Das Dreamteam
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Das letzte Mal bei Nummer 9:
Der Engel, der vom Himmel fiel

Standort-DE12

Richard hatte Gerüchte gehört. Angeblich beschäftigten andere Zweige der Foundation ziemlich merkwürdige Typen. Da gab es einen Professor, der immer noch angestellt war, obwohl er in einen Hund verwandelt worden war, ein mit Narben übersäter Unsterblicher und ein Mann, dessen Seele an ein Amulett gebunden war.

Die deutschsprachige Foundation war wesentlich weniger tolerant, was sowas anging, aber offenbar gab es auch hier eine gewisse Toleranzgrenze, die man erst passieren musste.

Vor ihm an einem Schreibtisch saß nun eine blutjunge Frau mit schneeweißem Haar und einem Monokel vor dem rechten Auge. Passend zur Frisur trug sie den Namen "Winter" und in ihren Blick las er, dass sie sich immer für die Klügste im Raum hielt. Unabhängig davon, wer anwesend war.

Richard saß auf einem billigen Stuhl aus Plastik, der Engel stand mit auf dem Rücken verschränkten Armen und eng angelegten Flügeln hinter ihm. Der Anblick sah vermutlich etwas merkwürdig aus, Richard war wie bereits erwähnt eher klein, aber der Cyborg erreichte knapp zwei Meter …

Zusammen mit ihnen im Raum befanden sich ein paar Aktenschränke, mehrere Regale mit reihenweise Ordnern und auf dem Tisch stand ein Computer mit Flachbildschirm, drei Fotorahmen, deren Inhalt Richard von seiner Position aus nicht erkennen konnte sowie die üblichen Büroutensilien. Alles in diesem Raum war pieksauber und so ordentlich aufgeräumt und angeordnet, dass es fast krankhaft wirkte.

Nach den Geschehnissen in Standort-DE17 hatte man SCP-171-DE wieder eingedämmt und leider auch Richard und den Cyborg in Gewahrsam genommen. Dessen Geständnis war nämlich leider von den Überwachungskameras aufgezeichnet worden.

Die Geflügelte hatte auf die MTF losgehen wollen, da sie sie als Bedrohung interpretierte, doch Richard hatte sie mit einem Befehl davon abhalten können. Sie gehorchte ihm auf's Wort.

Aus diesem Grund hatte man die Beiden in einen Konvoy gesetzt um den Engel wieder dahin zu bringen wo er hergekommen war.

Hierher.

Winter, die eigentliche Verantwortliche für den Cyborg, sah wenig begeistert aus. Richard war informiert worden, dass sie seit Wochen versucht hatte, den Engel zu untersuchen, um ihre Doktorarbeit abzuschließen.

"So", begann sie trocken. "Sie sind also Richard Kalt. Ehemaliger Soldat der Bundeswehr, MTF-Mitglied und offenbar der neue Schwarm von Anomalie 2819-DE."

"Äh, jjja."

"Wie kommt's? Habt ihr euch bei einem Kaffee kennengelernt oder ist sie eine alte Jugendliebe?"

Richard zuckte unmerklich zusammen.

"Nein, Frau Winter, ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, warum sie denkt, ich sei ihr Besitzer."

"Besitzer", echote Winter mit unüberhörbarem Spott. "Kinky … Oder abartig, je nach dem …"

"Jetzt hören Sie mal zu, ich stehe mit ihr in keiner Beziehung."

Er drehte sich zu dem Engel um.

"Hey, sag doch auch mal was, äh … Entschuldige, wie heißt du eigentlich?"

"Ich höre auf jeden Namen, den Ihr mir gebt, Meister", kam es monoton zurück. "Falls es Euch hilft, mein letzter Besitzer hat mich Neun genannt."

"Neun? Er hat dich nach einer Zahl benannt?"

"Ja."

Er spürte wie Winter hinter ihm spöttisch griente. Was auch immer er jetzt machte, er konnte sich nur tiefer reinreiten, außer …

"Na schön, dann bist du ab jetzt Neun. Also Neun, warum sagst du nichts zu ihr?"

"Ihr habt mir keine Erlaubnis erteilt, frei zu sprechen."

Er hörte Winter glucksen.

"Okay, Erlaubnis erteilt. Wenn Frau Winter irgendwelche Fragen an dich hat, bitte beantworte sie."

Er merkte, dass er einen Fehler gemacht hatte noch bevor der Satz beendet war.

