Eine ganz kurze Geschichte mit Wumms
Was kann schon schief gehen?, fragte sich Jan Sievertsen nun schon zum vierten Mal in den letzten fünf Minuten, die er jetzt auf das Kommando des Einsatzleiters wartete, um sich mit dem regungslosen Objekt vor sich zu verbinden. Es ist nur ein Routineeinsatz, rein und wieder raus, nur ein Test, ob es überhaupt möglich ist, nicht mehr. Jan, von seinen Kollegen auch gelegentlich "Hase" genannt, fühlte sich dem neckenden Spitznamen heute viel verbundener als sonst. Eigentlich bezog er sich auf Jans Schnelligkeit, aber heute könnte er sehr gut zu der immer massiveren Nervosität passen, die ihren Höhepunkt erreichte, als er kurz davor war, seine Hand gegen das Metall der Wanne von 017-DE zu legen.
Er sah leicht zur Seite an dem beschichteten Metall vorbei, um einen letzten Blick in die Halle zu werfen, sich zu erden, sich zu erinnern, wo er war, selbst, wenn er gleich Teil des Grizzly A1 - nein, Klaras - sein würde. Er stand auf dem Laufweg, sonst war der Raum fast vollkommen leer, wie er auch in der Besprechung gesagt bekommen hatte. Er hatte Klara nur mit dem Namen anzusprechen. Extraktion würde drei Minuten dauern und über den Aufzug stattfinden. Drei Minuten. Genug Zeit, um von Klara in einem Klumpen Brei verwandelt zu werden. Mehr als genug Zeit, um in ihren Geist - wenn sie einen solchen hatte - einzudringen und diesen zu erforschen. Eventuell sogar, diesen zu übernehmen. Er wusste nicht genau, was es war, was sie wissen wollten, aber es hatte wohl mit der "Besatzung" zu tun, die Klara regelmäßig erhielt. Die Liste an Dingen, die Jan nicht ansprechen durfte, war deutlich länger als die Infos gewesen, die ihm über den Panzer vor ihm gegeben worden waren. Ihm war heiß, die Scheinwerfer, die auf ihn und Klara gerichtet waren, brannten unangenehm und Schweiß lief in langen Linien seine Schläfe herab zum Kinn und schließlich in den Kragen seiner Uniform. Warum ich? Ist Kämmerer nicht viel besser geeignet? Er hat mehr Erfahrung; er- er ist nicht austauschbar. Jan biss sich hart auf die eigene Lippe bei der Realisation. Er war nicht austauschbar. Natürlich. Jan Sievertsen war austauschbar. Wenn er nach drei Minuten noch am Leben war, war es praktisch aber wenn nicht, kein Verlust.
Der Mann schluckte hart und ging im Kopf das Protokoll durch, um sich von der Angst abzulenken. Es gab jetzt kein Zurück mehr. Auch, wenn er niemanden sehen konnte, alle Augen lagen auf ihm.
"Sievertsen, los geht's."
Der saloppe Ton des Einsatzleiters über Funk stand im starken Kontrast mit der strengen Stimme und schreckte Jan aus seinem Gedankenkarussell auf. Seine Hand hing weiter in der Luft, Zentimeter über der Wanne und die Angst hielt sie fest. Er musste physisch gegen den Druck ankämpfen, den sein Überlebenssinn aufgebaut hatte, aber es funktionierte. Das Metall fühlte sich unter seinen Fingern weder warm noch kalt an, aber auch nicht ungewöhnlich. Es fühlte sich genau so an, wie es zu erwarten war. Jan atmete tief ein und streckte seine geistigen Fühler zaghaft aus, während er die Augen schloss und die Außenwelt für den Moment ausblendete. Er visualisierte vor seinem inneren Auge, wie er in das Metall vordrang, nach einem anderen Geist suchte, sich diesem öffnete. Gleichzeitig errichtete er eine Mauer, um nicht selbst übernommen werden zu können. Sie war stabil, umschloss ihn sicher, wie er es so oft geübt hatte. Seine tastenden Fühler breiteten sich aus, glitten durch den Raum, fanden aber nichts. Da war … Nichts. Überwältigendes Nichts. Es griff nach ihm und prallte gegen seine Mauer, breitete sich aus und füllte ihn mit unnatürlicher Kälte - analytischer Kälte.
