Sankt Winter
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Das letzte Mal bei Neun:
Die Abteilung für Zukunftsarchäologie

Hamburg, Deutschland

Die Nacht lag über dem Hamburger Hafen, aber Ruhe herrschte dort nie. Ein Teil des Hafens war gerade wegen einer Drogenrazzia evakuiert worden, aber das war nur ein Vorwand. Wenn MTF DE20-ℜ "Seher" anrücken musste, waren nur in den seltensten Fällen Drogen im Spiel. Am ehesten vielleicht noch Magic Mushrooms.

Die Foundation hatte einen Tipp bekommen, dass sich eine dämonische Entität in einer der Lagerhallen verschanzt hatte, eine magischen Ursprungs, sodass man direkt die Seher geschickt hatte.

Das Wesen, es war etwa 2 Meter dreißig groß, grau gefärbt und besaß Hörner und gelb leuchtende Katzenaugen und flog mit den Fledermausflügeln auf seinem Rücken durch die Luft, um den Schüssen zu entgehen, die auf es abgegeben wurden. Es blutete bereits aus zahlreichen Wunden, die eine Begrüßungsgranate und zahlreiche Waffentreffer verursacht hatten.

Johan hatte mittlerweile begriffen, dass es größerer Kaliber als der, die er bei sich trug, bedurfte, um das Wesen zu verletzen, aber Treffer taten trotzdem weh, auch wenn sie die Haut nicht durchdrangen.

Es konnte trotz seiner Mobilität die Lagerhalle allerdings nicht verlassen, da die Eingänge blockiert waren. Automatische Geschütze waren dort aufgestellt worden, deren Zielerfassung auf tartarische Resonanzenergie reagierte. Darum konnte es sich ihnen nicht nähern. Zum Durchbrechen des Dachs oder der Wände schien ihm mittlerweile die Puste zu fehlen.

Aber Johan wurde allmählich genervt. Die Zähigkeit dieses Wesens war beeindruckend, aber er wollte endlich fertig werden.

Er warf eine Granate nach dem Ding, welches der Explosion entkam, dafür aber den MTF-Soldaten mit wütendem Schnauben auf's Korn nahm. Es ignorierte die Schüsse aus Johans Gewehr und landete mit solcher Wucht vor ihm, dass Johan durch die Erschütterung zu Boden fiel. Er war mehr genervt als erschrocken.

Und darum reagierte er auf die einzige Art, die ihm daraufhin einfiel.

Sein Kampfstiefel schoss nach oben und trat mit dem Schritt des Dämons in Kontakt.

"Ouh!", machten der Dämon und einige der anwesenden Soldaten, bevor das Ungeheuer zur Seite kippte und sich mit zwischen die Beine geklemmten Händen am Boden wälzte.

Stahlnetze wurden ausgeworfen und das Wesen nach und nach bewegungsunfähig gemacht.

Johan rappelte sich wieder auf.

"Keine Ehre, der Mann …", kommentierte Wolfgang beim Näherkommen. "Wo schicken wir das Ding jetzt hin?"

Frau Hauptmann Sigh trat an den Dämon heran und kratze sich am Kopf.

"DE7 wird da nicht froh drüber sein. Aber wie mir ein Kumpel erzählt hat, haben die eine Spezialistin drüben in DE12. Ich werde die mal anfunken."

"Nur eine Spezialistin?", erkundigte sich Wolfgang.


Thomas Dahl, zwanzigjähriger Student der Magierakademie saß am Schreibtisch vor Meister Eben. Der Mann war ziemlich erbost. Thomas ebenso. Nur sah man das bei ihm nicht so deutlich, weil seine braunen Locken seine Stirn verdeckten. Eben hatte solche Probleme nicht, das einzige Haar, das er hatte, war ein grauer Schnauzbart unter einer großen Brille.

"Zwei Verletzte und Sachbeschädigung im Wert von 50.000 Euro. Und das ist nur das, was die Zivilisten zu ertragen haben. Hätte die Magierakademie die Foundation nicht verständigt, hätte es noch schlimmer kommen können", fasste Eben die Ereignisse der letzten Nacht zusammen.

