Leidenschaft
Karla sitzt in einem Flugzeug. Normalerweise würde sie zu dieser Zeit bereits in ihrem Ferienhaus sitzen und mit ihrer Familie feiern, allerdings hatte sie unglücklicherweise ihren ersten Flug verpasst. Ganze drei weitere Stunden hatte sie auf das nächste Flugzeug in dem dreckigen Wartebereich des Wiener Flughafens gewartet, aber nun war Karla endlich auf dem Weg ihre Familie zu sehen. Es war ein langer Flug und sie würde erst gegen Abend in Bergen ankommen. Endlich wieder war sie in ihrer Heimat. Norwegen. Sie war glücklich, dass sie wieder ihren Vater und ihre Brüder sehen konnte. Karla versuchte einen Film über die in den Sitzen vor ihr eingebauten Bildschirme zu schauen, welche in dem Flugzeug verfügbar waren, aber leider gab es da nichts Interessantes.
Sie hatte das Vergnügen an einem Fensterplatz zu sitzen, allerdings war dort nur eine trübe Wolkenlandschaft zu erblicken. Überlegend saß sie in ihrem Sessel der ersten Klasse und fragte sich, was sie für die nächsten fünf Stunden tun würde … Und dann waren ihre Augen auch schon zu und sie schlief. Der Ledersitz war bequemer und vor allem weicher als gedacht. Zart lag Karla da auf dem Sitz und wirkte so, als ob nichts sie aufwecken könne. Sie war schon längst in ihrer Traumwelt angekommen. Sie träumte über ihre Vergangenheit, wie sie es öfters tat. Aber dieses Mal war es schön. Sie war in Undredal und der Traum war, als würde Karla aus der dritten Person den Geschehnissen einfach zusehen. Es machte Spaß, ihrem jüngeren Selbst zuzusehen. Es spielte mit ihren damaligen Kindheitsfreunden in der Nähe des großen Sees. Die Sonne strahlte, das Gras war saftig grün und der See klar und himmelblau. Sommer. Sie mochte den Sommer, aber nicht so sehr, wie sie den Winter mochte. Die Kälte tut ihr gut und beruhigt sie. Dieses Mal genoss sie ihren Traum über ihre Vergangenheit. Es war so schön zu sehen, wie spaßig es war.
"Jeg har deg! Jeg har deg!", rief eines der anderen Kinder. In Norwegisch hatte sie lange nicht mehr geträumt. Sie und ihre Freunde haben wohl fangen oder etwas Ähnliches gespielt.
"Urettferdig! Du hadde ikke meg!", brüllte die Kinderversion von Karla die beiden anderen an. Ungerecht? Wieso, das Mädchen hatte sie gefangen. Aber so sind Kinder nun mal. Ungestüm und fröhlich. So wie es sein musste. Und als wäre nie etwas passiert, machten sie weiter.
"Ok, du fikk meg!", bestätigte dann Karla und spielte weiter.
Karla drehte sich um, und erblickte den See von Undredal. Sie sah einige Fische und erinnerte sich an etwas Weiteres, sehr schönes. Früher als Kind schon hatte sie gerne Tiere beobachtet. Besonders die Tiere des Wassers hier in Undredal. Fischotter, Biber, normale Fische. Wie sehr hatte sie diese Tiere doch geliebt und ihnen am liebsten den ganzen Tag zugesehen. Karla war schon beinahe besessen von der Wasserwelt und sie war so überglücklich, als ihr Vater und ihre Mutter sie zusammen mit ihren zwei größeren Brüdern in das Aquarium von Bergen mitgenommen haben. Plötzlich änderte sich die Szenerie. Karla befand sich nicht mehr draußen, sondern in einem geschlossenen Raum, voller Glas und den Spiegelungen des Wassers. Es war das Aquarium von Bergen! Genau wie in ihren Erinnerungen. So viele Fische und Tiere. Und vor allem Robben. Auch Karlas Kinderversion war wieder hier. Ihr Vater war bei ihr und trug sie auf den Schultern. Karla zeigte enthusiastisch auf etwas in einem der Gehege.
"Hva er det, pa?!", fragte sie rufend ihren Vater, während sie auf die Robben zeigte.
"Dette er seler, Karla!", erklärte ihr Vater geduldig, während Karla ihm beinahe die Haare vor Freude aus dem Kopf riss.
