Sascha Klaus schaute mit einer Mischung aus Unglauben und Faszination auf das Gebäude vor ihm. Es sah ihm ziemlich ähnlich. Heruntergekommen, wenig einladend und die Verkabelung und die Rohre pfiffen wahrscheinlich aus dem letzten Loch.
Sascha war ein Obdachloser, ein Mann, der nicht mal genug Geld hatte, um sich einen linken Schuh zu leisten. Oder sich seine grauen, schütteren Haare zu schneiden.
Er sah mit seiner abgehalfterten Kleidung absolut erbärmlich aus, vor allem neben dem Mann neben ihm. Er trug ein dreckfreies, himmelblaues Hemd und Jeans, dazu eine Fliege mit einem undefinierbaren, bunten Muster. Wo Sascha bärtig und schmerbäuchig war, war dieser Mann dünn wie ein Ast und glattrasiert, die braunen Haare wohlfrisiert.
Und er lächelte mit der Ruhe eines Buddhas, während er mit Interesse Saschas Reaktion verfolgte.
Er hatte sich Sascha als Professor Alexander Voss vorgestellt, nachdem er ihn von den Straßen von Hamburg aufgelesen hatte.
"Ich möchte, dass Sie mir helfen", hatte er gesagt.
Nun, da er einen Tausender versprochen und sogar schon zur Hälfte gezahlt hatte, fühlte sich Sascha bereit, sich ein Bein auszureißen, um Professor Voss dabei zu helfen, jemand anderem ein Bein auszureißen.
So verzweifelt war er inzwischen. Oder war der Professor einfach so überzeugend?
Nur, bei diesem gepflegten Aussehen und dem schicken Audi aus dem er ausgestiegen war, hatte er eigentlich etwas völlig anderes als Behausung erwartet.
"Ich weiß, es macht nicht viel her, aber es ist das Innere, dass von Bedeutung ist. Die Miete hier ist billig", erklärte der Professor und setzte sich mit der Geschmeidigkeit eines Adligen in Bewegung. Sascha watschelte hinterher.
"Sie sagten, ich solle ihnen helfen", bemerkte er, als sie durch die Tür gingen. "Wobei überhaupt. Soll ich ihnen helfen, das Haus zu reparieren? Ich habe mal versucht, Maurer zu werden, das hilft vielleicht."
"Oh nein, ich habe Sie für etwas viel Größeres vorgesehen als Handarbeiten", erwiderte der Professor begeistert. "Ich möchte, dass sie unsere Forschung unterstützen."
Sascha blieb wie angewurzelt stehen. Bilder von abscheulichen Experimenten stiegen in ihm auf. Was anderes konnte er sich für sich nicht vorstellen. Immerhin war er obdachlos.
"Sie wollen … Menschenversuche an mir machen?"
Professor Voss blieb stehen und drehte sich um. Er schien nach den richtigen Worten zu suchen.
"Nun, wenn Sie es ganz weit herunterbrechen … Ja", sagte er mit einem entschuldigenden Lächeln. "Aber keine Sorge, wenn alles gut läuft, gehen Sie sogar mit Superkräften hier raus."
Sascha traute seinen Ohren nicht.
"Was?"
"Kommen Sie mit", bat der Professor freundlich.
Sascha gehorchte verwirrt.
"Schauen Sie, meine Forschungseinrichtung, das Institut für Menschliche Bildung und Weiterentwicklung erforschen die Möglichkeiten des Transhumanismus. Sagt ihnen das Wort was?"
Sascha schüttelte ahnungslos den Kopf. Wissenschaft war nie so seins gewesen.
"Klingt nach Geschlechtsumwandlung."
"Ah, leider daneben", bemerkte Voss nachsichtig. "Transhumanismus ist eine Denkrichtung, eine Zielsetzung. Im Prinzip geht es darum, die menschlichen Grenzen zu erweitern. Schneller laufen, höher springen, weiter denken, verstehen Sie soweit?"
"Also, sowas wie Doping?", fragte Sascha, stolz darauf, dass er auch mal was wusste.
"Hm, ja, man kann Doping als Teil des Transhumanismus betrachten", bestätigte der Gelehrte. "Aber jeder Tölpel kann sich Aufputschmittel spritzen. Wir sind ein wenig eleganter. Glauben Sie an Magie?"