"Meister, warum nochmal verlassen wir uns bei sowas auf diese Spackos?", fragte Thomas verständnislos. "Ich habe Mist gebaut, keine Frage, aber sollten wir mit sowas nicht selbst klarkommen?"

Eben knallte seine Hände auf den Tisch und beugte sich bedrohlich vor.

"Hast du eine Ahnung wie lange wir gebraucht hätten, um die Erinnerungen aller zu verändern? Oder das Gebiet zu räumen, sodass es keiner mitbekommt? Und Organisationen wie die Foundation und die GOC hätten es trotzdem gemerkt. Darum überlassen wir es lieber direkt 'diesen Spackos'."

"Und das kümmert uns weil?"

Eben schlug wütend auf den Tisch.

"Lenk nicht vom Thema ab! Was zum Teufel hat dich dazu geritten, mitten in der zweitgrößten Metropole Deutschlands einen Dämon zu rufen?!"

"Also eigentlich hatte ich auf einen Kleinen gezielt. So ein Teil, das man mit der gerollten Zeitung erlegen kann-"

"BULLSHIT!", donnerte der Magister. "Ich habe mir deinen Beschwörungszirkel angesehen. Nichts, aber gar nichts daran war darauf ausgelegt, etwas Beherrschbares zu rufen. Vielmehr sieht es so aus, dass du es nicht geschafft hast, was Mächtigeres zu beschwören. Wieso?"

Thomas fauchte genervt.

""Magister, Folgendes. Die Magierakademie, nein, Magier erschaffen tagtäglich neue Wunder, aber keiner wird das je mitbekommen, wenn wir weiter solchen Scheiß machen wie bisher Warum dürfen Magier nicht frei sein, hm? Ich will, dass die Welt aufwacht, damit sie endlich merken, wer hier eigentlich der Chef ist."

"Thomas, wie lautet Punkt 3c der Charta der Magierakademie?", fragte Eben gefährlich ruhig.

"Die Charta ist absoluter Käse!", konterte Thomas. "Es gibt viele, die so denken. Was für einen Sinn hat es, Macht zu besitzen, wenn man sie nicht benutzen darf?!"

Der Meister schlug sich an die Stirn und stöhnte genervt. Dann schnippte er mit den Fingern.
Das Makro, das er an Thomas' Stuhl angebracht hatte, aktivierte sich. Der Stuhl fuhr Fesseln aus, die ihn an selbigen fesselten.

"Hey, was soll das werden! Lassen Sie mich los!"

"Thomas Dahl", sagte der Meister grimmig. "In Übereinstimmung mit den Richtlinien der Akademie wird dir das Recht entzogen, Magie zu praktizieren. Bis auf Weiteres wirst du zur Rehabilitierung in Verwahrung genommen!"

"Das können Sie nicht machen!", brüllte Thomas zornig, während der Stuhl rückwärts aus dem Raum rutschte und Kurs auf das Büro des Sicherheitsdienstes nahm.

"Ich habe recht! ICH HABE RECHT!"


"Okay ähm, ich glaube, Sie haben das in den falschen Hals gekriegt, Frau Winter, ähm", stammelte Dr. Viehweger, seines Zeichens Spezialist für himmlische und tartarische Entitäten, nachdem Winter selbst soeben in stiller Wut das Wasserglas zerdrückt hatte, dass sie in den Händen hielt. Sie kneifte ihre Augen derart zusammen, dass auch ihr Monokel in Gefahr lief, Risse zu bekommen.

Sie funkelte den dürren Mann mit dem grauen Haar und kurzen Bart zornig an, während K0 sich um die Glassplitter und Wunden an ihrer Hand kümmerte. Es dauerte nur Sekunden und sie war wie neu. Auch wenn sie sich jetzt kurz anfühlen würde, als wäre die Hand eingeschlafen.

"Dann wiederholen Sie nochmal, was genau Sie von mir wollen …", sagte sie drohend.

"Ähm …" begann der Forscher von Neuem und druckste kurz herum. "Ich möchte, dass Sie uns dabei helfen, eine von den Sehern gelieferte tartarische Entität einzudämmen, bis wir sie nach DE22 weiterverschiffen können."

"Und das steht wo in meinem Arbeitsvertrag?", fragte Winter.

"OUH! JETZT HAT SIE DICH!", griente K0. "LOS! KÄMPFT! KÄMPFT! KÄMPFT!"

