Geklärte Fronten

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09.03.1968

Wer in der Abteilung XXV in wichtiger Position arbeitet, der lernt früher oder später das Büro vom Abteilungsoffizier Konstantin Mader kennen. Und damit logischerweise Mader selbst. Der hakennasige Mann mit dem braunen Haaren saß im Licht seiner Schreibtischlampe in seinem Stuhl, einen starren Blick auf seinen Berg an Dokumenten gerichtet, ähnlich wie ein Raubvogel über seiner Beute, was ihm bei der Belegschaft seiner Abteilung den Spitznamen "Der Habicht" eingebracht hatte. Entsprechend der Berge an Papier, die sich auf ihm stapelten, war der Schreibtisch des Offiziers riesig und hätte in manchen Großfamilien als Esstisch herhalten können. Der Rest seines Büros war weniger beeindruckend. An den Wänden quetschten sich mehrere Regale und Schränke mit noch mehr Akten und Formularen aneinander und vor einem der beiden Fenster stand ein kleiner Kaktus.

Die Tür öffnete sich und ein Mann in einem schwarzen Anzug trat ein. Er grüßte nicht, im Gegenteil, er war unnatürlich leise, als ob jeder Ton, den er von sich gegeben konnte schon im Keim erstickt wurde. Selbst die Bürotür, deren Scharniere der Offizier als Frühwarnsystem absichtlich immer ungeölt ließ, gab keinen Mucks von sich, als der Mann die Tür hinter sich schloss.

"Falls das ein Attentat ist, sind Sie ziemlich schlampig", kommentierte Mader ohne aufzusehen.
Der Mann erstarrte kurz.

"Oh nein, keineswegs. Aber wie haben Sie mich bemerkt?"

"Mehrere Faktoren. Aber Allem voran sollten Sie wissen, dass sich hier drin die Lichtverhältnisse ändern, sobald Licht vom Vorzimmer hineinfällt. Weiterhin sollten Sie wissen, dass ich den Sicherheitsdienst rufe. Und die werden mit ihnen fertig, mein Wort drauf."

Mader drückte einen Knopf an dem Telefon auf seinem Schreibtisch. Normalerweise hätte nun ein Lämpchen aufgeleuchtet. Stirnrunzelnd betrachtete der Offizier den Apparat, drückte denselben Knopf erneut erfolglos und schaute dann nach, ob sämtliche Verkabelung an Ort und Stelle war.

"Sie haben eine ziemlich hohe Meinung von Ihrer Sicherheit, durch die ich gerade bis in ihr Büro gekommen bin, und deren Verbindung zu Ihnen ich vorsorglich gekappt habe. Erlauben sie mir dieses Gedankenspiel, was nützt Ihnen der Sicherheitsdienst überhaupt noch, wenn ich Sie attackiere, zu Boden werfe und anschließend töte?"

"Versuchen Sie es ruhig."

Der Mann lächelte, zuckte kurz, zuckte wieder und runzelte anschließend die Stirn. Dann erhellten sich seine Züge wieder.

"Ich verstehe. Hier drin kann keine Gewalt angewendet werden. Deswegen haben Sie auch solches Vertrauen in ihre Wachmannschaft, die müssen jemanden nur an die Hand nehmen und nach draußen führen. Aber was ist mit Ihnen? Oh, bestimmt kann man Sie nicht gegen ihren Willen hier raus bringen. Bestimmt irgendein Talisman, den Sie bei sich haben. Das macht die Sache wesentlich einfacher."

"Wie meinen?"

Der Mann setzte sich auf einen der drei Stühle, die gegenüber dem Offizier an seinem Schreibtisch standen.

"Ich möchte Ihnen ein Angebot machen."

Mader zog genervt eine Augenbraue hoch. Ihm war klar, dass ihn dieser Kerl vermutlich angreifen würde, wenn er das Büro verließ, daher würde er zuhören und Zeit schinden müssen, bis die Wachen merkten, dass sie keine Verbindung zu ihm hatten.

