Inhalt: Abschrift von Aufnahmelog ███-DE-A/1
Datum: 18.01.2015
Uhrzeit: 22:46 (GMT+2)
Ort: Standort-DE6
Bereich: Reflexionsarmer Raum 1
Verantwortlicher Mitarbeiter: Dr. Horst Zornach
Aussagender: SCP-███-DE-A (Amelie Schön)
Inhalt: Erstaussage von SCP-███-DE-A zu ihren Erlebnissen in einer möglichen Taschendimension
Anmerkung: Wegen der auditiven Empfindlichkeit von SCP-███-DE-A wurde sie während ihrer Aussage allein im Reflexionsarmen Raum 1 gelassen. Beobachtung erfolgte über eine Kamera.
Es ist endlich so schön still hier drin. Überall sonst ist es laut. So laut. Selbst wenn ich mein Gesicht anfasse, dann ist das zu laut. Entschuldigen Sie, dass ich flüstere.
Wenn ich von vorne anfangen soll, dann hat es mit einer meiner Autofahrten zu tun. Fahre gerne irgendwo ins Nirgendwo, ist ein Hobby von mir. Hatte sehr tiefe Langeweile, schon seit Wochen, Monaten. Habe im Alltag festgesteckt. Alles hat sich ständig wiederholt. War deshalb halb zufällig auf irgendeiner Landstraße in der Nähe von ████████ unterwegs. In der Ferne habe ich ein paar alte Gebäude gesehen. Da kamen Erinnerungen an meine Jugend hoch, als ich mit meiner Truppe in verlassene Häuser und so geschlichen bin. Das habe ich immer spannend gefunden. Die Leere und die Stille, wo es halt früher Leute gab. Vielleicht würde es ja helfen dahinzugehen, dachte ich mir. Mit Nostalgie aus dem grauen Trott rauskommen. Bin dann also dahin abgebogen. Habe mich den Gebäuden genähert. Ein Schild, auf dem ██████-Kaserne stand. „Spannend“, dachte ich, „Bei sowas war ich noch nie.“ Habe dann direkt da geparkt und bin da rein gegangen.
Ein paar alte Gebäude gabʼs da, aber ich sehe da immer mehr als die Bauten. Ich sah … spürte den Kontrast zwischen der jetzigen Stille und dem früheren Trubel, aber das habe ich ja schon erwähnt. Mutter meint, ich habe eine Neigung zur Wiederholung. Der Kontrast von jetzt zu früher war hier schon sehr stark. Und dann eben, wenn meine Freunde und ich an solchen Orten waren, haben wir wieder Geräusche, Leben in die alte Ruhe gebracht. Kaum war ich deshalb ein paar Schritte in der Kaserne, habe ich gemerkt, zumindest in diesem Moment, dass das Hierherkommen eine gute Entscheidung gewesen ist. In der Entfernung zwischen zwei Gebäuden sah ich die Überreste eines Lagerfeuerchens. Vermutlich von ein paar Jugendlichen. Leute in der gleichen Lebensphase wie ich, an ähnlichen Orten. Dieser Gedanke macht mich fröhlich. Ich meine auch, hierher zu gehen. Da waren auch Lampions, also wie welche vom Martinstag. Vermutlich auch von den Teenagern. Sieht man ja nicht oft hierzulande, also Papierlaternen meine ich. Da starre ich also in die Richtung und …
… die Gebäude beginnen plötzlich einzufallen. Kein Erdbeben oder so. Zumindest glaube ich das nicht. Es sah so aus, als ob gewaltige Finger in die Wände gedrückt werden würden, oder dass einfach die Wände von außen einfallen. Konnte aber in der Panik nicht wirklich Details wahrnehmen. Bin deshalb seitlich in eine Wand rein. Rückblickend, glaube ich, war die wohl auch gerade aufgebrochen. Aber vergessen Sie nicht, ich war vollkommen von Angst getrieben in dem Moment. Fiel beinahe hin, als ich da rein gegangen bin. Wegen Treppen. Haben mich überrascht. An der Stelle hätten architektonisch keine sein dürfen. Nur ein paar Stufen, dann war ich unten. Sie führten direkt hinter der eingebrochenen Wand runter. Nicht weit, aber das nächste, was ich wahrnahm, war Licht. Oder nein – Lichter. Als dann plötzlich die Kakteen aus dem Boden kamen. Sie brachen um mich herum überall aus dem Zement. Gleich neben meinen Füßen. Hinter mir. Das zwang mich dazu, mich von dem Eingang zu entfernen. Habe kaum etwas beachtet, viel zu viel Panik. Ich meine, sie sind auch vor mir erschienen, aber mehr hinter mir. Später machten die das mit Absicht, also aktiv? Ich habe also nur noch Schweiß auf der Haut gespürt und das Brennen in meiner Kehle. Wurde auch nicht besser, als ich das besagte Licht … äh … besagte Lichter wahrnahm. Sie schienen von oben. Während ich gehetzt bin, habe ich versucht nach oben zu schauen. Sterne. Zumindest auf den ersten Blick. Aber die Kopfbewegung hat mich aus dem Gleichgewicht gebracht, weshalb ich dann gestürzt bin. Ich habe darauf gewartet, von irgendwelchen Kakteen aufgespießt zu werden.
