13. Mr. Purple

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☦Ernsthaft, lies dies nicht!☦                                                                                                                 

Die Spitze meines Gehstocks war sehr blutdurstig und der Punk, an dem sie ihren Durst stillte, konnte sich nicht dagegen wehren. Dann zog sich Stahlzunge, rubinroten Geifer sabbernd, aus der Schädelwunde des Anwohners mit einer zarten, eleganten -ja charmanten- Drehung zurück. Das Schreien und Wimmern des Mannes – das verzerrte Jaulen eines frisch verletzten Köters – ertönte unregelmäßig bis seine Brust aufhörte, sich zu bewegen. Der stählerne Reißzahn stieß immer wieder hinein, durchlöcherte die Fleischhülle und zwang die Seele, zu entweichen. Alles Folgende war ein Spektakel: kleine Fleischfetzen, die den üblichen Kreideumriss zur Farce machen würden; lose, freigelegte Venen-Stränge, die dalagen wie Äste und Zweige eines alten Weidenstrauchs; ein löchriges Gesicht und geschliffene Pupillen, die mit dem Ausdruck des ewigen Unglaubens erstarrt waren. Ich lachte wie ein Makake bei jedem Stoß. Ich entblößte meine Zähne mit einem krummen, knorrigen Grinsen, um das mich sogar Piranhas beneiden würden.

Als sie endlich zur Gänze verstümmelt war, setzte ich mich neben die Leiche und nahm unbewusst das kalte Glänzen wahr, aber ich war noch nicht befriedigt. Ich war noch immer hungrig und wollte den nagenden Appetit gern befriedigen, bevor das Zucken vorbei war. Das Zucken kam und ging; das Leben kam und ging. Gierig fing ich Bluttropfen auf, die aus seinem Hals spritzten, doch verschluckte mich dämlicher Weise dabei und musste ein Kichern zurückhalten.

Ich war ein Einsiedler in einem zwielichtigen Dorf voller zwielichtiger Leute. Ich war alt, gebrochen, ausgelaugt und hatte einen üblen Sinn für Humor. Auf meinem Weg Spähte ich durch die Fenster der Häuser und erblickte kleine Gärtchen auf den Simsen. Ich sah moosige Holzverschläge aus Brettern, die von uralten, mysteriösen Bäumen stammen mussten, von Landstreichern vor Ewigkeiten errichtet. Ich betrachtete das sich ändernde Wetter, die vorüberziehenden Wolken, die Dunkelheit und das Licht, Auf- und Untergang der Sonne und ich lachte darüber. Ich fand es lustig, wie die Dinge in einem so präzisen Ablauf geschahen. Der blaue Himmel mit weit aufgerissenen Mund, der in wenigen Minuten genüsslich die Welt verschlingen würde.

In meinen Träumen sprang ich hinauf in die grauen Wolken und schuf mir dort ein Heim. In diesem Traum hing mein Gehirn an Strängen aus einer zertrümmerten Schädeldecke, umkreist von kleinen Singvögeln, die „Pop goes the weasel“ zwitscherten. Ein angenehmer Traum, der mich ausgeruht und glücklich erwachen ließ, wenn auch nur kurz, bis die Erinnerungen an Mr. Redd aus dem Miasma meiner verkrüppelten Psyche zurückkehrten. Ich fand ein wenig Trost in den Silhouetten an den Wänden, von einer fast abgebrannten Kerze stammend und in den Schatten, die immer wieder auf meinen Füßen tanzten. Dieser Schatten wartet immer still auf meine nächste Bewegung, in ständiger Hoffnung, nur Opfer der Lichtverhältnisse.

Ich verstopfte den Zwischenraum zwischen meinem Hosenbein und meinem Fleisch mit Hilfe von Bergluft und ein wenig Oxidation. Meine Augenhöhlen sprangen vor und zurück; reibend! Die Wolken zogen langsam in respektvoller Huldigung vorbei; in sanften grau- und unmöglichen lila-Tönen. Ich zog vorsichtig das Stück Stoff aus dem Öl und zuckte dabei leicht zusammen. Dabei bemerkte ich, dass die Wolken mich anlächelten und mir empfahlen, einfach aufzugeben. Mr. Redd erschien gelegentlich in meinem Kopf, um mir zu sagen, dass ich eine große Lüge sei die zwischen einer kleinen Wahrheit stecke.