"Und warum machen Sie dafür keinen Termin?"

"Ich würde vor Ihrem Sekretär in Erklärungsnot geraten. Ich meine, niemand soll von dieser Abteilung wissen, oder? Außerdem bin ich, wie soll ich sagen-"

"Verkaufen sie mich nicht für blöd, ich weiß seit sie diesen Raum betreten haben, dass sie ein Magier sind. Denken sie wir arbeiten nur mit Ammenmärchen?"

"Beileibe nein. Das ist ja gerade weswegen ich sie aufgesucht habe. Ich biete ihnen an ein Teil meiner Organisation zu werden"

"Wir sind bereits Teil einer Organisation. Außerdem, wieso sollte ich ein solches Angebot von einem Subjekt annehmen, dessen Name ich nicht mal kenne?"

"Oh, Verzeihung, wie unhöflich von mir. Mein Name ist Herr Rass und ich-"

"-bin der Anführer des Vierten Reichs, danke, Ihr Name war alles was ich gebraucht habe."

Herrn Rass erstarrte kurz.

"Nett von Ihnen, dass sie mal reingeschaut haben", merkte der Offizier an.

"Ich muss sagen ich bin überrascht. Wie haben Sie das rausgefunden? Wir sind nicht gerade öffentlich, wenn Sie verstehen was ich meine."

"Wir sind ein Geheimdienst, Herr Rass. Und wir im Speziellen sind damit beauftragt übernatürliches Zeug zu erforschen, natürlich wissen wir über Sie Bescheid."

"Dann Respekt vor ihren Aufklärungsfähigkeiten. Aber zurück zum Geschäftlichen. Natürlich würden Sie und ihre Leute bei unserer Zusammenarbeit nicht leer ausgehen."

"Ach wirklich? Und was sollen wir kriegen? Ein paar lustige Anstecker mit ihrem Logo drauf?"

"Beleidigen Sie nicht meine Intelligenz. Natürlich habe ich etwas vorbereitet, mit dem sie wunderbare Erfahrungen machen werden. Ich führe es übrigens gerade vor."

Mader schaute sich kurz im Raum um, ohne irgendwas außerhalb der Norm zu entdecken.

"Nun? Ich warte?"

"Beschreiben Sie mein Gesicht."

"Was?"

"Beschreiben Sie mein Gesicht."

Mader wollte gerade Luft für eine genervte Erwiderung holen, als ihm auffiel, dass er der Bitte nicht nachkommen konnte. Er wusste dass Rass ihn gerade belustigt ansah, aber er konnte beim besten Willen keine Aussage zur Beschaffenheit seines Gesichts treffen. Die Größe der Nase, die Augenfarbe, die Form des Kinns. Sobald er versuchte sie zu erfassen, verlor sein Gehirn den Faden.

"Gut, sie machen mich neugierig, was ist das?"

"Etwas, das auch bei Videokassetten, Tonaufnahmen und Fotos funktioniert. Es handelt sich um eine von mir entwickelte Rune, die den Träger unkenntlich macht. Ich kann ihnen eine beliebige Anzahl herstellen."

Mader wurde hellhörig. Mit einem solchen Werkzeug würde Abteilung XXV überall auf der Welt unbehelligt operieren können. Der ultimative Mantel um den Dolch der Stasi zu verbergen. Alles was er tun musste war sich unterzuordnen … Rass bemerkte wie es in Mader arbeitete.

"Nun? Was sagen sie dazu? Ein großartiges Mittel für ihre Arbeiten hier, nicht war? Natürlich würde ich nicht all ihre Ressourcen beanspruchen, wir beide wissen dass das schiefgeht. Aber gelegentlich könnten Sie mir hier und da ein wenig helfen. Als Freund in hoher Position."

Maders Entschlossenheit wankte. Einerseits war es das verlockenste Angebot das ihm je unterbreitet worden war, andererseits wusste er, dass sein gegenüber mit dem Okkulten und dämonischen hantierte. In einer Weise die ihn absolut abstieß.