"Auauau", rief ihr Vater, als Karla zu feste an seiner Haarpracht rupfte. Er war schon immer stolz auf sein üppiges und volles Haar gewesen. Beide waren glücklich.
"Hva gjør dere to der?", fragte eine weibliche Stimme plötzlich von der Seite. Es war zwar ein Traum, aber Karla konnte nicht das Gesicht der Frau sehen, welche spontan neben ihr und ihrem Vater aufgetaucht ist.
"Vi ser sel, elskling", sagte ihr Vater in einem liebevollen Ton. Karla versuchte es zu verdrängen, doch sie erinnerte sich an die Stimme. Es war die Stimme ihrer Mutter.
Die Szene wechselte erneut. Karla war plötzlich wieder ein Kind. Kein Dritter. Kein Beobachter. Sie war wieder da. Da, wo sie nie mehr hinwollte. Karla war wie gefesselt, sie konnte sich oder ihre Augen nicht bewegen. Sie konnte nur zusehen. Eine Szene nach der anderen. Ihr Vater und ihre Mutter stritten.
"Hva vil du fortsatt av meg? Din dumme ku!", schrie ihr Vater mit Zorn. Es war kurz vor ihrer Scheidung. Sie waren damals schon in Deutschland, da ihr Vater befördert wurde und nach Deutschland ziehen musste. Ab diesem Punkt veränderte sich alles. Ihre Eltern trennten sich und sie ging mit ihrer Mutter.
"Karla Sørensen geht nach der Entscheidung des Scheidungsgerichtes mit ihrer Mutter, während ihre beiden Brüder, Emil und Noah Sørensen, mit ihrem Vater gehen …", hörte sie eine vorwurfsvolle Stimme sagen. Es war die Stimme des Richters, welcher ihr Schicksal damals mit nur einem Satz entschieden hatte. Das Gesicht ihrer Mutter wurde immer klarer. Sie waren im Gerichtssaal. Alles wirkte verschwommen und ihre Mutter lächelte zärtlich. Das war kurz bevor sie ihn kennengelernt hatte. Karla versuchte ihre Gedanken zu unterdrücken, zu ändern. Wenn es ein Traum war, dann konnte sie ihn ändern, aber es war bereits zu spät. Die Szene wechselte. Ihre Mutter lag regungslos auf einer versifften und dreckigen Matratze. Das Holzgestell des Bettes knarzte und ihre Mutter bewegte sich in rhythmischen Bewegungen auf und ab.
"Jaaa!!", reif ihre Mutter voller Ekstase. Auf ihr lag ihr Stiefvater. Er bewegte sich ebenfalls im Rhythmus. Plötzlich drehte er seinen Kopf um 90 Grad in Richtung Karla. Er starrte sie mit einem dreckigen Grinsen an. Er war so groß und stand plötzlich vor ihr. Die Szene wechselte wieder. Sie war dieses Mal auf dem Bett von eben. Auf und ab, auf und ab, auf und ab. Ihre Mutter lag auf dem Boden und starrte sie nur an. Karla weinte. Sie weinte so schrecklich.
"Vennligst stopp!", weinte sie bitterlich.
"Mamma hjelp meg!", weinte sie erneut. Doch ihre Mutter saß nur vor dem Bett und lächelte. Dieses hässliche Lächeln. Dieses verräterische Lächeln.
Doch dann wachte Karla auf. Der Schweiß war überall auf ihrem Körper verteilt und durchnässte ihre Kleider und ihren Sitz. Sie war verwirrt und panisch. Der plötzliche Rüttler des Flugzeuges weckte sie auf und sie vernahm eine metallene Stimme.
