Die Wölfin und die stählerne Jungfrau

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Thomas Ridter saß zwischen Elisa und Susan eingeklemmt auf den Rücksitz vom Geländewagen, der die drei zu einer Klientel brachte. Offiziell gab es keinen Grund, warum die drei schwiegen, eher das Gegenteil. Elisa war Thomas immer noch eine Erklärung schuldig für ihr Verhalten in letzter Zeit. Doch im Augenblick musste er einen Weg finden, zwischen Elisa und Susan zu vermitteln. Susan war die jüngste der drei und Frau Morosowa hatte sie dem momentanen Ridter-Duo zugeteilt, weil ihre Aufgabe darin bestand, eine haushaltstaugliche Variante der R. T. I. Titanen einer schwierigen Kundin schmackhaft zu machen.
Sobald Dr. Prof. Frost im Laboratorium angekommen war, hatte sie in einem Übereifer mit Prof. Veloces Hilfe den offiziell zweiten Automat konstruiert. Frau Morosowa konnte die Schöpfung dem Management so weit schmackhaft machen, dass diese sehr ‚benutzerfreundliche‘ Version als Leibwächter im Bediensteten-Verkleidung an Kunden verkauft werden könnte. Frau Morosowa hatte den Druck von oben dann an die Agenten weitergegeben.
Thomas überprüfte durch einen Blick nach hinten, ob das Bündel noch immer fest angegurtet war. Wie erhofft war es dies. Der Kunde nach dieser würde etwas einfacher sein.


„Ihr wollt mir umsonst einen eurer High-Vi Roboter schenken?“
Hanna Jäger stellte den Krug, der ehemals voll Tee gewesen war und den sie in einem Zug geleert hatte, mit einem dumpfen Bumms auf den Couchtisch. Mit ihrem bohrenden Blick versuchte sie die drei Vertreter von Raptor Tec. Industries zu durchschauen. Das alte, modifizierte Jagdgewehr, welches griffbereit an der Lehne lag, verdeutlichte ihre Anspannung. Die kleinere der zwei Frauen, die sich als Susan Diana Ridter vorgestellt hatte, und fast noch ein Mädchen war, antwortete: „Frau Jäger, Wir bieten Ihnen an, einen Prototyp zu testen. Mir ist …“
„Hör zu, ich wusste, es gibt einen Haken, sobald ihr zu mir kamt. Niemand kommt zu mir um mir kompliziertes, futuristisches Zeug zu verkaufen. Ein Prototyp sagtest du, Kleine? Also kann es mir um die Ohren fliegen?“
Hanna erkannte, dass ihrem Gegenüber das Selbstvertrauen schwand.
„Das ist nicht der eigentliche Grund, warum es ein Prototyp ist …“, meinte Hanna erlauscht zu haben. Diesmal sprach die größere Frau: „Unsere Firma ist auf Maschinen und Mechaniken spezialisiert, genauer die von Waffen. Was meine Partnerin mit Prototyp meinte, ist weniger die physische Konstruktion.“
„Sondern?“, Hanna war merklich ungeduldig. Die langen knochigen Finger hämmerten auf der Armlehne des Sofas.
„… Sondern sein Interface.“
Hanna konnte ihre Ungeduld gerade so zurückhalten und der Blick wanderte zum Gewehr, was Thomas bemerkte und er machte Anstalten etwas zu sagen. Doch er kam nicht dazu.
„Doch bringen wir besser unser Produkt zu Ihnen, dann können Sie sich ein eigenes Bild machen“, und mit diesen Worten zog Elisa den überrumpelten Thomas durch die Tür, nur um nach wenigen Minuten zurückzukehren. Das Bündel zu zweit tragend, nur wegen der Größe etwas beansprucht.
„Vorsichtig … Gut … Susan, Du hast die Ehre.“
Susan brauchte einen kurzen Moment. Etwas weniger elegant als gehofft, aus Sorgfalt, zog sie das Tuch weg. Erwartungsvoll und etwas seltsam an der Seite stehend sahen sie zu ihrer Kundin. Hannas Augen wurden groß und sie griff nach ihrer Kette mit dem hammerförmigen Bernsteinanhänger.
„Berühren Sie es ruhig“, ermutigte Elisa.
Hanna stand zögerlich auf und streichelte mit den Fingerspitzen die Züge des kaum zwanzigjährigen Mädchens, das braunrotes Haar besaß und in einem rabenschwarzen Kleid dastand. Die Söldnerin hätte meinen können, sie würde im Stehen schlafen, so entspannt und friedlich war das Gesicht. „Ihr habt doch nicht…?“
Thomas, erfreut endlich sich zu Worte melden zu können, beschwichtigte: „Oh, nein, das ist das Kunstwerk unserer Partnerfirma.“
Wieder griff Hanna an den Bernsteinanhänger. Auf ihrem von Alter gezeichnetem Gesicht wechselten sich Entsetzen, Verwirrung und Faszination ab. Sie schluckte kurz.
„Wahrhaftig. Sie ist schön, aber … aber wie genau soll sie als Waffe durchgehen?“
Die drei Vertreter wechselten Blicke aus, dann trat Thomas vor die Gestalt.
„Was Sie hier sehen, ist nur die Außenhülle. Im Inneren sind verschiedene von uns patentierte Waffentypen verbaut“, dabei strich er vorsichtig über die Bauchregion und den Rücken, „Der Feind unserer Kunden soll sich täuschen lassen. Da dies die absolute und letzte Prüfung ist, kommen Sie ins Spiel, Frau Jäger.“
Hanna war die Situation überhaupt nicht mehr geheuer und ihr Blick wanderte zum Gewehr. Doch sie entschied sich dagegen, eine Szene zu machen. „Und was ist meine Aufgabe?“
„Frau Jäger, Sie sind die Lehrerin und dieser R. T. I. Titan wird ihr Schüler. Bringen Sie diesem Produkt bei, wie es seine Waffen einzusetzen hat.“
Hanna war perplex. Mehrmals öffnete sie den Mund, bevor sie endlich fragte: „Ist sie ein Cyborg?“
„Die fachlich korrekte Bezeichnung ist Gynoid. Es handelt sich hier um eine Maschine mit dem Aussehen eines Menschen, in diesem Fall um eine Frau Anfang zwanzig“, erläuterte Elia, während sie auf der gegenüberliegenden Seite des Automaten ging. „Titan-Epsilon-He-2, Aktivierung unter dem folgenden Kode: Raptor…“

