Aktennummer: | SCPDE-ADGA_TGG309 |
Beschreibung: | Transkript des Underground-Podcasts Goethes Goetia, Staffel 3, Episode 9 (GG309). |
Zuständige Abteilung: | Digitale Gefahrenabwehr und Risikoanalytik |
Datum der Aufzeichnung: | 15.07.2019 |
Transkriptor: | Paul-Dietrich Schneider |
Klassifizierung: | Sicher. Kenntnis der im Transkript enthaltenen Information stellt kein Gefährdungsrisiko dar. |
Status: | Beweisstück für die laufende Disputation bezüglich der SCP-Klassifikation von POI-1001011. Authentizität fraglich. Zugehörige Audioaufzeichnung unter Verschluss. |
Transkript Episode 309:
[Titelmelodie und Applaus werden abgespielt.]
POI-100101: Ich begrüße sie, meine Damen und Herren!2
POI-100101: Und willkommen, herzlichst willkommen, zur neunten Folge unserer, halten sie sich fest, nunmehr dritten Staffel! Ist es zu glauben, meine Damen und Herren, ist es denn zu fassen?
[Applaus wird erneut abgespielt.]
POI-100101: An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal ganz direkt bei ihnen allen für ihre Unterstützung bedanken.
POI-100101: Sie wissen, wie schwer es in den letzten Jahren geworden ist, einer Arbeit wie der unseren nachzugehen, und deshalb sind wir umso dankbarer für unsere Community, die sich aktiv für die Verbreitung unseres Contents engagiert. Vielen, vielen Dank.
POI-100101: Aah, jetzt werde ich noch ganz weinerlich hier, das ist ja furchtbar. Ist es nicht furchtbar, David3? Ist es nicht schrecklich, so bewegt zu sein? Die Rührung, sie ergreift mein kaltes Herz.
POI-100101: Ja … nun, meine Damen, meine Herren, meine überaus hochgeschätzten und verehrten Zuhörer.
POI-100101: Unseren heutigen Gast … vielleicht muss ich ihn nicht vorstellen, ich werde es aber trotzdem tun.
POI-100101: Die Ostdeutschen unter ihnen, die jene alten Schrecken miterlebten, werden ihn bestimmt noch kennen. Aus scheußlichen, übel animierten Kinderzeichentrickfilmen, aus entsetzlich gezeichneten Spaßbildern in der Mosaik und der Atze, als billig produzierte Kuschelpuppe miesester Qualität. Die Liste, meine Damen und Herren, sie findet kein Ende.
POI-100101: Begonnen als Platzhalter für erfolgreichere Formate und Serien, etablierte sich unser Gast schon bald als bekannte und berüchtigte Propagandafigur des Realsozialismus', der Ein-Parteien-Diktatur und der kommunistischen Weltanschauung des Kalten Krieges, bevor er, nach dem Mauerfall, in der Versenkung und dem Vergessen verschwand.
POI-100101: Doch die Totgesagten, meine Damen und Herren, leben häufig länger, und so begrüße ich unseren heutigen Gast: Genosse Kacper!
[Applaus. Die Schritte eines zweiten Subjektes sind zu vernehmen, welches sich gegenüber von POI-100101 niederlässt.]
Kacper: Guten Abend. Sehr erfreut, hier sein zu dürfen.
POI-100101: Oh, aber die Freude ist doch ganz auf meiner Seite, mein Bester! Ich wage es gleich, vorneweg zu fragen: Sind Sie ein Hörer unseres kleinen Podcasts?
Kacper: Beschämend selten. Ihre Folge mit Isengrin habe ich gehört.
POI-100101: Ah! Nun, wer hat das nicht?! Wir sind damals in Fanpost ertrunken, kann ich Ihnen sagen! Kennen Sie unseren guten alten bösen Wolf persönlich?
Kacper: Nein … man sieht sich beruflich, Sie verstehen, aber er befasst sich ja eher mit Themen wie Kannibalismus und Sodomie, und das ist nicht mein Fachgebiet.
POI-100101: Sie sind in den letzten Jahren hauptsächlich als Nachtmahr aufgetreten.
Kacper: In der Tat. Offenbar empfinden die meisten Kinder mein Aussehen als äußerst beunruhigend. Erschreckend sogar. Vermutlich hat sich der Geschmack der jungen Generation zu sehr gewandelt, es muss Jahre her sein, dass einer meiner Comics verkauft wurde.
