Die Nachtwache

scp-heritage-v3.png
Bewertung: +2+x
Bewertung: +2+x

Der Nachhall eines Rufhorns mischt sich zwischen die Windböen der kalten Nachtluft. Daraufhin ist aus den Gassen das Stampfen von hektisch herbeieilenden Männern zu vernehmen.
„Scheiße, wenn wir uns nicht selbst davor hüten können, wozu dann noch die Nachtsperre?!“
Sagt wütend ein bärtiger Mann, der sich mit einer Laterne und Hellebarde über einen leblosen Körper beugt.
„Wieder ein ausgerenkter Hals?“
Fragt zögernd der Jüngste der drei Männer, welche dem Hornruf entgegenliefen und nun den am Boden liegenden Körper anstarren. Auf die Frage bejahte der Bärtige es mit einem wortlosen Nicken.
„Ich befrage die umliegenden Hausherren, jemand muss doch dieses Mal was gesehen haben.“
Gibt der Hünenhafte des Trios von sich, worauf in dieser einen zutiefst skeptischen Blick von dem bärtigen Mann erntet.
„Schau dich doch mal um, keine Sau schaut sogar jetzt durchs Fenster.“
Ein Blick auf die von Vorhängen verdeckten Fenster der umliegenden Häuser bestätigt die Aussage. Währenddessen trifft ein Mann mit rötlichen Haaren ein, dem ein Hund beiseite steht. So ergreift gleich der Ankömmling das Wort.
„Wartet einen Augenblick, vielleicht wittert er diesmal was.“
Der Jüngling zuckt mit den Schultern und das Selbige tat ebenfalls der Hüne. Alleinig der Bärtige verbleibt regungslos. Die wieder aufkommende Stille unterbrach allerdings der grimmig schauende Mann, der zuvor schwieg.
„Du und deine Dreckstöle, damit vergeuden wir nur Zeit. Der Hurensohn kann nicht weit gekommen sein.“
Der Grimmige schaut zum Jüngling rüber, der sofort große Augen bekommt und die Ohren spitzt.
„Kleiner, wir gehen die Straßengabelung entlang. Du die linke, ich die rechte.“
Kaum fielen die Worte, da machten sich bereits die Beiden auf, die zwei Weggabelungen entlangzugehen. Der Bärtige jedoch verbleibt beim Toten und geht in die Hocke. Sogleich legt er seine Laterne und Hellebarde auf den Boden ab und nimmt die noch lodernde Laterne des Toten.
„Hier endet deine Wache, mein Freund.“
Mit einem kräftigen Pusten löscht der Bärtige die Flamme. Die Laternen des Hünen und des Rotschopfs erhellen in der Zwischenzeit spärlich die Pflasterstraße. Außer Matsch und Kiesel finden die drei vorerst nichts. Doch dann, aus derselben Richtung wo der Grimmige und der Jüngling gingen, ertönt plötzlich ein weiterer Hornruf.
„Beim Allvater, habt ihr das auch gehört?“
Sagt schockiert der Hüne, der sogleich die Spurensuche abbricht und losläuft. Hinter dem Hornruf eilt auch der Bärtige, der allerdings nicht dem Hünen nachläuft, sondern die andere Weggabelung nimmt. Der Rotschopf beißt sich auf die Lippe und hält ein. Sein Hund schnüffelt an rötlich schimmernden Schmierspuren, welche sich einige Schritte vor dem Toten befinden. Auf einmal fängt der Hund an auf und ab zu springen, als hätten ihn die Flöhe befallen.
„Ruhig Blut, Junge.“
Als aber ein weiterer Hornruf ertönt, zögert er diesmal nicht und läuft dem Signal entgegen. Doch als er den linken Weg einschlagen wollte, merkt er, dass es seinen vierbeinigen Begleiter in die rechte Weggabelung zu ziehen scheint. Ohne lang zu überlegen vertraut der Rotschopf auf die Spürnase seines Vierbeiners.

„Was ist denn hier passiert?“
Fragt der Hüne und kaum zieht er seinen Blick vom Jüngling herab, da erblickt er den Grimmigen. Der immer noch ein grimmiges Gesicht zieht, allerdings regungslos mit einem verdrehten Kopf auf dem Pflasterboden liegt.
