Spiegel in deinem Geist

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Franziska Miranda Neuhaus betrachtet die Türme von Umzugskartons. Sie atmet tief ein. Sie atmet lange aus.
Sie ist aus der Obhut der Social Clinic for Paramedicine entlassen worden. Eigentlich sollte sie sich darüber freuen. Doch irgendwie konnte sie sich nicht entspannen. Noch nicht. Sie wartete, aber es scheint, dass die Agenten der Special Containment Procedures Foundation ihre Meinung nicht geändert haben.
Sie lauscht in die Stille, die schwer in der leeren Wohnung liegt.
Ihr Herz springt ihr fast aus der Brust, als es an der Tür klingelt.


Sechs Stunden zuvor

Miranda saß im Büro des Direktors ihres privaten Gefängnisses. Sie trug nicht mehr ihren purpurnen Einteiler mit der Nummer über dem albernen Pfeil-Kreis-und-Eck-Symbol.
„Wir werden Sie bald wieder in die Gesellschaft lassen. Sie können Ihren normalen Alltag fortführen“, erklärte Thomas Weld mit einer freundlichen Stimme, "Natürlich werden wir Ihnen helfen, damit Ihr Wechsel reibungslos verläuft. Der Reintegrationsausschuss wird Ihnen bald einige Details und Dokumente aushändigen."
„Moment, das geht mir zu schnell. Sie lassen mich gehen?“
Miranda war sichtlich verwirrt. Sie fummelte am Saum ihrer roten Jacke herum und rückte ihre Armbänder zurecht.
„Ich verstehe, dass dies alles für Sie recht plötzlich kommt. Wir haben Ihre Umstände geprüft und sind zu dem Schluss gekommen, dass es keinen weiteren Grund gibt, Sie in unserer Einrichtung unterzubringen.“
„Einfach so?“, Miranda spürte, wie Wut in ihr aufstieg, „Einfach so, ohne groß darüber nachzudenken, wie Sie mein Leben durcheinander gebracht haben? Wissen Sie …“
Sie unterbrach sich. Es war sinnlos, sich aufzuregen, die SCP Foundation konnte wahrscheinlich nicht mehr viel dagegen tun. Es war möglich, dass der ältere Mann vor ihr sich für ihre Entlassung eingesetzt hatte.
„Es ist verständlich, wie Sie sich fühlen, und ich möchte mich im Namen unserer Abteilung entschuldigen. Das Komitee kümmert sich um Ihr Anliegen, indem es Ihnen unter anderem hilft, sich einzugliedern.“
Es klopfte an der Bürotür und Herr Weld ließ eine Frau herein, bevor er sich wieder setzte.
„Das ist Frau Sandra Flick. Sie wird Ihre Ansprechpartnerin sein, wenn Sie Probleme haben.“
Die Frau mit dem pinselartigen Pferdeschwanz lächelte freundlich und hielt Miranda ihre rechte Hand hin.
„Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen. Ich hoffe, wir werden gut miteinander auskommen, und wir wollen hoffen, dass Sie meine Hilfe kaum benötigen werden.“


Miranda schaut durch den Türspion auf den Gang vor ihrer Wohnungstür.
Das durch das Fischaugenobjektiv verzerrte Bild zeigt eine freundlich lächelnde Frau Flick, die ein wenig hin und her wippt und geduldig darauf wartet, dass ihr Einlass gewährt wird.
Miranda nimmt sich einen Moment Zeit, um sich mental auf die folgende Situation vorzubereiten und ihre Sensibilität ein wenig zu dämpfen.

