Im Auftrag der Liebe
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"Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie dermaßen geschämt."

"Wie darf ich das denn verstehen?", erwiderte Getzel Rozencwaig, der in seinem grellpinken Porsche über die Autobahn raste, neben ihm die kleine, bunt gepunktete Hutschachtel, aus der die leidende Stimme erklungen war.

"Weißt du eigentlich, wie du in diesem scheußlichen Ding aussiehst?", ertönte es erneut aus dem Karton, Getzel schüttelte nur den Kopf, rückte die verspiegelte Sonnenbrille über das feuchte Näschen des mit schwarzem Katzenfell bedeckten Gesichtes und drehte die schallende Musik noch etwas lauter.

"Und was ist das überhaupt für ein grässlicher Lärm?"

"Lärm?! Das will ich mir aber verbitten, Jone. Das ist Runrig, feinster schottischer Folk", erklärte Getzel Rozencwaig pikiert und versetzte der Hutschachtel einen leichten Stoß, sodass sie über den mit teurem Leopardenfell ausstaffierten Ledersitz rollte.

Ein wehleidiger Klagelaut war aus dem mit Schmuckband verbundenem Schächtelchen zu vernehmen.

"Sind übrigens gleich da", fügte Getzel hinzu und fuhr von der Autobahn herunter in Richtung des kleinen Dörfchens, in dem Jones Herzblatt sehnsüchtig auf ihren Valentinsgruß wartete.

"Dann ist der Spuk ja bald vorbei", murrte Jone, und die in glänzendes Schweinchenrosa getauchte Luxuskarosse rollte über die Dorfgrenze, einen steilen Abhang hinab und durch eine heimelige Marktstraße, beidseitig von altmodischen bayerischen Lädchen, Kneipen und Herrenhäusern gesäumt.

"Schicke Gegend", meinte Getzel und hielt vor einer kleinen, putzigen Konditorei am Ende der Straße. Geöffnet hatte sie nicht, war es doch gerade erst zehn Uhr morgens, und der feine, feuchte Nebel hing noch über den Tannenwäldern und den schroffen Gipfeln der Alpenvorläufer.

Getzel setzte die Sonnenbrille ab, zog seine Schnurrhaare gerade, nahm den viel zu großen Strauß dornenloser Zuchtrosen und die ebenso ausladende Lind-Pralinenschachtel an sich, sagte: "Auf geht's, Jone", und wäre wegen der verfluchten Blumen beinahe auf den Bürgersteig gestürzt.

"Guck mal, Mama, eine Katze!", rief ein kleines Mädchen, das neben seiner erschöpften Mutter einherlief, und deutete mit vor kindlicher Überraschung geweiteten Augen auf Getzel, der es endlich geschafft hatte, aus dem Wagen zu steigen und sich Rosenblätter von seinem dunkelgrünen Sakko wischte.

"Lisa, man zeigt mit dem Finger nicht auf Leute!", tadelte die Mutter.

"Macht doch nichts", sagte Getzel und zwinkerte dem Mädchen zu, das ihn weiterhin völlig erstaunt anstarrte, als könne es seinen Augen nicht trauen.

Wankend unter den Geschenken stolperte er durch den schicken Vorgarten, leise vor sich hin summend und mit seinem Schwanz umherwedelnd.

Wenn sie nicht da ist, lass ich den Schrott hier einfach liegen, dachte er, doch leider wurde die Tür schon im nächsten Moment geöffnet und eine junge, freundlich wirkende Frau sah auf ihn hinab.

Für einen kurzen Augenblick gelang es ihrem Gehirn, Getzels anthropomorphe Katzengestalt in all ihrer unwirklichen Körperlichkeit zu begreifen, doch eine Sekunde später hatte ihr der Verstand bereits eingeredet, dass es doch gar keine Katzen in Anzügen gäbe und es nichts ungewöhnliches sei, wenn der kleine Mann da vor ihr große leuchtende Augen, abstehende Fellohren und krallenbewehrte Pfoten besaß.

"Oh… guten - guten Morgen?"

"In der Tat. Sie sind Frau Mueller, nehme ich an?"

"Ich - ja, die haben Sie vor sich. Und wer sind Sie?", fragte sie und runzelte die Stirn, anscheinend gehörte sie zu den hartnäckigeren Subjekten.

"Getzel Rozencwaig der Name. Jone schickt mich", sagte er und nickte zu dem halben Blumengarten, den er unter dem Arm trug und den Frau Mueller bis dahin gar nicht wahrgenommen hatte. Fünf Minuten später saß er in ihrer Küche, eine frische Tasse Kaffee in den Pfoten, die Pralinenschachtel auf dem Küchentisch und bereits zur Hälfte geleert. Frau Mueller, den Vornamen hatte er schon vergessen, saß ihm gegenüber, warf sich eine weitere Praline in den Mund und bekam sich vor Entrüstung nicht mehr ein.