„Ich, ich, ich hörte wie er mich rief, dann ein Knacken, und ich sah nach, und, und, da lag er.“
Stottert der kreidebleiche Jüngling zum Hünen und gleich darauf stößt aus einer Gasse auch der Bärtige dazu. Sein bärtiges Gesicht runzelt die Stirn beim Anblick der Szenerie und schnell reimte er sich zusammen, was geschehen ist.
„Also muss der Bankert noch in der Nähe sein!“
Mutmaßt der Bärtige zu den beiden stillstehenden Männern, die ebenfalls vernehmen, wie der Rotschopf mit seinem Hund herbeieilt. Der Bärtige nimmt seine Hellebarde in beide Hände und murmelt in seinen Bart.
„Aus der Gasse kamen wir beide und ihr beiden von da hinten, dann muss er dort entlang sein.“
Der Jüngling macht ein schockiertes Gesicht und einen halben Schritt zurück.
„Moment, du willst nicht etwa…?“
Mit einem feindseligen Blick schaut der Bärtige zum Jüngling.
„Wenn nicht wir, wer dann?“
Gleich darauf mischt sich der Hüne ins Gespräch ein.
„Er hat recht, wir-“
Kaum ergriff der Hüne das Wort, so fängt der pelzige Begleiter des Rothaars an zu bellen. Gleich darauf reißt der Rotschopf ungeniert das Wort an sich, währenddessen sein Hund an der Leine in kurzen Abständen weiter bellt.
„Lass uns keine Zeit mehr verlieren, er hat was gewittert!“
So läuft eilig der Hund des Rotschopfs die vom Mondlicht beleuchtete Straße hinunter und hinter ihm sein Herrchen, sowie der Bärtige. Der Jüngling schaut währenddessen verstört auf den am Boden liegenden Mann, dessen blutunterlaufenen Augen in die Leere starren und vom Laternenlicht angeleuchtet werden.
„Na komm schon, für ihn können wir sowieso nichts mehr tun.“
Sagt der Hüne, woraufhin der Jüngling sich widerwillig von der Stelle bewegt und der Vorhut hinterher geht. Wenige Schritte später hört der Hüne den Jüngling etwas vor sich hin murmeln.
„Geh zur Nachtwache, haben sie gesagt. Es ist eine ruhige Arbeit, haben sie gesagt. Von wegen…“

Mit schnellen Schritten bewegen sich die vier Männer voran. Ihre Blicke huschen über die nebeneinanderliegenden Häuser und gelegentlichen Gassen. Die Anspannung ist den Männern aus dem Gesicht abzulesen. Einzig allein das spärliche Licht aus ihren Laternen schenkt ihnen so etwas wie ein Gefühl der Sicherheit und nicht ihre abgenutzten Hellebarden, die sie umklammern.
„Bist du dir sicher, dass er dieses Mal die richtige Fährte aufgenommen hat und uns nicht in die Irre führt?“
Fragt der Bärtige den Rotschopf, dessen Hund zielstrebig vorläuft und sein Herrchen eher mitzieht.
„Mir wäre es fast lieber, er würde uns wieder zu einer Hündin führen, die er besteigen will…“
Antwortet der Rotschopf dem Bärtigen, der daraufhin ein Seufzen von sich gibt. Diese unangenehm werdende Stille, die vom Geheule des Winds untermauert wird, unterbricht auf einmal das wieder aufkommende Gebell des Hundes.
„Nanu, was hat er den?“
Fragt sich hörbar der Hüne, als die Gruppe stehen bleibt. Der Hund des Rothaars versteift sich und richtet seine Schnauze auf ein schmales, aber mehrstöckiges, Haus, dass am Ende der Straße steht.
„Welch eine heruntergekommene Hausfassade… und die Fenster… sie sind vernagelt.“
Entgegnet der Bärtige, der seine Stirn wieder runzelt. Ein weiterer, starker Windstoß weht durch die Straße, dass sogar die Tür des beobachteten Hauses auf und zu schlägt. Dabei reißt sich der Hund von der Leine des Rotschopfs und rennt geradewegs auf das Haus zu.
„Verdammt nochmal, komm zurück!“
Ruft der Rotschopf seinem vierbeinigen Freund hinterher, der im Türspalt verschwindet. Ehe sich der Bärtige, der Hüne und der Jüngling versahen, rannte der Rotschopf bereits seinem Hund hinterher.