"Ähm, es geht eher darum Verluste zu minimieren und Zeit zu sparen, wissen Sie?", entgegnete Dr. Viehweger schwitzend. "Das Viech hat drei MTFler krankenhausreif geprügelt. Die Jungs sind froh, dass keiner gestorben ist. Wir hatten bisher nur wenige so mächtige Dämonen in diesem Standort. Ist nie schmerzfrei ausgegangen und wenn wir uns daran erinnern, was Dr. Klanic erleiden musste … Darum dachte ich-"

"Und woher wollen Sie wissen, dass ich kann, was Sie denken das ich kann?", wollte Winter wissen.

Der Mann hatte absolut kein Talent darin, wütende Frauen zu beruhigen.

"Ähm, es steht in Ihrer Akte und nach meinen Erkenntnissen sollten Sie in der Lage sein, auf alles einwirken zu können, dass tartarische Resonanzenergie-"

"Oh Junge, das klingt nach Infos oberhalb Ihrer Gehaltsklasse", unterbrach ihn Winter gefährlich fröhlich. "Bin mal gespannt, was der O4 davon halten wird, wenn ich petzen gehe."

Dr. Viehweger schien endlich die Gänge zu wechseln, denn er versuchte einen anderen Ansatz.

"Okay, was wollen Sie?"

Er schien zu lernen. Mal sehen, ob sich daraus Profit schlagen ließ …

"Erstens will ich zehn Riesen", begann Winter. "Immerhin setze ich mich hier einer blutrünstigen Bestie aus. Zweitens will ich, dass ihr Perversen aufhört, mein gebrauchtes Dusch- und Badewasser für DE21 zu benutzen. Es ist mir egal, wie effektiv es ist, es ist einfach widerlich. Und drittens führen Sie mich ab jetzt gefälligst als Mitwirkende auf, wenn ich bei Ihrer Abteilung 'mal eben aushelfe'."

"Äh, okay?", erwiderte Viehweger vorsichtig.

"Gut, K0, hast du mitgeschrieben?"

YO!

Der Würfel flog zu einem nahen Schreibtisch, nahm sich mit seinen Ranken aus Würfeln ein Blatt Papier. Dann flog er zurück zu Winter, die ihm einen Kugelschreiber reichte. Es dauerte kurz, da K0 die Tinte aus dem Schreibutensil ziehen musste, aber dann druckte er einen Vertrag aus.

"Bitte hier unterschreiben", bat Winter verbindlich.

Mit einigem Zögern willigte Viehweger ein.

"Und nur damit wir uns verstehen, das hier ist eine einmalige Angelegenheit. Ich hasse nämlich diesen Fun Fact über mich. Ich mache das nur, weil ich dank unseres kleinen Vertrages hier ein paar Dinge geraderücken kann."

Sie überlegte kurz.

"Sie haben doch Bekannte im Ethikkomitee, oder?"

"Ja?"

"Dann hätte ich noch eine Bitte an Sie, die Sie nicht ablehnen können …"


"Okay, so weit so gut", schloss Richard, nachdem Winter mit ihrer Erklärung geendet hatte. "Und warum müssen ich und Neun da mit?"

Sie befanden sich gerade auf dem Weg zum Eindämmungsbereich.

"Ihr zwei seid der Backupplan für meinen Backupplan, für den Fall, dass das wieder eine von Dr. Fucking Laschets grandiosen Ideen ist. Ich habe die Erlaubnis von O4-12 eingeholt, um euch rauszuholen."

"Sie mögen diesen Laschet nicht wirklich, oder?", bemerkte Richard.

"Oh, wie kommen Sie darauf?", fragte Winter sarkastisch. "Der Kerl ist eine absolute Null in seinem Job, ich wäre dank ihm bereits dreimal draufgegangen, wenn ich nicht schnell geschalten hätte … Leider kann ich ihm noch nichts nachweisen, aber wenn es soweit ist …"

"Haben wir außer Neun denn keine Verstärkung?", fragte Richard, um Winter aus ihren finsteren Gedanken zu reißen.

"Was? Oh, die Seher sind noch da bis das Viech ordentlich eingedämmt ist."

Richard stöhnte auf.