Sie erreichten eine Treppe und stiegen hinauf.
"Magie?", wiederholte Sascha ungläubig. "Sowas wie zaubern? Taschenspielertricks, nichts weiter."
Voss gluckste.
"Eine berechtigte Betrachtungsweise. Aber was, wenn ich Ihnen sage, dass wir tatsächliche Magie entdeckt haben. Sie sogar wissenschaftlich beweisen und studieren können?"
"Ich würde Sie für verrückt halten", sagte Sascha ehrlich.
"Verständlich. Immerhin ist wahre Magie ein seltenes Phänomen. Es gibt Leute auf dieser Welt, die Magie wirken können, aber dafür braucht es eine genetische Veranlagung. Anfangs haben wir gedacht, Magie wäre nur bestimmten Menschen vorbehalten, aber tatsächlich ist jeder zumindest theoretisch fähig, Magie einzusetzen. Nur haben viele Menschen kein nennenswertes Potential. Aber dieses magische Potential ist wie ein Muskel, der sich trainieren und aufputschen lässt. Und da kommen Sie ins Spiel."
"Sie wollen mich zum Zauberer machen?", vergewisserte sich Sascha ungläubig. "Einfach so?"
"Naja, voraussichtlich gehen Sie hier mit einem erweiterten Potential für Magie heraus, aber nichts, was tatsächlich Praktizierende vom Stuhl heben würde", erklärte Voss schulterzuckend. "Unsere Forschung dazu steckt leider noch in den Kinderschuhen. Wir vermuten bisher, dass der Prozess erträglich ist, immerhin haben bisherige Testsubjekte, ich eingeschlossen, nichts Gegenteiliges verlauten lassen, aber wir haben für den Notfall Morphium da. Wir wollen ja nicht, dass sie vor Pein wahnsinnig werden."
"Sie machen Experimente an sich selbst?", vergewisserte sich Sascha skeptisch.
"Oh, sicherlich. Wo Potential da ist, sollte es genutzt werden, nicht wahr?"
Sascha brachte dem Mann eine gewisse Bewunderung entgegen. Er hatte so eine unheimlich sympathische und vornehme Art an sich. Man konnte ihm schwerlich irgendwas nicht glauben.
"Hatt's bei Ihnen was gebracht?"
"Nicht wirklich", winkte Voss ab. "Ich habe es hinbekommen, eine Kerze anzuzünden, aber das hat mich stark erschöpft. Nichtmal für den Hausgebrauch zu empfehlen. Ah, wir sind da."
Voss führte ihn am Ende eines Korridors durch eine Doppeltür.
Überall legen Kabel auf dem Boden herum, die verschiedene schrankgroße Maschinen miteinander verbanden. Insgesamt fünf Männer und eine Frau wuselten herum, drückten Knöpfe auf Pulten, notierten sich Dinge und drehten an Rädchen. Dazu war ein großer Mann im Raum, der neben seinem schwarzen Ledermantel auch noch Lederhandschuhe und einen Motorradhelm trug. Er wirkte sehr unzugehörig, aber anscheinend war er Teil des Teams, da er an einigen Kabeln rumfummelte.
An der Stirnseite des Raumes stand etwas, das Sascha im ersten Moment für einen elektrischen Stuhl hielt. Allerdings gab es weit mehr Metall, das einem Okkupanten des Stuhls angelegt werden konnte. Er wirkte wie eine Art Ganzkörperklammer. Darum herum waren Metallwände aufgestellt.
"Ah, Professor Voss", grüßte ein gedrungener Mann mit Nerd-Brille und ergrauten Haar und Bart seinen scheinbaren Vorgesetzten. "Ist er das?"
"Ah, Doktor Hohlbein", gab Voss höflich zurück. "Allerdings, das hier ist Herr Klaus. Ein Prachtkerl, wenn ich das so sagen darf."
Hohlbein nickte Sascha kurz zu.
"Angenehm. Wissen Sie bereits über die Prozedur Bescheid oder benötigen Sie noch eine Einweisung?"
"Also, ich weiß was hier abgeht aber nicht, was ich konkret machen soll", gab Sascha zu.