„Bursche, sei nicht töricht!“
Brüllt der Bärtige dem Rotschopf zu und gleich darauf weht der kalte Nachtwind mit selbiger Stärke wie zuvor durch die Straßen der Stadt. Eine unbehagliche Stille kehrt wieder ein, die drei Männer starren sich gegenseitig an, bis ein Gebell zu vernehmen ist.
„Wir können ihn nicht im Stich lassen.“
Sagt der Hüne offen in die Runde und marschiert auf das Haus zu. Seufzend folgt der Bärtige dem Hünen und nach einem anfänglichen Zögern überwindet sich sogar der Jüngling, dem Hünen hinterherzugehen.

„Bursche, wo steckst du?“
Sagt der Bärtige mit gedämmter Stimme, als das Trio das Haus betritt. Der Jüngling tritt als letzter ein und schlägt unsanft die Tür zu, woraufhin der Bärtige als auch der Hüne ihn verärgert anschauen. Augenblicklich bohrt sich ein unsäglicher Gestank in die Nasen der drei Männer, welcher alle vor Ekel die Nase rümpfen lässt. Noch bevor dies die Drei zum Gesprächsanlass verleitet, hören sie ein leises Wimmern und erkennen aus einer Abbiegung des Hauptraums ein Licht. Es werden kurz ein paar Blicke zwischen den Männern ausgetauscht und gleich darauf mit der Hellebarde im Anschlag in Richtung des Lichtes gegangen. Die Drei erblicken als Lichtquelle eine am Boden abgelegte Laterne und neben ihr kniet der Rotschopf, welcher in seinen Armen seinen Hund hält. Das flackernde Lampenlicht lässt in der Dunkelheit spärlich erkennen wie der Hundekopf herabhängt.
„Er… er ist…“
Gibt der Rotschopf, dem die Tränen in den Augen stehen blieben von sich.
„Bursche, reiß dich zusammen. Hast du was gesehen?“
Sag schnaufend der Bärtige, der sogleich zu dem Rotschopf geht und mit seiner Hellebardenklinge den Hundekörper runter drückt. Unwillig legt der Rotschopf den leblosen Körper auf den Boden und als Antwort schüttelt er seinen rothaarigen Kopf. Im Anschluss nimmt er seine Hellebarde sowie Laterne vom Boden auf. Die beiden anderen Männer schauen unterdessen nervös um sich. Die Nervosität merkt der Bärtige und richtet das Wort zu seinen beiden Kumpanen.
„Er sitzt in der Falle. Ihr beiden bewacht den Ausgang. Wir zwei durchsuchen das Erdgeschoss.“
Ohne Widerworte begibt sich der Jüngling mit dem Hünen in Richtung Eingang, während die beiden anderen Nachtwächter sich mit vorsichtigen Schritten durch die finsteren Wohnräume wagen.

„Ich halte diesen Gestank nicht mehr aus, woher kommt er bloß?“
Fragt sich der Hüne, als die beiden Männer mit dem Rücken zur Haustür stehen. Daraufhin hebt er seine Laterne hoch und fängt an, den Raum zu mustern. Schnell bemerkt der Hüne die Treppe zu den oberen Stockwerken. Nach kurzem Überlegen bewegt sich dieser mit langsamen Schritten von der Tür weg und zur Treppe hin.
„Was machst du da? Wir sollen doch hier Wache stehen.“
Sagt der Jüngling verärgert dem Hünen, der ihm mit leisem Tonfall antwortet.