Klara?, fragte er zaghaft in den anderen Geist, der ihn scheinbar auf diese Weise abtastete. Menschen fühlten sich nicht so an. Niemand fühlte sich so an. Die Kälte tastete weiter entlang seiner geistigen Mauer und er startete einen weiteren Versuch, dieses Mal deutlicher: Personal P-D-E-4-4-9-6-3-4-4-6, identifizieren Sie sich.
Es dauerte etwas, dann spürte er etwas anderes, undeutlich, verzerrt, dumpf. Nicht wie das kalte Nichts, aber auch nicht wie ein Mensch. Es fühlte sich weit entfernt an, wie durch eine Schicht aus Plastik hindurch gesprochen, oder wie wenn man in einem Verhörraum die veraltete Sprechanlage benutzte. Wer…? … Keine Besatz … Erwartet …
Jan streckte sich nach der "Stimme" aus, die er spürte. Es war eigentlich nicht wirklich eine Stimme, mehr ein Gedanke, der genauso gut sein eigener hätte sein können. Aber ebenso wie das tastende Nichts, war das nicht er selbst.
Es war schwer, den anderen Geist zu finden. Unfassbar schwer. Menschen waren einfach, sie öffneten sich häufig freiwillig, wollten das Gefühl der Gemeinsamkeit, die Intimität, die die Übernahme mit sich brachte. Aber diese … Maschine … Es war fast, als würde sie sich ihm entziehen, tiefer in das Metall und die Mechanik schlüpfen und das Nichts um ihn schlingen wie dichter Nebel um ein Schiff auf hoher See. War das Klaras Mauer? Nein, es war etwas anderes. Jan versuchte eine andere Strategie und tastete seinerseits diese Leere ab. Er hörte etwas, leise, undeutlich wie der Geist, der sich ihm entzog. Aber … Anders. Es waren Zahlen, stellte er fest. Werte, Tabellen, Befehle, Code, Zugehörigkeiten, Abhängigkeiten, Variablen - und ein Alarm.
… Gehörst hier nicht hin, ließ ihn der Geist wissen. Die Leere wiederum setzte zum Angriff an.
Eindringling.
Jan zog sich zurück und versuchte, die Leere von sich zu stoßen, aber sie klebte an ihm wie Teer. Mit Schrecken stellte er fest, dass es ihn nicht losließ, er steckte fest. Ein Teil von ihm versuchte, seinen Körper zu erreichen, sich zu lösen, sich zu befreien, aber es ging nur teilweise. Dumpf hörte er Geräusche um sich, um seinen Körper. Es waren kaum zwei Minuten vergangen, aber etwas war laut, wie ein Alarm. Ein Donnern ließ seine Beine zittern und ein mechanisches Geräusch über seinem Körper sagte ihm, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Aber er konnte sich nicht lösen.
Klara, deaktiviere Waffensysteme, sofort!
Er bekam keine Antwort, stattdessen breitete sich die Leere in ihm aus, benetzte seinen Geist, besudelte ihn mit diesem zähen Teer, ließ ihn nicht los. Er hatte versagt. Er konnte nicht loslassen. Sein Körper gehorchte ihm nicht. Und dann hörte er es. Es knallte mehrmals laut, Metall donnerte und der Panzer riss sich von seiner Hand los. Dann traf etwas seine Brust, durchstach diese mehrmals und er spürte dumpf seinen Körper gegen etwas Hartes prallen. Aber es war nicht mehr sein Körper. Das Nichts hatte sich weiter um ihn geschlungen und Stück für Stück in das Metall gezogen. Der Teer machte seine Gedanken schwer und langsam, verteilte sich in allem - oder er verteilte sich in ihm. Was er war, war irrelevant. Der Eindringling war sondiert und unschädlich gemacht worden. Klara war aufgebracht, wütend, enttäuscht. Jemand hatte versucht, sie zu sabotieren. Das würde kein zweites Mal vorkommen.