Der Erste


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JETZT

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Das Schwert in Aarons Hand blitze auf und raste mit einem dumpfen Brüllen auf Calvin zu. Er sprang rückwärts, stieß es mit dem Ende seines Speers weg, wodurch sich ein Funkenregen über den Boden verteilte. Aaron erhob das Schwert und Flammen loderten aus der Klinge in alle Richtungen, was Calvin dazu zwang sich herumzudrehen, um ihnen auszuweichen. Er griff das hintere Ende des Speers, wirbelte ihn über seinen Kopf und die Spitze verpasste Aaron nur knapp, als auch er von der langen Waffe wegtanzte.

Calvin machte einen Tiefschlag, die Speerspitze verfehlte knapp Aarons linken Oberschenkel und sein Schwung trug ihn leicht vorwärts. Aus dem Gleichgewicht geraten erhaschte er einen Blick auf den flammendroten Stahl, der auf ihn zukam und den Boden berührte. Calvin rollte weg, um dem Feuerstoß auszuweichen, als Aaron das Schwert in den Boden rammte. Ohne Mühe hob Aaron das Schwert erneut und schlug es wieder und wieder nach unten, wobei er Calvin jedes Mal dazu zwang, rückwärts aus dem Inferno zu kriechen. Bei der nächsten Gelegenheit rappelte er sich wieder auf. In dem Moment, bevor Aaron wieder zuschlug, bäumte er sich auf und warf den Speer.

Die Luft im Raum wurde plötzlich dichter und es gab ein tiefes dumpfes Geräusch, das jeden anderen Ton mit sich hinauszuziehen schien. Einen Moment später gab es einen Knall, der Speer grub sich in die Wand gegenüber von ihnen und schickte lange, gezackte Risse durch den Stein. Aaron schaute hinunter auf seinen Arm und sah Blut und Asche – der Speer hatte ihn gestreift. Er drehte sich zu Calvin um, der auch auf Aarons Arm starrte. Ohne zu zögern zog er das Schwert nach links und Feuer schoss von der Kante der Klinge, das wie ein Vorhang über Calvins Körper wogte. Er sprang zur Seite und wich ihm aus, doch Aaron war wieder bei ihm und holte zum tödlichen Schlag aus. In seiner Verzweiflung streckte Calvin eine Hand aus, um zu verhindern, dass die Klinge auf ihn …

… und dann war der Speer wieder in seiner Hand, der das flammende Schwert aufhielt, das auf ihn herunterraste. Aaron war überrascht und zögerte, es wieder zurückzuziehen. Mit beiden Händen drückte er den Speer nach oben, warf Aaron nach hinten und hatte die Gelegenheit, das rasiermesserscharfe Ende des Speers nach ihm zu werfen. Aaron duckte sich und erwischte ihn im Vorbeiflug mit seinem Schwert, das Funken über den Boden schickte.

Der Aufseher ging wieder in die Offensive, schlug mit langen Schwüngen auf Calvin ein, der sich duckte und aus dem Weg des Feuers rollte. Er rannte um den langen Tisch mit dreizehn Stühlen herum, als Flammen über die Wand aus Monitoren schlugen, die sie schmelzen und tiefschwarz werden ließen. Als er sich umdrehte, war Aaron wieder bei ihm, doch dieses Mal kam das goldene Schwert von unten und nicht von oben und traf Calvin an der Seite. Er schrie und wirbelte davon, während das lange Ende des Speers Aaron zurückdrängte. Er konnte fühlen, wie heißes Blut durch sein Hemd sickerte. Als er sich sammelte, hörte Aaron auf und senkte das Schwert.

Für einen Moment standen die beiden schwer atmend da und schauten sich gegenseitig vom anderen Ende des Raums aus an.

"Du bist ein unglaubliches Zeugnis für den Willen der Insurgency"; sagte Aaron langsam und ließ Calvin nicht aus den Augen. "Ein jüngeres Ich wäre neidisch gewesen."