"Kein Ding", entgegnete der Doktor. "Professor, wollen Sie?"
"Oh, mit Vergnügen", freute sich Voss. "Herr Klaus, Sie haben die Ehre, auf diesem Stuhl hier Platz nehmen zu dürfen. Die Prozedur an sich ist schnell erklärt. Wir werden ihr magisches Potential zwingen zu wachsen und um den Vorgang zu stabilisieren, werden wir Sie gleichzeitig mit Astralenergie aufladen, das ist die Energieart, auf der alle Magie basiert. Der Vorgang fühlt sich in etwa so an als würden Sie statisch aufgeladen, nur ohne die Sache mit den Haaren. Meine Mitarbeiter hier werden derweil Ihr magisches Potential und Ihre Vitalwerte beobachten. Irgendwelche Fragen bis hierhin?"
Sascha dachte darüber nach und fand keine.
"Dann bitte einmal hier durchtreten."
Sascha zwängte sich durch die einzige Öffnung in den Wänden und trat vor den Stuhl. Dann blieb er vor dem Stuhl stehen.
"Äh, eine Frage habe ich, wofür sind die Wände hier?"
Er drehte sich fragend um. Hinter ihm stand der Mann mit dem Motorradhelm. Sascha selbst war überdurchschnittlich groß, aber dieser Mann hier überragte ihn um mindestens einen Kopf. Er hatte ihn gar nicht kommen gehört.
"Das sind Abschirmungen gegen magische Strahlung", erklärte Professor Voss derweil. "Es kann sein, dass Sie während des Vorgangs magische Strahlung generieren, die wirkt leider extrem mutagen.
"Mutagen!?", wiederholte Sascha erschrocken? "Wächst mir da ein dritter Arm oder sowas?"
"Das kann durchaus passieren", räumte der Gelehrte ein. "Aber keine Sorge, wir stehen das zusammen durch. Seien Sie jetzt ganz tapfer."
Er sagte das, als wäre Sascha ein kleines Kind, das es zum Zahnarztbesuch zu überreden galt.
"Hey, nein. Ich steige aus, das wird dann doch-"
Er versuchte, sich an dem Helm-Mann vorbeizudrängeln, aber der hielt ihn mit erstaunlicher Kraft fest und drückte ihn mit sanfter, aber nachdrücklicher Gewalt in den Stuhl.
"Hey, das können Sie nicht machen!", rief Sascha und wehrte sich gegen die Behandlung, vergeblich.
Der Mann drückte ihn mit einer Hand gegen den Stuhl und der Professor begann, ihn in die Metallteile einzuspannen.
"Lassen Sie mich gehen!", rief der Obdachlose den beiden hinterher, nachdem er vollständig bewegungsunfähig war.
Die Männer verschwanden hinter der Abschirmung.
"Rekorder läuft", hörte er Voss sagen. "Starte Experiment Taum-A 023 mit den nach Experiment Taum-A 022 beschlossenen Modifikationen. Dr. Hohlbein, ist alles bereit?"
"Kann losgehen", sagte der Doktor "Alles im grünen Bereich."
"Der Proband?", fragte Voss weiter.
"Beschleunigte Herzfrequenz, er ist in Panik", sagte die Frau im Raum.
"Innerhalb des Toleranzbereichs", wertete der Professor. "Also dann, starten wir das Experiment."
Irgendwas begann zu summen und Sascha fühlte sich, als würde er vom Blitz getroffen. Irgendwas wurde in ihn hineingepumpt, aber er konnte den Mund nicht öffnen. Er sah vor seinem Geistigen Auge eine Art unendliche, blau leuchtende Ebene.
Und aus der Unendlichkeit starrte etwas zurück.
Und kam näher.
Mit Panik bemerkte Sascha, wie er die Kontrolle über seinen Geist zu verlieren begann. Aber das dauerte nicht lange …
Kawarama freute sich. Es erkannte zum ersten Mal, was es hieß, sich zu freuen.
Moment! Es war kein Es mehr. Es war ein Er.
Er war ein Astralwesen, dass endlich einen Weg aus der Astralebene hinaus in das Reich der Lebenden gefunden hatte.
Merkwürdig eng hier drin. Vielleicht war dieser Körper nicht auf Magie ausgelegt?