"… entschuldigen uns für die Turbulenzen. Wir werden in wenigen Momenten in Bergen, Norwegen, landen. Vielen Dank, dass sie sich für uns entschieden haben!", mit einem Klicken war die metallene Stimme des Piloten verschwunden. Karla war sich wieder der Realität bewusst. Alles war ein Albtraum. Ein Albtraum über ihre Vergangenheit. Nach so vielen Jahren konnte sie es noch immer nicht vergessen. Sie konnte es nicht abschütteln. Aber jetzt war sie stark und bereit ihrer Vergangenheit adieu zu sagen. Mit der Hilfe ihrer wahren Familie und Sophie war alles möglich. Sie vermisste sie schon ein wenig und dabei hatten Karla und Sophie sich gerade mal drei Tage nicht mehr gesehen. Nun, wenn die Zeit kommt, werden sie sich wieder in den Armen legen und einfach nur entspannen. Schlussendlich war Karla ihr durchgeschwitzter Zustand zu viel und sie rief eine Stewardess und fragte, ob sie eventuell ein Handtuch bekommen könnte. Als die Stewardess die verschwitzte und fertig aussehende Person vor ihr sah, war sie überrascht und hatte sogar etwas Mitleid mit ihr. Die Stewardess eilte in die Kabine hinter der ersten Klasse und kehrte mit einem frischen Handtuch zurück. Sie gab Karla das Handtuch, mit welchem sie den Schweiß von ihrem nassen Körper abtrocknen könne, allerdings waren ihre Kleider weiterhin nass. Keine gute Sache, wenn sie gleich in Norwegen landen würden.
Mit nur einem heftigen Ruck, begann das Flugzeug zu schütteln. Das überraschte Geflüster der Passagiere und das Gekreische der aufgeregten Kinder erfüllten das Innere des Flugzeugs, als die gleiche metallene Stimme wie eben wieder ertönte. Es war durch die Geräusche der Menschenmenge etwas unverständlich gewesen, aber Karla konnte zumindest raushören, dass sie sicher in Bergen gelandet sind. Karla stand also auf und streckte ihren kleinen Körper empor, so dass sie an die Aufbewahrungsschränke des Flugzeuges drankommen konnte. Sie war gerade so groß genug gewesen, den Schrank zu öffnen und sicher ihr gesamtes Gepäck auszuladen. Sie war ein simpel und minimalistisch lebender Mensch, sie mochte es nicht ausgefallen zu sein, weswegen sie meist mit nur zwei bis drei Koffern unterwegs war, wenn sie reiste. Dieses Mal waren es zwei Koffer, da sie ja nur eine Woche hier in Norwegen verbringen würde. Als sie aus dem Fenster schaute, war es bereits dunkel, aber da ihr Smartphone keine Internetverbindung herstellen konnte, um auf die lokale Internetzeit zuzugreifen, hatte sie keine Ahnung, welche Uhrzeit es gerade tatsächlich war. Bevor Karla jedoch aus dem Flugzeug stieg, öffnete sie einen ihrer Koffer und nahm ihren weißen Winterparka heraus. Sie kontrollierte bei der Gelegenheit den Inhalt ihres Koffers und erblickte einige Ersatzkleider, welche sie für den Fall der Fälle eingepackt hat.
"Bedre føre var en etter snar ….", flüsterte Karla leise vor sich hin und lobte sich selbst für ihre Vorsicht. Geschwind schloss sie ihren Koffer und machte sich auf den Weg nach draußen und anschließend noch schneller auf den Weg in den Flughafen rein.
"Arschkalt …", kommentierte Karla, während sie meinte in ihrem Augenwinkel einen Fremden zu sehen, welcher nach ihrem Kommentar verständlich den Kopf nickte.