„Bleib du hier, wenn ich was sehe, ruf ich dich.“
Vorsichtig tritt der Hüne auf jede einzelne der knarzigen Treppenstufen, bis er letztendlich Oben angelangt ist. Der Lichtkegel seiner Laterne erleuchtet sogleich das verstaubte Mobiliar, die umliegenden Türen und die Treppe zu der zweiten Etage. Als auch eine rötliche und schwarz-bräunliche Substanz, die sich verschmiert auf dem Boden befindet. Schnell stellt der Hüne fest, dass von dieser Substanz ein stinkender Geruch hinaufsteigt. Mit einem vor Ekel verzerrten Gesicht schaut er auf eine weit geöffnete Tür, wo sich eine Schleifspur dieser streng riechenden Substanz befindet. Mit bedachten Schritten über diese Flecken schreitet der Hüne durch die Tür. Auf der anderen Seite der Tür findet er sich in einem weiträumigen Raum wieder. Das spärliche Lampenlicht deckt unweigerlich grotesk wirkende humanoide Skulpturen auf. Einige sind an den Wänden angelegt, andere stehen eigenständig und wieder andere liegen auf Tischen. Die Größe der Skulpturen entspricht der Größe eines erwachsenen Menschen und wie der Hüne bei näherer Betrachtung feststellt, als er weiter in den Raum hineingeht, sind es Holzskulpturen, die verschiedenfarbige, als auch verschiedenförmige, Bemalungen auf ihrer Oberfläche aufweisen. Beim weiteren Inspizieren entdeckt er, dass sich auf den mit Holzspänen verstaubten Tischen Holz- und Farbutensilien befinden. Auf einmal hört er ein leises Knarzen aus der Richtung der Treppen und als er sich zur Tür umdreht, ist eine näherkommende Lichtquelle zu erkennen. Im Schein einer Laterne steht der Jüngling vor dem Türrahmen mit einem unbeholfenen Gesichtsausdruck. Beim Anblick des Jünglings zuckt der Hüne mit den Schultern, woraufhin der Hüne anfängt, aus dem Raum zu gehen. Bis auf einmal auf den Bodendielen ein Trapsen zu vernehmen ist und der Hüne schmerzschreiend seine Hellebarde fallen lässt. Vor Schreck lässt wiederum der Jüngling seine Laterne auf den Boden fallen. Er erblickt den Hünen mit einem vor Schmerzen entstellten Gesicht. Der rechte Arm des Hünen hängt schlapp hinunter. Nach dem Aufschrei des Hünen dreht dieser sich um und erblickt vor sich eine mannshohe Holzskulptur mit ausgestreckten Armen. Mit einem kräftigem Schulterstoß, begleitet von einem unüberhörbaren Brüllen, stößt der Hüne die groteske Gestalt um. Benommen vom Schmerz und Schock wankt der Hüne auf den Beinen, bevor er sich umdreht in Richtung Tür. Beim Anblick des Szenarios verfällt der Jüngling in Panik und ergreift die Flucht in Richtung Treppe. Erneut hört der Hüne ein leises Tapsen, aber bevor dieser weiter abwägt, ob er sich umdrehen oder weiterlaufen sollte, merkt er, wie etwas sein Unterbein greift. Sogleich findet er sich liegend auf dem Boden wieder, diesmal mit einem unsäglichen Schmerz im Bein.

„Die Scheiße ist ja hier überall.“
Murmelt der Rotschopf, während er auf den Boden schaut und eine ekelerregende Substanz erblickt.
„Sei leise und schau nach vorne.“
Entgegnet der Bärtige, der sogleich die Führung übernimmt und durch einen stockfinsteren Verbindungsraum des Erdgeschosses geht. Nach dem Öffnen einer angelehnten Tür enthüllen die Lichter der Laternen schrittweise, in der Mitte eines kargen Vorratsraums, die Umrisse eines am Boden liegenden Körpers. Mit erhobenen Hellebarden nähern sich die Beiden dem Körper, wobei der Bärtige kurz darauf mit seiner Stangenwaffe die auf dem Bauch liegende Person antippt. Als die beiden sich sicher sind, dass die Person nicht mehr atmet, legt der Bärtige seine Waffe auf den Boden ab und dreht die Person um. Es schlägt ein nekrotischer Geruch hoch in die Nasen der Beiden, wodurch sie den Blick auf den Leichnam abwenden. Wenige Herzschläge vergehen, bevor die Zwei ihren Ekel überwinden und herab schauen.
„Aus welcher Opiumhöhle ist der den gekrochen?“
Fragt sich der Bärtige bei dem Anblick des toten Mannes mit sichtlicher ostasiatischer Volksherkunft.
„Schau mal seinen Hals an.“
Wirft der Rotschopf ein und bei näherer Betrachtung ist der Hals des Toten umfangreich versehrt, als auch dessen Augen blutrot unterlaufen.