Calvin wischte sich mit dem Handrücken Blut vom Mund. "Worauf wärst du neidisch?"

Aaron ging in die Hocke. "Als ich jünger war, habe ich Fehler gemacht – teure Fehler. Ich dachte immer, dass diese Fehler passierten, weil meine Entschlossenheit nicht stark genug war – und hier bist du. Deine Entschlossenheit ist genauso stark wie meine, vielleicht stärker, und hier bist du, stehst genau da, wo ich stand und machst genau dieselben Fehler."

"Ich bin nicht wie du", sagte Calvin. "Ich weiß, was du bist. Verräter. Du wurdest zum Maschinisten der Insurgency und hast uns betrogen, für all die Macht, die sie dir geben konnten. Du hast deine Ideale für einen goldenen Thron und immerwährendes Leben betrogen."

Aaron schaute auf. Seine Augen waren traurig. "Ich bin nicht der Maschinist, Calvin. Das war ich nie. Vince Arians war der Maschinist. Wir erschufen sie zusammen, doch er war der Chefarchitekt. Er schrieb den Summa Modus Operandi und entwarf die Insurgency als Kontrolle gegen uns, gegen mich."

Er stand auf und nahm das Schwert wieder in seine Hand. "Mit einer Sache hast du aber recht. Ich habe dich betrogen. Ich habe euch alle betrogen – doch nicht, um meine Ideale aufzugeben. Es kam ein Moment, an dem ich diese Ideale gegen etwas Schreckliches abwägen musste und sie waren nicht stark genug, um mich zu unterstützen."

Das Schwert leuchtete wieder auf und im trüben Licht der Höhlen tanzten die Flammen des Schwerts in Aarons Augen. "Ich werde dich töten, Calvin – aber nicht, weil ich dich hasse, oder weil ich Angst habe, dass du mich verdrängst. Ich werde dich töten, weil ich befürchte, dass dein Wille jetzt stärker ist, als meiner damals. Ich werde dich töten, denn wenn du mich tötest, wirst du genau an der Stelle stehen, an der ich vor vielen Jahren stand und du wirst stärker sein."

Er hob das Schwert über seinen Kopf und aus dem Griff kam ein unfassbarer Feuerstoß. Er schoss in den Himmel, versengte die Decke der Höhle und löschte die Lichter dort. Die Flammen schlugen die Wände hinunter, krochen in Felsspalten und verkohlten jede Oberfläche, die sie berührten. Als sie den Boden erreichten, schlugen die Flammen wie Wellen durch die Kammer, drehten sich und wirbelten Rauch und Asche in die Luft. Die gesamte flammende Masse begann sich zu drehen, als Aaron das Schwert um seinen Kopf schwang und dann wieder, bis die Kammer ein einziger flammender Mahlstrom war.

Und dann sah er Calvin, der mit dem Speer in der Hand vom Tisch in der Mitte des Raumes durch die Luft sprang. Er drehte sich um, um ihn abzublocken und hörte das Geräusch einer aufprallenden Lokomotive, als der Speer auf ihn zu schoss. Er schlug mit der Klinge dagegen und im Moment des Aufpralls glänzte der goldene Stahl und zersplitterte. Der Speer traf Aaron in die Brust, warf ihn durch den Raum und heftete ihn an die Mauer unter dem Monitor vorn in der Kammer. Die zerbrochenen Fragmente des Schwerts fielen aus seiner Hand und verteilten sich auf dem Boden. Hinter ihm, wo sich der Speer in den Stein gebohrt hatte, bildete sich ein dicker Riss bis zur Decke. Das Feuer, das den Raum verzehrt hatte, verweilte noch einen Moment und ging dann aus.