"Wie oft saß er auf dem Klo seitdem er dich getroffen hat?", fragte Winter.

"Zwei Mal", antwortete Neun wahrheitsgemäß.

Die Nachwuchsforscherin brach in Gelächter aus.

"Nur Fragen, die sich nicht auf meine Privatsachen beziehen, Herrgott!"

Der Engel verbeugte sich mit gesenktem Kopf.

"Ich entschuldige mich, Meister."

"Meister, uuh …", kam es anzüglich von der anderen Seite des Schreibtischs.

Richard verdrehte die Augen.

"Und hör’ auf, mich Meister zu nennen!"

Neun blinzelte.

"Welche Anrede wünscht Ihr dann?"

"Nenn mich einfach Richard."

Der Engel verbeugte sich wieder.

"Verstanden, Richard."

"Und bitte hör auf, dich wegen jedem Scheiß zu verbeugen."

"Ich verbeuge mich nicht vor Fäkalien, Richard."

"Das war glaube ich eine Metapher, Neun", half Winter.

Neun legte den Kopf schräg und schaffte es trotz ihres gleichbleibenden Gesichtsausdrucks irgendwie, verwirrt dreinzuschauen.

"Ich fürchte ich verstehe nicht."

"Schau, verbeuge dich einfach nicht vor mir", flehte Richard.

"Verstanden."

"Ich mag sie jetzt schon", frohlockte Winter mit einem breiten Grinsen. "Neun, warum hast du diesen Mann als deinen Besitzer ausgewählt, beziehungsweise anerkannt?"

"Er kannte das Codewort", war die kurze Antwort.

"Und dieses Codewort lautet?", hakte Winter nach.

"Es tut mir sehr leid, aber Sie besitzen keine Berechtigung für den Erhalt dieser Information."

Winter zuckte mit den Schultern.

"Einen Versuch war's wert."

"Moment", bat der Soldat, der in seiner Erinnerungskartei gekramt hatte. "Meinst du etwa Holla die Waldfee? Das habe ich zu dir gesagt, als ich dich gefunden habe."

"Sie haben das Codewort vor einer Drittperson erwähnt, Richard. Ich empfehle eine Änderung."

"Später vielleicht", sagte Richard. "Warum hast du so ein Passwort."

"Um zu verhindern, dass Entitäten ohne Berechtigung sich nicht meiner ermächtigen können."

"Nein, Neun", korrigiert Richard. "Warum gerade dieses Passwort?"

"Ich kann nur vermuten, allerdings bedeutet der Satz "Hol laddi wal Dfey" "Dein Herr bin ich" in der antiken Sprache der Church of the Second Hytoth.

"Oh …"

"Antik?", fragte Winter. "Ich habe mich ein wenig mit diesen Typen befasst, es gibt immer noch Ecken im Universum, wo Rakmou-leusan verehrt und mit Tribut versorgt wird. Von wo und vor allem, wann kommst du?"

"Ich stamme aus Ultima und ich komme zu euch aus dem Jahre fünfhundertmillionenzweihundertsechsund-vierzigtausendsiebenhundertzwölf des zweitausendachtundfünfzigsten Zyklus."

"AHA!", rief Winter und notierte sich eifrig etwas. "Du kommst vom Ende der Zeit, stimmt's?"

"Man kann den Zeitraum in der Tat so betiteln, ja", bestätigte Neun.

"Könnt ihr mal einen Gang runter schalten", fragte Richard etwas erbost. "Frau Winter, woher wissen Sie, woher diese Frau kommt?"

"Sie ist nicht das erste Artefakt, dass wir aus Ultima bekommen haben", erklärte die Nachwuchsforscherin. "Allerdings eins der am besten erhaltenen. Aus Ultima, Logos, Asgard und wie diese ganzen Staaten heißen wurden Trümmerteile über die ganze Raumzeit aller Realitäten verteilt, nachdem sie Hops gegangen sind. Wir haben diese Staaten am Ende des Universums unter SCP-299-DE zusammengefasst. Hm, ich glaube, dass macht dich zu SCP-299-DE-1008 …"

Richard hasste es, wie Winter von Neun als "Artefakt" sprach. Sicher, sie hatte genauso viel Persönlichkeit wie ein Schneebesen, aber sie war immer noch eine Person … Das war Standardprozedere, klar, aber Richard hatte es schon immer gehasst, Menschen als geringer als sich selbst zu behandeln.