„Ihm hat man wohl nicht den Hals umgedreht, sondern die Luft abgeschnürt.“
Sagt der Bärtige vor sich hin, während er den Hals des Toten abtastet.
„Derjenige, der das tut, muss die Stärke eines Bären haben…“
Meint der Rotschopf zum Bärtigen, der ihn gleich darauf entgeistert anschaut. Sogleich hallt allerdings durch das Haus ein qualvoller Aufschrei, den die Beiden sofort dem Hünen zuordnen. Der Rotschopf dreht sich blitzschnell um und der Bärtige greift daraufhin nach seiner Hellebarde. So stürmen die zwei Männer in Richtung des Hauptraums, aber bevor sie dort angelangt sind, hören sie das Zerspringen von Glas und anschließend einen weiteren Schmerzensschrei des Hünen. Endlich im Hauptraum angelangt, nehmen sie ein Gepolter von der Treppe ins obere Geschoss wahr. Woraufhin der Bärtige und der Rotschopf erblicken, wie etwas am unteren Ende der Treppe daliegt. Der Schein ihrer Laternen bringt kurzerhand den Jüngling hervor, der mit offenen Augen regungslos daliegt.
„Scheiße!“
Ruft der Bärtige, der sogleich seine Hellebarde hochreißt. Wiederum hebt der Rotschopf als erstes seine Laterne in Richtung der Treppe, wo er eine reglos stehende Skulptur mit bizarrer Bemalung entdeckt. Beim Anblick der Gestalt entsteht beim Rotschopf ein fragender Gesichtsausdruck, mit dem er einen Augenblick später zum Bärtigen blickt. Instinktiv wendet der Bärtige sich dem Rotschopf zu, aber im selben Augenblick bekommen die beiden Männer aus dem Augenwinkel mit, wie sich die groteske Gestalt hinunter zum Treppenende bewegt.
„Was bei Odins Bart und Thors Hammer ist das?“
Schreckt der Rotschopf auf.
„Was es auch immer ist; Hellebarde hoch und Angriff!“
Brüllt der Bärtige zum Rothaar und geht zusammen mit ihm sogleich in die Kampfhaltung über.
Mit einem kräftigen Hieb von Oben schlägt der Bärtige auf den anmutenden Kopf der Gestalt, gleich darauf folgt ein Stich in den Torso durch die Hand des Rotschopfs. Dem Bärtigen gelingt es beinahe mühelos, die Klinge seiner Hellebarde aus der Gestalt zu ziehen, was jedoch dem Rothaar nicht gelingt. Beim Ausholen zum nächsten Schlag wendet der Bärtige sein Gesicht von der Skulptur weg und beim darauffolgendem Wimpernschlag des Rothaars hören die beiden Männer das Zerspringen von Holz. Kaum öffnen sie neugierig ihre Augen für einen Herzschlag, da erblicken sie wie der Stab des Rotschopfs in zwei Teile geteilt wurde. Woraufhin die beiden ihre Augen erneut verschließen, um diese vor den heranfliegenden Holzsplittern zu schützen. Sogleich verspürt der Rotschopf, wie etwas ihn von vorne packt. Das Erste, was der Rotschopf sieht ist, wie die bizarre Skulptur mit ausgestreckten Armen ihn an seinem Hals hält. Der Bärtige vergeudet keinen Augenblick und schlägt mit voller Wucht gegen den Rücken der Skulptur. Mit dem Holzstummel seiner Hellebarde schlägt der Rotschopf wahllos auf seinen Angreifer. Als der Bärtige mit seiner Stangenwaffe wieder ausholt, um nach der Skulptur zu schlagen, bemerkt er, wie diese sich nicht mehr an der selbigen Stelle befindet, sondern einige Schritte weiter weg steht. Der Rotschopf merkt wiederum, wie er mit seinem Rücken gegen die Haustür geschlagen wird und wie der Griff um seinen Hals deutlich enger wird.
„Lass ihn los, du verfluchtes Ungetüm!“
Brüllt der Bärtige die Gestalt an, während er mit seiner Hellebarde auf diese zustürmt. Zu einem weiteren Schlag holt der Bärtige aus, dies Mal landet sein Hieb auf einem der Arme der Skulptur. Das Rothaar lässt beim Aufschlag vor Schreck seinen improvisierten Holzknüppel fallen. Er tritt gegen die Skulptur und versucht sich zwecklos aus dem Würgegriff zu befreien. Erneut schlägt der Bärtige auf den Arm der Skulptur. Die Abstände der Schläge werden kürzer und die Wucht der Hiebe schwächer. Dem Rotschopf fällt es immer schwerer gegen seine zufallenden Augenlider zu kämpfen.