„Guten Tag, Frau Neuhaus!“, grüßt die Agentin fröhlich.
„Guten Tag, Frau Flick. Mit Ihnen habe ich überhaupt nicht gerechnet.“
„Das ist schon in Ordnung“, doch die Agentin unterbricht sich, „Ich hoffe, dass ich nicht ungelegen komme. Sagen Sie mir einfach Bescheid. Ich möchte mich Ihnen nicht aufdrängen.“
„Ah. Nein, nein. Sie stören nicht. Ich war nur in meine Gedanken vertieft. Ah, wie unhöflich von mir. Möchten Sie nicht reinkommen?“
„Wenn ich darf, sehr gerne.“
Die Agentin sieht sich um, wobei ihr Blick meist über die Umzugskartons schweift. „Haben Sie sich schon gut in Ihrer neuen Wohnung eingelebt, Frau Neuhaus?“
Miranda zuckt mit den Schultern, unsicher, wie sie antworten soll.
„Oh, wie ich sehe, haben Sie das Bild aufgehängt, das Sie einst in einer der Sitzungen mit Dr. Richter gemalt haben.“
Miranda wurde ein wenig verlegen. „Es hat mir gefallen.“
„Es ist wirklich ein schönes Bild, das muss ich sagen.“
„Woher wussten Sie überhaupt davon?“
„Ha, das habe ich zufällig aufgeschnappt, als ich mir Ihre Akte angesehen habe.“
„Das ist in einer Akte?“
Die Agentin wird ein wenig nervös. „Das hat mich auch überrascht. Aber ich muss sagen, ich bin ein bisschen neidisch. Es ist eine tolle Lage in der Stadt und die Wohnung ist schön“, lachte Mrs. Flick und Miranda musste lächeln.


Miranda liegt auf dem Rücken im Bett. Ihre Augen sind noch immer geschlossen und sie versucht, sich zu entspannen, indem sie ihren Atem auf einen langsamen Rhythmus verlangsamt.
Es ist eine stille Nacht. Sie hört nur das schwache Rauschen, das von ihren eigenen Adern verursacht wird.
Das Gemurmel der Nachbarn ist fast völlig verstummt, ein Zeichen dafür, dass sie schlafen.
Miranda richtet sich im Bett auf und versucht, es sich ein wenig bequemer zu machen, aber sie kann nicht einschlafen. Durch ihre Zeit in der Gefangenschaft einer okkulten Geheimorganisation ist ihr Kopf voller Fragen und Ängste über das, was der nächste Tag bringen würde.
Sie denkt an die Gespräche mit Frau Richter. Das war einer der wenigen Momente, in denen sie sich wie ein Mensch und nicht wie ein Forschungsobjekt gefühlt hat.
Sie fragte sich, wie es der Forscherin ging. Einen Moment lang fragt sich Miranda, ob es in Ordnung ist, die Forscherin zu besuchen.
Sie seufzt und steht auf. An Schlaf ist nicht zu denken, sie hat sich hochgearbeitet.

Miranda schleicht in die Küche. Dort öffnet sie einen der vielen kleinen Schränke, die im Moment noch halbleer sind. Sie setzt sich an den Küchentisch und öffnet die Packung mit dem süßen Zwieback. Langsam kaut sie, während sie in den Nachthimmel blickt.

Ich sollte ernsthaft einkaufen gehen, denkt sie, es ist nicht gut für mich, mich zu sehr von Konserven zu ernähren.


Miranda läuft durch die Straßen und Gassen ihres neuen Wohnviertels und überlegt, welche Sachen auf ihrer langen Einkaufsliste sie wo und wann kaufen kann.
Der große Supermarkt lag noch ein Stück vor ihr, aber das Brot und einige Süßwaren würde sie in der kleinen Bäckerei kaufen, die Frau Flick ihr empfohlen hatte.
Sie sieht sich um und sucht nach einer Haltestelle der öffentlichen Verkehrsmittel, etwa für einen Bus oder eine Straßenbahn.

Nach einer kurzen Fahrt mit dem kleinen Tram steigt sie aus und Miranda hält vor der St. Christopher Pâtisserie, die sich den Standort mit einer John Baker Bäckerei teilt, in der sich gerade nur zwei andere Kunden aufhalten.
Ein kleines Windspiel an der Ladentür bimmelt, als Miranda eintritt. Ein Verkäufer wendet ihr sein Gesicht mit einem einladenden Lächeln zu. "Guten Tag"
Miranda lächelt und kramt ein wenig in ihren Jackentaschen nach der Liste, bevor sie die Waren an der Verkaufstheke überprüft.
Nach einigen Minuten, in denen sie Fragen stellt und sich beraten lässt, ist Miranda stolz auf ihren ersten erfolgreichen Einkauf seit langem. Sie knabbert an einer Fastenwähe, auf die sie sich schon lange gefreut hat.