"Professor? Irgendwas stimmt nicht! Die Astralwerte gehen durch die Decke!"
"Herzfrequenz ruhig. Kein Anzeichen von Mutation."
"Hm … Evakuiert den Raum, nein, besser noch, den Flügel. Ich gebe euch Bescheid, wenn es sicher ist."
Schritte waren zu hören.
Kawarama bekam endlich heraus, wie man die Augen scharfstellte. Er sah, wie sich ihm ein dürrer, braunhaariger Mann durch eine Schmale Öffnung in einer Mauer aus Abschirmungen bahnte.
"Herr Klaus? Wie geht es ihnen? Alle in Ordnung?", fragte er, bevor er innehielt. "Oh, Sie sind nicht Sascha, oder?"
Mit einem Puls purer Astralenergie sprengte Kawarama seine Fesseln, warf die Metallwände um und fegte den Mann von den Füßen. Er wurde von einem zweiten Mann mit einem Motorradhelm aufgefangen.
Das Astralwesen war sich nicht sicher, warum es das gerade getan hatte. Es kramte in den Erinnerungen seines Wirts und kam schließlich darauf, dass dieser Mann für diese Situation hier verantwortlich war.
"Wirklich erstaunlich", sagte der Professor, als Kawarama ihn nun identifizierte, während dieser wieder auf die Beine kam. "Das ist eine neue Entdeckung! Herr Klaus, wenn sie mich noch hören können, ich bin gerade unheimlich stolz auf Sie!"
Er trat auf den Besessenen zu.
"Mit wem habe ich hier das Vergnügen?"
"Ich bin Kawarama", antwortete das Astralwesen ehrfurchtgebietend mit einer Stimme, die sich anhörte, als sprächen mehrere Leute gleichzeitig. "Bist du wirklich so frech, mich wie eine Kuriosität zu behandeln?"
"Ich bin fasziniert", korrigierte Voss voller Entdeckerdrang. "Diese Astralwerte, diese Macht ist bisher noch nie dagewesen. Mit Ihnen öffnet sich uns ein völlig neues Territo-"
Kawarama teilte ihn mit einer magisch verstärkten Handbewegung in zwei Hälften. Er war auf merkwürdig viel Widerstand gestoßen …
Dann merkte er, woran das lag.
Während der Körper zu Boden fiel, konnte man deutlich sehen, dass das Astralwesen eine Maschine vor sich gehabt hatte. Öl und andere Flüssigkeiten liefen aus dem regungslosen Metall heraus.
"Hm, warum so aggressiv?", fragte der Motorradhelmträger mit besänftigendem Tonfall.
Seine Stimme klang ähnlich der von Voss, war allerdings voller und wohlklingender. Der Mann hätte Sänger werden können.
"Und wer bist du?", fragte Kawarama.
"Ich bin Professor Alexander Voss", stellte sich der Mann vor. "Sie haben gerade meine Drohne zerstört. So ein RTI-Titan ist teuer, ebenso wie das andere Equipment in diesem Raum. Darum würde ich Sie bitten, Ihre Zerstörungswut im Zaum zu halten."
Das Astralwesen wandte sich ihm zu.
"Soso, warum? Ist das auch nur eine Marionette, die du benutzt? Hinter der du dich versteckst?"
"Oh, nein, ich stehe hier höchstpersönlich vor Ihnen", erläuterte Voss und machte eine elegante Verbeugung. "Es ist nur, dass mein Erscheinungsbild dank der vielen Versuche und Verbesserungen, die ich an mir durchgeführt habe nicht gerade … ansprechend auf die breite Masse der Gesellschaft wirkt, daher benutze ich normalerweise diese Puppen hier, um mit meinen Mitarbeitern und der Welt zu interagieren."
"Die Welt, in die du mich gelassen hast. Ergib dich, dann denke ich darüber nach, dich zu verschonen. Immerhin wäre ich ohne dich nicht hier."
Kawarama grinste höhnisch.
"Es tut mir sehr leid", entgegnete der Professor höflich. "Aber ich habe so viel, was ich an Ihnen untersuchen möchte. Das könnte das Ei des Kolumbus sein, von dem ich schon so lange träume."