Doch bevor Karla sich auf den Weg machte, um ihre Familie zu suchen und sich liebevoll zu umarmen, versuchte sie die Damentoilette zu finden. Sie erspähte ein kleines Schild, neben einer Tür mit dem typischen Symbol, welches indizierte, dass dies die Toiletten waren. Mit einer überraschenden Geschwindigkeit eilte sie zur Toilette und suchte eine der leeren Kabinen aus, um in Ruhe sich umziehen zu können. Erst jetzt hatte sie die Chance durchzuatmen und etwas stank gewaltig. Karla hoffe innerlich, dass dies der Geruch der Toilette war und nicht ihr eigener. Doch als sie allen Mut zusammenfasste und ihren rechten Arm hob, um an ihrer Achsel zu schnüffeln dachte sie, ihre Nase würde abfallen. Ein gemeines Gemisch aus Schweiß und ihres Parfums hatte sich breit gemacht und bei Karla klingelten alle Alarmglocken. Schnell zog sie ihren Parka und ihre durchnässte Bluse aus. Zuerst enthüllte sie damit ihren flachen und gut trainierten Bauch, aber als ihr Oberteil die untere Linie der Brust überquerte, sprang überraschenderweise ein voller und üppiger Vorbau unter diesem hervor. Als hätte ihre nun durchnässte Bluse, welche neben ihr auf der Toilette liegt, all die Zeit perfekt ihre Kurven versteckt. Karla kramte in ihrem Koffer nach den Ersatzkleidern, welche sie eben noch erblickt hat, und griff ein schwarzes T-Shirt aus dem Koffer. Zu ihrer Überraschung war es nicht das T-Shirt, welches sie erwartet hatte. Es war das T-Shirt, welches sie extra eine Nummer kleiner gekauft hatte, um Sophie damit umzuhauen, wenn sie etwas Zeit für sich allein hatten. Aber nur dafür. Es war für sie nicht wirklich dafür geeignet an einem Flughafen rumzulaufen, sie hasste Aufmerksamkeit, vor allem von den Männern. Sie verstand es zwar, aber es war ihr unangenehm, wenn Leute auf sie oder sie starrten, weswegen sie sich eher weit und bescheiden kleidete, so dass sie alles Mögliche einfach und schnell verstecken konnte. Aber jetzt, war es anders. Wenn sie ihren Parker auch nur ein bisschen öffnet, würde jeder ihre Oberweite zu Gesicht bekommen. Sie war eigentlich sehr zufrieden mit der Größe, aber ihrer Meinung nach musste nicht jeder starren, wenn sie mal zu sehen war. Sträubend zog sie das enge Top an und kleidete sich innerhalb einer Minute einigermaßen angemessen zu und setzte zudem ein bisschen ihres Parfums neu auf. Mit einer weißen Jeans, einem schwarzen Shirt und einem weißen Parka bewaffnet ging sie selbstbewusst aus der Damentoilette heraus und suchte nun endlich nach ihrem Vater und ihren Brüdern. Und da saßen sie auch und tranken gemütlich einen heißen Kaffee, wie es der aufsteigende Dampf vermuten ließ.
"Karla! Meine Große, komm her!", reif ihr Vater laut und deutlich im Wartesaal des Flughafens. Er versuchte dabei die Gespräche der anderen Gäste so gut es ging zu übertönen, damit seine harte und kräftige Stimme auch ja seine Tochter erreichen würde. Er legte seinen Becher zur Seite und öffnete seine Arme, um Karla willkommen zu heißen.
"Papa!", reif Karla zurück und stürmte auf ihren Vater zu, um ihn herzlichst umarmen zu können. Er erwiderte die Geste und schloss sie in seine Arme.
"Jungs, wollt ihr auch kuscheln?", fragte er die zwei Männer hinter ihm. Es waren Karlas beide Brüder, Emil und Noah. Sie waren ein gutes Stück größer als sie und ihr Vater. Emil war der emotionale der beiden und drückte sofort so fest zu, dass man meinen könnte, er wäre ein manngewordener Bär, welcher sich die Tränen jedes Jahr zurückhalten musste. Währenddessen war Noah die eher raue Version von Emil. Es dauerte zwar ein bisschen, aber er umarmte dann schlussendlich doch den Rest der Familie.
"Schön dich wieder zu sehen, Karla", sagte Noah leise, als wolle er verhindern, dass andere ihn hören können.
"Es ist auch schön, dich wiederzusehen, Noah. Und auch dich, Emil", antwortete Karla. Emil war erneut den Tränen nahe und umarmte dieses Mal noch fester die Familie.
Einige Zeit verging und auf dem Weg zum Auto und zurück nach Undredal unterhielte sich die Familie Sørensen über alles Mögliche. Was sie erlebt haben, was sie gemacht und geschafft haben. Und natürlich auch über das Thema Liebe. Ein heißbegehrtes Thema, vor allem, nachdem Karla der Familie Sophie vorgestellt hatte, welche sie sofort in die Familie miteingeschlossen hatten. Natürlich konnte Karla ihrer Familie nicht erzählen, dass sie mit Sophie zusammen bei der Foundation arbeitete, also hatte sie einfach gesagt, sie würden in einem Forschungslabor für Meeresbiologie an der Ostsee arbeiten. Es war zwar anfangs schwer, aber mittlerweile hatte sie den Bogen heraus, was lügen anging. Sie log nie, aber hierbei war sie praktisch dazu gezwungen, ansonsten drohte ihr, dass sie Alles verlieren würde. Eines verwunderte Karla allerdings und als sie endlich bei dem Ferienhaus von Karla ankamen, begann sie zu fragen.