Dämonisch …

Er war dabei einen Pakt mit einem Teufel in Menschengestalt zu schließen …

Das Angebot klang aber zu schön um wahr zu sein …

Weil es das war!

"Herr Rass, für wie inkompetent halten sie uns?", knurrte Mader. "Wir sind mit dem Übernatürlichen ausreichend vertraut um sowas selbst herzustellen und noch dazu haben wir Besseres zu tun als uns auf Ihre hirnverbrannten Experimente mit Dämonen, Spinnen und anderem Gesocks einzulassen. Und wenn Sie es bis in mein Büro geschafft haben, sollten Ihnen eigentlich klar sein, wie wir mit den Überbleibseln des Dritten Reichs verfahren. Die Sowjets sind da ziemlich hartnäckig. Aus guten Grund, wie ich finde."

"Oh ja. Ich bin sicher die GRU Division "P" wird Ihnen das zu gute halten, wenn die erfahren was Sie so mit mit Anomalien treiben, mit Ihrer Folter, den Waffen und der Zersetzung."

Mader schliefen die Züge ein. Wenn die Sowjets erfuhren, dass die DDR ohne ihr Wissen mit dem Paranormalen hantierte, würde die Hölle losbrechen.

"Sie gehen ziemlich schnell zu Drohungen über."

"Ich bin normalerweise etwas weniger direkt bei Verhandlungen, aber erstens sind Sie extrem in ihrem System verbohrt und zweitens wissen wir beide, dass ich nur begrenzt Zeit habe."

"Meinen Sie nicht, dass Sie sich damit nur ins eigene Fleisch schneiden? Was bringt es Ihnen, wenn Sie uns verraten?"

"Mir bringt es nichts und damit kann ich leben. Aber Ihnen bringt es noch viel weniger, kommen sie damit klar?"

"Das ist Erpressung!"

Rass lächelte entschuldigend.

"Sie spielen ein gefährliches Spiel, Herr Mader. Mit ihren Machenschaften haben Sie sich mächtige Feinde geschaffen, auch wenn die noch nichts von Ihnen wissen. Das ist eine Schwäche die man ausnutzen kann."

Der Offizier seufzte genervt.

"Das gebe ich an Sie zurück, Herr Rass."

"Touché. Aber zurück zum Geschäftlichen, was-"

Mader unterbrach ihn. Mit nur zwei Worten.

Und sie waren genug um Herrn Rass zu beunruhigen. Nicht sichtlich, aber das Funkeln in seinen Augen verriet ihn. Er stieß einen anerkennenden Pfiff aus.

"Meinen Namen … Respekt. Woher-"

"Geheimdienst", erwiderte Mader nur. "Noch zu Nazizeiten sind Sie einer Menge Leute auf die Zehen gestiegen. Leuten, deren Akten wir hier haben. Und sie würden nicht glauben wie penibel einige von denen waren, so voll hatten sie die Hosen vor Ihnen. Ihr Name und auch viele andere Daten zu Ihnen steht öfter auf Papier als sie sich vorstellen können. Was sie getan haben. Wozu Sie fähig sind. Ihre Ansichten. Ihre Pläne von damals. Alles festgehalten und von uns archiviert. Und das haben wir alles mit ihrer Person und ihrem jetzigen Tun abgeglichen. Ich gebe zu, es war nicht leicht für meine Leute Sie zu identifizieren. Ihren Decknamen haben Sie ja erst nach dem Fall des Dritten Reiches angenommen. Es brauchte sieben Jahre Ermittlungen zu ihrer Person, bis wir uns vollständig sicher waren, wer Sie sind. Aber zu ihrem Unglück wissen wir nun eine Menge über Sie. Und wenn Sie mich dazu hinreißen, werde ich einen von meinen Magistern auffordern, einigen Ihrer speziellen Freunde dieses Wissen zukommen zu lassen."