POI-100101: Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, aber Sie waren ja quasi so etwas wie der marxistische Elmo der SED.
Kacper: Ich musste für alles herhalten. Vieles davon war schon schlecht gealtert, als es veröffentlicht wurde.
POI-100101: Kacper besucht die Völkerschau ist mein persönliches Highlight.
Kacper: Großer Gott, ja … das müsste immer noch auf dem Index stehen, wenn ich mich nicht irre. Wird mir andauernd um die Ohren gehauen, dieser Schund. Keine Ahnung, was sich der alte Schwachkopf dabei gedacht hat, diesen Quatsch zu zeichnen.
POI-100101: Mit Genosse Kacper in der FDJ erreichten Sie dann allerdings Kultstatus in den frühen 70ern.
Kacper: Bräsiger Biedermeierblödsinn, aber den Kleinen hat es tatsächlich gefallen, weiß der Teufel warum. Es war dermaßen bescheuert, dass man es nur lieben konnte. Kacper geht fischen, Kacper klaut Unterhosen, Kacper erschießt die Landesverräter, Kacper besucht das Zuchthaus, und so weiter.
Kacper: In den Underground Comix Westdeutschlands dagegen hatte ich Gastauftritte als notgeiler Zonenstudent, der Honeckers Alten das Hirn zervögelt und leichte Mädchen über die Mauer schmuggelt.
POI-100101: Ich nehme an, das hat Ihnen besser gefallen?
Kacper: Es war sicher kurzweiliger, als andauernd Stalins Nachfolger zu fellieren.
POI-100101: Sie selbst haben sich immer als apolitisch bezeichnet?
Kacper: Ich bin eine Comicfigur, die von einem alkoholsüchtigen Frauenschläger in den späten 60ern auf eine Küchenserviette gezeichnet wurde. Mit mir haben sie wirklich alles gemacht, was ihnen in den Sinn gekommen ist.
POI-100101: Zum Beispiel?
Kacper: Am schlimmsten war das illegitime Mix&Moxi-Crossover, in dem Nupinchen meinen Fluchtballon reparieren darf, nachdem ich auf Oma Leusebias Dachboden notlandete. Da bin ich lieber zur Völkerschau gegangen.
POI-100101 [scherzhaft]: Das ist ja schrecklich!
Kacper: Hat meinem Zeichner gar nicht gefallen, nicht besonders, nein …
POI-100101: Heutzutage sind Sie im Deutschen Comic nahezu abwesend. Außerhalb des germanophonen Raumes zudem völlig unbekannt.
Kacper: Ein Tim wird aus mir gewiss nicht mehr werden. Mir fehlte stets das komödiantische Pendant.
POI-100101: Aber Sie scheinen es auch gar nicht zu wollen? Es den Frankobelgiern mal so richtig zu zeigen?
Kacper: Ich fand, dass es an der Zeit war, mich neu zu erfinden. Eine Neugestaltung, wenn Sie so wollen, eine Rekontextualisierung.
POI-100101: Und da haben Sie sich gedacht, zum, bitte verzeihen Sie mir, ostdeutschen Butzemann zu werden.
Kacper: Nach dem Mauerfall …
POI-100101: Ja?
Kacper: Meinem Zeichner hat die Wende nicht gut getan. Er … wissen Sie, ich hatte nie den Eindruck, dass er diesen marxistischen Nonsens tatsächlich geglaubt hatte. Es ist ja was anderes, wenn man dafür bezahlt wird, in DDR-Bildgeschichten herumzuhüpfen und den imperialistischen Klassenfeind abzuschießen, mit Mao Tee zu trinken und über die Südkoreaner zu lachen.
POI-100101: Hmm …
Kacper: Für mich jedenfalls war es immer nur eine Rolle. Und dass dieses System zusammenbricht - man hätte blind sein müssen, es nicht vorauszusehen.
POI-100101: Aber Ihr Zeichner hat es nicht verwunden?
Kacper: Ich weiß nicht, was es war. Der Schock vielleicht? Die plötzliche Sinnlosigkeit? Die Erkenntnis, dass das Lebenswerk ein peinlicher Witz geworden war?
Kacper: Da gab es eine Rezension im Spiegel über seine Kunst. Gewaltverherrlichende Russenpropaganda, der Hergé Ostdeutschlands. Er hat keinen Anschluss gefunden, verarmte … und hat mich beerdigt, verbittert und erschüttert.