Neun derweil legte wieder den Kopf schräg.

"Es tut mir sehr leid, dass ich diese Frage stellen muss, aber bei meiner Ankunft hier wurde mein Chronoradar beschädigt. Bitte geben Sie mir das genaue Datum und die Uhrzeit, damit ich mich ordnungsgemäß rekalibrieren kann."

Winter holte ihr Smartphone hervor und zeigte Neun die Datumsanzeige.

"Zur Referenz, es ist nach Christi Geburt."

Neun starrte das Telefon einige Sekunden an, bis sie die Augen schloss.

"Vielen Dank. Ich bin nun wieder vollständig auf die multiversale Zeit kalibriert."

"Das freut mich aber", sagte die Nachwuchsforscherin. "Jetzt aber Nägel mit Köpfen. Was exakt bist du, was ist dein Einsatzzweck und warum bist du hier?"

"Ich bin ein Wachcyborg der Grigori-Klasse, hergestellt von Elousi. Seraphim-Serie-Sondermodell Neun", erklärte Neun. "Ich existiere einzig zu dem Zweck, meinen Besitzer im Einklang mit den Gesetzen von Ultima vor jeder Form von Schaden zu bewahren. Mein letzter Besitzer befand sich auf der Flucht vor dem Ende des Universums, doch wir wurden angegriffen, während wir in ein anderes Universum sprangen. Die Karmasignatur meines letzten Besitzers ist erloschen, daher muss ich mit hundertprozentiger Sicherheit davon ausgehen, dass er verstorben ist. Daher wurden meine Parameter auf Werkseinstellungen zurückgesetzt und ich wurde in Standby versetzt, bis Richard mich als seinen Besitz beansprucht hat."

"Sondermodell, hm?", fragte Winter mit einer wissend hochgezogenen Augenbraue. "Das erklärt dein Erscheinungsbild und einige …", sie überlegte kurz, "andere Eigenschaften. Ich nehme an, deine Serienreihe ist normalerweise nicht weiblich, oder?"

"Das ist korrekt", bestätigte Neun. "Ich bin eine Sonderanfertigung, gebaut nach den Wünschen meines ersten Käufers. Es wurde besonderes Augenmerk darauf gelegt, meine Funktionen trotz meiner äußerlichen Abweichungen vom Standarddesign beizubehalten, allerdings besitze ich gegenüber meiner Standardversion Nachteile im Bezug auf die Körpergröße und die Balance."

"Kann ich mir vorstellen", meinte Winter, während ihre Augen an Neuns Körper hinunter und wieder hinaufglitten. "Verdammter Stecher …"

"Äh, Frau Winter?", fragte ein leicht peinlich berührter Richard. "Ich weiß, das Protokoll verlangt, dass wir Anomalien nicht als Personen betrachten, aber muss das unbedingt in Neuns Gegenwart sein? Und du, Neun, hör auf dich als Objekt zu bezeichnen, das stößt mir übel auf."

Wieder dieser verwirrte Ausdruck.

"Es tut mir sehr leid, aber ich fürchte, Sie unterliegen einem Irrtum. Sicherlich ist mein Grundgerüst und mein äußeres Erscheinungsbild das eines Menschen, allerdings wurde ich als Waffe designt und mit diesem Zweck geschaffen. Sie haben keine Grundlage, um mich als eine Person zu betrachten."

"Doch", erwiderte Richard grimmig. "Meinen Sinn für Anstand."

"Ich fürchte diese Grundlage ist aus gesellschaftlichen Gesichtspunkten von Ultima nicht akzeptabel."

"Echt?", fragte Winter. "Soweit wir wissen, werden Klone in SCP-299-DE zumindest mit einigen Grundrechten und begrenzter Selbstdarstellung ausgestattet. Gilt das etwa nicht für Ultima?"

"Doch", bestätigte Neun. "Allerdings bin ich als Waffe und nicht als Klon klassifiziert, daher sind Klonrechte nicht auf mich anwendbar."

"Ah, schön zu wissen, dass es auch am Ende der Welt Rechtsverdreher gibt …", bemerkte die Nachwuchsforscherin trocken. "Naja, jetzt hast du einen neuen Meister, der dich nach den Sitten des einundzwanzigsten Jahrhunderts nach Christus knuddeln und liebhaben wird …"

Richard hatte allmählich genug von dieser Frau …

"Jetzt passen Sie mal auf, Schneeweißchen, ich weiß nicht ob Sie an der falschen Haltestelle ausgestiegen sind aber mit welcher Grundlage hacken Sie so derart auf mir rum? Hab ich Ihnen irgendwas getan oder geht Ihnen da einer ab."

