtem Augenrollen. "Dean, schlag ihn K.O.; wir gehen. Die werden bald merken, dass ich in ihre Überwachungsvideos eine Schleife eingefügt habe. Oh, das wird großartig."
Kichernd trat sie aus dem Raum, während Dean unter mäßigem Kraftaufwand und nur minimaler Lärmbelästigung tat, wie geheißen, und anschließend zu Chloe trat.
"Ist die immer so?", fragte sie.
"Ja, leider. Sie lebt für Abenteuer", lautete die resignierte Antwort.
Dean packte sie am Handgelenk und zog sie in Richtung Tür. Seine Hand fühlte sich hart an.
Chloe versuchte, sich seinem Griff zu entwinden.
"He! Ich kann selber laufen!"
"Nicht hier", widersprach Dean, ohne seinen Griff auch nur im Entferntesten zu lockern. "Wenn du frei herumläufst, erregst du nur Aufsehen. Aber wenn du von einem Forscher mitgenommen wirst …"
"Verstehe."
Elli steckte ihren Kopf wieder zur Tür rein. Sie hatte eine Miene aufgesetzt, die auch gut zu einem Kind gepasst hätte, das es nicht erwarten konnte, seine Weihnachtsgeschenke zu öffnen.
"Hey, worauf wartet ihr? Die Saiga-Fraktion hier wird nicht ewig blind sein."
Seufzend setzte sich Chloe in Bewegung. Sie hatte keine Ahnung, worauf sie sich hier einließ, aber etwas sagte ihr, dass es besser war, als wenn sie hier blieb. Sie drehte sich im Gehen noch einmal besorgt zu dem bewusstlosen Forscher um, der noch immer reglos in der Zelle lag.
"Sag mal, hast du ihm wirklich eine Bombe verpasst?", fragte sie Elli.
"Was? Nein, das war eine Glasmurmel. Ich habe geblufft", erwiderte Elli und kicherte böse.
Chloe fragte sich unwillkürlich, ob es wirklich besser war …
Das nächste Mal bei Nexus:
Die Strafe eines Gottes, Teil 3