POI-100101: Und nun sitzen Sie aber hier.
Kacper: Ich war noch nicht so weit, zu gehen. Und habe ihn damit konfrontiert.
Kacper: Er hat es nicht gut aufgenommen. War furchtbar verstört, der alte Mann. Geschrien und gekreischt, Sachen nach mir geworfen, er hat sogar gebetet, stellen Sie sich das mal vor.
Kacper: Ich sagte ihm, dass wir mit der Zeit gehen sollten. Dass ich ein Auge auf das digitale Medium geworfen hätte, auch wenn ich nie hätte ahnen können, wohin sich das alles entwickeln würde.
POI-100101: Aber?
Kacper: Er hat sich im Badezimmer eingeschlossen und nach seiner Tochter gerufen, im Glauben, den Verstand verloren zu haben. Da habe ich eingesehen, dass es keinen Sinn mehr hatte, und ich bin gegangen. Gezeichnet hat er nie mehr.
POI-100101: Was haben Sie nach dieser Trennung gemacht?
Kacper: Nicht viel. Ich hatte einen kurzen Gastauftritt in einem Strip von Ralf Kaiser.
POI-100101: Nein!
Kacper: Keine Ahnung, wie der Titel hieß. Er hat mir diesen Riesenzinken gegeben, ich sah aus wie meine eigene Karikatur. Nicht, dass ich mich beschwert hätte, es hat Spaß gemacht.
Kacper: Danach kam lange Zeit nichts.
POI-100101: Bis Goodbye Leninocchio.
Kacper: Ja. Das war mein zweiter Durchbruch, wenn Sie so wollen.
POI-100101: Es war ein Studentenfilm?
Kacper: Mit einer dieser fürchterlichen Marionetten, die sie damals von mir gemacht hatten. Ein junger Filmstudent hat sie auf dem Dachboden seiner Eltern gefunden und da hat ihn die Muse geküsst.
POI-100101: Sein Trickfilm hat sogar einen Kunstpreis gewonnen, wenn ich nicht irre?
Kacper: Den zweiten Platz bei … Himmel, ich weiß es nicht mehr. Wurde ins Internet gestellt und Leninocchio wurde eines von diesen Memes. Hat nicht lange gedauert, bis die ersten Creepypastas dazu kamen, und jetzt … jetzt bin ich hier, und jage kleinen Kindern Angst ein.
Kacper: Den Studenten habe ich später persönlich getroffen, ich besuchte ihn vor einigen Jahren aus einer Laune heraus.
POI-100101: Wie war seine Reaktion?
Kacper: Das Kokain in seinem Körper hat sicherlich geholfen. Ich war es auch, der ihn dann zum Krankenhaus gefahren hat, wo sie ihn gerettet haben. Reziproker Altruismus nennt man das, glaube ich.
POI-100101 [lachend]: Köstlich, köstlich.
POI-100101: War es eine große Umstellung für Sie, jetzt den schwarzen Mann zu mimen?
Kacper: Nein, meine verstörende Physiognomie schien mir dafür sehr geeignet zu sein. Und kleine Kinder fürchten sich vor so vielem Unsinn. Ich muss nichts anderes tun, als nachts von innen gegen die Schranktüren zu klopfen, unter dem Bett die Pantoffeln über den Boden zu schleifen und als wabernder Schemen in der Smartphone-Kamera zu erscheinen.
Kacper: Bei den Älteren ist es etwas komplizierter, aber Kastrationsängste und ungewollte Schwangerschaften ziehen eigentlich immer als Albträume. Mein bevorzugtes Setting ist ein Operationssaal, das Opfer liegt nichts Böses ahnend da, umgeben von freundlichen Ärzten und Pflegekräften, und ich komme dann mit der Stichsäge, dem Schweißbrenner oder der blutigen Geburtszange herein. Ein Selbstläufer, hat bisher immer funktioniert.
POI-100101: Haben Sie Pläne, wieder ins Filmgeschäft einzusteigen?
Kacper: Von meiner Seite aus gibt es da keine Motivation.
POI-100101: Ihr letzter Streifen war Kacper, Held des Baltikums?
Kacper: Glücklicherweise vergessen.
POI-100101: Und eine Rückkehr in den deutschen Comic?