Kawarama hob müde einen Finger. Eine Eisenlanze materialisierte sich mitten in der leeren Luft und fuhr Professor Voss mitten durch die Brust.
"Oh", keuchte er überrascht, während er sich auf den Beinen zu halten versuchte. "Die Verhandlungen sind wohl gescheitert. Wie bedauerlich."
Blut lief in Strömen aus der Wunde, aber Voss gab keinen Schmerzenslaut von sich.
"Du bist erstaunlich ruhig dafür, dass ich dir gerade das Herz durchbohrt habe", bemerkte Kawarama anerkennend.
"Oh, das macht nichts, ich habe vier von denen. Und das wächst nach."
" … Was?"
Der Professor hielt seine linke Handfläche nach vorn. Ein baumdicker Strahl aus gelb leuchtendem Plasma schoss daraus hervor. Kawarama schaffte es noch, eine Schutzbarriere um sich herum hochzuziehen, doch die Wucht allein reichte aus, um ihm durch die Wand hinter ihm zu schleudern, die durch die direkte Hitze geschmolzen war.
Kawarama fiel in den Hof des Gebäudes und entschleunigte seinen Fall durch Magie auf ein Maß, das sich beim Bodenkontakt nicht schmerzhaft auswirkte.
Über ihm sprang Professor Voss aus dem zweiten Stock zu ihm herunter. Der Blutfluss seiner Wunde war versiegt.
"Hoho, Superheldenlandung!", freute er sich nach dem Aufkommen. "Wirklich erstaunlich. Sie haben dem maximalen Output widerstanden. Oh, wie gerne will ich weiter testen …"
"Was war denn das?", entfuhr es Kawarama entgeistert.
Er starrte auf Voss' linken Arm, dessen Ärmel und Handschuh weggebrannt war. Darunter kam schwarzes Metall zum Vorschein. Linien glühten rot darauf, aber wurden langsam schwächer.
"Ein interessantes Gerät", bemerkte der Professor. "Unser Institut hat es in Zusammenarbeit mit einem Waffenproduzenten namens Raptor Tec. Industries entwickelt. Ich habe dieses Modell behalten, denn den Arm habe ich leider durch ein fehlgeschlagenes Experiment verloren. Ich könnte ihn zwar inzwischen nachwachsen lassen, aber ich mag diese Prothese. Ziemlich modisch, nicht wahr? Hat dieses Sci-Fi-Feeling. Wir modifizieren sie noch immer mit neunen Funktionen."
Kawarama antwortete mit einer Salve aus Stichflammen. Der Professor rannte mit unmenschlicher Geschwindigkeit beiseite und die Geschosse brannten sich in die Mauer hinter ihm.
Er reagierte zu schnell!
"Faszinierend", kommentierte Voss und klatschte Beifall. "Vollkommen großartig! Zeigen Sie mir mehr davon, wie Sie den Menschen auf eine neue Stufe heben! Hier im Hof können Sie sich richtig austoben, hier explodiert öfter mal was. Zeigen Sie mir ALLES!"
Kawaramas Augen konnten Voss gar nicht so schnell folgen, so schnell war er heran und verpasste ihm einen Kinnhaken mit der Rechten.
Die Wucht war groß genug, um Kawarama zu Boden zu schicken. Mit einem Impuls aus purer elektrischer Energie zwang er den Professor wieder auf Abstand.
Das Astralwesen setzte sich auf und teleportierte sich direkt vor den Professor. Dieses Mal konnte er nicht schnell genug reagieren und entging dadurch nicht dem magisch verstärkten Hagel aus Faustschlägen, die ihn ins Mauerwerk drückte.
Ein Teil seines Visiers ging durch den Schlag kaputt und brach ab.
Kawarama hielt schlagartig inne, als er das Ding sah, das sich da als Mensch auszugeben versuchte. Er sah nur eins von mehreren Augen in der Dunkelheit unter dem Helm, aber das reichte schon.
Es besaß vier Pupillen und wirkte eher wie das von einem Oktopus.