"Och, nicht die Seher …"

"KENNST DU DIE? MACHEN DIE ÄRGER? OH BITTE LASS SIE ÄRGER MACHEN …", bat K0 mit einem flehenden Gesicht.

"Nein, sie sind ausgezeichnet in dem was sie tun", entgegnete Richard. "Als Einheit ziemlich gut, aber von den anderen MTFs arbeiten nur wenige gerne mit den Sehern, weil einige von ihnen Arschlöcher sind."

"Oh, mit Arschlöchern kann ich umgehen", winkte Winter ab. "Man muss nur so tun, als wäre man ein noch größeres."

Sie öffneten die Tür zum Eindämmungsbereich. Auf dem großen Korridor stand vor einer geöffneten Eindämmungszelle eine gewaltige Kiste aus Stahl, die von einem ebenso riesigen Hubwagen transportiert wurde. Einige Männer und Frauen mit Militärausrüstung standen drum herum.

Ein blonder Mann drehte sich zu ihnen um.

"Ist nicht euer Ernst, oder?", fragte er mit einem Blick auf Neun und K0.

Eine der MTFlerinnen, wie Richard vermutete, trat vor und baute sich vor ihr auf.

"Guten Tag, ich bin Sigh, ich leite diese MTF. Sind Sie Nachwuchsforscherin Winter?"

Winter setzte ein bissiges Lächeln auf.

"Allerdings und ich würde gerne von Ihnen wissen, wer Ihnen gesteckt hat, ich sei eine Spezialistin für Dämonen. Ich hasse diese Viecher. Fast so sehr wie Engel."

Sigh runzelte die Stirn.

"Äh, es gibt Gerüchte bezüglich Ihres Dossiers. Offenbar werden Sie seit einigen Nachforschungen im Vatikan als-"

"Erinnern Sie mich nicht daran", zischte Winter.

"Bist du sicher, dass Sie uns unterstützen kann?", fragte der Blonde skeptisch. "Ich sage wir holen den Dicken einfach raus und schießen so lange auf ihn, bis er Ruhe gibt."

Sigh sah genervt aus.

"Winter, würden Sie bitte?"

Winter legte sich resigniert zwei Gummihandschuhe an und ließ sie hörbar schnappen.

"Kann losgehen."

"Dämonurologin", bemerkte einer der MTFler. "Dass ich das noch erlebe."

Richard hörte einen leichten polnischen Einschlag in seiner Stimme.

"OH, BITTE MEHR DAVON. BITTE MACH' SIE SAUER", freute sich K0, während seine Meisterin offenbar mit dem Gedanken spielte, ihn auf den Soldaten loszulassen.

Aber sie entschied sich anders.

"Kalt, Neun, ihr bleibt zurück. Sigh, Ihre Leute auch. K0, zu mir. Öffnet die Box."

Um Winter herum entstand ein großer Kreis. Die MTFler hielten ihre Waffen auf die Luke der Kiste gerichtet, die mit einem Zischen aufklappte.

Ein grauer Dämon flog brüllend heraus und wollte sich auf Winter stürzen. Doch mitten im Krallenhieb hielt er an, als er merkte, was genau er da vor sich hatte.

Winter betrachtete ihn angewidert.

"Sitz …", zischte sie genervt.

Und entgegen allem, was Richard erwartet hatte, hockte sich der Dämon erschrocken hin.
"Und jetzt Marsch in den Raum da", befahl sie dem Dämon.

Richard wandte sich an Sigh, die neben ihm stand.

"Äh, was exakt hat Winter mit dem Vatikan zu tun?"

"Das liegt oberhalb Ihrer Freigabe, fürchte ich", kam es zurück.

Richard zuckte ratlos mit den Schultern, bevor sich plötzlich Neun einschaltete.

"Mit Winters Existenz ist eine große Menge himmlischer Resonanzenergie verknüpft. Die Auswertung ihres Konzeptkonstrukts lässt außerdem darauf schließen, dass sie von der Führung des antiken Christentums als Heilige anerkannt ist. Das macht sie zum natürlichen Feind jeder tartarischen Entität."

"Antik?", fragte Sigh.

"Sie ist nicht exakt von hier", erklärte ihm Richard.

"Ah", machte Sigh und beließ es dabei.