In meinen Träumen rannte ich vor etwas Unvorhersehbarem davon. Humpelnd; eine heruntergekommene Hütte in großem Abstand umkreisend; meine Rute schepperte zwischen meinen Beinen. Blitze schlugen hunderte Meilen entfernt in den Boden ein, immer genau zwischen dem Auftreffen meiner Fußspitzen auf dem Boden und dem Abrollen meiner Absätze, was weichen, orangenen Staub aufwarf. Ich glaubte, ich wäre den Schatten meines Unterdrückers schon längst losgeworden, vor Jahren schon unter den Kolben und Getrieben, doch seine Intuition ließ ihn niemals im Stich. Ich habe ständig Angst.

Ich rührte mich an diesem Morgen achtsam, meine Sinne ließen mich durch den Höhleneingang eilen, in dem ich gerastet hatte – kleine gesichtslose Gott-Weiß-Was-Für-Dinger, die an Ranken an den Wänden hingen, wünschten mir Lebewohl.

Ich ätzte das Wort „Lügner“ in einen Grabstein, welcher über eine Klippe hinausragte, an der ich vorbeikam, auch wenn ich nicht genau weiß, warum ich das tat. Ich verzierte die Oberkante des Grabsteins mit dem kruden Antlitz eines geköpften Pfaus, das meinem Schädel entsprang. Dort hingen ein paar Wind-Glockenspiele an versteinerten Kakteen. Ich öffnete eine lederne Luke, die hinab in ein Loch führte und legte meinen Kopf auf den Organen darin zur Ruhe.

Die pochende Hitze verwandelte die wenigen Haare unterhalb des Horizonts in den sagenhaften Fluss des Todes. Massen pulsierender, zappelnder, achat-farbener Maden wimmelten und wühlten dort. Ich stellte mir einmal vor, dass ich in die Fäulnis geflogen bin, hin zu den schwarzen Ufern der Fingernägel. Ich würde auch dorthin fliegen; hoch, hinauf bis zum Hirn und dann die Wendung vollführen und im Sturzflug tief in die Organe eindringen – eine Spur aus Blut des Todesflusses hinter mir herziehend – und so Mr. Redd und auch mich selbst töten. Ein bittersüßer Tagtraum, auch wenn die Dinge nie wie erwartet abliefen.

An diesem Tag war die Sonne da und auch der Regen; sie waren mit den sanft glühenden, goldenen Wolken befreundet. Der Sonnenuntergang signalisierte mir, meine Fußpolster anzulegen – diese Nacht eignete sich für einen Marsch. Ich stieg in die Stadt hinab, damit etwas mich finden könnte. Ich hatte lange nicht geübt und Fehlfunktionen stellten sich langsam ein. Ich öffnete meinen Mund und „reparier mit Seufzen warum Nacht“ kam hreaus: mein übliches, zusammenhangloses Gebrabbel wenn ich meine Stimme benutzen will. Mir kam es nicht auf die Sprache an und es war mir völlig egal, wenn eh niemand in der Nähe war. So ging ich also ein, zwei Meilen hinab zu einer Spelunke und murmelte diesen Kauderwelsch, murmelte dieses „Alarm Erfindung zu welcher Zeit ich entschlüssele warum versuchen“ und neigte meine Hand über meinen Gehstock als wollte ich dem Abschaum etwas vorführen. Nein, ich musste mich nicht bei Abschaum einschmeicheln, nicht Mr. Purple. Mr. Purple war schön und gescheit! Hin und wieder hielt ich an und spähte finster in die Bäume. Ich wusste, dass sie da draußen waren: Mr. Redds schüchterne und bösartige Schatten.

Nachdem ich von meiner Rast auf der Leiche erwacht war, erschien ein verblassendes Gesicht in der Abenddämmerung mit dem Klang einer rauen Männerstimme. Mir entwich eine große Menge Öl, als mir bewusst wurde, wer das war.

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