"Hvorfor snakker vi egentlig på tysk? Vi kan snakke på norsk", deklarierte Karla und versuchte herauszufinden, warum sie nun alle Deutsch und nicht Norwegisch sprachen.
"Na, wir wollen noch etwas üben, damit sie uns auch verstehen kann", erklärte ihr Vater und öffnete die Tür. Karla konnte ihren Augen nicht trauen, als sie plötzlich Sophie in dem Wohnzimmer des gemütlich warmen Holzhauses sah. Sie ließ ihre Koffer an Ort und Stelle stehen und umarmte Sophie, so schnell sie konnte. Karla tat dies zärtlich, aber fest genug, um ihre Wärme spüren zu können
"Was machst du denn hier, lille hei?", fragte Karla, während sie weiterhin ihre Liebste umarmte. Sophie drückte sich ein bisschen aus der Umarmung heraus und schaute ihr in tief in die Augen. Sie platzierte ihre Hände auf den von der Kälte rot gewordenen Wangen Karlas und streichelte diese behutsam mit ihren beiden Daumen. Aufgrund ihres sichtbaren Größenunterschieds musste Sophie den Kopf von Karla ein kleines Stück nach oben anwinkeln, damit sie ihr direkt in die Augen sehen konnte.
"Ich bin hier, damit ich nicht immer bei euren Familienwochen ausgeschlossen werde!", antwortete Sophie. Ihre Stimme war wie warmer Honig und glitt sanft in die Ohrmuschel von Karla, welche binnen weniger Sekunden all ihre Sorgen zu vergessen schien und nur noch Augen für Sophie hatte.
"Du hast doch sicherlich lange gewartet, oder? Ist dir kalt? War die Heizung oder der Kamin an? Hattest du au-", Karla wollte eine ganze Menge an Fragen ihrem kleinen Hai stellen, allerdings verdrehte Sophie schon nach der ersten Frage die Augen und setzte langsam und fürsorglich ihre Lippen auf die von Karla. Er war zwar kurz, aber den Kuss, den sie hier teilten, erfüllte Karlas Herz mit Wärme und Glück. Am liebsten würde sie für ewig hier mit Sophie stehen und sich einfach nur küssen. Nach wenigen Momenten entfernte Sophie ihre Lippen und beendete den liebevollen Kuss.
"Du bist heiß, wenn du so fürsorglich bist, skatten min", erklärte sie Karla im Flüsterton und verkündete auf Norwegisch, dass Karla ihr Schatz sei. Karla war zuerst erstaunt und entzückt, wie perfekt die Aussprache von Sophie ist und wollte sie schon loben, als sie aber den Satz verarbeitet hatte, waren nicht mehr nur ihre Wangen rot angelaufen. Dieses Mal jedoch nicht von der Kälte. Es war so, als würde in diesem Moment nichts Weiteres, außer die beiden auf der Welt existieren.
"Können wir jetzt auch rein, oder gehört euch das Haus heute Abend?", fragte Noah interessiert und schreckte damit die beiden Liebenden auf.
Sie hatten für einen Moment die Welt um sich herum vergessen, doch nun wurden sie wieder in diese gezerrt. Karla war sichtlich genervt, dass ihre Pärchenzeit unterbrochen wurde.
"Wenn du auch einen Partner hättest, würdest du auch so was machen, Bror kjære", versuchte Karla ihren Bruder aufzuziehen. Doch scheinbar prallte die Provokation an dem Bären von Mann ab, denn er lächelte selbstgefällig.
"Neuigkeiten, Skatten, ich habe mittlerweile einen Partner und er ist der Beste überhaupt!", verkündete Noah, während er die Betonung stark auf den Kosenamen seiner Schwester und auf er legte. Sowohl sein Bruder, sein Vater, als auch Karla waren äußerst überrascht von dem plötzlichen Coming-out von Noah. Sie gratulierten ihm und fragten ihn sofort über seinen Partner aus, besonders ihr Vater war sehr daran versessen jedes kleine Detail zu erfahren. Er hatte nichts mehr im Sinne, als seine Kinder zu schützen und das schätzten sie sehr, auch wenn er damit anstrengend sein konnte. In Gedanken sandte Karla Noah all die Energie, um ihren Vater und seinen Beschützerinstinkt zu überleben, denn als sie Sophie vorgestellt hatte, war er genau in einem solchen Modus. Die Diskussion mit ihm dauerte ganze drei Stunden und es war, als wenn ihr Vater einen Roman aus der Liebe zwischen ihr und Sophie hätte schreiben wollen.