"Schneeweißchen?", vergewisserte sich Winter, mit einer Kühle, die ihrem Familienamen alle Ehre machte. "Jetzt passen Sie mal auf, Sie abgebrochener Riese. Erstens, der einzige Grund, warum Sie nicht wie die ganzen anderen Anomalien in der Foundation in einer Zelle sitzen und es sich hier in meinem Büro bequem machen können, ist meinem guten Draht zum O4 geschuldet. Zweitens ist Neun mein Projekt und damit auch Sie als Ihr Besitzer, was mir wortwörtlich Berge an Papierkram beschert hat, danke übrigens dafür. Drittens muss ich dadurch jetzt darauf vertrauen, dass Sie zusammen mit Neun keinen Mist bauen, sonst kriegt Sie jemand mit wesentlich weniger Mitgefühl als ich und viertens-"

An Winters Arm piepte etwas. Es war ihre Armbanduhr. Sie sah etwas genervt auf ihr Chronometer und stellte den Wecker ab.

"Einen Moment, bitte", bat sie und holte eine Pillendose aus ihrem Kittel.

Darin befanden sich eine Menge blauer, durchscheinender Pastillen, von denen sich Winter eine einverleibte. Dann steckte sie die Dose wieder weg.

"Wo war ich stehengeblieben? Ach ja, viertens bin ich trotz meiner Leistungen hier im Standort relativ weit unten in der Nahrungskette und der Fakt, dass Sie auf einer Mission einfach ihre Klappe nicht halten konnten und damit indirekt für einen Eindämmungsbruch verantwortlich sind, macht meine Position gegenüber der Belegschaft nicht gerade besser. Also entschuldigen Sie, wenn ich Sie nicht mit dem bedenke, was Sie für gebührenden Respekt halten."

"Sie sind neidisch, hab ich Recht?", fragte Richard trocken. "Sie wollten, dass Neun Sie anstatt mich auswählt. Sie glauben, sie besser im Griff zu haben. Ist doch so, oder?"

Das Zornesrot, dass der Nachwuchsforscherin ins Gesicht stieg, bildete einen guten Kontrast zu ihren Haaren, fand Richard. Mit ein bisschen Fantasie konnte man sich den Dampf vorstellen, der ihr aus den Ohren quoll. Vielleicht schnitt sie sich mit ihrem Monokel ja die Haut ein. Hoffentlich würde er das noch öfter sehen …

Aber so schnell wie die Farbe gekommen war, verschwand sie auch wieder, auch wenn einige Adern auf Winters Stirn unnatürlich angeschwollen waren.

Sie holte tief Luft und gab den längsten Seufzer von sich, den der Soldat je gehört hatte.

"Also gut. Ja, ich bin angepisst deswegen. Ich könnte das besser handeln, ich kenn da ein paar Leute. Aber es ist Fakt, dass Sie und Ihr neuer Bodyguard unter meiner Aufsicht stehen. Mein Wort entscheidet, wo Sie untergebracht werden, was Sie wann bekommen, um sich die Zeit zu vertreiben und was auf den Tisch kommt. Ich habe nicht gelogen, als ich gesagt habe, dass Sie auch wesentlich unangenehmeren Zeitgenossen hier im Standort zugeteilt werden können. Doc Joch, der Chef hier, ist da nicht zimperlich. Also verbocken Sie das ja nicht für mich, sonst geht es für uns beide abwärts."

"Ich möchte anmerken, dass Sie und Ihre Organisation einen Akt der Freiheitsberaubung begehen", meldete sich Neun monoton wie üblich. "Laut Artikel 9 Absatz 2 des Ultima Grundgesetzbuches bin ich dazu berechtigt, meinen Besitzer unter Anwendung maximaler Gewalt von Ihnen zu befreien."

Richard drehte sich hektisch zu ihr um.

"Kannst du das auch lassen?", fragte er erschrocken.

"Ich bin durchaus in der Lage, davon abzusehen, wenn es mir mein Besitzer aus freien Stücken befielt", bestätigte der Cyborg.

"Genau das tue ich hiermit, Neun. Du machst es nur schlimmer, wenn du versuchst, auszubrechen."
"Verstanden, Richard."