Richard nahm sich die die Zeit, um sich diese Information durch den Kopf gehen zu lassen. Wenn er an eine Heilige dachte, war Winter eine der letzten Personen, die ihm dabei in den Sinn kamen. Immerhin drohte sie gerade einem gefährlichen Dämon unverhohlen mit einer Rückhandschelle, aber komischerweise zeigte es Wirkung. Richard schüttelte den Kopf.

Wer zur Hölle war Winter?

Der Dämon mittlerweile machte einen respektvollen Bogen um die junge Frau, um zur Eindämmungszelle zu gelangen.

Um dann plötzlich wie eine abgefeuerte Pistolenkugel auf den Ausgang zuzuschießen.

Das beinhaltete leider, dass er Richard über den Haufen rennen musste. Neun kam natürlich ihrer Aufgabe nach und rammte dem Unhold ihre Faust ins Gesicht. Ihr Opfer kugelte durch den Aufprall rückwärts und rollte hektisch hin und her, als seine Haut durch den Bodenkontakt mit weißem Feuer zu brennen anfing.

"Neun, was hast du angestellt?", entfuhr es Richard, während der Dämon wieder auf die Beine kam und wimmernd in der Eindämmungszelle verschwand, die sich daraufhin schloss. "Warum hat der Kerl Feuer gefangen?"

"Das ist nicht auf meine Aktionen zurückzuführen", widersprach Neun. "Die tartarische Entität ist auf gesegnetem Boden aufgekommen, was einen Reinigungsprozess ausgelöst hat."

Es dauerte kurz bis Richard begriff, dass der Dämon auf Boden aufgekommen war, über den zuvor Winter gelaufen war.

Der Boden über den sie läuft, ist im wahrsten Sinne des Wortes heilig.

Er wusste nicht so recht, ob er wegen dieser Erkenntnis erstaunt sein oder kotzen sollte.

"Na Donnerwetter!", meinte derweil der Mann mit dem leichten polnischen Einschlag zu Winter. "Geile Nummer. Sagen Sie, kann ich Sie vielleicht später zu einem Kaffee einladen?"

Völlig ausdruckslos hielt ihm Winter ihre linke Hand vor's Gesicht. Am Ringfinger blitzte Gold.

"Naja, er muss es ja nicht merk-", begann der Soldat wieder, brach aber ab, als die Nachwuchsforscherin ihn ansah, als hätte er sie gerade dazu eingeladen, einem Säugling die Haut abzuziehen.

"Soll ich ein Würstchen aus seinem Würstchen machen? ", bot K0 an.

"Nein, ich glaube der Gentleman hier hat die Nachricht erhalten, K0. Lass ihn ganz."

"Nicht weinen, Wolfgang", tröstete eine Soldatin den abgeblitzten Kollegen trocken.

"Und was ist Ihre Fehlfunktion?", wandte sich derweil der Blonde an Richard.

"Ich bin der Babysitter von dem Mädel hier", erklärte er und zeigte mit dem Daumen auf Neun.

Was auch immer sich der Mann als Folge ausgedacht hatte, er schien es sich zu überlegen, als er in Betracht zog, dass der Cyborg gerade ein blutrünstiges Monster mit nur einem Schlag umgedroschen hatte.

"WIE JETZT, KOMME ICH GAR NICHT ZUM EINSATZ?", fragte K0 enttäuscht.


Die Magier-Korrektionsanstalt Hohenmarsch liegt auf einer kleinen, durch normale Menschen unauffindbaren Insel in der Nordsee und dient als Besserungsanstalt für kriminelle Magiebegabte. Unverbesserliche Zeitgenossen übergab die Akademie normalerweise der Foundation zur Verwahrung, aber von den Insassen von Hohenmarsch versprach sie sich eine Korrektur ihres Verhaltens.

Thomas war inzwischen einer dieser Insassen und dachte nicht im Traum daran, sich zu ändern. Er wusste, dass Magier frei sein sollten. Es war ihr Recht, sein Recht, Magie zu üben, wie es beliebte. Sie standen über den normalen Menschen, also warum ordneten sich Magier ihnen unter? Es wäre so einfach für die Magierschaft, das Ruder an sich zu reißen. Dann würde der Fortschritt der Welt kein Halten mehr kennen, davon war Thomas überzeugt. Unter ihrer Führung würde es keinen Hunger, keine Krankheit und keine Kriege mehr geben.