Mader war zwar selbst kein Magier, aber er war mit der groben Theorie der meisten magischen Praktiken vertraut, vor allen der schwarzmagischen. Er wusste daher, dass der wahre Name einer Person ein Schlüssel sein konnte um sie zu kontrollieren, zusammen mit einigen anderen Daten. Und er sah Herrn Rass an, dass er verstanden hatte. Abteilung XXV hatte alles um ihn kontrollieren zu können und würde es jedem geben, der Interesse daran hatte.

"… Sie stecken voller Überraschungen, Herr Mader. Eine Schande, dass wir nicht auf derselben Seite sind."

"Ich weiß wie sowas läuft, Sie Heuchler. Ich mag Sie nicht und Sie mögen mich nicht. Wir können uns gegenseitig erpressen. Wir sind an einem Patt angelangt."

"Oh nein, ich mag Sie wirklich … Ich schlage ihnen daher folgendes Geschäft vor. Ich halte mich aus ihren Angelegenheiten heraus und Sie lassen mich in Ruhe und keiner muss irgendjemandem was erzählen."

"So einfach kommen Sie mir nicht davon. Wir haben dank der Diplomatie Chancen, uns aus dem Schlammassel den Sie uns einbrocken herauszuwinden, anders als Sie. Wir werden Sie nicht verfolgen. Wir werden nichts tun um Sie zu sabotieren, im Gegenteil, wenn Sie im Westen Unheil stiften, haben Sie sogar unser Wohlwollen und das ist der einzige Grund, warum Abteilung XXV ihre Daten nicht gegen sie verwenden wird. Entsprechend werden Sie uns und die DDR-Bürger in Ruhe lassen, haben sie verstanden?"

Rass sagte kurz nichts. Dann lächelte er.

"Sie sind erstaunlich, wissen Sie das? Sie haben gewonnen. Ich werde ihre Leute in Ruhe lassen, das schwöre ich ihnen bei meinem Namen."

"Warum sind Sie so fröhlich?"

Herr Rass stand auf und ging zur Tür um den Raum zu verlassen. Bevor er sie allerdings durchschritt, drehte er sich noch einmal um.

"Ich werde am Ende kriegen was ich will, Herr Mader. Und wissen Sie warum? Weil Ihr ach so geliebtes System zum Scheitern verurteilt ist, mein Wort drauf. Nur werden Sie jetzt auf der falschen Seite stehen wenn es so weit ist, eine Schande, wie ich finde. Ich wünsche einen angenehmen Abend."

Mit diesen Worten schloss er die Tür. Mader war mulmig zumute. Vielleicht sollte er dafür Notfallpläne zurechtle-

Vor dem Büro Rufe und Schritte laut. Dann stürzte Wachmann Kulzer in das Büro und sah sich hektisch überall um, bevor er hastig Haltung annahm. Im Vorraum tummelten sich weitere Sicherheitskräfte, von denen aber offenbar keiner den Mumm hatte, sich Mader zu stellen.

"Offizier, Ihre Leitung war ausgefallen. Wir haben das erst jetzt bemerkt, ich bin untröstlich deswegen. Ist ihnen etwas passiert?"

"Ihre Sorge ist unbegründet, Kulzer, mir fehlt nichts. Das nächste Mal seien sie mir gegenüber aber nicht sofort so vertrauenswürdig, ich könnte ein Doppelgänger sein. Ist das klar?"

"… Ja, Herr Offizier."

"Sehr schön. Ist Fräulein Zeisig noch im Haus?"

"Äh … ja, Herr Offizier. Hab sie vorhin unten im Archiv gesehen."

"Schicken Sie sie bitte zu mir. Ich muss einen Befehl rausgeben. Geben sie außerdem bitte Magister Krone Bescheid, dass unsere Einrichtungen und unsere Archive besser gegen Ausspähen und Eindringlinge gesichert werden müssen. Er soll sich dafür mit den anderen Magistern zusammensetzen und einen Plan erarbeiten. Und dann schicken sie bitte noch einen Agenten für Außendienste zu mir. Ich muss mit ihm etwas besprechen. Sagen sie ihm, dass es um eine Sache geht, aus der wir möglicherweise Profit für den Staat schlagen können."

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