12.01.20██
"Ihre Inkompetenz wird langsam auffällig."
"Dr. Klanic, bitte."
"Danke. Jetzt sehen Sie zu, dass Sie das endlich hinbekommen!"
"Dr. Klanic …"
"In der dritten Welt kriegt man fähigeres Personal."
"Es reicht." Dr. Martinetz richtete sich vor dem in seinem Rollstuhl sitzenden Dr. Klanic auf. "Sie kommen seit einer Woche jeden Tag mit einer neuen Beschwerde an. Irgendwo drückt es immer. Da ists falsch eingestellt, dort wirds unbequem. Wollen Sie nicht kapieren, dass sie sich erst an die Prothesen gewöhnen müssen, oder können Sie's nicht?"
Petr Klanic starrte der älteren Ärztin fest in die Augen. "Ich habe Schmerzen, sobald ich die Dinger anlege. Das hat nichts mit 'Gewöhnung' zu tun."
Dr. Martinetz seufzte. "Hoffnungslos."
"Macht der Patient wieder Schwierigkeiten?", klang eine Stimme bei der Tür herein.
Dr. Martinetz wandte sich mit einem Augenrollen zu dem Neuankömmling um. "Was für eine Freude, Sie zu sehen, Dr. Stein."
Dr. Hannes Stein stelzte herein, mit einem sehr … femininem Gangbild. Mit näselnder Stimme fragte er: "Ach, Doris. Weißt du nicht, wie man 'nen sturen Mann anpacken muss?"
Petr Klanic, eben noch vor Wut kochend, konnte sich nun das Lächeln nicht verkneifen.
"Soll ich dir vielleich ein paar Tricks verraten?", fragte Stein, während er eine klischeehafte Handbewegung machte.
"Nein", antwortete Dr. Martinetz zähneknirschend, "aber Sie könnten mein Lazarett verlassen. Das würde immens helfen."
"Aber das hier ist doch ein Platz für die Leidenden?", fragte Stein mit nach wie vor näselnder Stimme, während sich Martinetz an ihren Schreibtisch setzte.
Sie musterte ihn kurz. "Sie sehen gesund aus. Haben Sie irgendwelche Schmerzen?"
Stein setzte sich auf den Schreibtisch, schlug die Beine so weit übereinander, dass Klanic vom Anblick Schmerzen bekam, und sagte seufzend: "Liebeskummer, Doris."
"Dagegen kann ich nichts tun. Reden Sie mit ihrem Verlobten. Vorzugsweise gleich sofort", fügte Martinetz zornbebend hinzu.
"Aber um ihn geht es doch nicht!", rief Stein überschwänglich aus. "Du weißt ja, wie wir Schwucken sind. Was bei Drei nicht am Baum ist, wird in die nächste Abstellkammer verschleppt!"
"Raus … verschwinden Sie, Dr. Stein."
Stein ließ ein übertriebenes "Tz" hören, während er aufstand, und schnappte sich Klanics neue Beinprothesen. Gemeinsam verließen die Beiden das Lazarett.
Im Gang brach Dr. Stein in schallendes Gelächter aus. Klanic konnte nicht umhin, zu kichern.
"Sie wissen, dass Martinetz Sie nicht so verabscheuen würde, wenn Sie es bei ihr nicht immer so übertreiben würden?"
"Wenn die hochgeschätzte Frau Doktor so ein Problem mit Leuten wie mir hat, hätte sie sich einen anderen Beruf aussuchen sollen", erwiderte Stein mit nun völlig normaler Stimme.
Klanic schüttelte lächelnd den Kopf. "Sie machen es ihr aber auch nicht gerade leicht."
"Da haben wir etwas gemeinsam", murmelte Stein.
"Wie meinen?"
Stein seufzte. "Dr. Klanic, ich bin nicht ins Lazarett gegangen, um Frau Doktor Martinetz zu quälen. Ich wollte sie von Ihnen befreien."
"Bitte?", entfuhr es Klanic lauter als beabsichtigt, "Diese Frau bringt es seit einer Woche nicht fertig, meine Prothesen richtig einzustellen!"
"Genausowenig wie die zwei Spezialisten, zu denen Sie inzwischen nicht mehr gehen."
"Ich kann nichts für deren Inkompetenz."
Stein stellte sich vor Klanics Rollstuhl und zwang ihn so zum Stehen. "Die Foundation stellt keine inkompetenten Mitarbeiter ein. Und wenn wir schon davon reden … wieso stellen Sie sich die Prothesen nicht selbst ein? Sie haben das nötige Geschick."
"Weil das nicht meine Aufgabe ist", erwiderte Klanic zähneknirschend. "Und es ist nicht Ihre, mich psychologisch zu behandeln, Stein."
Damit fuhr Klanic an Stein vorbei und weiter in Richtung des Aufzugs.
14.01.20██
"Herein."
Mit einem deutlich spürbaren Knoten im Magen fuhr Dr. Klanic mit seinem Rollstuhl in das Büro von Standortleiter Dr. Ukend. Das würde er natürlich nicht zeigen, aber es war nie ein gutes Gefühl, unvermutet in das Büro von Ukend gerufen zu werden.