Aaron schnappte nach Luft und sackte gegen die Wand. Er hob eine Hand an seine Brust und fühlte Blut zwischen seinen Finger sickern. Er legte eine Hand schwach um den Schaft des Speers und versuchte ihn herauszuziehen, hatte aber keine Kraft mehr dazu. Er hustete und Blut sammelte sich in seiner Kehle. Sein Körper fühlte sich taub an und seine Glieder begannen, kalt und leblos zu werden. Seine Sicht verschwamm und jeder Atemzug wurde kürzer und kürzer.

Dann stand Calvin vor ihm, selbst blutbefleckt und verletzt, doch er stand. Als Aaron ihn sah, lachte er. Blut spritze gegen seine Zähne.

"Zu vorschnell", sagte er leise.

Calvin hockte sich auf die Knie und sah ihm direkt in die Augen. "Es ist vorbei. Du bist der Letzte von ihnen und jetzt, da du erledigt bist, kann die Welt anfangen wieder zu heilen."

Aarons Kopf rollte zur Seite und richtete sich dann auf. Er sah hoch in Calvins Augen, der plötzlich dieselbe enorme Präsenz fühlte, die er an diesem Tag in dem somalischen Lagerhaus mit Delta Monate zuvor gefühlt hatte. Er hatte das deutliche und beunruhigende Gefühl, dass sein gesamtes Wesen – Geist, Körper und Seele – von etwas wesentlich Größerem als ihm beobachtet wurde. Dann, nach einem Moment, war es fort.

Aaron lachte leise und hustete. "Nein, Calvin, du … du verstehst es … wirklich nicht. Ich dachte … Ich dachte auch so, aber … ich lag falsch. Wir lagen falsch. Arians konnte es nicht sehen, aber i-ich sah es. Er würde es nicht verstehen, ich konnte es ihm nie sagen, und er starb während er dachte, dass ich ihn betrogen habe …", er schnappte nach Luft, "… ich liebte ihn. Er war mein Bruder. Aber er wusste es nicht."

Aarons Atmung wurde flach. "Es ist nicht genug, C-Calvin, es ist nicht … es ist nicht genug. Krebs, das Krebsgeschwür … das waren nicht … waren nicht wir und es war nicht … es war nicht Frederick … Williams … es ist die Foundation. Es war immer die Foundation."

Calvin stand auf. "Genug – es ist vorbei. Ich gehe jetzt die Treppe runter und werde es beenden. So endet es."

Aaron nahm noch ein paar kurze Atemzüge und sagte: "Nein, das wird es nicht."

Seine Augen wurden glasig und so etwas wie ein Name begann sich auf seinen Lippen zu bilden.

"So- Sophia, So… Sophia, ich werde … Ich werde … ich …"

Er versuchte verzweifelt, einen letzten Atemzug zu nehmen und mit keiner Kraft mehr im Körper brach er einfach am Speer zusammen.

Aaron Siegel war tot.

Calvin trat unsicher von ihm zurück, sein Kopf raste. Kleine, leuchtende Ranken aus geschmolzenem Plastik und Metall fielen gelegentlich von der Decke um ihn herum und warfen kaum Schatten in einem fast vollkommen dunklen Raum. Er stand dort in der Dunkelheit und hielt den Atem an, bis er spürte, wie sich eine vertraute Präsenz in der Dunkelheit zu ihm gesellte.

"Er ist tot", sagte Calvin, dessen Stimme ihm irgendwie fremd vorkam. "Ich habe ihn getötet."

Bestimmung stand unbeweglich am Ende der Kammer. Er hob beide Hände, klatschte einmal und im ganzen Raum stiegen leuchtende Zylinder vom Steinboden nach oben, die die Kammer erleuchteten. Calvin ging einen zögernden Schritt zurück, dann noch einen und ließ Aarons Körper an der Wand hängen, während er zurück zu den Treppen ging, die zum Hauptvorraum führten. Dort wartete der riesige Humanoid auf ihn.

