Die Krone umfasst alles. Die Zweige sind nur ein Teil eines majestätischen Ganzen, die sterben und von Neuem wachsen. Mit ihnen kommen Früchte und Blätter, die kommen und gehen, wenn es Zeit ist. Die ist unser Gesetz, von dem wir wissen und verstehen. Mit der Zeit lernt der Baum und mit ihr kommt Weisheit, die zu unserem Triumph führt. In seinem Schatten ist des Baumes Königreich, das auf der Liebe zum Empfindsamen aufbaut. Selbst wenn die Krone kahl ist, so sind immer die Zweige, die der Ursprung seiner Schönheit sind und sie weiter tragen.
"Loblied an den Weltenbaum", unbekannter Autor
Akt 1: Rückkehr
Malkuth stolperte hinter Hod her. Zwar hatte seine beste Freundin ihm direkt nach der Flucht gerade ein neues Paar Beine gemacht, dies war jedoch nicht der Grund für seine Ungeschicklichkeit. Er war nervös, wenn nicht sogar voller Angst.
"Madame Hod…"
"Majestät."
"Madame Maj…"
"Majestät."
"Majestät, Wissen Sie warum Monsieur Krone mich sprechen will?"
"Nein."
Malkuth schluckte.
Er war schon vor seiner Inhaftierung von der Abteilung im Schloss gewesen, er kannte sogar Hod, auf eine Art, doch heute würde er den 'Thronsaal' sehen. Hod ging zügig eine Wendeltreppe hinauf. Malkuth überlegte für ein paar Sekunden ob es nicht unhöflich sei, hinter einer Frau die Treppe hochzulaufen, bis ihm einfiel welche Person Hod war.
Hod und ich haben eine Vergangenheit mit der Abteilung. Ich sollte mich doch irgendwie mit ihr verstehen, wir beide sehen nur äußerlich menschlich aus. Doch eben dies unterscheidet uns: Ich bin die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Ich frage mich, warum ich hier bin.
Er musste lachen. Natürlich leise, sodass es Hod nicht mitbekam.
Hod und Malkuth näherten sich der Saaltür. Die Dienerin, ein Automat, dem man eine Seele gegeben hat, begrüßte sie mit einer ruckelnden Verbeugung. Hod nickte kurz. Malkuth beobachtete die Bedienstete unter seiner Maske. Sie bemerkte es und zeigte Anzeichen von Stress, erkennbar durch das unmelodische Ticken.
Was unterscheidet mich den so von den anderen? Es kann doch nicht sein, dass meine Fähigkeiten so mächtig sind? Oder weiß er von…
Er fixierte sich wieder auf Hod, die Anstalten machte in den Saal zu gehen. Malkuth hörte ein Quietschen hinter sich, das er als erleichtertes Seufzen der Dienerin deutete. Er würde sich später mit ihr unterhalten, nachdem Kether mit ihm fertig war.
Der Saal mit dem Tisch und den elf Stühlen war nur in den Ecken dunkel, was für 121 Kerzen eindrücklich war. Malkuth schielte unter seinem hölzernen zweiten Antlitz im Raum. Zwar war er überwältigt wie dramatisch und kitschig alles wirkte, was ihm im Übrigen gefiel, doch ging es ihm um Kether. Er war sich nicht sicher, wie ihr Anführer es aufnahm, dass er hier stand.
"Ich grüße euch, meine Zweige."
Hod und Malkuth beugten ihre Köpfe synchron in die Richtung, aus der sie die Stimme vermuteten.
"Gedankt sei dir, Hod. Ich erlaube dir zu gehen."
"Danke."
Hod beeilte sich für Malkuths Geschmack zu sehr, weg zu kommen. Er erinnerte sich, dass er sehr schnell etwas in die kalte und berechnete Art seiner 'Kollegen' hineininterpretierte. Seine volle Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf die Person, die er unter dem Namen Kether, die Krone des Caecus Carneliana Baums, kannte.
"Königreich, mein treuer Zweig. Du bist unbeschadet zurückgekehrt."
"Sie sind nicht verärgert über meine Gefangennahme, meine Krone?"
"Hast du uns verraten?", erwiderte der Schatten.
Malkuth zögerte. "Ich weiß es nicht." Wenn er echte Muskeln gehabt hätte, hätte er sie aus Angst vor der nachfolgenden Reaktion verkrampft.
"Ist deine Antwort aus der Tatsache geboren, dass du die Hilfe einer von ihnen beansprucht hast, Königreich?"
Malkuth war nicht erleichtert, noch nicht, und so schwieg er mit gesenkten Kopf.
"Du schweigst, weil du weißt, dass eure Flucht kein Verrat an mir ist. Du zweifelst."
Malkuth blieb still.
"Du zweifelst an mir." Es war keine Frage und Kether hätte auch keine stellen müssen, um Malkuth aufzufordern zu antworten.