"Dr. Klanic. Kommen Sie."
"Was kann ich für Sie tun, Standortleiter?"
"Ich möchte mit Ihnen über eine Übertretung des Dienstweges sprechen."
Klanic kratzte sich am Kinn. "Nicht unbedingt mein Fachgebiet."
Der Standortleiter nickte. "Es geht dabei um einen Antrag bezüglich eines Objekts, an dem Sie arbeiten … beziehungsweise gearbeitet haben; SCP-084-DE."
Klanic seufzte. Er konnte sich schon denken, worum es bei diesem Antrag ging.
"Ich nehme an, der von mir schon etwa fünfzehn mal abgelehnte Antrag über eine Nutzungsweise wurde nun direkt an Sie geleitet?"
"Korrekt", bestätigte Ukend. "Eine der 'Beschwörungen' von 084-DE, Fidelis, wird als positive Anwendungsmöglichkeit des Objekts genannt und der Antrag gestellt, diese eine Beschwörung für medizinische Zwecke einzusetzen."
Klanic nickte. "Wie ich als zuständiger Forschungsleiter bei allen vorherigen Anträgen und in meinen zugehörigen Berichten vermerkt habe: Es ist zu riskant."
Ukend zuckte mit den Schultern. "Ich weiß nicht. Immerhin hat diese Beschwörung durch puren Zufall Lungenkrebs geheilt."
"Bei einem Mann, dessen Frau und Tochter kurz danach starben."
Der Standortleiter zog die Augenbrauen hoch. "Durch eine … unglückliche Handhabung der notwendigen Maßnahmen zur Geheimhaltung."
"Ja", schnaubte Klanic, "das denken wir. Aber nach all dem, was wir Anomalien haben vollbringen sehen … wer sagt, dass dieser Vorfall nicht in der 'Absicht' des Geräts lag?"
"Dafür gibt es Versuche mit D-Personal."
Klanic nickte. "Ja … aber das ist auch nicht er einzige Grund für meine Ablehnung."
"Spannen Sie mich nicht so auf die Folter, Dr. Klanic", sagte der Standortleiter lächelnd.
"Nach dem einzigen Gespräch mit einem der … 'Wesen', die durch 084-DE beschworen wurden, wissen wir, dass das Objekt mehr oder weniger Verbindungen in eine oder mehrere … alternative Dimensionen oder -"
"Das Ding kann Portale in die Hölle öffnen", unterbrach Dr. Ukend. "Unwissenschaftlich ausgedrückt. Und Ihr Punkt ist …?"
"Mein Punkt ist", begannn Klanic, "dass wir nicht wissen, wie 084-DE diese Wache geheilt hat. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass es etwas mit einer dieser 'Höllendimensionen' zu tun hat."
Der Standortleiter nickte. "Und das ist Grund genug, vorsichtig zu sein. Eine völlige Ablehnung erscheint mir aber unüberlegt und womöglich etwas … egozentrisch."
Und plötzlich war der Knoten im Magen wieder in voller Stärke da. "Wie bitte?"
"Dr. Klanic, Ihre Gründe für eine Ablehnung dieses Antrags sind wohlüberlegt und durchaus objektiv, aber es ist fragwürdig, ob Sie anders reagieren würden, wenn Sie noch Ihre Beine hätten."
Klanic starrte Ukend einen Moment lang ausdruckslos an. Dann stieß er ein freudloses Lachen aus. "Darauf läufts also hinaus … der Krüppel gönnt den Normalen keine Heilung."
Der Standortleiter schüttelte den Kopf. "Ganz im Gegenteil. Ich glaube, dass Sie sich selbst keine Heilung gönnen."
Klanic lehnte sich zurück und starrte an die Decke, tief ein- und ausatmend. "Sie haben Stein angestiftet?"
"Musste ich nicht. In der ganzen Anlage wird getuschelt. Die Leute bemerken, dass Sie Ihre Prothesen nach zwei Wochen noch immer nicht getragen haben. Nachdem Sie die vorherigen drei Paare postwendend zurückgeschickt haben, weil die Größe angeblich nicht stimmte."
Klanic schüttelte den Kopf. "Meine Situation hat nichts mit meiner Einschätzung bezüglich dieses Antrags zu tun."
"Den Antrag habe ich gestern abgelehnt", erwiderte Ukend. "Sie sind einer unserer besten Forschungsleiter und haben ein Talent dafür, Verbindungen zu entdecken - und das will ich nicht an Ihre Behinderung verlieren."
Klanic bllinzelte mehrmals, um das Brennen aus seinen Augen zu vertreiben, ehe er antwortete: "Meine Behinderung ist eine private Angelegenheit, die meine Arbeit in keiner Art beeinflusst. Und ich muss zu meiner Arbeit zurück."
Damit drehte Klanic seinen Rollstuhl um und verließ das Büro.
15.01.20██
Ein Klopfen an der Tür ließ Dr. Petr Klanic von seinem Schreibtisch hochsehen.
"Darf ich?", fragte Dr. Hannes Stein. Klanic nickte.