Es waren bereits einige Tage vergangen und der heutige war der Letzte, an welchem Sophie hätte bleiben können. Sie hatte sich drei Tage vor Karla Urlaub genommen, um sie hier überraschen zu können und es ist ihr absolut gelungen. An dem letzten Tag war Sophie vergleichsweise früh aufgestanden und weckte ihre Liebste sachte. Als Karla die Augen öffnete und den licht gefluteten Raum betrachtete, war sie zuerst verwirrt, doch dann sehr freudig ihren kleinen Hai zu sehen.
"Guten Morgen, lille hei. Was gibt mir die denn die Ehre dich so zu sehen?", fragte Karla und deutete dabei auf die fehlenden Kleider von Sophie. Ihr durchweg schlanker und schmächtiger Körperbau wirkte in Kombination mit dem natürlichen Sonnenlicht Norwegens wie die menschgewordene Schönheit in Person. Zwar hatte sie auch einen eher athletischen Körperbau, doch manchmal konnte Karla nicht anders, als sich um das Essprogramm von Sophie zu sorgen. Auch wenn sie größer und sogar etwas stärker als Karla war.
"Wir haben sechs Uhr morgens, Zeit aufzustehen, Schlafmütze!", sagte Sophie, doch bei den Worten 'sechs Uhr' schaltete Karla auf Durchzug.
"Aber es ist doch noch so früh, kann ich nicht noch wenigstens zwei- nein drei Stunden schlafen?", beschwerte sich Karla und versuchte ein möglichst verführerisches Gesicht aufzusetzen, damit Sophie mit ihrer Frühaufsteherei einknickte und sie noch weiterschliefen ließ. Karla war durch und durch kein Morgenmensch. Ihre frühste Zeit, die sie je in ihrem Leben aufgestanden ist, war sieben Uhr morgens, aber auch nur, als sie damals noch auf die Universität ging.
"Wir haben heute einiges vor, also nein! Jetzt steh auf und zieh dich und deinen hübschen Arsch an", flirtete Sophie schon früh am Morgen mit einem Zwinkern. Karla konnte gegen vieles die Stirn bieten, aber nicht gegen die Dominanz, welche Sophie über sie hatte. Es war fast wie Magie, wenn sie ihr leichtes Lächeln und die sanfte Stimme vernahm, sie musste einfach hören. Ob dies ein Nebeneffekt der langjährigen Beziehung mit ihr war, ist Karla nicht klar, aber sie beschwert sich nicht darüber. Karla packte die Decke und hievte sich zusammen mit ihr nach oben. Mit dem zusätzlichen Gewicht auf ihren Schultern war es deutlich schwerer aus der liegenden Position zu kommen und aufzustehen, eine Sache, welche Sophie wohl nie nachvollziehen würde. Anders als Sophie schlief Karla jedoch nicht nackt. Sie trug immer ein sehr weites T-Shirt, auf welchem ein kleines Kätzchen aufgedruckt war und eine schlabbrige Jogginghose. Sophie war bereits nach unten ins Wohnzimmer verschwunden, doch Karla benötigte noch einen Moment, um sich fertig zu machen. Hübsche, zueinander passende Kleider, gerichtete Haare und ihre Glücksunterwäsche. Somit konnte der Tag starten. Sie war schon etwas gespannt darauf, wohin Sophie sind mitnehmen würde.