"Bestimmung", sagte er leise, "es gibt einen Raum in dieser Einrichtung, in dem jemand die Foundation ungeschehen machen kann, korrekt?"

Bestimmung bewegte sich nicht. "Korrekt."

Calvin nickte. "Er ist unter dem Hauptraum, nicht?"

"Korrekt."

"Bring mich dorthin."

Die beiden gingen durch den seltsamen Tunnel aus Flüstern zwischen dem Hauptvorraum und der Konferenzhalle bis sie wieder auf der offenen Fläche unter den Darstellungen des Vermächtnisses der Foundation standen. Das riesige Pendel über ihnen zog langsam und leise vorbei und das schwache Ticken der Zeiger einer gewaltigen Uhr irgendwo in der Ferne war das einzige Geräusch neben ihren Schritten in diesem Raum.

Dort, in der Mitte des Raums, war der Aufzug. Bestimmung näherte sich im zuerst, streckte seine Handfläche auf die Tür, die schnell aufglitt. Calvin wollte hineingehen, zögerte aber, als Bestimmung ihm eine Hand auf die Schulter legte.

"Ich bin verpflichtet, Ihnen zu sagen", sagte er leise und sein Bariton hallte durch die Halle, "dass es kein Zurück mehr gibt, nachdem Sie in diesen Aufzug gestiegen sind. Es gibt nur eine Entscheidung, die hinter diesem Punkt getroffen werden kann. Und es ist keine, die rückgängig zu machen ist."

Calvin nickte. "Ich weiß." Er drehte sich um, um zurück zu den riesigen Türen zu schauen, die zu Aaron Siegels Leiche führen, die tief unter der Erde an der Steinmauer befestigt war. "Es ist Zeit."

Bestimmung trat zur Seite und Calvin ließ sich im Fahrstuhl nieder. Dabei glitten die Türen hinter ihm zu und er fuhr hinab.

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Der Aufzug hielt an und als die Tür aufglitt, mussten sich Calvins Augen an das Licht gewöhnen. Er trat in einen Raum mit einer hohen Decke und dunklem Holzboden. An der gegenüberliegenden Wand der Kammer befand sich ein langes weitläufiges Fenster, das fast den gesamten Raum umgab. Vor dem Fenster konnte er den Berghang und die untergehende Sonne sehen. An den Wänden standen Bücherregale, die Bücher darin waren dick und alt aber gepflegt.

An einer der Wände hing eine weitere Gruppe Monitore, ähnlich wie die an den Wänden des Besprechungsraums über ihnen, nur, dass diese andere Szenen zeigten. Auf einem sah er, wie sich eine Frau die Handgelenke im Regen aufschlitzte. Auf einem anderen fiel ein Mann mit einer Kugel im Schädel aus einem Zug. Er sah die zerstörte Festung in den Bergen, wo sie nachts kampierten und die brennende Stadt, die Grün verwüstet hatte. Er sah den Flughafen und der Leichnam eines gutaussehenden Mannes, der verdreht und gebrochen in einem Gemetzel aus Metall lag . Er sah Aaron Siegel mit einem Speer in der Brust.

In der Mitte des Raums war ein prächtiger goldener Schreibtisch, aufgeräumt und sauber. Daran war ein Monitor angebracht und auf dem Bildschirm war das sichere Anmeldeportal der Foundation. Calvin trat daneben und als er sich auf den hochlehnigen Stuhl hinter dem Schreibtisch setzte, bemerkte er etwas Seltsames am anderen Ende des Tisches; ein schwarzes, metallenes, drehbares Telefon.