"Acht Monate nicht ein einziges Wort! Acht Monate! Können Sie sich das vorstellen?!"

"Das ist ja furchtbar", sagte Getzel mitfühlend und ignorierte das böse gelbe Augenpaar, das ihn unter Frau Muellers Kommode hervor finster anfunkelte, "nicht einmal einen Brief hat er Ihnen geschrieben?"

"Die Firma erlaubt es nicht, hat er mir gesagt. Als würde er in irgendwelchen geheimen Regierungsaufträgen stecken, meint man, und wäre kein zweitklassiger Finanzbuchhalter. Wissen Sie, dass er beim ersten Mal durch seine Prüfung gefallen ist?"

"Nein!"

"Oh doch! War der einzige in seinem Jahrgang", enthüllte Frau Mueller, griff nach der letzten Nougat-Praline und nickte zu einer der Fotografien auf dem Fensterbrett hinüber.

Getzel vermutete, dass der dort abgelichtete Mann, der in seinem karierten Jackett heillos bescheuert aussah, Jone war. Frau Mueller fuhr fort: "Seit er für diese Firma arbeitet, habe ich ihn nicht mehr gesehen. Weiß nicht einmal, wo er wohnt. Sie dürfen es mir wahrscheinlich auch nicht verraten, oder?"

"Leider nein. Aber ich muss schon sagen, dass er sich nicht einmal persönlich von Ihnen verabschiedet hat…", sagte Getzel, der sich köstlich amüsierte, und Frau Mueller setzte zu einer erneuten Schimpftirade an, die gar nicht mehr enden wollte, wie Jone die Hochzeit seines Bruders, die Beerdigung aller seiner Großeltern sowie die Firmung seiner Nichten verpasst hatte und der Großteil seiner enttäuschten Familie ihn mittlerweile für tot, entführt, eingesperrt oder verschollen hielt.

"Seine Mutter glaubt, er ist nach Thailand ausgewandert", sagte sie verschwörerisch, als suche sie nach Anzeichen in seinem Gesicht, ob dies tatsächlich der Wahrheit entsprach.

"Ich kann Ihnen versichern, dass ihm zurzeit nichts ferner liegen würde, als in der gleißenden Sonne am Strand zu liegen."

Die blassgelben Augen, die nun unter dem Kühlschrank glühten, starrten ihn fassungslos an.

"Er war immer schon ein Stubenhocker."

"Das glaube ich sofort. An manchen Tagen bekommt man ihn kaum unter dem Bett hervor, nicht wahr?", lachte er und Frau Mueller nickte ihm eifrig zu, viel zu aufgewühlt, um die seltsame Wortwahl zu bemerken.

"Nun, Sie können ihm jedenfalls ausrichten, dass er seine Blumen beim nächsten Mal einfach mit der Post schicken kann."

"Ich werde es ihm schonend nahebringen."

Plötzlich hielt Frau Mueller inne und richtete den Blick auf sein Gesicht, wieder war da dieses beunruhigte Stirnrunzeln. Ihre Augen glitten von Getzels Nase zu seinen Pfoten und dann, er konnte vor unterdrücktem Gelächter kaum an sich halten, beugte sie sich um den Küchentisch herum und besah sich seinen weiß-gestreiften Katzenschwanz, der um das Stuhlbein geschlungen war.

"Wo - wo arbeiten Sie noch gleich?", fragte sie und klang heillos verwirrt, als wäre sie zwischenzeitlich hintenüber gestürzt und hätte sich den Kopf angeschlagen.

"Streusalz, Casper und Pfirsich AG", erwiderte Getzel ungerührt und die zufälligen Worte hatten einen ganz verblüffenden Effekt auf Frau Mueller, die auf einmal gar nicht mehr durcheinander wirkte, sondern freundlich lächelte, ihm noch etwas Kaffee anbot und wenig später mit letzten strengen Worten für Jone aus dem Haus verabschiedete.

"Ich hasse dich so sehr", erklang die Stimme aus der Hutschachtel, kaum hatte er sich in seinen Porsche gesetzt.

"Nettes Mädchen", meinte Getzel, startete seinen Wagen und fuhr zurück auf die Autobahn. Jone schwieg, bis sie das Örtchen verlassen hatten, dann sagte er: "Wenigstens haben ihr die Pralinen gefallen."

"Hatte ein Foto von dir auf ihrem Fenstersims."

"Ich habe es gesehen, ja."

"Wie kommt sie denn auf Thailand?", fragte Getzel und setzte sich seine verspiegelte Sonnebrille wieder auf.

"Wollte immer mal dort hin… schönes Land."

"Du kannst dich jederzeit versetzen lassen. Hast sie ja vorhin gehört, schien nicht so, als würde die sich über einen zweiten Besuch meinerseits freuen."

"Das habe ich mitbekommen", seufzte Jone.

"Und was besseres kannst du allemal an Land ziehen."

"Getzel, halt die Klappe."


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