Thomas wusste, dass er nicht als Einziger so dachte, aber er war der Einzige gewesen, der gehandelt hatte. Ihm war es egal, wenn dabei Menschen zu Schaden kamen, weil, komm schon, es waren nur Menschen.

Leider war ihm diese verdammte Foundation dazwischen gegrätscht. Sonst hätte sein Stunt mehr Aufmerksamkeit erhalten. Die Magierakademie hätte handeln müssen.

Die Foundation …

Wenn es diese verblendete Organisation nicht gäbe, ebenso wie die GOC, dann stünden ihm alle Türen offen. Wie gerne hätte er sie vom Antlitz der Welt gefegt. Aber was sollte er hier schon tun? Hohenmarsch war nicht ohne Grund als Gefängnis auserkoren worden. Diese Insel besaß eine besondere Eigenschaft, hier konnten Magier nur schwerlich auf die Astralebene zugreifen, was zum Wirken von Zaubern eigentlich unerlässlich war. Nur Zauberer mit der Macht eines Großmeisters konnten hier überhaupt so etwas wie Zauber wirken. Thomas aber war hier ein Adept.

Mit Arbeit und Seminaren versuchte man ihn hier gefügig zu machen, auf Linie zu bringen. Damit und mit dieser winzigen Zelle, die nur ein Bett, ein Waschbecken und den Abort enthielt. Man wurde wahnsinnig hier!

Wenn er nur ausbrechen könnte, dann würde er-

Ein elektrisches Knistern ließ ihn aus seinen Gedanken hochfahren. In einer Ecke seines Raumes zuckten Blitze. Dann war da mit einem plötzlichen Knall ein winziger Wirbel aus silbernem Staub, der sich langsam und lautlos drehte.

Thomas hörte bereits die Wachen kommen. Vorher wollte er wissen, was das war. Vielleicht wollte ihm hier jemand beim Ausbrechen helfen. Der Ort erschwerte es, Magie zu nutzen, aber Magie selbst schwächte er nicht. Vielleicht war es ein Teleportspruch.

Er steckte seine Hand in den Wirbel.

Der Staub zog in seinen Arm ein. Thomas prallte vor Panik schreiend zurück. Es war, als würden Ameisen unter seiner Haut krabbeln und sich allmählich in seinem gesamten Körper ausbreiten. Er konnte nichts dagegen tun. Erbarmungslos zog der Staub in seinen Körper ein und erreichte schließlich seinen Kopf. Und dann hörte Thomas die weibliche Stimme.

"INITIALISIERE …"


Hohenmarsch wurde von einer gewaltigen Explosion erschüttert. Wachleute und Gefangene rannten teils kontrolliert und teils in wilder Panik durch die Gegend. Einige flogen durch den Gang zum Eingangsbereich, wenn sie auf das trafen, was die Explosion verursacht hatte.

Wachleiter Schemp, einer der wenigen Magier, die hier Magie benutzen konnten, schickte dem menschlichen Umriss in der Staubwolke Siegelketten entgegen. Das schwarze Eisen legte sich um den Aggressor und zog sich zusammen.

"Lächerlich."

Schemp sah fassungslos zu, wie der Mann im Rauch die Ketten zerriss, als sei er nur in Esspapier eingewickelt. Dann musste er einem gewaltigen Feuerball ausweichen, der ihm entgegengeschleudert wurde.

Er hatte keinen Zauberspruch gehört!

Vom Boden aus sah er, wie der Mann an ihm vorbeitrat und ihn nur wissend angrinste.

"Lass es bleiben. Ich möchte keinem weiteren Magiewürdigen wehtun."

Der Mann lief ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, an ihm vorbei.

Dann benutzte er seine unheimliche Körperkraft und brach durch Hohenmarschs Tore. Während das Gefängnis hinter ihm im Chaos versank, baute er eine Eisbrücke auf dem Wasser, um sich endlich aus dem Einfluss der vermaledeiten Insel zu begeben. Dann ortete er seinen Dämon. Es gab da etwas, das er erledigen musste …

Das nächste Mal bei Neun:
Der Infiltrator

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