Vor dem Laden bleibt Miranda stehen und starrt etwas verdutzt auf das Namensschild. Sie hofft, dass ihr Verdacht nur reine Paranoia ist, dass sie jetzt überall S-C-P sieht. Aber St. Christopher Pâtisserie klingt so gezwungen und abgedroschen, dass sie bezweifelt, dass es so einfach ist. Dann schaut sie auf ihre Fastenwähe, die mit ein wenig Fantasie wie ein Kreis mit drei Pfeilen geformt ist.
Sie könnte schwören, dass einer der Angestellten des Ladens sich nervös den Schweiß von der Stirn wischt.

Ernsthaft? Geht es nicht etwas subtiler?

Ihr Bewusstsein beginnt sich wie ein Baumwollballen anzufühlen und ihr Kopf wie ein heißer Stein in der Mittagssonne. Alles Anzeichen dafür, dass sie die Kontrolle über ihre Fähigkeiten verlor. Aus der Ferne hört sie das gedämpfte Echo von Gedanken in ihrem Kopf.

Dann vernimmt Miranda eine Melodie. Es ist kein Laut, den sie mit dem Gehör wahrnimmt, sondern fühlt. Es hallt zart in ihrem Kopf nach, gar nicht unangenehm, fast beruhigend und vertraut.
Die Härchen in ihrem Nacken stellen sich auf. Irgendetwas in ihrem Kopf sagt ihr, dass dieses Phänomen zu sanft und glatt ist, um ein natürliches Geräusch zu sein.
Widerwillig gibt sie dem Impuls nach, den Ursprung der Melodie ausfindig zu machen.

Nach einem kurzen Fußmarsch kommt sie in Sichtweite eines Ladens, der vor einem schmalen Gebäude liegt. Sie betrachtet die Hausnummer - 8⅚ - und die Schaufenster und am Schluss den kleinen Mann in einem alten und sehr verblichenen Narrenkostüm, der sich auf einem Liegestuhl sonnt. Seine rote Knollennase wackelt und schrumpft, während er döst. Miranda leidet nicht an Coulrophobie, aber irgendetwas in ihrem Hinterkopf sagt ihr mit leiser, aber deutlicher Stimme, dass mit diesem Clown etwas nicht stimmt. Aber die Aura des Clowns ist in keiner Weise bösartig, sondern nur schelmisch.
„Suchen Sie etwas?“
Miranda erschrickt, als eine der vermeintlichen Schaufensterpuppen mit einer Porzellanmaske vor dem Gesicht aus der Tür tritt.
Der Mann im Narrengewand blickt zum Himmel. "Es sieht so aus, als würde es bald anfangen zu regnen."
Miranda wollte widersprechen, dass es doch nicht möglich sei, dass die Wolken so schnell aufziehen, aber der maskierte Mann wies sie freundlich ins Innere des Ladens. "Kommt die werte Dame nicht zu uns herein, damit sie nicht verregnet werden?"
Sie war überrumpelt und wehrte sich deshalb nicht gegen die Geste.
Der Laden ist schwach beleuchtet und riecht süßlich nach alten, vergilbten Büchern und dem aromatischen Duft von Kräutern.

Sie schleicht tiefer in das Innere des Ladens, zwischen die Regale voller Bücher, Alltagsgegenstände und Ramsch mit seltsamen Aufklebern. Sie erreicht eine Theke, hinter der eine Frau in einer Hängematte liegt. Diese Frau öffnet die Augen und lächelt. Mit einer rauen Stimme und einem Dialekt aus der Alpenregion begrüßt die Frau Miranda: "Ah, hallo. Wie ich sehe, haben Sie den Weg zum Wunderkabinett gefunden. Mein Name ist Ms Mirabilis, womit kann ich Ihnen helfen, Frau Neuhaus?“

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