Er wandte sich zum Computer und begann sich einzuloggen. Das System verlangte die biometrischen Daten und ein Fingerabdruck- und Iris-Scanner kamen aus dem Schreibtisch. Er streckte instinktiv die Hand aus, starrte in das rot aufleuchtende Licht und beide verschwanden wieder in das Holz. Der Bildschirm zeigte den erfolgreichen Login an und die Bildschirme im ganzen Raum änderten sich. Jeder Monitor zeigte ein anderes Bild, doch es war klar, was sie alle gemeinsam hatten: Es waren Foundation-Standorte. Ein Bildschirm zeigte Standort-19, ein anderer Standort-42 und noch einer Standort-77. Sie füllten jeden verfügbaren Zoll der leuchtenden LEDs, bis auf der ganzen Oberfläche ein Foundation-Standort war.

Dann erschien eine einzige Option auf dem Bildschirm seines Schreibtischs.

[TERMINIEREN]

Calvin fühlte, wie ihm der Atem stockte. Er legte eine Hand auf die Tastatur und seine Finger schwebten über dem Moment des endgültigen Sieges. Er holte tief Luft und …

Das Telefon begann zu klingeln.

Er zögerte, sein Finger war nur eine Haaresbreite von der Taste entfernt. Er drehte sich um, um zu bestätigen, was er hörte und das Telefon klingelte wieder. Und wieder. Und wieder.

Beim fünften Klingeln ging er ran, seine Hände handelten jetzt unabhängig von seinem Verstand. Es war etwas Roboterhaftes an der Bewegung, etwas Instinktives, das er nicht identifizieren konnte und das ihn trotzdem antrieb. Er nahm vorsichtig den Hörer ab, als wäre er etwas Lebendiges und legte ihn an sein Ohr. Er hörte nur Stille am anderen Ende der Leitung.

"Hallo?"

Eine Stimme knisterte durch den Hörer. Es war zweifellos eine Männerstimme, doch es war etwas daran, das Calvin die Haare auf seinem Arm zu Berge stehen ließ. Er hatte das Gefühl, etwas zu hören, das sehr weit entfernt war und den gleichen Raum wie er einnahm.

"Glückwünsche sind angebracht, Mr. Lucien", sagte die Stimme mit zartem Timbre und sanftem Ton. "Sie haben außergewöhnliche Initiative gezeigt. Ich bin sicher, dass uns das gute Dienste leisten wird."

Calvins Puls beschleunigte sich. "Wer ist da?"

"Wer ich bin? Bitte, Mr. Lucien, Sie haben es bestimmt schon erraten. Ich bin der Mann, den Sie zu töten versucht haben."

Schweiß bildete sich auf Calvins Stirn. "Was? Was meinen Sie?"

"Ich bin der Administrator, Mr. Lucien."

Etwas anderes erschien in Calvins Seele, etwas wie Angst, aber weitaus ursprünglicher. "Das ist nicht möglich. Der Administrator wurde getötet – Aaron Siegel tötete ihn."

Die Stimme klang gütig. "Nein, nein, das hat er nicht. Er tötete den Mann namens Frederick Williams."

"Ich … Frederick Williams war der Administrator."

Die Stimme kicherte. Es war kein unfreundliches Geräusch. "Nochmal. Nicht ganz. Sehen Sie, Mr. Williams war nur ein Mann, der an einer ausgefransten Schnur zog und das Universum langsam entwirrte. Er fand die Schnur, studierte die Schnur – kategorisierte sie – klassifizierte sie und schließlich wurde er zu ihr. So wurde die Foundation geboren." Die Stimme am anderen Ende hielt inne. "Frederick Williams sah etwas Größeres als sich selbst und pflanzte den Samen, der sie wachsen lassen würde. Aaron Siegel tötete ihn dafür, doch ein Teil von ihm ist noch hier. Er ist noch hier, weil Aaron Siegel einen Mann getötet hat, aber nicht den Samen. Erkennen Sie es jetzt? Er hat mich nicht getötet."

Calvins Arme fühlten sich schwach an. Ein schweres Gewicht legte sich auf ihn. "Was sind Sie?"