Und es hatte neben dem normalen Lid noch eine Nickhaut …
Er war von dem Anblick so gebannt, dass er gar nicht bemerkte, wie Voss' rechter Arm vor Muskeln aus seinem Ärmel platzte und die Hand auf eine Größe anwuchs, mit der sie einem Mann zerdrücken konnte. Sie überzog sich mit Panzerplatten aus Metall …
Kawarama besaß noch genug Geistesgegenwart, um sich aus der Gefahrenzone zu teleportieren, bevor sich die klauenartigen Finger mit Urgewalt zur Faust schlossen.
Leider war er hinter Voss herausgekommen. Unter seinem Mantel kam ein langer, beweglicher Schwanz hervor, wie die Hand überzogen mit Metall. Das Ende war so spitz, dass es dem überraschten Kawarama ohne Widerstand in den Bauch fuhr.
Voss' rechte Hand schrumpfte zurück auf ein handhabbares Maß und das Metall zog sich von seinem Arm zurück. Die Gliedmaße war aber trotzdem noch überproportional groß. Darunter kam ungesund grünliche Haut zu Vorschein. Die Finger bildeten rassiermesserscharfe Krallen aus.
Als er sich umdrehte, zog er seinen Schwanz mit einem Ruck aus der Wunde, die er gerissen hatte.
Was auch immer das vor dem Astralwesen stand, das war kein Mensch, stellte Kawarama mit Entsetzen fest. Voss schaffte es, das Grauen mit Grauen zu erfüllen.
"Und du willst ein Mensch sein?", spie er dem monströsen Auge unter dem Helm entgegen.
"Oh, ich bin inhärent menschlich", antwortete der Professor höflich.
Er war außer Atem, aber man konnte ihm nicht ansehen, dass er gerade das pugilistische Äquivalent eines Presslufthammers ins Gesicht bekommen hatte.
"Mein Ziel ist es, den Menschen zu erweitern, zu verbessern. Damit kommt natürlich auch eine Änderung des Begriffs der Menschlichkeit, würden Sie mir da nicht zustimmen?"
Er sagte das, während der lange, von Metall überzogene Schwanz hypnotisch hinter ihm pendelte und sich wandt.
Kawarama ging seine Optionen durch und merkte, dass er in diesem Menschen nicht den Output generieren konnte, den er brauchte, um Voss beizukommen.
Lieber ging er in den Astralraum zurück als hierzubleiben und zu sehen, was Voss mit ihm anstellen würde.
Nur, er konnte nicht.
"Was … Was ist los?"
Er versuchte, Magie zu wirken, nur, das konnte er plötzlich nur noch unheimlich schwierig.
Hektisch sah er sich um.
Ihm fielen zwei von Voss Marionetten ins Auge. Sie sahen genauso aus wie die Puppe, die er zerstört hatte und näherten sich vom Hauseingang. Sie trugen etwas bei sich, das wie ein Haufen ineinandergelegte Ringe wirkte. Sie drehten sich unablässig auf unterschiedlichen Achsen und erzeugten dadurch ein faszinierendes Muster.
"Was ist hier los? Was ist das?!"
"So ehrfurchtgebietend Ihre Kräfte sein mögen, ich kann nicht zulassen, ein solches Exemplar wie Sie entkommen zu lassen. Dafür habe ich Sie zu sehr ins Herz geschlossen", sagte der echte Voss. "Daher habe ich meine anderen Titanen während unseres kleinen Schlagabtauschs einen Astralblocker besorgen lassen. Er erhöht den Widerstand der Astralebenbindung. Normalerweise benutzen wir diese Geräte als Notschalter, wenn es zu einer Astralentladung bei einem Experiment kommt, aber es sollte Sie auch hierbehalten und verhindern können, dass Sie sich und anderen unnötigen Schaden zufügen."
Kawarama versuchte von ihm wegzugriechen, aber Voss setzte ihm einfach nach und zerrte ihn auf die Füße.
Und umarmte ihn herzlich.
"Sie und ich, wir werden für die Menschheit völlig neue Horizonte erobern. Freuen Sie sich darauf", flüsterte er ihm ins Ohr. "Ich auf jeden Fall bin geradezu ekstatisch bei dem alleinigen Gedanken daran."
Kawarama seinerseits war gar nicht nach Freude zumute. Für ihn schien es, als hätte ihn der Teufel in die Hölle gezerrt.
Und so falsch war der Vergleich gar nicht, wie er später merkte …