Nichts. Habe dann nochmal durchgeatmet und ein übles Seitenstechen hat sich breit gemacht. In Rückenlage gegangen. Ich hatte das Gefühl, dass der kalte Boden meinen Schweiß gefrieren lässt. Habe dann wieder auf die Lichter über mir geachtet. Was ich dann gesehen habe, hat meine Panik, Verwirrung wieder hochgebracht. Da unter der Decke … Nein, eigentlich keine Decke sichtbar. Über mir war nur Dunkelheit. Aber die Decke konnte unmöglich so hoch sein. Die Treppen waren zu wenig und draußen war helllichter Tag. Das Gebäude draußen zu niedrig. Mal ganz zu schweigen davon, wie soll das so von der Konstruktion her halten? Da musste doch irgendwo darüber eine sein, oder? Da schwebten auf jeden Fall … Dinger? Menschliche nackte Körper, nur anstatt eines Kopfes schwebten über den Hälsen runde Papierlaternen. Und die starrten mich an. Zumindest schienen sie ihre Köpfe … Laternen in meine Richtung geneigt zu haben. Dann ist das ganze angesammelte Gefühlschaos aus mir heraus gebrochen. In einem Schrei kam alles raus. Habe noch nie geschrien, hätte nicht gedacht, dass ich das kann. Da haben die Dinger plötzlich gezuckt. Haben ihre Arme um ihre Körper geschlungen, ihre Beine angespannt. Ihre Lichter haben begonnen zu flackern. Meinem Bauchgefühl habe ich da vertraut und den Schluss gezogen, dass sie empfindlich gegen meine Stimme sind. Weiß jetzt auf jeden Fall, dass mein Bauch recht hatte, also quasi.
Mein Zusammenreißen hat mich dann auf die Beine gebracht und ich habe ein Lied vor mich hin gekeucht. In absoluter Dunkelheit. Fast absoluter Dunkelheit. Habe in weiter Entfernung noch die Laternen gesehen. Also eher dunkles Zwielicht. Hatten sich vor meiner Stimme zurückgezogen. War wohl laut genug. Wollte mich in die Richtung zurückbegeben, woher ich bekommen bin. Hatte, glaube ich, irgendwie die Hoffnung an den Kakteen vorbeizukommen.
Die komplette Orientierung hatte ich verloren. Ich stieß auf keine Kakteen, geschweige denn auf zerbrochenen Boden. Das Zwielicht der Viecher über mir reichte gerade aus, um das zu sehen. Zumindest hat sich dann meine Theorie bestätigt, dass meine Stimme sie fernhält. Was ich jetzt natürlich noch besser verstehen kann. Nämlich immer, wenn ich zu singen aufhörte, näherten sie sich mir wieder. Ich weiß nicht genau, wie lange ich da unten war. So gut wie nichts gefunden, da unten. Es gab ein paar Zementsäulen, die bis nach oben gingen. Habe die oberen Enden nicht gesehen. Außerdem habe ich noch diese seltsamen Statuen gesehen, an verschiedenen Stellen. Hatten ziemliche Unterschiede in der Größe. Eine menschenähnliche Gestalt in einer Art Türrahmen. Um die Statue rum flog ein steinerner Brocken,auf der einen Seite sah er aus wie ein Gesicht und auf der anderen wie eine Papierlaterne. Dass der darum herum geschwebt ist, habe ich da gar nicht mehr aktiv registriert. Mein Kopf war zu voll. Ich hatte das Gefühl, mich stundenlang zu bewegen, und fand nicht mal eine Außenwand oder grundsätzlich irgendeine Form von Wand. Kein Gefühl von Zeit mehr. Mein Gesang hielt zwar die Dinger von mir fern, aber was wäre, wenn meine Stimme aufgibt? Oder ich einschlafen würde? Dann wären sie nahe genug dran, um ihre Kakteen auf mich zu hetzen. Ich meine, diese Verbindung habe ich damals noch nicht gewusst, aber jetzt … Aber ich wurde müder und meine Augen … Es ist so seltsam, nicht mehr richtige Augen zu haben. Oder Haut. Bin nur immer wieder und wieder auf diese Statuen gestoßen und bin schließlich doch eingeschlafen. Erinnere mich nicht mal mehr dran, mich hingelegt zu haben. Das Letzte, woran ich mich mich vor dem Einschlafen erinnere, ist wie ich auf eine dieser Statuen abstürze.