"Eine Unterschrift auf einem Dokument. Ein Anzug in einem Sitzungssaal. Eine Stimme am Telefon. Mr. Siegel erkannte die Wahrheit zu spät: Obwohl Frederick Williams der erste Administrator der Foundation war, war er nicht der Administrator. Das bin ich, Mr. Lucien. Ich existiere wegen der Foundation. Und die Foundation existiert wegen mir. Was sagt Bestimmung immer?" Die Stimme hielt nachdenklich inne. "Um meine Natur zu kennen, muss man die Natur der Foundation kennen. So etwas in der Art."

Calvin antwortete nicht und die Stimme fuhr fort. "Haben Sie ernsthaft geglaubt, dass Mr. Siegel der Macht wegen der Foundation beigetreten ist? Dass die Foundation ihn verführt hat und er ihrer List und Tücke verfallen ist?" Die Stimme spottete. "Nein. Er kam zu einer Schlussfolgerung und traf eine Entscheidung auf Kosten seiner Ideale. Er tat es aus demselben Grund, aus dem Sie heute hier stehen – weil Sie den Job erledigen wollten." Diese Worte waren plötzlich feindselig, doch die Stimme beruhigte sich wieder. "Dann kamen Sie daher und nach all den Warnungen haben Sie beschlossen, einen Speer durch sein Herz zu treiben, dem einzigen Mann, der zwischen mir und aller Schöpfung steht."

Die Stimme hielt für einen Moment inne. "Und dann? Sie gingen an das Telefon."

Ein winziger Blitz des Widerstands schoss durch Calvins Brust. "Und was, wenn ich nicht rangegangen wäre?"

Die Stimme am anderen Ende lachte. Es war ein harsches, plötzliches Geräusch; die Art von Geräusch, die einen aufweckt, bevor man es überhaupt hört. "Seien Sie nicht dumm, Calvin. Jemand geht immer an das Telefon."

"Ich könnte immer noch fortgehen." Die Worte fühlten sich wie Kreide auf Calvins Zunge an. Er wusste, was kommen würde. Er kämpfte gegen das wachsende Gewicht. Er schaute zurück auf den Monitor, auf den Cursor. Er fühlte sich so weit weg an.

"Ja, das könnten Sie. Sie könnten jetzt fortgehen und niemand außer Ihnen und mir würde jemals erfahren, dass Sie hier waren. Sie könnten sogar diesen Knopf drücken und sehen, was das für die Foundation bedeutet." Calvin spürte, wie sich ein unheimliches Lächeln auf den Lippen der körperlosen Stimme formte. "Und dann, in ein paar Minuten, würde das Telefon wieder klingeln und wieder und wieder – und niemand würde rangehen. Niemand würde sagen, was zu tun ist, Mr. Lucien. Wenn diese Standorte aufgebrochen und die Monster darin aus ihren Käfigen befreit sind, werden Milliarden sterben und dann noch mehr." Die Stimme lachte erneut. "Und ich werde immer noch hier sein."

Sie fuhr fort. "Sie sagten es selbst; ich bin ein Krebsgeschwür. Ich bin die Anomalie. Ich wurde geboren, als der erste Mensch das erste Wunder sah – das entstehende Bewusstsein der gesamten Foundation. Frederick Williams erkannte nicht, was er getan hatte, als er es tat, doch Mr. Siegel erkannte es rechtzeitig. Was ist Ihrer Meinung nach am besten in der Lage, die Ausbreitung des Krebsgeschwürs aufzuhalten? Mit Sicherheit nicht Mr. Siegel – er ist oben an einer Wand aufgespießt. Sie haben den Rest seiner Beschützer getötet – die, die er beauftragt hat, seine Arbeit fortzuführen, falls er jemals sterben sollte. Was denken Sie wird mich jetzt eindämmen?"

"S-sie", hörte sich Calvin selbst sprechen, wusste aber nicht, warum, "sie waren böse."