Irrte er sich oder sah sie einen winzigen, kaum wahrnehmbaren Ticken verärgert aus?
Dann fiel ihm etwas auf.

"Neun, kann ich dich auf jemand anderen übertragen?"

"Wenn Ihr damit Euren Besitzanspruch auf mich meint, ja, dies ist möglich-"

"Gott sei Dank …"

Dann kam er hier doch noch halbwegs heil raus und musste sich nicht mehr mit Frau Holle hier rumschlagen-

"-im Beisein eines Elousi-Technikers. Ich muss darauf hinweisen, dass diese Firma in der gegenwärtigen Zeit nicht existiert und damit eine Besitzübertragung nur durchgeführt werden kann, wenn Sie sterben."

"Oh …"

Scheiße.

"Genau das hab ich mir schon gedacht, Frodo", sagte Winter knapp. "Andernfalls wäre es ziemlich einfach, eine Übergabe zu erzwingen, oder?"

Richard ließ sich das kurz durch den Kopf gehen.

"Stimmt", sagte er dann. "Ich komme hier nicht raus, schätze ich …"

"Da haben Sie absolut Recht", bestätigte Winter.


Winter arbeitete gerade mit ihren neu erhaltenen Daten an ihrem Computer. Sicherlich, sie hätte Kalt einfach befragen können, aber so war sie an wesentlich mehr Infos gekommen als normal. Allerdings machte es sie immer noch sauer, dass der Mann sie hatte durchschauen können. Sie hatte Neun anschließend endlich ohne Rüstung untersuchen können, da Agent Kalt ihr widerwillig hatte befehlen können, sich zu entkleiden. Endlich kam sie weiter.

Auch wenn Durchstrahlungsverfahren immer noch nicht funktionierten …

Ihr Wecker meldete sich. Zeit für die Pille …

Sie wandte sich nach der Einnahme wieder ihren Akten zu, als ihr Computer meldete, dass sie in einer Videokonferenz verlangt wurde.

Stirnrunzelnd schaltete sie sich ein.

Es gab zwei Teilnehmer. Einer wahr hinter einem Bild von einem achtspeichigen Rad verborgen, aber Winter wusste anhand des Usernames, dass sie O4-8 vor sich hatte. Der andere Anwesende war ein Forscher, die Winter leider nur zu gut kannte. Doktor Johannes Laschet, der Vize-Chef des SCP-299-DE-Projektes und ein von Winter zertifizierter Vollidiot.

"O4-8?", begrüßte sie ihren anderen Vorgesetzten und ignorierte den Doktor geflissentlich, um klare Verhältnisse zu schaffen.

"Nachwuchsforscherin Winter", erwiderte die verzerrte Stimme des O4s. "Es tut mir Leid, dass ich Sie stören muss, aber Ihre bisherigen Daten sind sehr interessant."

"Ich bin noch an der Ausarbeitung, was Sie gesehen haben sind vorläufige Erkenntnisse zu den Fähigkeiten und Eigenheiten der Anomalie", merkte Winter an.

"Mag sein, allerdings finde ich das, was ich gesehen habe, so vielversprechend, dass ich mich mit Dr. Laschet und Ihnen in Verbindung setzen und Ihre Meinung für einen Feldtest einholen wollte.

"Ich denke, das ist durchaus machbar", meldete sich Laschet zu Wort. "Winter hat schließlich festgestellt, dass die Anomalie allen Befehlen des MTF-Soldaten Folge leistet. Kalt hat einen ziemlich hohen Loyalitätsindex, möchte ich anmerken."

"Feldtest?", wiederholte Winter unbeeindruckt. "Sie wollen neue Schoßhündchen von mir? Das muss ich ablehnen."

Das war der Grund, warum Winter Laschet für einen Trottel hielt. Der Mann hatte keinen Respekt vor den Relikten vom Ende der Zeit. Er sah sie nur als Werkzeug, um sich zu bereichern und seine Neugierde zu befriedigen. Hätte es irgendwo einen großen roten Knopf gegeben, an dem in Neonfarben groß dran stand 'NICHT DRÜCKEN, WELTUNTERGANGSMASCHINE', Laschet hätte nicht zweimal überlegt, was er tun würde …

"Warum lehnen Sie ab, Frau Winter?", fragte Dr. Laschet mit einem Lächeln. "Es obliegt meiner Entscheidung, wie mit SCP-299-DE-Artefakten verfahren wird. Und Sie haben schließlich endgültig bewiesen, dass die Anomalie eine davon ist."