Dann das Aufwachen, weil ich am Bein gestochen werde. Kann sogar sein, dass ich nach dem Stich nochmal eingedöst bin. Mein Kopf war mehr Schlamm als irgendwas anderes. Ich wache also auf. Und da sehe ich einen Kaktus direkt an meinem Bein. Hatte mich am Schenkel gestochen. Drumherum war mehr aufgebrochener Boden ohne weitere Kakteen. Vermutlich haben andere Wesen auch versucht, mich zu erwischen. Vermutlich durfte mich nur ein Kaktus stechen oder nur einer, der mich sticht, bleibt über dem Boden bestehen. Keine Ahnung. Vielleicht doch ein Zeichen dafür, dass ich nach dem Stich nochmal eingeschlafen bin? Vielleicht ziehen sich die Kakteen automatisch zurück, wenn sie keine Beute bekommen. Bin noch liegen geblieben. Auch weil mein Rücken, wegen des Liegens auf dem Beton wie wahnsinnig schmerzte. Habe darüber nachgedacht, aufzugeben. Hörte donnernde Geräusche an meinen Ohren, wie Schritte eines Riesen mit einem Atem, der so laut war wie ein Sturm. Vielleicht würde jetzt ja alles einstürzen. Dummer Gedanke, ich weiß. Ich könnte alles einfach zu lassen. Ich würde ja hier sowieso keinen Weg raus finden. Vermutlich träumte ich ja nur. War die einzige schlüssige Erklärung. Habe nicht mal zum Gesang angesetzt. Erst jetzt ist mir aufgefallen: In der Leere über mir waren keine Lichter. Wie konnte ich dann den verdammten Kaktus sehen? Woher kam das Licht?
Dann erst fiel mir eine seltsame Rhythmik im Tosen auf. Es waren wirklich Schritte! Ich konzentrierte mich und sie kamen wirklich aus einer bestimmten Richtung. Gerade im äußeren Bereich des Lichtscheins konnte ich sehen, wie eine Frau sich bewegte. Es war nicht wirklich gehen, laufen oder rennen. Eher wie eine Puppe, die das Gehen erst noch üben muss. Ich rief: „Halt!“. Wollte eigentlich mehr sagen, aber meine Stimme war so laut. Es tönte in meinen Ohren, dass meine Trommelfelle davon zehnmal hätten zerbersten müssen. Viel, viel lauter noch als die Schritte der Frau. Dazu klang meine Stimme irgendwie … falsch … es war schon meine Stimme, aber das hören Sie ja jetzt. Nun, ich wollte diese andere „Frau“ aufhalten. Diese elende Person, die mit ihrem Keuchen die Art, wie ihre Füße auf den Boden kratzen ein akustisches Inferno machten. Zusätzlich zu dem Hintergrundgeräusch, das immer vom Zement kam. Dieses Kratzen, die ständige Bewegung von Steinchen auf Steinchen. Stand auf und versuchte mich durch den Lärm auf die Person zu konzentrieren, dahin, wo sie in die Dunkelheit verschwunden war. Auch das Tönen, das ich selbst jetzt mit meinen Bewegungen verursachte. Ging dann ein paar Schritte in die Richtung, der Lichtkreis folgte mir. Und als ich sie sah, brach ein Kaktus unter ihren Füßen hervor. Genau an der Stelle, wo ich in diesem Moment hingeschaut hatte. Ein Kaktus mit meinem Gesicht. Meinem alten Gesicht. Allerdings hat sie sich nicht direkt an dem Kaktus verletzt. Sie wich ihm erfolgreich aus, stolperte aber. Zumindest lag sie jetzt am Boden. Sie hatte sich bei dem Sturz wohl Knochen gebrochen. Der Bruch war ja laut genug. So, wie wenn ein Baum im Sturm zu Boden fällt. Bin nähergekommen. Das Licht folgt mir. War dankbar dafür, nicht in kompletter Schwärze sein zu müssen. Vor mir lag dann … ich … also quasi. Glaube ich. Sie … es sah irgendwie unfertig aus. ‚Mein‘ Gesicht lag in einem unwahrscheinlichen Winkel zu den ungefähren Formen meines Körpers, zur Wirbelsäule. Ich hörte die Atmung des Dings nicht mehr. Also das, was ich vorher mit einem Sturm verwechselt hatte. Es hatte sich das Genick gebrochen. War tot. Daneben lag noch eine dieser Papierlaternen. Vielleicht ihr ehemaliger Kopf?