„Lauf…“
Gibt schwächelnd der Rotschopf von sich und ringt gleich wieder verzweifelt nach Luft. Entsetzt von der Situation macht der Bärtige zögerlich einen Schritt nach hinten, bevor er sich ganz von der Szenerie abwendet und ins Hausinnere läuft. Mit einem kreidebleichen Gesicht irrt der Bärtige orientierungslos durch die Räumlichkeiten des Hauses. Die Flamme seiner Laterne wird immer schwächer, seine Sicht verschlechtert sich so sehr, dass er kaum mehr als die Konturen des Mobiliars zu erkennen vermag. Jedes Fenster, welches er trotzdem erkennt, ist von Innen so vernagelt, dass nicht einmal das Mondlicht hineinscheinen kann. Dem Bärtigen wird plötzlich die Kehle ganz trocken, sodass er nicht mal die Kraft und den Mut aufbringt, nach Hilfe zu rufen. Dann, auf einmal stellen sich zudem seine Nackenhaare auf, als er hört, wie etwas im Hauptraum auf den Holzboden zusammensackt. Der Wind fängt wieder an, durch das Haus zu heulen, einzelne Holzbalken des Hauses knarzen dabei und der unheilvolle Gestank bohrt sich unerbittlich in die Nase des Bärtigen. Zudem nimmt der Bärtige aus dem Hauptraum das Zerbersten von Holz wahr und dann ein leises Tapsen auf den Holzdielen. Ein ungutes Gefühl überkommt den Bärtigen, der sich sofort auf seine Zehenspitzen stellt. Er eilt daraufhin zum nächsten Raum und schließt sofort hinter sich die Tür. Als er sich umdreht, realisiert der Bärtige, dass er sich gar nicht in einem neuen Raum des Erdgeschosses befindet, sondern die Tür zum Keller genommen hat. Sein schwächelndes Licht aus seiner Laterne kämpft mühselig gegen die allgegenwärtige Dunkelheit, welche ihn umringt. Die Wahl umzukehren machen ihm die Tapsgeräusche hinter ihm zunichte. So schreitet der Bärtige unweigerlich die Treppenstufen herab, obwohl sich ein weiterer übelriechender Geruch auftut und intensiver wird, je weiter der Bärtige runtergeht. Am Treppenende angelangt begutachtet der Bärtige den übelriechenden Keller im kraftlosen Schein seiner Laterne. Was er zu erkennen glaubt treibt ihm den Angstschweiß über seine Augenbrauen. Wäre seine Kehle nicht entkräftet so wäre ihm nach diesen Strapazen ein Aufschrei aufgestoßen. Im Keller, in welchem er sich befindet sind eine Handvoll von Tischen nebeneinander aufgestellt, auf denen sich menschliche Leichname befinden und deren Bauchdecken aufgeschnitten sind. Aus den Bäuchen ragen unnatürlich wirkende Bäume, ohne Blätter und überaus dicken Stämmen, welche die ganzen Bauchräume ausfüllen. Sofort muss der Bärtige bei diesem Anblick gegen einen starken Brechreiz ankämpfen. Sobald er seinen Mageninhalt bei sich behält, merkt er ebenfalls, wie etliche Maden sich an den menschlichen Körpern laben und herumschwirrende Fliegen den Raum dominieren. Das blanke Entsetzen überkommt ihn, seine Atmung fällt ihm immer schwerer durch die dicke Luft. Er wendet seinen Blick von den unbekleideten Leichnamen ab und schaut an die Wände, in der Hoffnung, ein Kellerfenster zu finden, das er aufbrechen versuchen würde. Zu seiner Verwunderung erblickt der Bärtige am anderen Ende des Kellers anstatt eines vernagelten Fensters, eine senkrechte Kellertür nach außen. Sofort verspürt er, wie ihm ein Stein von seinem rasenden Herz fällt. Ein lauter Knall dringt ins Ohr des Bärtigen, was er als das Aufschlagen einer Tür wiedererkennt. Der Bärtige hört noch heruntereilende Schritte von der Treppe, bis er seine schwach