Hanna blinzelte mehrmals, um die weißen Punkte aus ihrer Sicht weg zubekommen, und ihr war kurz schwindelig. Die drei Agenten zeigten keine Beeinflussung. Elisa hatte anscheinend die Startsequenz beendet, da der Automat für einen Systemtest seine motorischen Fähigkeiten überprüfte, was von außen wie Spasmen wirkte. Für einen Augenblick drohte der Automat umzufallen, da schaltete sich der Gleichgewichtssensor ein. Wieder standfest öffnete sie ihre Augen, die die ganze Zeit geschlossen gewesen waren. Die Iris waren in einem warmen bernsteinfarbenen Ton gehalten. Mit einem verschlafen wirkenden Blick sondierte das Mädchen ihre Umgebung, bis er auf Hanna stoppte. Wahrscheinlich, weil sie direkt vor der Maschine stand. Der Söldnerin lief ein Schauder über den Rücken, so unheimlich mechanisch menschlich waren die Tätigkeiten.
Susan, den alten Mut wiederfindend, gesellte sich zu ihren Kollegen. „Titan-Epsilon-He-2, vor Dir steht deine neue Besitzerin. Deine Aufgabe ist neben dem Gehorsam auch der Schutz der Person. Als Teil Deines Auftrages, wirst Du von Deiner Herrin ausgebildet.“
Die Humanoide öffnete den Mund einen Spalt, gab ein Knacksen und dann sprach sie mit einer sanften Stimme: „Guten Tag. Wie kann ich Ihnen behilflich sein.“

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