"Ja", flüsterte Malkuth unter seiner Maske, "Warum bin ich wertvoll? Ich bin schwach… und doch bin ich ein Zweig."
"Schwache Zweige wachsen länger und statt zu brechen, federn sie zurück. Du bist zurückgekommen. Kümmere dich nicht um deinen Wert. Ich entlasse dich."
Malkuth sah auf seine behandschuhten Finger, während er sie langsam bewegte. Die Scharniere bewegten sich fliessend, als ob sie aus Muskeln oder Nerven bestehen. Er stand ungewiss, ob Kether bereits weg war, ein, zwei Minuten im Saal. Ihm war bewusst, dass die Dienerin ihn heimlich beobachtete. Sein Fokus wandte sich zu dieser. "Beantworte mir eine Frage."
"Was erwarten sie zu hören, Meister Malkuth… Tick-KNACK … Es tut mir schrecklich Leid", sie konnte keine Angst empfinden, was sie aber nicht abhielt sich Sorgen zu machen.
"Ich verzeihe dir deinen Fehltritt. Ich möchte gerne der Frage nachgehen, was ich bin?"
"Verstehe nicht… Tick …Sie sind Meister Königreich,… Tick …ein Zweig, Diener von Meister Krone und hoher Herr…"
"Was bin ich als Wesen?"
"Das kann ich nicht beurteilen… Tick."
Malkuth sah ein, dass eine solch philosophische Frage für eine Frucht zu hoch war.
"Danke, Frucht- Wie war Ihr Name?"
"Oh Meister Königreich,… Tick …dies ist zu viel Ehre."
Scheinbar ist meine Höflichkeit zu viel für sie…
"Ich war lange weg. Ist etwas Besonders geschehen?"
Akt 2: Puppenspiel
Der Gang echote das Klacken, das Malkuths bare Füsse machten. Sein Ziel war die Bibliothek. Auch Malkuth vernahm ein Chor von Glöckchen. Er rührte sich nicht, in dem er ganz steif an der Wand stand. Er wollte Gevurahs beobachten und er wusste wie dieser über ihn dachte. Gevurahs Gesicht war ebenfalls maskiert, was es noch schwere machte einzuschätzen, ob er seinen Zweigbruder bemerkte.
Gevurah hielt inne und versuchte herauszufinden, wessen Präsenz er spürte.
"Es ist zwecklos, still zu stehen. Ich weiß, dass du da bist."
Malkuth konnte es nicht unterdrücken über seinen kindlichen Versuch, den blinden Gevurah auszutricksen, belustigt zu sein.
Gevurah fing verärgert an sich zu schütteln. "Bist du das, Ursprung?"
Trotz Gevurahs Fähigkeiten, schien er Mühe zu haben, Malkuth vom Steinrelief auszumachen. Er bewegte seinen Kopf hin und her und suchte offenbar einen Unsichtbaren, bis er seinen Kopf auf Malkuth richtete.
"NEIN, DU bist es!" Gevurahs Stimme enthielt all die Verachtung und Schmerz, dass jemand mit ihm gespielt und eine schwache Seite von ihm entblößt hatte.
Schneller als man es gedacht hatte, war Gevurahs Gesicht an Malkuths, oder mehr, dass was von Masken verhüllt war. Zum ersten Mal war er froh über seine Natur, sonst hätte er den Schrecken seines Lebens gehabt. Es verging eine Zeit, in der alle Glöckchen verstummten. Gevurah machte Anzeichen, dass er nicht mehr so sicher war, dass in seinem Gegenüber leben herrschte. Doch da hatte Malkuth die Idee zu sprechen: "Hallo, Gesetz."
Tiferet hatte es auf einem Sofa bequem gemacht. Sie lass ein Buch aus der 'Bibliothek des Wanderers'. Sie war fast so vertieft, dass sie den Mann nicht bemerkte, der ein wenig zu hektisch die Tür schloss, um ein Besucher zu sein. Er huschte, scheinbar sie nicht bemerkend, durch den Raum. Das Geräusch, dass er mit dem Mund machte, deutete seine innerliche Hektik an. Offenbar war er gerannt. Ein dumpfes Geräusch informierte sie, dass der Sessel in der hintersten Ecke in Besitz genommen worden war. Es wurde stiller.
Tiferet schielte über den Rand ihrer Lektüre. Aus dem Winkel, wo sie gerade saß, erkannte sie nur ein Büschel mit undefinierbarer Tönung.
Malkuth saß regungslos im Sessel. Er hatte gehofft, dass er so die Wahrscheinlichkeit Daath zu treffen erhöhte. Und bis Gevurahs Zorn etwas weniger frisch war. Seine Natur erlaubte ihm geduldig zu sein.
