Tag 2 des Eindämmungszyklus 366
"Warte, also sind Sie eigentlich …?", fragte Agent Xavier Garces in diesem gleichen, ungläubigen, überschwänglichen Ton, den die neuen Angestellten immer hatten, wenn sie das Namensschild auf dem Tisch sahen.
"Ja, ich bin Doktor Alto Clef. Nein, diese Geschichten waren alle stark übertrieben", erwiderte der Mann in der einfachen, braunen Uniform eines zivilen Sicherheitsbeamten mit einem leichten Hauch von Resignation. "Agent Garcez, warum tragen Sie immer noch diesen schwarzen Anzug? Hat Ihnen die Materialanforderungsabteilung nicht ihre Tarnuniform ausgehändigt, bevor sie am Standort ankamen?"
"Sir, nein, Sir", antwortete Agent Garces, der seinen Blick vom stilisierten Namensschild löste, das die musikalische Inschrift trug, die einen so großen Teil des Foundation-Mythos ausmachte. Wie jemand, der steif vor einem Feldwebel stillstand, fuhr Garcez fort: "Mir wurde gesagt, dass eine Uniform und Tarnidentität vor Ort zur Verfügung gestellt würden."
"Großer Gott … ganz ruhig, Garces." Clef stand auf, ging langsam durch das dreckige, alte Sicherheitsbüro und öffnete ein verrostetes Schließfach. "Sie sind viel zu groß, um was von meinen Extras zu tragen. Raten Sie mal. Sie campen hier für die nächsten Tage. Ich lasse Sie nicht hin- und herpendeln und Sie wie einen dieser gottverdammten Men in Black aussehen. Ich kann nicht glauben, dass die Materialanforderung das schon wieder vermasselt hat. Bitte sagen Sie mir, dass die Sie wenigstens mit den nötigen Vorräten hierhergeschickt haben."
"Ja, Sir, Doktor Clef. Sie sind hinten in meinem Laster."
"Lassen Sie mich raten. Sie sind mit einem großen, glänzenden, schwarzen SUV mit Kennzeichen von einem anderen Bundesstaat hierhergefahren und haben ihn draußen auf dem alten Parkplatz direkt neben meinem Toyota abgestellt."
"Äh, ja, Sir, Dok …"
"Garcez, dieser Standort ist ein verlassenes Bundesgefängnis mit einer wirklich grausamen Vergangenheit. Für Geisterjäger ist dieser Ort wie eine Blondine, die ein Schild mit der Aufschrift 'Gratis-Blowjobs' hochhält. Sie sollen Teil des Gerüsts des privaten Sicherheitspersonals sein, das geile Teenager und Nervenkitzel-Suchende davon abhält, in dieses Gebäude zu schleichen. Wissen Sie, was den Leuten passiert, die sich in dieses Gebäude schleichen?"
"Die gesperrten Räume in diesem Gebäude zu betreten, ist ausnahmslos tödlich. Die Vorschriften besagen, dass alle Personen, die SCP-450 betreten, als verloren gelten", Garces zitierte aus dem Gedächtnis und stand immer noch still und schob sein kantiges Kinn nach vorn.
"Sehen Sie wie ein Sicherheitsmann aus? Fahren sie so ein Scheißauto, das ein Sicherheitsmann fahren würde?" Clef humpelte auf den jüngeren, größeren Mann zu und kniff die stählernen Augen zusammen, die schon zu viele Schrecken für ein ganzes Leben gesehen hatten. "Nein. Ich sage Ihnen, wie Sie aussehen. Sie sehen wie der verdammte neue Typ aus, der noch nicht ganz versteht, womit er es zu tun hat. Sie sind hier, um das verdammt schnell zu lernen, oder Sie werden hier drin sterben, wie einer von vier verdammten Neuen, die zum Einarbeiten herkommen. Versuchen Sie noch einmal, es sich einfach zu machen, und Sie werden sich wünschen, dass ich der gottverdammte Teufel wäre, den 732 aus mir gemacht hat, denn dieser Kerl würden einfach in Ihren wertlosen Hintern schießen und Sie am Parkplatz vergraben. Aber ich bin nicht dieser Mann. Also wenn Sie es ab sofort auch nur im Geringsten versauen, werden Sie nicht nur in 450 sterben, es werden sich auch die Tore der Hölle wo weit öffnen, dass die Putzkolonne, die zum Saubermachen herkommt, eine Naturkatastrophe vortäuschen muss, die groß genug ist, um die benachbarten drei Städte von der Landkarte zu löschen. Habe ich mich klar ausgedrückt?"
"Sir, ja, Sir!", sagte Garzec, dessen Augen ausdruckslos über Dr. Clefs zurückweichenden Haaransatz starrten.
"Das ist nicht die Army, Agent." Clef seufzte müde und kehrte an seinen Schreibtisch zurück, um einen gleichermaßen unangenehmen Brief an den Materialanforderungsbeamten zu schicken, der ihm einen neuen Agenten ohne ordnungsgemäße Ausrüstung geschickt hatte.