Die Beiden aßen zusammen Frühstück an dem kleinen Tisch neben dem warmen Kamin. Sie waren heute Morgen allein, da Karlas Vater und ihre Brüder ohne sie auf einen Angeltrip auf die andere Seite von Undredal heute fahren würden. Sie hatten sich sehr viele Ausreden einfallen lassen, warum Karla und Sophie nicht mitkommen konnten. Sie wollten den beiden wohl etwas Zeit allein geben und waren den ganzen Tag weg. Es gab von Sophie gemachter Bacon, zusammen mit Spiegelei, Bratwürstchen, Vollkornbrot, Butter und Salat sowie einige Früchte und Obst. Zeit langem hatte Karla nichts mehr von Sophie gemachtes Essen gegessen, aber nach dem ersten Bissen war sie bereits hin und weg. Der Bacon hatte genau die richtige Knusprigkeit und das Eigelb des Spiegeleis zerging zart und flüssig auf der Zunge. Es war gerade so heiß genug, damit es auf der Zunge bleiben konnte, ohne sie dabei zu verbrennen. Das selbstgemachte Vollkornbrot hatte himmlisch viele Aromen und in Kombination mit den Würstchen und dem Salat konnte Karla nicht anders als sich einen zweiten Nachschlag zu genehmen.
"Du scheinst ja Appetit zu haben, skatten min", begann Sophie das Gespräch. Sie deutete dabei auf den mittlerweile dritten Teller von Karla, welcher fast wieder leer war.
"Ich hab’ halt eben Hunger und dein Essen ist absolut lecker, lille hei!", erklärte Karla und wischte sich dabei einige Krümmel aus dem Mundbereich und biss danach erneut in eine Scheibe Vollkornbrot, auf welche sie ein Spiegelei gelegt hatte.
"Hast du nicht Befürchtungen, dass du manchmal zu viel auf einmal isst? Du bekommst bei zu viel doch noch Bauchschmerzen", erkundigte sich Sophie mit einer leichten Sorge in ihrer Stimme. Karla kaute ihre Portion noch fertig und lag das angebissene Brot zurück auf ihren Teller.
"Keine Sorge, ich nehme nicht zu. Und wenn, dann macht das, was ich esse, einen dauerhaften Stopp hier oben", sagte Karla und gestikulierte dabei mit einer Hand um ihre Oberweite herum, welche für einen Augenblick befürwortend leicht auf und ab wippte. Sophie lachte herzlichst und konnte die Aussage von Karla nur bejahen. Den Rest des Morgens verbrachten sie damit, ihr Essen zu essen und die Taschen sowie Koffer von Sophie bereits vorzupacken.
Nachdem sie ihr Frühstück genossen haben, machten die beiden sich mit den Koffern und Taschen auf den Weg zu dem Mietauto von Karla. Sie waren bereits ein ganzes Stück gefahren und Sophie wollte einfach nicht sagen, wohin es ging. Karla versuchte in ihren Gedanken all die möglichen Orte abzugehen und sich einen geeigneten Platz auszudenken, doch ohne Erfolg. Egal, wie sehr sie sich auch anstrengte, sie konnte nicht an auch nur einen Ort denken. Als sie jedoch an einem großen, renovierten Gebäude in Bergen ankamen, klingelte es bei Karla. Es war das Aquarium, zu welchem sie zusammen mit ihrem Vater mal gegangen war! Sie war absolut glücklich, denn sie hatte sehr lange kein Aquarium mehr besucht. Tintenfische, Pinguine, Robben und Otter waren die Hauptattraktionen und im Inneren sah es so viel schöner aus, als sie es in Erinnerung hatte. Karla war beinahe wieder zum Kind geworden und sprang fröhlich von einem zum nächsten Gehege. Dies war das wohl beste Date, welches Karla mit Sophie je hatte. Sie freute sich so sehr, dass ihr Grinsen und das Funkeln in ihren Augen beinahe nicht mehr aus dem Gesicht gehen wollten. Als sie sich jedoch auf den Weg zu dem Ferienhaus machte, wurde Karla wieder von der Realität wachgerüttelt. Dies war der letzte Tag, an welchem sie zusammen ihren Urlaub verbringen konnten. Danach wäre sie wieder drei Tage allein und sie und Sophie würden sich erst wieder auf der Arbeit sehen. Dies betrübte Karla ein klein wenig und ihr Grinsen wurde weniger und das Funkeln in ihren Augen verging ein Stück.
Bei dem Haus angekommen bot Karla Sophie an, zum Flughafen zu fahren, damit sie sich verabschieden konnten, doch Sophie schaute sie nur verwirrt an.
"Was redest du da? Ich habe noch zwölf Stunden, bevor der Flieger kommt. Ich kann noch fünf Stunden lang mit dir etwas unternehmen", erklärte Sophie mit einem spielerischen Lächeln.