Wenn ich so nachdenke, ist diese Trance dass was den menschlichen Schlaf nahekam.
Als so harrte er aus, gleich welche Zeit es bräuchte. Die Mechanik wurde loser und seine Züge wurden neutraler, bis sein Blick starr war.
Als Tiferet nachsah, wer so geräuschvoll hereingekommen war, entdeckte sie zur ihrer Verwundung eine lebensechte Puppe in einem altmodischen Einreiher. Mehr aus einem künstlerischen Faszination, als aus echte Neugier, ging sie zu ihr. Sie war beeindruckt. Die Gliedmaßen waren von einem Könner geformt und die Gesichtszüge waren fein… Ah, hierbei handelt sich um eine Maske, die so passgenau an den Kopf anlag, dass der Übergang nicht ersichtlich war. Sie streckte vorsichtig die Finger aus, um den Übergang von Maske und Kopf zu befühlen.
Wie eine Feder schoss eine Hand hoch und ergriff ihr Handgelenk, fester als beabsichtigt. Die Augen erwachten und drehten sich zu Tiferet Gesicht. Malkuth schwieg und sah mit zwei ausdruckslosen, glasige Augen.
Bis auf einen kleinen Schrecken empfand Tiferet nichts. Als Malkuth die Situation genügend studiert hatte, löste er den Griff und lies damit die Hand frei. "Warum?"
"Wie bitte?"
"Warum fasziniert Sie meine Maske?", differenzierte Malkuth seine Frage.
Tiferet, heimlich das Gelenk reibend, traute der Ruhe, mit der ihr Gegenüber sprach, nicht.
Malkuth stand knackend auf. "Wie unhöflich von mir. Ich stelle mich besser vor: Ich bin Malkuth, das Königreich", er verbeugte sich.
„Der Zweig, der sich fangen ließ?“
Malkuth verzog das Gesicht ein wenig pikiert.
„Mit welch schöner Dame habe ich die Ehre?"
Tiferet kniff die Augen zu. Wie eingebildet musste ein Zweigmitglied sein, dass er so herablassend höflich war? Sie würde ihn in seinem eigenen Spiel schlagen.
Sie machte einen Knicks. "Tiferet, die Schönheit. Erfreut die Bekanntschaft zu machen. Um auf des Herrs Frage zurückzukommen. Ich wollte Ihrer Vorliebe eine Maske zu tragen auf den Grund gehen."
Sie beobachtete, dass ihr Gegenüber sich kurz versteifte.
Ein wunder Punkt!
"Ah, es ist dir unangenehm?“, Tiferet genoss die Macht, die sie im Moment hatte.
„Ja. Ich mag mein Gesicht nicht."
Tiferet war von seiner naiven Ehrlichkeit überrascht und ihr Interesse war doch ein wenig geweckt, nur um ihn einschätzen zu können. "Warum bist du anders als wir?"
Er schien sich immer unwohler zu fühlen.
"Warum bist du anders?", wiederholte sie.
Malkuth sah überrascht aus, so weit es die Maske zuließ, dass sie sich ernsthaft dies fragt.
"Weil…", er hob ein planlos die Hände, "Weil ich es will… Ich will halt gemocht werden will"
"Warum?"
"Warum was?"
"Warum?"
"Warum was?"
"… Warum willst du gemocht werden?"
"Du sagtest dich interessieren andere nicht, aber warum nicht?"
Tiferet kam aus dem Konzept. Weshalb interessierte es, was ihre Gründe war, wie sie war? Was kümmerte es sie, dass es ihn interessierte. In ihrem Kopf bildete sich ein Knoten. Sie hasste es, aus dem Konzept gebracht zu werden.
Malkuth versuchte das Thema zu wechseln: „Um was geht es im Buch, das du liest, Schönheit?"
Tiferet war bereit ihn vom Haken zu lassen. Vorerst.
„Willst Du wissen was meine Gabe ist?“, sie lächelte böse.
Tiferet fing an zu singen. Ein klarer und reiner Ton. Malkuth zuckte und unter seiner Maske verzog er sein Gesicht vor Schmerz. Dann fing er an zu tanzen. Leicht und geschmeidig, ohne Zögern. Begeistert über das leichte Spiel machte Tiferet weiter. Doch auch sie verspürte ein Ziehen, das gleichzeitig mit Malkuths Fingerbewegungen begann. Als sie nah genug war, packte er ihre Händen. Wie ein Schraubstock schlossen die Finger die ihren. Die ganze Zeit verspürte sie den Drang weiter zu singen
„Ich tanze so ungerne allein. So verzeihe mir, dass ich so galant bin, Dich einzuladen“
Tiferet funkelte ihn an, doch sie musst zu geben, dass er ihr nur mit gleicher Münze zurückgezahlt hatte. So drehten sie Kreise in der Bibliothek.