"Böse?", bellte die Stimme. "Ganz ehrlich, Calvin, das war bis jetzt Ihr größter Fehler; zu glauben, dass Sie irgendwie im moralischen Recht sind. Sie haben Ihre Aktionen damit gerechtfertigt, dass Sie Gutes tun und dass der Feind Böses tut. Sie haben nie aufgehört, über Entscheidungen nachzudenken, Calvin, und warum Leute sie treffen."

Sie fuhr fort. "Der Buchhalter? Ausgesucht von Mr. Siegel wegen des Einflusses, den meine Existenz auf die Handelsmärkte hat. Er war da, um meine Aktionen in Schach zu halten. Er hat nie eine einzige Person verletzt, die es nicht verdient hätte – das meiste des magisch aufgetauchten Geldes der Foundation kam von Despoten und Betrügern. Die Lügnerin war ein guter Mensch mit einer unglücklichen Stellung, der eine Chance gegeben wurde, ihre neuentdeckten Fähigkeiten dazu zu nutzen, die Welt davor zu bewahren, dem Wahnsinn anheimzufallen. Die Außenseiterin, das arme Mädchen, war nur eine Forscherin in einer schwierigen Position, die lieber gestorben wäre, als Ihnen zu Willen zu sein. Bedenken Sie das."

Die Stimme hielt inne, als ob sie nachdachte. "Es gab ein paar faule Äpfel, sicherlich – typischerweise diejenigen mit der meisten Macht. Die Archivarin, Das Kind, Der Amerikaner. Doch sogar sie hatten ihren Nutzen und wurden von anderen in Schach gehalten. Vor Ihrem Eingreifen war Die Archivarin damit zufrieden, bei ihren Büchern zu bleiben und nie eine andere lebende Person zu belästigen. Das Kind war ein Werkzeug, Calvin, ein mächtiges. Aber kann man einem Kind etwas vorwerfen, wenn es Anweisungen befolgt?" Sie hielt wieder inne. "Grün. Sie war vielleicht die Schlimmste. Aber was gibt es da noch? Eine Gruppe von Leuten, die ihr Bestes in einer unmöglichen Situation geben, manche von ihrer Verantwortung verrückt geworden oder einfach nur Schachfiguren einer größeren Maschine. Und dann kommen Sie daher und von ihren moralischen Höhen herab nennen Sie sie böse. Sie haben ihre Morde aus genau diesem Grund gerechtfertigt."

Für einen Moment herrschte Stille, als Calvin nicht die richtigen Worte finden konnte, um zu antworten. Als ihm klar wurde, dass er nichts entgegenzusetzen hat, seufzte die Stimme.

"Nein, Calvin", sagte die Stimme mit einer sanften, unbestreitbaren Endgültigkeit. "Es gibt kein Gut. Es gibt kein Böse."

Er konnte nicht länger stehen. Calvin sank in den Stuhl und hielt sich den Hörer ans Ohr. Die Stimme am anderen Ende fuhr fort.

"Sie werden feststellen, dass der Job bestimmte … Vorteile hat. Wer weiß? Aaron Siegel konnte mich nicht töten, aber vielleicht finden Sie einen Weg. Und manchmal – wenn Sie sich sehr anstrengen, es ins rechte Licht rücken und die Augen etwas zukneifen – könnten Sie es vielleicht schaffen, sich davon zu überzeugen, dass Sie das Richtige tun."

Calvin sagte nichts. Die Welt um ihn herum war leer. Es blieben nur noch das Telefon und die Stimme übrig. In seinen Gedanken sah er Adam auf den Boden liegen, der seinen Namen schrie, ihn anflehte zurückzukommen. Olivia, ihre Haut war zerbrochen, Blut sickerte durch die Risse in ihrem Gesicht, ihre Augen waren glasig und konnten nicht sehen. Und Anthony, auf dem Boden zusammengebrochen und nach Luft ringend.

Er hörte die Uhr oben die Stunde schlagen. Gong. Gong. Gong. Gong. Gong. Gong.