"Ah, t-tut mir leid, Doktor", antwortete Garcez. Als er keine Antwort erhielt, ließ er die Schultern hängen und setzte sich auf das muffige Tweedsofa im Büro. Endlich sprach er wieder. "Also, was machen Sie hier, Doktor?"
Clef schaute von seinem Bildschirm auf und blinzelte. "Ruhestand."
Tag 17 des Eindämmungszyklus 366
"Ich werde alt, Garcez", erklärte Clef. "Vor etwas mehr als dreißig Jahren haben wir diesen Standort zum ersten Mal gesichert. Ich war die erste Person, die diesen Gang entlang ging, wissen Sie. Ich habe die Sicherheitsmaßnahmen selbst entwickelt."
Garcez sagte nichts. Er trug jetzt die ordnungsgemäße, einfache, braune Uniform und seine Augen waren geradewegs auf den heruntergekommenen Flur gerichtet. Sein Tempo war angemessen und ruhig, seine Schritte fast leise im Vergleich zum schlurfenden Hinken des Doktors und dem Klackern von Clefs Krückstock.
"Ich habe das Eindämmungsmuster auf dem Siegel Salomos aufgebaut", fuhr Clef mit entspanntem Ton fort. "Dachte, es hätte eine Art geheime Macht über die Entitäten, die im Todestrakt gefangen sind. Es scheint funktioniert zu haben, sie sind nur einmal ausgebüchst; das war vor sieben Jahren, als es ein verdammter neuer Kerl nicht rechtzeitig zu dem verdammten Stuhl schaffte. Einmal habe ich Bright in die Sicherheitszone geschubst, als Scherz. In den nächsten drei Monaten konnte man nicht mehr als einen verbrannten Schimpansen riechen, sogar in der Sicherheitszone. Der Wichser sagte, er würde dafür eines Tages meine Mutter töten, ha, ha. Das waren gute Zeiten. Außerdem habe ich Ihre Mutter gefickt."
Garcez zuckte zusammen und schaute zur Seite. Clef schlug ihn mit der Stahlspitze seines Stocks ins Schienbein.
"Nicht reagieren, Garcez! Reagieren Sie auf nichts, während Sie diesen Gang entlang gehen", zischte der Doktor. "Sie blenden mich einfach weiter aus und beenden den Übungslauf. Wir müssen heute noch drei weitere machen. Sie müssen diese Aufgabe perfekt ausführen oder Sie werden sterben, verstehen Sie mich? Jetzt kommen Sie zurück zur Startlinie."
Clef und Garcez drehten sich um und gingen schweigend zum Ende des leeren Zellenblocks. Sie waren in einem sicheren Flügel der Einrichtung, einer, der sicher genug war, um elektrisches Licht zu haben. Die Luft war dick vom Geruch der Fäulnis, am stärksten an der gegenüberliegenden Wand, wo das Übungssymbol täglich immer wieder mit Schweineblut bemalt wurde.
Clef machte eine Pause und hielt eine Hand vor Garcez hoch, bevor er wieder losging. Seine Brust hob sich und seine Hand griff den Stock so fest, dass er zitterte.
"Geht es Ihnen gut, Doktor? Möchten Sie sich ausruhen?", fragte Garcez sanft.
Clef schaute auf den schmierigen Betonboden. "Wissen Sie, ich frage mich, ob es überhaupt eine Rolle spielt. Das Muster. Wir haben es dreißig Jahre lang einmal im Monat im Todestrakt nachgezeichnet, aber ich denke nicht, dass sich die Entitäten um das Muster scheren. Alles, was sie wollen, ist das Blut."
"Doktor?"
"Es ist der Gang, der wichtig ist, Agent. Sie müssen ruhig und mit der perfekten Geschwindigkeit gehen. Nicht zu schnell und nicht zu langsam. Schauen Sie nicht zur Seite. Gehen Sie einfach rein, schmieren Blut an die Wände und gehen raus. Tun Sie das und die Entitäten werden Sie nicht sehen und Sie werden weiterleben, um dies nächsten Monat wieder zu tun. Vielleicht werden Sie später beauftragt, etwas weniger Beschissenes einzudämmen."
"Ja, Doktor. Mussten Sie sich ausruhen?"
"Nein, nein. Ich musste mir nur etwas Neues ausdenken, womit ich Sie während Ihrer Übung quälen kann. Etwas wirklich Gutes." Clefs Gesicht verzog sich zu einem faltigen Grinsen. "Machen wir weiter."
Für die nächsten vier Stunden jodelte Clef ununterbrochen. Garcez schaffte es, einen Übungslauf fertig zu machen.
Tag 30 des Eindämmungszyklus 366
Der Doktor und der Agent standen an der Schwelle zum Todestrakt. Hinter ihnen leuchteten in der Sicherheitszone zwei strahlende Flutlichter, die ihre Schatten schonungslos auf die lackierten Stahlschutztüren warfen, die den Weg zur schwarzen Hinrichtungskammer versperrten. Garcez hielt einen weißen Plastikeimer mit einem Pinsel und drei Blutkonserven in der Hand, die die Einwohner der Nachbarstadt großzügig bei einer ihrer häufigen Blutspendeaktionen gespendet hatten.