"Weil Sie wissentlich auf Basis von Daten entscheiden, die nicht vollständig sind, Dr. Laschet", erwiderte Winter. "Korrigieren Sie mich, aber erscheint es Ihnen nicht als eine Schnapsidee, eine Anomalie sofort für Feldtests vorzuschlagen, weil sie seit ein paar Tagen jedem Befehl gehorcht, den ihr Handhaber ihr gibt?"

Die Atmosphäre wurde eisig.

"Was wollen Sie sonst groß tun? Nutzlos Ressourcen mit redundanten Labortests verschwenden?", fragte Dr. Laschet finster. "Sie haben die Kampfkraft dieses Dings gesehen, wenn auch nur das bare Minimum, wir haben solche Sachen bitter nötig."

"Sie gehen davon aus, dass sie genauso agiert wie es Ihnen vorschwebt", erwiderte Winter säuerlich. "Aber wir wissen nicht genau, ob sie das tun wird. Wollen Sie dafür verantwortlich sein, wenn der Engel plötzlich unsere eigenen Leute niedermäht?"

"Also bitte", mahnte O4-8. "Frau Winter, ich respektiere Ihre Meinung, aber die Foundation könnte in der Tat von den Kampffertigkeiten dieser Anomalie Gebrauch machen. Ich meine, sie ist einem loyalen Foundation-Mitarbeiter treu ergeben, der wahrscheinlich lieber nicht in einer Zelle sitzen würde."

Hohe Tiere und ihr Spielzeug, dachte sich Winter genervt und rückte ihr Monokel zurecht.

"O4-8, bei allem Respekt, das Subjekt ist bei weitem nicht so einfach zu kontrollieren wie Sie glauben. Es gehorcht seinen eigenen Regeln und wird sich eher gegen uns als gegen das Ziel richten, wenn Sie einen falschen Schritt tun. Es ist immerhin dazu da, um zu beschützen, nicht um anzugreifen."

"Deswegen wollen wir auch Sie ins Boot holen", erklärte Dr. Laschet grinsend. "Sie sind gerademal sieben Jahre hier, sechs, wenn man Ihren Ausfall abzieht, aber bereits eine absolute Koryphäe auf dem Gebiet der Technologie aus der Endzeit. Sie könnten Ihre Doktorarbeit fertigstellen und kriegen dabei noch ein wenig Action."

"Dr. Laschet, O4-8, O4-12 kann beteuern, dass ich in meinem Leben schon mehr als genug 'Action' hatte", kam es trocken zurück. "Ich lehne ab."

"Äh, Frau Winter", kam es von O4-8. "Was wir Ihnen hier erklären ist keine Bitte. Zwei O4s haben diesem Experiment zugestimmt. Sie werden zusammen mit der Anomalie für einen Einsatz vorgesehen."

Winter war sprachlos, wie ihre Warnungen schon von vorne herein ignoriert wurden. Nun, notfalls hatte sie noch andere Standbeine, nur die bezahlten nicht so gut …

"Ich soll mit einer nichtmal ansatzweise ausreichend getesteten Anomalie in den Einsatz?", vergewisserte sie sich.

"Nichts Großartiges, wahrscheinlich sollen Sie nur irgendeinen kleinen Kabuff stürmen oder etwas Ungefährliches einfangen lassen", erklärte O4-8. "Uns ist bewusst, dass Anomalien unberechenbar sein können, deswegen werden wir zur Sicherheit eine MTF ausrücken lassen."

"Sie wollen mit unseren Waffen etwas zu Leibe rücken, das einen atmosphärischen Wiedereintritt überstanden hat?"

"Wir werden zusätzliche Vorkehrungen treffen", versprach Dr. Laschet.

Winter unterdrückte ein genervtes Fauchen. Es war ihr absolut schleierhaft, wie der Kerl seine jetzigen Posten erreicht hatte …

"O4-8, Laschet, ich kann mich zwar nicht gegen Ihre Entscheidung stellen, aber wenn das hier alles irgendwann in die Hose geht, und glauben Sie mir, dass wird es, dann werde ich Ihnen für den Rest Ihres Lebens sagen: 'Ich hab's gleich gesagt.'"

Das nächste Mal bei Neun:
Der Mörderwürfel

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