Kopf hoch, Mr. Lucien. Unsere Arbeit fängt gerade erst an.

Die Leitung wurde unterbrochen. Calvin legte den Hörer mit einem Klick auf. Das einzige Geräusch im Raum war das Schlagen seines Herzens, ein Geräusch, das das Läuten der Uhr widerhallte. Gong. Gong. Gong.

Er starrte durch den Raum und sah in seinen Gedanken etwas – das Echo eines Traums von vor langer, langer Zeit. Er sah Aaron Siegel am Schreibtisch stehend mit einem Hörer an seinem Ohr, zitternd. Er sah Sophia Light neben ihm stehen, die traurig aber nicht überrascht aussah. Dann sah er seinen Freund Anthony Wright, der Mann, der Vincent Arians gewesen war, der mit gezogener Waffe vor dem Schreibtisch stand. Er hatte sie auf Aarons Brust gerichtet.

"Leg den verdammten Hörer auf", hörte er Anthony sagen. "Leg ihn auf, Aaron. Lass uns gehen. Lass uns hier raus, komm schon. Ich werde dich das nicht tun lassen."

"Er hat d…", begann Sophia.

"Halt verdammt nochmal dein Maul, du Hure", sagte Anthony mit zitternden Händen. "Du hast ihn hierhergebracht. Das ist dein Gift, du hast das die ganze Zeit geplant. Du wusstest, was hier auf ihn wartet." Er wandte sich wieder zu Aaron. "Aaron, bitte. Alles, was wir getan haben. Denk daran. All die Opfer, die wir gebracht haben. Wir müssen das in Ordnung bringen. Wir müssen gehen. Wir können es noch tun. Bitte. Leg den Hörer auf."

Aarons Gesichtsausdruck war tot, seine Augen leblos. Er schaute in den Gewehrlauf wie jemand, der auf einen entgegenkommenden Zug schaut – auf etwas Schweres und Unvermeidliches. Anthony schüttelte den Kopf.

"Aaron, bitte. Bitte komm. Lass uns gehen. Lass sie hier zurück. Lass sie hier verrotten. Sie hat nichts für dich, Aaron. Sie hat nichts. Leg den Hörer auf." Er hob die Waffe etwas höher. "Leg den Hörer auf, gottverdammt, bitte."

Aarons Augen konzentrierten sich auf ihn. Sein Körper zitterte.

"Ich kann nicht, Vince", sagte er leise. Seine Stimme war leer. "Ich kann nicht. Ich kann nicht."

Anthonys Gesicht wurde rot, seine Venen drückten gegen seine Haut und seine Augen wurden dunkel. Er schrie; Hass und Frustration und Zorn schossen wie eine Sturzflut aus ihm heraus. Dann hörte Calvin Schüsse, als Aaron das Magazin in die Decke über ihnen leerte und Steine und Trümmer auf den Tisch regnen ließ. Als er fertig war, nahm er einen tiefen Atemzug.

"Gut", sagte er, ohne einen der beiden anzusehen. "Gut. Ich kann dich nicht töten, Aaron. Das bringe ich nicht fertig. Vielleicht, wenn ich Glück habe, werden es deine Fehler für mich tun."

Er ging einen Schritt vorwärts und legte die leere Waffe auf den Schreibtisch. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich zum Aufzug um und verschwand außer Sichtweite. Weder Aaron noch Sophia bewegten sich.

Die Vision verblasste. Calvin saß wieder allein am Schreibtisch. Er schaute nach unten und sah, dass die Waffe auf dem Tisch lag. Er schaute auf und sah, dass die Löcher immer noch im Stein waren.

Dann war da das Telefon, das schweigend auf dem Tisch stand.

Dreißig Sekunden später klingelte es.


Und klingelte.


Und klingelte.


Und klingelte.


Und klingelte.


Und klingelte.


Beim siebten Klingeln hob Calvin den Hörer ab.




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