"Was, wenn sie mich sowieso angreifen?", fragte Garcez schließlich und starrte ausdruckslos auf die Tür.
"Das sollten sie nicht, Xavier. Aber wenn Sie es tun, verspreche ich, dass ich die Arbeit fertig mache. Wir halten diese Dinger eingedämmt." Clef schwenkte seine Schlüsselkarte über das elektronische Schloss und die Stahltüren schwangen auf die beiden Männer zu. Aus der Dunkelheit des Zellenblocks in der Todeszelle schienen sich viele unverständliche Stimmen zu drängen. Einhundertsechsundsechzig Meter entfernt stand die Tür zur Hinrichtungskammer offen, die von den mächtigen Flutlichtern hinter den Männern kaum beleuchtet wurde.
"Alles scheint normal." Clef nickte, als die Türen jeder Zelle auf der linken Seite gleichzeitig auf- und zuknallten. "Gehen Sie und erledigen Sie das, Junge. Denken Sie daran, das Muster ist nicht wichtig, sondern der Gang."
Garcez' Atem war ruhig und überlegt, während er in die Dunkelheit ging. Clef schaute zu, wie sein Partner zügig an den Überresten eines Agenten vorbeiging, der seine Aufgabe vor drei Jahren nicht perfekt ausgeführt hatte.
Nachdem er siebenundsechzig Meter den Flur entlanggegangen war, drehte Garcez mit einem kurzen Ausruf den Kopf zur Seite. "Mama?"
Plötzlich wurde sein Körper zur Seite gerissen und wieder und wieder gegen das rostige Metall einer geschlossenen Zelle geschlagen, bis er schlaff durch die Stäbe gezogen wurde und zu einem Schmierfleck aus Blut wurde. Clef kniff die Augen zusammen und verzog das Gesicht. Er hatte wirklich gedacht, dass es Garcez schaffen würde.
22. Juni 20██, 19.53 Uhr
Clef ging mit seinem Krückstock unter einem seiner Arme. Sein anderer schwang den weißen Plastikeimer im Takt seiner überlegten Schritte. Genau elf Minuten, nachdem er SCP-450 betreten hatte, kam er zu dem alten elektrischen Stuhl, der an seinen Befestigungen klapperte und zitterte. Mit Ausnahme von Garcez' Fehler verlief alles wie erwartet.
Clef kniete sich hinter den sich schüttelnden elektrischen Stuhl und überprüfte den Inhalt des Eimers. Zwei der Blutkonserven waren zerrissen, als es Garcez erwischte. Als er zum ersten Mal auf den Weg zurückblickte, den er gegangen war, konnte er die Spur blutiger Fußabdrücke sehen, die er hinterlassen hatte. Doktor Clef schürzte die Lippen – die eine verbleibende Blutkonserve würde nicht ausreichen, um das Eindämmungsmuster zu zeichnen, das er vor dreißig Jahren entwickelt hatte. Er kramte in seiner Hosentasche und zog ein altes Jagdmesser heraus, dass ihm Dmitri nach ihrem Urlaub in Tijuana geschenkt hatte. Clef krempelte seinen Armel nach oben, legte das Messer an sein Handgelenk und erfüllte seine Aufgabe. Er bezweifelte, dass er danach genug Zeit hätte, sicher wieder hinauszugehen …
Tag 1 des Eindämmungszyklus 367
Doktor Yancy saß im Sicherheitsbüro und fühlte sich klein vor Doktor Clefs Laptop. Ein Ladebalken füllte sich langsam, während eine Reihe hochauflösender Fotografien an einen Bericht für den O5-Rat angehängt wurden.
Es wurde bestätigt, dass Agent Xavier Garcez um ca. 19:42 Uhr bei der Ausführung von Sicherheitsmaßnahmen ums Leben gekommen ist. Das angehängte Foto [Vorfall 450-34-a] wurde von Forscher Darrin außerhalb der Eindämmung von SCP-450 aufgenommen. Es scheint, dass Doktor Clef persönlich die Sicherheitsmaßnahmen mit seinem eigenen Blut beendet hat. Bemerkenswert ist der Satz, den Doktor Clef anstelle des verwesten Eindämmungsmusters an die hintere Wand gepinselt hat: "Kommt und holt es euch, Wichser."
Es wurde bestätigt, dass die Entitäten innerhalb von SCP-450 eingedämmt sind. Dies scheint Doktor Clefs jüngste Hypothese zu bestätigen, dass das spezifische Muster für die Eindämmung irrelevant ist. Die Entitäten bleiben eingedämmt, solange menschliches Blut auf die Wände der Hinrichtungskammer aufgetragen wird.
Angehängtes Foto [Vorfall 450-34-b] zeigt den Boden vor dem elektrischen Stuhl. Aus diesem Blickwinkel ist es schwer, die Art der Markierungen zu bestimmen, aber wir glauben, dass es sich um mehrere Handabdrücke und eine große leere Fläche in der Form eines menschlichen Körpers handelt. Der Aufenthaltsort von Doktor Clef ist nicht bekannt. Er wird für tot gehalten.