"Aber was wollen wir in fünf Stunden noch unternehmen? Wir haben so vieles, aber so wenig Zeit und au-", wieder einmal wollte Karla eine ganze Scharade an Fragen stellen, doch Sophie unterbrach sie, indem sie ihre kalten Zeigefinger auf die warmen Lippen von Karla legte.
"Wieso kommst du nicht rein, und findest es heraus?", fragte Sophie scharf und öffnete dabei die Tür zum Haus. Nachdem sie drinnen angekommen war, drehte sie sich zu Karla um und zog langsam und mit leicht tanzenden Bewegungen ihre Jacke aus und warf diese zu Boden. Sophie lockte Karla mit einer simplen, aber verführerischen Handbewegung ins Haus, während sie ihren Schal über dem Kopf auszog und ihre lange und voluminöse Haarpracht mit starken Kopfbewegungen hin und her wedeln ließ. Karla verstand schnell Sophies Intention und ging ihr mit großen Schritten nach. Auch sie begann sich auszuziehen und warf ihre Kleider zu Boden. Sie folgte Sophie in ihr gemeinsames Schlafzimmer. Vor der Tür des Schlafzimmers angekommen, umarmten und küssten sich die beiden wild und ungehemt. Sie konnten sich nicht mehr zügeln und wollten einander so nah sein, wie es ihre Körper erlaubten. Die restlichen Kleider an ihnen entfernten sie sich gegenseitig. Karla blickte kurz auf die an der Wand hängende Uhr. Die nächsten vier Stunden waren sie allein und sie würden diese vollkommen auskosten.
Nach einer langen und leidenschaftlichen Zeit miteinander, lag Sophie erschöpft auf dem Bett neben Karla und atmete schwer. Sie schaute zu Karla, welche gerade die Augen zugemacht hatte und eingeschlafen war. Es war ein grandioses Erlebnis für die beiden und Sophie schmiegte sich langsam und behutsam an Karla ran, damit sie nicht wach werden würde. Dabei benutze Sophie Karlas Brüste als Kissen. Karla wurde von dem plötzlichen Gewicht auf ihrem Oberkörper wach und rückte sich selbst so zurecht, dass es Sophie noch bequemer hatte. Sie umarmte Sophie mit einem Arm und küsste leicht ihren Haaransatz.
"Weißt du, ich finde meine beiden Lieblingskissen hier sind noch nicht weich und groß genug. Vielleicht solltest du doch mehr essen?", schlug Sophie Karla spielerisch vor, welche einfach nur im Bett lag und aus dem Fenster auf die wunderschöne Berglandschaft schaute. Sophie war der Typ Mensch, die gerne spielte und so konnte sie Stunden damit verbringen, einfach nur mit dem Vorbau von Karla zu spielen. In Sophies Augen war dies sehr hypnotisch und auch irgendwie beruhigend.
"Ich freue mich immer über dein Essen, aber mehr und größere Kissen? Sind die hier denn nicht gut genug, für dich, lille hei?", fragte Karla neugierig. Sie war stolz auf die Größe und dachte, sie wären genau perfekt für Sophie, weswegen diese Frage sie ein wenig verblüffte.
"Doch schon, aber nicht groß und weich genug, skatten min", scherzte Sophie in einer nonchalanten Stimmlage.
"Na, wenn du es so willst, dann werden sie alleine für dich noch viel größer", befürwortete Karla mit einem Lächeln auf dem Mund und streichelte dabei zärtlich den Kopf von Sophie. Für eine weitere halbe Stunde lagen sie einfach nur da und genossen ihre letzten Urlaubsmomente zusammen. Bald würden sie wieder als Forschungsleitung zusammenarbeiten und die absurdesten Dinge sehen, die die Welt zu bieten hatte. Aber, mit Sophie war Karla sich sicher, dass sie alles erreichen konnte. Am Flughafen teilten sie sich einen letzten, leidenschaftlichen Kuss und verabschiedeten sich voneinander. Nächstes Mal können sie sich bestimmt zeitgleich Urlaub nehmen und ihre gemeinsame Zeit vollkommen genießen. Dies war eine Leidenschaft, welche ewig halten würde, selbst wenn die Welt zwischen ihnen stehen würde.