scheinende Laterne zur Kellertreppe schwingt. Da tut sich ihm die ihm bereits bekannte Holzskulptur auf, die ihn mit ihrer bizarren Bemalung unheilvoll anstarrt. Ein kalter Schauer läuft über den Rücken des Bärtigen und im Nu rennt er Richtung der Kellertür. Ehe sich der Bärtige hinter sich sah merkt er wie die Gestalt mit ausgestreckten Armen eine Schrittweite hinter ihm steht. Mit voller Angst sieht er die Gestalt an, gleichzeitig springt der Bärtige hinter einen der Tische, um Abstand zu gewinnen. Ein Augenblinzeln später steht die Skulptur wieder unweit vom ihm. Der Bärtige rennt um den Tisch herum und rutscht beinah auf einer Substanz aus, welche vorher nicht da war. Ihm fällt dabei jedoch die Laterne aus der Hand und landet auf den Tisch neben dem Kopf des dort befindlichen Leichnams. Der Schein der Laterne reicht aus, um dem Bärtigen den Weg zur Kellertür sichtbar zu machen. Er richtet sowohl seinen Blick als auch seine Hellebarde auf seinen Verfolger und geht rückwärts zur Kellertür. Nah genug an seinem Ziel springt der Bärtige rückwärts auf die wenigen Treppenstufen, welche hoch zur Kellertür führen. Mit einer Hand schlägt er sofort gegen die Kellertür und tastet hektisch nach einem Riegel, den er beinah auf Anhieb ertastet und aufschiebt. Ein darauffolgender Schlag mit seinem Ellenbogen öffnet einen der beiden Türflügel. Der Bärtige starrt beharrlich die Skulptur an, jedoch überkommt ihn ein unkontrolliertes Blinzeln, was dazu führt, dass seine Hellebarde in drei Teile von der Gestalt zerbrochen wird. Es fliegen Holzsplitter durch die Luft und der Bärtige wagt einen weiteren Sprung nach hinten, bei dem er mit seinem Rücken die übrige Kellertür aufschlägt. Oben angelangt öffnet er seine Augen und sieht, wie bereits sein Verfolger auf der ersten Stufe der Treppe steht. In einem Atemzug schlägt er nacheinander die Kellertüren zu und schiebt den Stummel seiner Hellebarde in die Griffe der Kellertür, um diese zu blockieren.

Keuchend findet sich der Bärtige in einer Seitengasse wieder. Hektisch dreht er sich um und stößt dabei mit einem Kapuzenträger zusammen. Dem Bärtigen jagt die Person augenblicklich einen Schreck ein, allerdings nicht durch sein unerwartetes Dasein, sondern durch sein von Narben entstelltes Gesicht, welches sich unter dessen Kapuze verbirgt. Dadurch schießt dem Bärtigen erneut das Adrenalin durch den Körper, was ihm zu einem Redefluss verleitet.
„Bleib fern von diesem Haus! Dort drinnen ist ein Monstrum, was für die Morde verantwortlich ist. Hol die Stadtwache-“
Der Schall eines Hiebes, als auch ein dumpfer Aufprall, unterbricht den Redefluss des Bärtigen, der daraufhin auf die Knie geht und letztendlich mit geschlossenen Augen umfällt.
„Glaubst du der ist hinüber?“
Fragt ein Mann, der einen Knüppel in der rechten Hand hält und dem Vernarbten gegenübersteht.
„Vielleicht, vielleicht auch nicht.“
Antwortet der Vernarbte beim Anblick des am Boden liegenden Bärtigen.
„Um die Vordertür wird sich gekümmert.“
Gib ein dritter Kapuzenträger von sich, als dieser mit einer weiteren Person die Gasse betritt.
„Denkt daran; schaut immer die Skulptur direkt an, dann wird es eine einfache Jagdbeute sein.“
Spricht der vierte Kapuzenträger aus, als dieser sich ohne Umschweife vor die Kellertür stellt.

Sofern nicht anders angegeben, steht der Inhalt dieser Seite unter Lizenz Creative Commons Attribution-ShareAlike 3.0 License