Die Laterne war aber aus. Von da kam also auch kein Licht. Konnte ja auch nicht sein, es war ja auf mich konzentriert. Erst dann wurde mir sehr langsam klar, dass die Lichtquelle von mir kam. Sah an mir herunter. Das Licht schien von oben zu kommen. Aber über mir war kein Licht. Langsam fasste ich mir an das Gesicht. Spürte keine Haut. Nahm nur Papier wahr. Blick auf meine Finger. Alles normal. Musste stark einatmen, um zur Ruhe zu kommen. Ich spürte, wie kein Luftzug meinem Mund entkam. Wie nichts meinen Hals hinunterging. Meine rechte Hand bewegte sich zu meiner Kehle, die Linke zu meinem Mund. In beiden Fällen fanden sie nicht vor, was sie erwartet hatten. Ich ertastete den Hals, aber nur so dünn wie ein Ast. Meine linke Hand fand zwar eine Öffnung, aber es war nur ein Schnitt in Papier. Ich wollte aufschreien, aber als meine Tonlage auch nur lauter wurde, war mir klar, es würde betäubend sein. Keine Tränen kamen aus den Augen. Ich spüre sie nicht mehr, obwohl sie da sind. Sie müssen da sein, als sie mich angesehen haben, haben sie mir in die Augen geschaut. Es sind keine Tränen gekommen. Nichts. Aber es sollten welche kommen. Alles war falsch.
Vor Verzweiflung habe ich die Laterne aufgehoben … das Knistern des Papiers war gerade so zu ertragen … wollte sie auf den Boden werfen. Dann fielen mir die Statuen ein. Ein Durchgang und eine Laterne? War das die Möglichkeit hier raus zu kommen? Meine Hände umfassten sie und ich ging weiter. Aber wie sollte … und im äußeren Schein meines Lichtes konnte ich einen Treppenaufgang sehen. In einer Entfernung von ein paar hundert Metern. Aber meine Freude wurde beiseite gefegt, als ich das Tosen der Außenwelt hörte. Lauter noch als meine Schritte auf dem Boden oder die hörbaren Bewegungen meiner Muskeln. Ich hörte das Schreien von Vögeln, das Brüllen von Autos, das Klirren von Blättern. Aber ich wollte wieder zurück. Dorthin. Nach oben. In mein Leben. Vielleicht würde ich mich da draußen ja wieder wohlfühlen. Dann würde alles vorbei sein. Es waren nur wenige Stufen.
Draußen war Nacht. Aber es fühlte sich so an, als ob man mir das Innere meiner Ohren immer wieder aus dem Gehörgang gezogen hätte. Es waren … sind nicht nur zu laut, sondern auch zu viele Geräusche. Als ich oben war, trat ich durch irgendeine Bruchstelle in einer Wand. Draußen versuchte ich mir die Ohren zuzuhalten. Diese hatte ich noch. Aus Fleisch und Blut, auch wenn meine Finger so gut wie nichts brachten, um den Lärm fern zu halten. Habe darüber nachgedacht, ob man an zu lauten Geräuschen sterben könnte. Vermutlich war ich in einem Wald? Das Schnaufen von Tieren wie das Dröhnen von Flugzeugen. Und das Wachsen der Pflanzen von überall her. Kann das Geräusch nicht beschreiben. Ich glaube, dann haben Sie mich irgendwann gefunden. Weiß nicht, wie lange ich da herumgeirrt bin. In der Hoffnung nach Ruhe, in der Hoffnung, dass ich mein Gehör unter dem Trommelfeuer verlieren würde …
SCP-███-DE-A wich daraufhin von der eigentlichen Aussage ab, weshalb für dieses Dokument an dieser Stelle ein Ende gesetzt wurde. Es wurde in "Reflexionsarme Humanoideneindämmungszelle 12.23.b" transferiert.