"Ich habe gehört", begann Stein, während er die Tür hinter sich zumachte, "dass Sie mitten in einem Gespräch den Standortleiter einfach haben sitzen lassen und abgehauen sind."
Klanic nickte erneut. "Wollen Sie mir sagen, wie dumm das war?"
"Nein, ich wollte Sie nur daran erinnern, dass Leute schon für weniger die Glühbirne in der Zelle von SCP-173 wechseln mussten." Stein zuckte mit den Schultern. "Glücklicherweise wäre ein Rollstuhlplatz im Flugzeug wohl zu kostspielig, um das zu bewerkstelligen."
Klanic schüttelte kurz den Kopf, ehe ihm ein Kichern entfloh.
Stein sah sich kurz verunsichert um. "Wo sind Ihre Prothesen?"
"Zuhause."
"Ah." Stein nickte und setzte sich auf den Stuhl gegenüber von Klanic. "Sie wissen, dass ich diesmal nicht lockerlasse, bis Sie's mir endlich erklären."
Klanic seufzte. "Nun, jetzt weiß ich es."
Stein verschränkte die Arme. "Also?"
Klanic drehte seinen Rollstuhl herum, öffnete einen seiner Aktenschränke und holte mehrere Akten heraus, die er auf den Tisch warf. Stein ließ den Blick darüber schweifen … alles Akten von SCPs, die Klanic attackiert hatten.
"Ja…?"
Klanic seufzte. "Denken Sie mal nach, Stein. Von wie vielen SCPs wurde ich attackiert, seitdem ich meine Beine verloren habe?"
Stein zählte noch einmal in Gedanken nach. "Vier. Null-siebenundneunzig-DE, null-vierundachtzig-DE, null-zweiund-"
"Vier SCPs", unterbrach Klanic. "Und von wie vielen wurde ich attackiert, als ich Beine hatte?"
Stein seufzte. "Von einem."
Klanic nickte. "Exakt."
"Aber was hat das mit Ihren Prothesen zu tun?", fragte Stein. Klanic seufzte. Er mochte Stein, aber manchmal war er schwer von Begriff.
"Welche Konsequenzen musste ich persönlich durch die vier SCPs tragen, die mich nach dem Verlust meiner Beine attackiert haben?"
Stein dachte nach. "Soweit mir bekannt ist … außer ein paar Kratzern … nichts wirklich Schlimmes."
"Und der eine Angriff davor?"
Stein fuhr sich mit der Hand über die Stirn, die Erkenntnis stand ihm ins Gesicht geschrieben.
"Sie haben Angst … wenn Sie wieder gehen können, dass Sie beim nächsten Angriff wieder etwas verlieren?"
Klanic nickte. "Es ist unlogisch. Völlig emotional. Es gibt keinen guten Grund, anzunehmen, dass die Fähigkeit zu gehen die Verletzungsgefahr irgendwie erhöht - im Gegenteil. Aber nichtsdestotrotz … Ich hatte Beine. Habe Sie bei der ersten Begegnung mit 'nem Monster verloren, und das Ding ist entkommen. Habe keine Beine … und jedes Monster, dass mir begegnet, wird eingefangen oder ausgeschaltet, ohne mir viel zu tun."
Stein reichte Klanic ein Taschentuch. Klanic nahm es verwirrt entgegen, ehe ihm das Brennen in seinen Augen verriet, was los war.
"Dr. Klanic … Petr … Wieso hast du das nicht gesagt?"
Klanic schnaubte. "Weil es idiotisch ist. Unprofessionell. Und ich muss bei der Foundation alles geben."
"Du hast deine Beine gegeben. Mehr kann keiner verlangen."
Klanic blinzelte. "Was?"
"Petr, du bist einer der besten Forscher hier. Das macht dein Verstand, nicht deine Beine."
"Das siehst du so."
"Und nach meinem Bericht auch der Standortleiter."
Klanic schnaubte. "Also hat er dich geschickt."
"Nein, aber ich werde eine psychologiche Einstufung schreiben, die ihn davon überzeugen wird, dass die Prothesen deiner Arbeit im Weg stehen." Stein lächelte Klanic an. "Mit etwas Glück kann ich sogar ein physiologisches Argument gegen deine Prothesen finden, damit die Kollegen zu tuscheln aufhören."
Klanic griff über den Schreibtisch und nahm Steins Hand. "Hannes … danke."
Stein lächelte, nickte, stand auf und ging. Und Klanic lehnte sich in seinem Rollstuhl zurück.
Antrag zur zivilen Nutzung eines SCP
Objekt: SCP-084-DE
Art der beantragten Nutzung: Heilung schwerer Verletzungen von Mitarbeitern mithilfe des Fidelis-Kommandos.
Antrag ergeht an zuständigen Forschungsleiter: Standortleiter Dr. Ukend
Beurteilung: Antrag wird teilweise stattgegeben. Nutzung nur in außergewöhnlichen Notfällen / bei anders nicht behandelbarer Anzahl von Verletzten. Beurteilung, ab wann dieses Kriterium erfüllt ist, obliegt Dr. Doris Martinetz.