Kacper: Ach … ich weiß es nicht. Das ist nicht mehr meine Welt. Sicher, es wäre ganz lustig, mal bei Rhute, Nichtkomisch oder Flicks vorbeizuschauen, aber was soll ich da? Nein, das bin ich nicht.
Kacper: Nachher ende ich noch als Nostalgiemonster der Alternativen, und wer will das schon?
POI-100101: Die Arbeit als Kinderschreck gefällt Ihnen also? Haben Sie größere Projekte abseits der etablierten Medien geplant? Social Media vielleicht? Der Großteil Ihrer Kollegen nutzt ja eine Vielzahl unterschiedlicher Plattformen, um ihren Einfluss zu vergrößern.
Kacper: Gerade arbeitet mein Team an einer kurzen Reihe von Webcomics, in denen die Leser mit ihren Urängsten konfrontiert werden. Personalisierte Memetik nennt man das heutzutage. Sieht sehr vielversprechend aus, aber vor nächstem Jahr werden wir damit gewiss nicht durchstarten.
POI-100101: Wir sind gespannt!
Kacper: Dann hoffen wir, ihre Erwartungen zu erfüllen.
POI-100101: Was sagt eigentlich Ihr Zeichner zu Ihrem neuen Erfolg? Sie deuteten an, es gebe keinen Kontakt mehr?
Kacper: Er ist tot, wussten Sie das nicht?
POI-100101: Großer Gott, nein! Ist mir das jetzt peinlich, entschuldigen Sie bitte vielmals!
Kacper: Schon gut, woher hätten Sie es auch erfahren sollen? Er hat ja nicht einmal einen Wikipedia-Eintrag.
POI-100101: In die Umstände seines Todes waren Sie aber nicht involviert?
Kacper: Ich kokettierte damit. Ihn brutal zu ermordern - das hätte vielleicht was, dachte ich mir, würde dem ganzen Leninocchio-Meme noch die richtige Würze verleihen, aber er ist mir zuvorgekommen.
POI-100101: Woran ist er denn gestorben?
Kacper: Hautkrebs. Ein metastasierendes Melanom, das sein Herz befallen hat. Ich habe seine Leiche in der Pathologie besucht, nachdem sie mit ihm fertig waren. Es war pechschwarz, sein Herz. Wie ein … Klumpen Asche.
Kacper: Ein seltsames Gefühl, ihn dort liegen zu sehen. So alt und kaputt, ausgeweidet und von der Kachexie vernichtet. Mir ist nie klar gewesen, wie krank er die ganze Zeit war.
Kacper: Ist es nicht ein schönes Symbol? Dieses schwarze Herz? Zerfetzt von entarteten Melanozyten. Manchmal spreche ich mit den Kindern darüber, während sie noch schlafen. Es ängstigt sie sehr, aber sie verstehen die Symbolik nicht.
Kacper: Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass er vorher schon tot war. Mit dem Mauerfall ist er gestorben. Die DDR war wie ein Organ in seinem Körper. Vielleicht hat er es selbst nicht wahrhaben wollen, dass er diesen Glauben an die Sowjetunion zum sinnvollen Existieren gebraucht hat.
Kacper: Eigentlich hat er alle nur gehasst.
POI-100101: Gehasst?
Kacper: Die Russen, die Amerikaner, die anderen Deutschen …
Kacper: Mich wird er gleichfalls verabscheut haben.
Kacper: Ich … ich glaube nicht, dass er seine Kunst - dass er mich je geliebt hat.
Kacper: Nein, ich erinnere mich nicht, geliebt worden zu sein.
Kacper: Vielleicht … einst hat er mich wohl gemocht.
POI-100101: Wir wurden alle irgendwann einmal geliebt.
Kacper: Sicher. Aber ist Liebe an sich eine intrinsisch gute Emotion? Jeder kann lieben, es ist keine große Wundertat.
POI-100101: Lieben Sie irgendjemanden?
Kacper: Mein Freund, ich bin ein Cartoon. Ich liebe alle Kinder.
POI-100101: Ah, was für ein schönes Schlusswort. Es war nett, Sie hier bei uns zu haben.
Kacper: Mir hat es auch gefallen.
POI-100101: Das war die neunte Folge unserer dritten Staffel, meine Damen und Herren, mein hochverehrtes Publikum da draußen an den Empfangsgeräten -
[Kacper lacht.]
POI-100101: - und damit verabschieden wir uns. Bis zum nächsten Mal!
[Ende der Aufzeichnung.]